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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
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Chriſtine wurde ſehr bleich, grübelnd benagte ſie ihre
vollen Lippen, dann zuckte ein garſtiges Lächeln um ihren
Mund und die zitternden Hände riſſen das Papier in hun-
dert Fetzen. ö ö
Am folgenden Tag war Revue der Garden. Die Kö-
nigin fand ſich perſönlich dazu ein, und als dieſelbe be-
endet war, ernannte ſie den Chevalier vor der Fronte des
Regiment zum Kapitän und lud ihn zur Tafel ein. Dort
fielen die Strahlen der königlichen Gunſt ſo warm und
glänzend auf das Geſicht des glücklichen Kapitäns, daß die
Höflinge ſich neidvoll zuraunten: „In kurzer Zeit wird
der Franzoſe Schweden beherrſchen.“ ö
Der Chevalier verließ wie berauſcht die königlichen Ge-
mächer, — gerade an jenem Tage hatte ſeine Gattin auf
eine Entſcheidung gedrängt. Wie Herkules ſtand er am
Scheidewege. Vom tollen Ehrgeiz geblendet, ließ er den
Pfad des Rechts links liegen und wanderte den falſchen
Weg. Unter dem Vorwand, daß die Köntgin ihn für eine
geheime Miſſion nach Frankreich auserſehen habe, und er
bald nachfolgen werde, veranlaßte er ſeine Frau voraus-
zureiſen. Die Aermſte that dies mit bangem, ſchwerem
Herzen; auch ihm war mit einem Male, als ſcheide ſein

guter Engel von ihm, da das Schiff über die blauen

Fluthen dahin ſegelte und ein Weſen in weite Fernen trug,
welches ihn ſo treu und innig liebte.

Glücksjäger treten die köſtlichſten Güter unter ihre

Füße und haſchen nach — einem Phantom.
Der Chevalier ſtieg von Stufe zu Stufe. Bald wurde
er Inhaber eines Regiments, dann trat er in den Staats-
rath, und ſein Einfluß wurde ſo groß, daß alle Aemter.
jäger ſich um ſeine Gunſt bewarben. Endlich war das
Portefeuille des Kriegsminiſters erledigt und der Hof hegte
die Ueberzeugung, daß kein Anderer als der neue Günſt-
ling dafür deſignirt ſei.
Die Königin verdoppelte ihre Huld und Zärtlichkeit
für den kühnen Abenteurer und dieſem ward es klar, daß
das Weib Chriſtine einen Lohn fordere für die Gaben,
welche die Königin ſo verſchwenderich über ihn ausſtreue.
Die gefährliche Bahn war einmal betreten, und Cheva-
lier de Liar zauderte keinen Augenblick mehr, Gefühle zu
erheucheln, welche ſeinem Herzen fremd waren.
Ein glänzender Hofball verrauſchte und ſpät in der
Nacht, als der Chevalier die Königin von der letzten Qua-
drille zum Thronſeſſel geleitete, lehnte dieſe vertraulich auf
ſeinen Arm und flüſterte ihm in's Ohr: „Treten Sie nach
fünf Minuten durch die rothſeidene Portiere über den ge-
heimen Gang in meine Gemächer. Die Wachen ſind ent-
fernt — ich werde allein ſein, denn ich habe eine Ueber-
raſchung für Sie.“
Die Königin verſchwand und kurze Zeit darauf trat
der Chevalier auf dem geheimen Wege in das Boudoir der
Königin. Der Raum war matt erleuchtet. Stürmiſch
klopften die Pulſe des Abenteurers und als Chriſtine in
der Robe de Chambre ihn mit jenen Blicken weiblicher
Hingebung empfing, rief es jubelnd in ſeinem Innern:
Dein Ziel iſt erreicht! Jetzt biſt Du Regent in Schwe-
den, denn ein liebendes Weib hört auf zu herrſchen! —
Stürmiſch warf er ſich Chriſtinen zu Füßen und geſtand
ihr ſeine glühende Liebe. — Dieſe beugte ſich lächelnd zu

Frankreich führe.

ihm nieder. Ihr Auge war feucht und ſchwärmeriſch ſenk-
ten ſich ihre Blicke auf das ſchöne Geſicht des Offiziers.
„Iſt es denn Wahrheit, daß Sie mich lieben?“ hauchte
ſie und der Chevalier ſchlang ſeinen Arm um ihre Hüfte
und beſchwor die Lüge.
„Nun, ſo erfahren Sie, wie ich dieſe heiße Liebe ver-
gelte. . . Hilfe!“ ſchrie Chriſtine gellend. Wie auf Kom-
mando flogen die Thüren zum Vorſaal auf und einige
Offiziere der Garde, Kammerherren und Pagen ſtürmten
herein. ö ö
„Dieſer Elende drang heimlich in die Gemächer Eurer
Königin!“ rief ſie jetzt mit flammenden Augen und ſtieß
den erſchreckten Chevalier heftig von ſich. „Er wagte es,

ihr mit ſchändlichen Anträgen zu nahen, und da ſie ihm

empört die Thüre wies, vergriff er ſich an unſerer gehei-
ligten Perſon. Der Raſende iſt wahnſinnig geworden, —
man ſchaffe ihn in's Irrenhaus zu Upſala.“
Die Offiziere ergriffen den todtbleichen Mann, welcher
taumelte, als habe er einen tödtlichen Schlag empfangen.
Schon ſchleppte man ihn auf den Gang, da riß er ſich
noch einmal los, ſtürzte mit einem herzzerreißenden Schrei
dem unmenſchlichen Weibe zu Füßen und ſtammelte: „Chri-
ſtine, es kann Dein Ernſt nicht ſein!!“ — Dieſe lachte
höhniſch und antwortete: „Fühle es, Abenteurer, daß Chri-
ſtine von Schweden mehr iſt als ein Popanz, denn ſo
rächt ſich eine Königin.“
Fünf Jahre lang blieb der Unglückliche im Irrenhaus
und als ihn Karl X. nach Chriſtinens Abdankung in
Freiheit ſetzte, war er ſchwachſinnig geworden. Bettelnd
kam er nach Stockholm und trieb ſich dort lange Zeit in
den Straßen umher. Er ſuchte ein Schiff, das ihn nach
„Ich habe den Weg nach der Heimath
verloren,“ ſagte er den Vorübergehenden mit angſtvoll fle-
henden Blicken, „wißt Ihr ihn nicht?“ —11
Chriſtine hatte die Krone nledergelegt und zog in's
Ausland. Als ſie zuerſt den Fuß auf däniſchen Boden
ſetzte, geberdete ſie ſich wie eine Närrin, küßte die Erde,
jauchzte, ſprang wie beſeſſen umher und rief: „Endlich bin
ich frei!“ — Später warf ſie in Frankreich und Italien
Sittlichkeit, Glauben, Ehr- und Menſchlichkeit von ſich,
und da ihre böſen Thaten ſo ruchbar wurden, daß man
ſich in Frankreich genöthigt ſah, ſie auszuweiſen, kehrte ſie
nach Stockholm zurück in dem Wahne, das Volk würde
ihre Rückkehr mit Jubel begrüßen; allein in den finſteren
Straßen der Stadt regte ſich Niemand. Nur ein Menſch
rannte mit den Fackelträgern neben dem Wagen her und
ſchrie: „Heda! Bürger von Stockholm! Die große Spinne
iſt wieder da! Sie hat mich in ihr Netz gekockt und mir
das Herzblut ausgeſaugt. —“
Erſchreckt blickte Chriſtine zur Seite und in dem blei-

chen Antlitz des blödſinnigen Bettlers erkannte ſie die

dunklen Augen des Opfers

— ihrer königlichen
Rache. ö
 
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