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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 27. April)
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bei einem ſo hübſchen Mädchen als Marie eben nicht
ſchwer gefallen ſein würde, hätte er ſie nur nicht ſeiner
eigenen Braut gegenüber ſpielen müſſen. Indeß mußte er
ſich in die Umſtände fügen, und that es gerne, um ſich
Tante und Conſin, und, wie er mit Recht glauben durfte,
auch in der Folge die Heldin des kleinen Familiendrama's

zu verbinden, denn Heinrich war ja, ſeine Aeußerlichkeit

abgerechnet, ein Mann wie er ſein mußt, um liebenswür-
dig gefunden zu werden.
Die Verbündeten beſiegelten noch einmal mit einem
warmen Händedruck ihr Schutz- und Trutzbündniß, und
Karl etlte mit Heinrich hinüber in den Saal. Heinrich
brannte vor Begierde, das Mädchen zu ſehen, das ihm
das Schickſal als ſeine künftige Lebensgefährtin auf ſo
diplomatiſchem Wege ausgemittelt. Seine Lage war wirk-
lich ſonderbar, und einzig in ihrer Art, und die Erken-
nungsſcenen mußten von eigener Wirkung ſein. Daß ihn
Marie liebte, davon hatte er die ſchriftlichen Beweiſe in
den Händen, denn ihre Briefe ſprachen ja alle das glü-
hendſte Sehnen aus, mit dem Schalk Amor das Herz zu
erfüllen pflegt, ihre Sprache war oft ſogar melancholtſch,
— und dies bewies erſt die rechte Intenſität des Ge-
fühls. ö
Er war alſo heilig überzeugt, daß Marie verliebt ſei,
allein in ihre eigenen Träume von dem Geliebten, in ein
Phantaſiebild, das er nun mit ſeiner trockenen Wirklich-
keit vernichten ſollte. Was ſie von eihm gedacht, das hatte
er mit einem Male erfahren, ehe ſie noch ſein Auge er-
blickt und er jubelte mit ſchmerzlich gerührtem Herzen üder
den guten Geſchmack, durch den ſie Karl'n mit ihm ver-
wechſelt. Doch auch für ihn war eine Ueberraſchung auf-
bewahrt. — Gar bald hatte Karl Marien, oder vielmehr
ſie ihn gefunden. Sie glühte im Frühlingsſtrahle der er-
ſten heiligen Liebe, wie eine junge Roſe, die eben aus der
Knospe bricht — und Heinrich fühlte ſich zum erſten Mal
verletzt. — denn wenn er dieſen Engel wegen ſeiner Häß-
lichkeit verlieren ſollte, dann wäre er doch der lieben Mut-
ter Natur, die ſo gar wenig für ſeine äußerliche Menſch-
heit gethan, ein Bischen gram geworden. „Du biſt doch
nicht böſe, daß ich Dich in dem Augenblicke unſeres erſten
Zuſammentreffens verlaſſen habe?“ fragte Marie den
Pſeudo-Bräutigam, als ſie in der Nähe der beiden Freunde
hielt. ö
„Gewiß nicht,“ entgegnete Karl, verlegen auf Heinrich
blickend, der in der Selbſtüberzeugung von dem obwalten-
den Mißverſtändniß doch etwas unangenehm ergriffen, eine
kleine Anfechtung von Eiferſucht nicht unterdrücken konnte;
doch bald hatte er ſich geſammelt und präſentirte ſich mit
dem fröhlichſten Humor als der zweite Couſin, den der
verliebte Freund aufzuführen vergeſſen habe, und zugleich,
wenn ihn anders die Götter nicht gar zu häßlich fänden,
als Emiliens künftiger Gemahl.

Jetzt erſt lenkte Marie ihre Blicke von dem vermein-

ten Heinrich auf den ächten und man las in allen ihren
Zügen die Verwunderung, daß Emilie, die ihren Bräuti-

gam doch kannte, trotz ſeiner Häßlichkeit an dieſem ſo in-
Sie muſterte ihn ſo bedeutungsvoll, daß der

nig hing.
arme Heinrich ſein Urtheil ſchon im Voraus wußte. „Für
einen Adonis hält ſie mich gewiß nicht,“ flüſterte er Karl'n

11⁰ ö ö

in das Ohr, als der Tanz Marien wieder entführte. „Ich
hingegen halte ſie für einen Engel und möchte platzen vor
Neid, daß ſie Dich für mich gehalten.“
Ein Engel war aber auch Marie im vollen Sinne
des Wortes. Ihre ätheriſche Geſtalt ſchwebte ja ſo leicht
dahin auf den Wellen des Tanzes, wie einſt die neuge-
borne Cynthie auf den ſtaͤunenden Wogen gegen die Blu-
menküſte des cypriſchen Strandes; das ſchöne Auge ruhte
ſo treu, ſo bedeutungsvoll, ſo innig auf dem, den ſie be-
trachtete, ihre Wangen glühten, wie die Morgenwolke, wenn
ſie ſanft erröthet vor dem Nahen des Strahlengottes; —
der ſchöne Nacken ſchien aus karrariſchem Marmor ge-
formt und mit Roſenthau durchfluthet; — ſie hätte ohne
Anſtand mit der paphiſchen Göttin in die Schranken tre⸗—
ten können. Heinrich war ganz in Anſchauung und Be-
zauberung verloren. „Da ſieht man es, was Wien für
herrliche Mädchen hat,“ rief er ein über das andere Mal
„und der ungezwungenſte Anſtand, die ungekünſtelte Gra-
zie — die — ach! es iſt ein Wunderkind!“ ö
Marie ſchwebte wieder in ihre Nähe und unterbrach
die begeiſterte Rede des Ueberſeligen. Sie ſchien das Ende
des Tanzes nicht erwarten zu können und hatte nur Aug'
und Ohr für den glücklichen Verkannten. Endlich ſchlug
die Stunde der Erlöſung. Freundlich dankte ſie dem be-
ſcheidenen Tänzer, der, ihre Wünſche errathend, ſie gefäl-
lig an die Freunde abtrat.
Am Arme Karls ging ſie harmlos plaudernd durch
den Saal, ohne ſich weſentlich um Heinrich zu bekümmern,
der ganz trübſelig nebenherſchlich, und ſprach, während
dieſer die Zukunft überlegte, von nichts Anderes, als von
den zärtlichen Briefen und Gedichten, die ſie erhalten, daß
Karl nicht wenig über die Menge von Liebesſchwüren und
Glühſonnetten, die er geſchrieben haben ſollte, erſtaunt war
und ernſtlich beſorgt um den verkannten Heinrich wurde,
den er ſich bei ſeinem ſonſtigen Uebermuthe nie ſo feurig
und liebeskrank gedacht hätte.
(Fortſetzung folgt)

Das See⸗Begräbniß.
Von d. Smidt.

Die Reiſe war einförmig und ohne ein mittheilungs-
werthes Ereigniß. Die Unterhaltung in der Kajüte machte,

um der bereits angedeuteten Urſache willen, ſich nicht be-

ſonders angenehm und als Schiffs⸗-Offizier wollte zes ſich
nicht für mich ſchicken, meinen Umgang an der Erbſenback
zu ſuchen. Unter dieſen Umſtänden blieben mir manche
müſſige Stunden, die mir zu eben ſo vielen Folterſtunden
wurden, denn die Langeweile plagte mich bis zur Unge-

bühr und es war außer den nothwendigen nautiſchen Hand-

büchern keine Lectüre an Bord, vermittelſt welcher ich je-
nen Dämon hätte bannen können. — In dieſer kritiſchen

Lage warf ich meine Augen auf den Kajüts⸗Wächter, ei-
nen muntern anſtelligen Jungen von kaum fünfzehn Jah-

ren. Er hieß Oscar, war gleich mir aus Altona ge-
bürtig und der Sohn einer unbemittelten Wittwe. Die
 
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