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alte Fran hing mit einer Art von abgöttiſcher Liebe an
dem Knaben und hatte ihre ganze Hoffnung für die Zu-
kunft auf ihn geſetzt. Flehentlich hatte ſie ihr Kind ge-
beten, eine Profeſſion zu wählen, die ihn nicht von ihr
trenne; aus Gehorſam und kindlicher Liebe hatte er dem
Wunſche der Mutter Folge geleiſtet, aber er hielt es nicht
aus in der Werkſtatt des Meiſters, es trieb ihn mit un-
widerſtehlicher Gewalt an unſer Schiff, und ſelbſt dann,
als er ſich an Bord des „Roſenbaumes“ (Name des Schif-
fes) befand, fühlte er ſein Herz noch von einer heftigen
Unruhe bewegt. „Mir iſt, als ob es mich mit ſtarker
Hand bei den Haaren nach dem Land zurückriſſe,“ ſagte
er einmal zu mir, „aber ich kehre durchaus nicht um; ich
will wiſſen, wie dem Seemanne zu Muthe iſt, der ſich
außerhalb der rothen Tonne auf den grünen Wogen ſchau-
kelt!“ — Als ich am Tage vor unſerer Abreiſe vom vä-
terlichen Hauſe Abſchied nahm, erſchien Oscar's Mutter
und bat mich mit thränenden Augen, ihren Sohn nicht zu
hart zu behandeln und für ſein Fortkommen zu ſorgen.
Ich gab der weinenden Mutter, der meinigen gegenüber,
die tröſtendſte Beruhigung, aber wer weiß, ob ich mein
Verſprechen nicht zum größten Theil vergeſſen, wenn ſich
das Kajütsleben bei uns angenehmer geſtaltet hätte. —
Jetzt war es anders, und da, der beſtehenden Schiffsord-
nung gemäß, Unterſteuermann und Kajüts-Wächter zur
Kapitänswache gehören, ſo befand ſich Oscar immevin mei-
ner Nähe. Er war ein überaus zartgebauter Knabe, nicht
allzu groß, mit goldblonden Ringelhaaren und ſchönen,
dunkelblauen Augen. Er war noch ganz Kind, liebte das
Spiel mehr als die Arbeit, betrieb die letztere nur ſpielend
und gelangte in zwei Sprüngen von der Kapitäns-Kajüte
zum Kabelgat. Er konnte aber auch, namentlich bei her-
einbrechender Racht, eine Stunde und. längexauf. einer
Steule ſien, νάαπρν rY
der in die vorüberrauſchenden Wellen, oder hoch hinauf
ternen. Ich habe ihn in ſolchen Augenblicken
aſt Ghurt deubuhet; er fuhr mit der Hand über die Stirn,
bewegte die Lippen, ohne zu ſprechen, und nicht 1063
glänzte eine Thräne in den ſchönen blauen Augen. 8
wohnte ein eigenthümlicher Geiſt in dem Knaben, der aber
nicht zu der Reife gelangte, ſich mittheilen zu können; es
war ein reicher, ſeltener Schatz, der in einen bodenloſen
Abgrund verſank, noch ehe es einem glücklichen Beſchwo-
rer gelungen war, ihn an das Licht zu ziehen. — Die
Erinnerung an dieſen Knaben erweckt noch jetzt, nach ei-
nem Zeitraum von zwanzig Jahren, die wehmüthigſten
Empfindungen in mir; ich fühlte mich unwiderſtehlich zu
ihm hingezogen, und fand meine liebſte Erholung darin,
ihm während der Abend⸗ und Morgenwache einige Auf-
ſchlüſſe über die Theorie und Praxis der Nautik zu geben.
Er hörte aufmerkſam zu, belebte die Lehrſtunde durch Ge-
genfragen aller Art und ſchloß gewöhnlich mit der Phraſeꝛ
„Ach, lieber Steuermann, wie würde ſich meine gute Mut-
ter freuen, wenn ſie hörte, was ich Alles von Euch ge-
lernt habe.“ — Der Knabe legte eine unbegränzte Liebe
für ſeine Mutter an den Tag. Er hatte drei Roſen-
ſträuche, welche ſie in ihrem kleinen Gärtchen gezogen,
mit an Bord gebracht; jeden Morgen trug er ſie auf das.
Berdeck und jeden Abend wieder hinunter, ſie ſchienen un-
ter ſeiner Pflege herrlich zu gedeihen, denn ſie trieben
Blätter und Knospen, und verhießen bald die ſchönſte
Blüthe. Eines Morgens hatte ich ihm das Weſen des
Kompaſſes erklärt und wir ſahen nun mit einander auf
die ruhig fortrollende Gluth des atlantiſchen Oceans, die
vom ſeichten Paſſatwinde kaum merkbar gekräuſelt ward.
Oscar drückte ſein heftiges Verlangen aus, nun bald' die
neue Welt zu ſehen, von deren himmelhohen Bäumen und
rieſengroßen Blumen er ſchon ſo manches Wunderbare ge-
hört hatte: „Ich gehe nicht wieder dort weg, wenn es mir
gefällt,“ ſagte er, „und mir gefällt Alles, was in hellen
und bunten Farben glänzt; darum käme es mir nicht ein-
mal ſchrecklich vor, wenn ich hier, mitten auf der See,
über Bord fiele, denn die Wellen tragen eine ſchöne grüne
Farbe, ſie haben ſchneeweiße Köpfe, und die Sonne wirft
einen lieblichen goldglänzenden Schein darüber hin. Wahr-
haftig, Steuermann! Ich mache mir nichts daraus, wenn
ich hinunter muß!“ — Indem ſchlug das vierte Glas der
Morgenwache und nach Schiffsgebrauch wuußte in jedem
Maſt einer vom Wachtsvolk von der Mars bis zum Bram-
topp nachſehen, ob auch während der Nacht irgend etwas
Schaͤden genommen hatte. Oscar, der ſich des Schiffs-
dienſtes mit Eifer annahm, ſprang, bei der Aufforderung
des Bootsmanns, ſogleich in das Want des Beſan-Maſtes
hinauf und ſchaute überall emſig umher. In dieſem Au-
genblicke tauchte ein rieſiger Hai am fernen Horizont aus
den Wellen auf und ließ ſich von ihnen forttreiben. Os-
car, der die ſchwärzliche Maſſe erblickte, und ſchon Tage
lang von der Nähe des Landes träumte, ſchrie laut auf:
„Land! Land! Land!“ Aber in demſelben Moment tauchte
der Fiſch unter und Oscar, der ſich, ihm nachſchauend, zu
weit über die Kreuz-Sahling bog, verlor das Gleichgewicht
TCTCRCRC leichgewicht
Winſeln des Unglücklichen gab mir meine Beſinnung mieh
der. Im Nu war die ganze Wacht⸗Mannſchaft um ru
verſammelt, auch der Kapitän, ſchnell benachrichtigt, .
auf das Verdeck; die übrige Beſatzung fand ſich ungehei-
ßen ein, denn Oscar war der Liebling Aller. — Wir tru-
gen ihn in die Kajüte des Kapitäns und bereiteten ihm
ein möglichſt bequemes Lager. Da wir keinen aig an
Bord hatten und kein äußerer Theil des Körpers gebro-
chen war, wußten wir nicht welches Mittel aus unſetre
reichlich verſehenen Medicin⸗Kiſte wir in Anwendung brin-
gen ſollten. Der Unglückliche ſchlug die Auzen Wfheen
ein leiſes Zucken des Körpers gab Kunde, daß noch Mit-
in ihm ſei. — Vergebens flößte man ihm ſtärkende
tel ein, er blieb in ſeiner Erſtarrung; erſt gegen **
als ich eben allein bei war, öffnete er die Augen und 100
Blick fiel auf mich. — „Fühlſt Du Schmerzen, Oscar?
fragte ich. „Wo thut es Dir weh?“ — „Mir iſt t
wohl!“ verſetzte er ſchwach und ſeine Lippen oerzogen 1
zu einem matten Lächeln; nach einer Pauſe fuhr er 0
Ich weiß wohl, daß ich aus dem Maſtkorbe gefallent ö
bitten Sie nur den Mol d ſcht er — nicht ſchilt,
es Mal vorſichtiger ſein. —
ich will ein ander (S An
alte Fran hing mit einer Art von abgöttiſcher Liebe an
dem Knaben und hatte ihre ganze Hoffnung für die Zu-
kunft auf ihn geſetzt. Flehentlich hatte ſie ihr Kind ge-
beten, eine Profeſſion zu wählen, die ihn nicht von ihr
trenne; aus Gehorſam und kindlicher Liebe hatte er dem
Wunſche der Mutter Folge geleiſtet, aber er hielt es nicht
aus in der Werkſtatt des Meiſters, es trieb ihn mit un-
widerſtehlicher Gewalt an unſer Schiff, und ſelbſt dann,
als er ſich an Bord des „Roſenbaumes“ (Name des Schif-
fes) befand, fühlte er ſein Herz noch von einer heftigen
Unruhe bewegt. „Mir iſt, als ob es mich mit ſtarker
Hand bei den Haaren nach dem Land zurückriſſe,“ ſagte
er einmal zu mir, „aber ich kehre durchaus nicht um; ich
will wiſſen, wie dem Seemanne zu Muthe iſt, der ſich
außerhalb der rothen Tonne auf den grünen Wogen ſchau-
kelt!“ — Als ich am Tage vor unſerer Abreiſe vom vä-
terlichen Hauſe Abſchied nahm, erſchien Oscar's Mutter
und bat mich mit thränenden Augen, ihren Sohn nicht zu
hart zu behandeln und für ſein Fortkommen zu ſorgen.
Ich gab der weinenden Mutter, der meinigen gegenüber,
die tröſtendſte Beruhigung, aber wer weiß, ob ich mein
Verſprechen nicht zum größten Theil vergeſſen, wenn ſich
das Kajütsleben bei uns angenehmer geſtaltet hätte. —
Jetzt war es anders, und da, der beſtehenden Schiffsord-
nung gemäß, Unterſteuermann und Kajüts-Wächter zur
Kapitänswache gehören, ſo befand ſich Oscar immevin mei-
ner Nähe. Er war ein überaus zartgebauter Knabe, nicht
allzu groß, mit goldblonden Ringelhaaren und ſchönen,
dunkelblauen Augen. Er war noch ganz Kind, liebte das
Spiel mehr als die Arbeit, betrieb die letztere nur ſpielend
und gelangte in zwei Sprüngen von der Kapitäns-Kajüte
zum Kabelgat. Er konnte aber auch, namentlich bei her-
einbrechender Racht, eine Stunde und. längexauf. einer
Steule ſien, νάαπρν rY
der in die vorüberrauſchenden Wellen, oder hoch hinauf
ternen. Ich habe ihn in ſolchen Augenblicken
aſt Ghurt deubuhet; er fuhr mit der Hand über die Stirn,
bewegte die Lippen, ohne zu ſprechen, und nicht 1063
glänzte eine Thräne in den ſchönen blauen Augen. 8
wohnte ein eigenthümlicher Geiſt in dem Knaben, der aber
nicht zu der Reife gelangte, ſich mittheilen zu können; es
war ein reicher, ſeltener Schatz, der in einen bodenloſen
Abgrund verſank, noch ehe es einem glücklichen Beſchwo-
rer gelungen war, ihn an das Licht zu ziehen. — Die
Erinnerung an dieſen Knaben erweckt noch jetzt, nach ei-
nem Zeitraum von zwanzig Jahren, die wehmüthigſten
Empfindungen in mir; ich fühlte mich unwiderſtehlich zu
ihm hingezogen, und fand meine liebſte Erholung darin,
ihm während der Abend⸗ und Morgenwache einige Auf-
ſchlüſſe über die Theorie und Praxis der Nautik zu geben.
Er hörte aufmerkſam zu, belebte die Lehrſtunde durch Ge-
genfragen aller Art und ſchloß gewöhnlich mit der Phraſeꝛ
„Ach, lieber Steuermann, wie würde ſich meine gute Mut-
ter freuen, wenn ſie hörte, was ich Alles von Euch ge-
lernt habe.“ — Der Knabe legte eine unbegränzte Liebe
für ſeine Mutter an den Tag. Er hatte drei Roſen-
ſträuche, welche ſie in ihrem kleinen Gärtchen gezogen,
mit an Bord gebracht; jeden Morgen trug er ſie auf das.
Berdeck und jeden Abend wieder hinunter, ſie ſchienen un-
ter ſeiner Pflege herrlich zu gedeihen, denn ſie trieben
Blätter und Knospen, und verhießen bald die ſchönſte
Blüthe. Eines Morgens hatte ich ihm das Weſen des
Kompaſſes erklärt und wir ſahen nun mit einander auf
die ruhig fortrollende Gluth des atlantiſchen Oceans, die
vom ſeichten Paſſatwinde kaum merkbar gekräuſelt ward.
Oscar drückte ſein heftiges Verlangen aus, nun bald' die
neue Welt zu ſehen, von deren himmelhohen Bäumen und
rieſengroßen Blumen er ſchon ſo manches Wunderbare ge-
hört hatte: „Ich gehe nicht wieder dort weg, wenn es mir
gefällt,“ ſagte er, „und mir gefällt Alles, was in hellen
und bunten Farben glänzt; darum käme es mir nicht ein-
mal ſchrecklich vor, wenn ich hier, mitten auf der See,
über Bord fiele, denn die Wellen tragen eine ſchöne grüne
Farbe, ſie haben ſchneeweiße Köpfe, und die Sonne wirft
einen lieblichen goldglänzenden Schein darüber hin. Wahr-
haftig, Steuermann! Ich mache mir nichts daraus, wenn
ich hinunter muß!“ — Indem ſchlug das vierte Glas der
Morgenwache und nach Schiffsgebrauch wuußte in jedem
Maſt einer vom Wachtsvolk von der Mars bis zum Bram-
topp nachſehen, ob auch während der Nacht irgend etwas
Schaͤden genommen hatte. Oscar, der ſich des Schiffs-
dienſtes mit Eifer annahm, ſprang, bei der Aufforderung
des Bootsmanns, ſogleich in das Want des Beſan-Maſtes
hinauf und ſchaute überall emſig umher. In dieſem Au-
genblicke tauchte ein rieſiger Hai am fernen Horizont aus
den Wellen auf und ließ ſich von ihnen forttreiben. Os-
car, der die ſchwärzliche Maſſe erblickte, und ſchon Tage
lang von der Nähe des Landes träumte, ſchrie laut auf:
„Land! Land! Land!“ Aber in demſelben Moment tauchte
der Fiſch unter und Oscar, der ſich, ihm nachſchauend, zu
weit über die Kreuz-Sahling bog, verlor das Gleichgewicht
TCTCRCRC leichgewicht
Winſeln des Unglücklichen gab mir meine Beſinnung mieh
der. Im Nu war die ganze Wacht⸗Mannſchaft um ru
verſammelt, auch der Kapitän, ſchnell benachrichtigt, .
auf das Verdeck; die übrige Beſatzung fand ſich ungehei-
ßen ein, denn Oscar war der Liebling Aller. — Wir tru-
gen ihn in die Kajüte des Kapitäns und bereiteten ihm
ein möglichſt bequemes Lager. Da wir keinen aig an
Bord hatten und kein äußerer Theil des Körpers gebro-
chen war, wußten wir nicht welches Mittel aus unſetre
reichlich verſehenen Medicin⸗Kiſte wir in Anwendung brin-
gen ſollten. Der Unglückliche ſchlug die Auzen Wfheen
ein leiſes Zucken des Körpers gab Kunde, daß noch Mit-
in ihm ſei. — Vergebens flößte man ihm ſtärkende
tel ein, er blieb in ſeiner Erſtarrung; erſt gegen **
als ich eben allein bei war, öffnete er die Augen und 100
Blick fiel auf mich. — „Fühlſt Du Schmerzen, Oscar?
fragte ich. „Wo thut es Dir weh?“ — „Mir iſt t
wohl!“ verſetzte er ſchwach und ſeine Lippen oerzogen 1
zu einem matten Lächeln; nach einer Pauſe fuhr er 0
Ich weiß wohl, daß ich aus dem Maſtkorbe gefallent ö
bitten Sie nur den Mol d ſcht er — nicht ſchilt,
es Mal vorſichtiger ſein. —
ich will ein ander (S An