Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

DOI Kapitel:
Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44618#0175

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Närrin!“ herrſchte der Kapitän, mit dem Fuße ſtampfend

„und knebelt ſie; in ein paar Stunden wird ſich ſchon ihr

Müthchen kühlen.“
„Mein Kind! Mein Kind!“ ſchrie Kätty mit herzzer-

reißender Stimme, während ſie von den Soldaten in den
untern Raum geſchleppt wurde. „Mein Kinb! — Mein
Kind!“ erſcholl es dumpf aus der Tiefe. ö
„Und nun ſtreich' die Segel, altes Wrak da drunten,
mit Deinem Wechſelbalge!“ rief der Kapitän; „und Du,
Jack, berufe den Lieutenant Seropp in meine Kajüte zu
einer Parthie Schach.“ Nach dieſen Worten verſchwand
der Kapitän vom Bord des Schiffes.
John ſah nun wohl ein, daß hier weiter nichts zu thun
ſei und gebot ſeinem Schifferjungen, ihn wieder mit dem
Kinde an das Land zurückzurudern. Dort beſchloß er ſo-
gleich, Alles, was in ſeinen Kräften ſtände, für Mutter
und Kind zu thun. Er wußte, daß keine Zeit zu verlie-
ren ſei, da ſchon in ſechs Tagen das Transportſchiff vom
Hafen auslief, und faßte daher den Entſchloß, mit dem
Kinde ſogleich den mehr als ſechzig Meilen langen Weg
nach London zurückzunehmen und ſich an den Miniſter der
inneren Angelegenheiten, den Lord Sidney, zu wenden.
Bevor noch eine halbe Stunde veroͤnnen, ſaß John,
ſeinen Pflegling im Schooß, in einer Poſtkutſche und fuhr
den langen, hügeligen Weg nach der rauchigen Hauptſtadt
dahin. Ach! wie träge ſchien ihm jetzt der Wagen trotz
aller Schnelle dahinzurollen, gebachte er der Verzweiflung

der armen Mutter!
(Fortſetzung folgt).

Maiwonne.

Wie ſingt ihr ſchön, ihr Vögelein,
Der Minne Roſenzeit, ö
Wie ſingt ihr mir ins Herz hinein
Der Liebe Seligkeit!

Wie ſchaut, ihr Blumen, traut heran
Aus grünem Luftrevier,
Das kleinſte Blümchen ſieht mich an,
Als wär's ein Herz mit mir!

Ihr lieben Blumen, Vögelein,
Bin eins in Luſt und Schmerz,
Wir alle ſind ja nur allein
Ein Stückchen Gottesherz!

Wir ſind auf Wieſe, Wald und Flur,
Wie Maimonds Blüthenbaum,
Die wonnevollen Träumer nur
In Gottes Frühlingstraum!

Loſe Blätter.

(Der Thierbändiger) M. Darions in Antwer-
pen iſt jüngſt einer Kataſtrophe entronnen, wie ſie ſo häufig
das Leben ſeiner Kameraden in Gefahr ſetzen. Jeden Tag
trat er mit einer Peitſche bewaffnet in den Käfig, und

zähmte nach und nach die wilden Beſtien. Letzthin be-

merkte er, daß ſich die Tiger unruhig und ſchlechter Laune
zeigten, was ihn bewog, auf den Rückzug zu denken. Mit

17¹²

einer ſchnellen Bewegung ſprang er zurück und ſchlug hef-
tig eine Thüre zu, welche den Eingang abſperrte, war aber
doch nicht ſchnell genug, dem Sprunge eines Tigers zuvor-
zukommen, mit dem er ſich jetzt allein befand. Nun be-
gannen die Augenblicke des Schreckens. Kurze Zeit konnte
er die Beſtie durch die Gewalt ſeines Blickes in Schach
halten, aber er wendete nur einen Moment das Auge weg
und der Tiger machte unter fürchterlichem Gebrüll einen
Luftſprung und drängte Darion gegen die Thüre. Schnell
wie der Blitz ſtreckte der Direktor der Menagerie, Mr.
Forchangle, den Arm durch das Gitter, ergriff die Tatze
des Tigers und zog ſie heftig durch die Stangen: „Schnell,
in des Himmels Namen! retten Sie ſich!“ rief er. Und
als ſich der Tiger vor Schmerz aufheulend umwandte, nahm
der Bändiger alle ſeine Kraft zuſammen und ſtürzte ſich
aus der Höhle, deren Thür ſofort geſchloſſen wurde.

(Ein Dresdener Hoftheaterzettel) vom Jahr

1752 lautet: Mit allergnädigſter Erlaubniß werden heute

Dienſtag den 11. Januar 1752 die königl. polniſchen und

churfürſtl. ſäch. Hof-Comödianten Ein überaus ſe-
henswürdiges und aus dem berühmten Moliere entlehntes

Schau-Spiel vorſtellen. Betittelt: Das ſteinerne
Todten-Gaſtmahl Oder Die im Grabe noch le-
bende Rache, Oder die auf's höchſte geſtiegene endlich
übelangekommene Kühn⸗ und Frechheit. In der Perſon
des Don Juan eines Spaniſchen Edelmannes Mit Arle-
quin einem geplagten Kammerdiener eines liederlichen Herrn
nnd von Geiſtern erſchreckten Paſſagiers. Der Schauplatz
iſt hier in der Reſidenzſtadt auf dem Gewandhauſe. Der
Anfang iſt puncto 5 Uhr. Die Perſon gibt in das par-
terre 4 Groſchen, auf dem Mittelplatze 2 Groſchen und
auf dem hintern 1 Groſchen. Ein Stuhl iſt beſonders vor
1 Groſchen zu haben und ladet gehorſamſt ein Johann
Chriſtoph Kirſch, der kleine luſtige Arlequin.

(Ein alter Hageſtolz) ſendete kürzlich eine Locke
ſeines Haares mit einem Briefe an eine Wahrſagerin in
Boſton, daß ſie ihm über ſeine Zukunft Aufſchluß geben
möge. Er unterzeichnete ſich mit Miß Bettie Brown. Es
wurde ihm folgende Antwort zu Theil: „Sie werden ei-
nen Eiſenbahnconducteur heirathen, und zwar bald; Sie
werden die Mutter von fünf Kindern werden und im Wo-

chenbette für das ſechſte ſterben.“ ö

(Ein älterer Herr) aus dem Karlsruher Beam-
tenſtande ärgerte ſich jeweils, wenn ihm die Kellnerin ſein
Bier in einem ſog. gerippten Schoppenglas brachte. Die-
ſer Tage erhielt er wieder ein geripptes Glas, was ihn
veranlaßte, der Kellnerin zu ſagen: „Hab ich Dir net
ſchon hundertmal g'ſagt, i will kein g'ripptes, i will e
a „No ja, meinte die Kellnerin, „Sie henn jo
eine.“

(Ein Chineſe) erzählte erſtaunt ſeinen Freunden
von der Art und Weiſe einer europäiſchen Gerichtsſitzung.
„Ein Mann,“ ſagte er, iſt ganz ſtill; „ein Anderer redet

während der ganzen Sitzung und zwölf weiſe Männer ver-

urtheilen Den, welcher kein einziges Wort geredet hat!“
 
Annotationen