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„Pardon“, ſagte ſie, ihm das Köpfchen zuneigend, als
habe ſie ihn nicht recht verſtanden.
„Ich fragte, was dieſer Menſch bei Dir wollte.“
„Nun, er beſuchte mich, wie Du wohl bemerkt haben
die Stunde des Diner's zu betrachten, doch nimmt man
wirſt“, erwiederte ſie gleichmüthig.
Er biß die Zähne aufeinander. Die kleine Tänzerin
ſprang im Zimmer umher, ihrem Kanarienvogel nach, dem
ſie das Bauer geöffnet hatte. Von Zeit zu Zeit ſah ſie
verſtohlen nach Richard hin, welcher, auf die Lehne eines
Stuhles geſtützt, daſtand und an ſeiner Unterlippe nagte.
(Fortſetzung folgt.)
Loſe Blätter.
(Der Spargel auch ein Frühlingsherold.)
Spargel und Nachtigallengeſang fallen in dieſelbe Zeit,
und es iſt ſchwer zu entſcheiden, welcher von Beiden mehr
Verehrer zählt. Indeſſen iſt der Spargel noch immer nicht
ſo allgemein verbreitet, als er es zu ſein verdiente, auch
iſt es ein arger Irrthum, zu glauben, daß er, wenn er
eine Zeitlang über der Erde und noch nicht ausgeſtochen
iſt, an Güte verliere. Im Gegentheil erhält er vielmehr
durch den Blick der allbelebenden Sonne erſt das ihm ei-
genthümliche Aroma und den milden Geſchmack. Man
ſollte ihn daher ſtets nur ſtechen, wenn die Spitzen bereits
1 bis 2 Zoll lang bläulich grün erſcheinen; freilich iſt
dann nur der obere Theil genießbar, der Reſt faſerig und
hart. In vielen Gegenden, wo man Spargel zieht, ſtürzt
man, ſobald die Triebe aus der Erde kommen, eine breite
Bouteille darüber.
bis zu dem Boden der Flaſche, beugt ſich dort um, ſteigt
wieder zur Erde, dann abermals hinauf und fährt ſo fort,
bis die ganze Flaſche gefüllt iſt. Zwei ſolcher Spargel-
triebe geben eine ganze Schüſſel voll des köſtlichen Gemü-
ſes und die Spargel ſind überaus zart und reich an Aroma-
(Karl V.) Als man von Kaiſer Karl V. verlangte,
er ſolle den Deutſchen das unmäßige Trinken abge-
wöhnen, erwiederte er: „Das iſt eben ſo viel, als wenn
man mich auffordern wollte, meinen Spaniern das Steh-
leen abzugewöhnen.“
(Die Stunde des Diner.) Die Alten pflegten
ihre Mahlzeiten gern zur Nachtzeit zu halten. Dies geht
unter Anderem aus manchen Stellen der Bibel hervor.
So war zum Beiſpiel auch das berühmte Feſt des Belſa-
zar, von dem Daniel ſpricht, ein Nachtfeſt. Der Predi-
diger Salomonis aber ſagt: „Wohl Dir, Land, deſſen
Fürſten zur rechten Zeit eſſen!“ — Welches iſt nun wohl
die rechte Zeit? Die Anſichten hierüber ſind ſehr verſchie-
den. Im 14. Jahrhundert aßen die Könige von Frank-
reich um 8 Uhr Morgens zu Mittag, zur Zeit Philipps
des Guten von Burgund hieß es: „Steh auf um fünf,
iß zu Mittag um neun, zu Abend um fünf, geh' zu Bett
um neun, und Du wirſt leben der Jahre neunundneun-
zig.“ — Unter Heinrich IV. und Ludwig XIV. ſetzte man
ſich um elf Uhr zu Tiſche, unter Ludwig XV. um zwei
Uhr. Unter Heinrich VIII. frühſtückte die gute Geſellſchaft
Morgens ſieben Uhr und aß um zehn Uhr zu Mittag.
Der Spargel wächſt alsdann hinauf
Zur Zeit der Königin Eliſabeth dinirte man um elf Uhr
und aß zwiſchen fünf und ſechs Uhr zu Abend, eine Zeit,
in der man heutzutage in England noch kaum das Diner
beginnt. In Frankreich pflegte man bisher ſechs Uhr als
es damit nicht ſehr genau, und bei größeren Diners ſetzt
man gewöhnlich auf die Einladungskarte: un quart d'heure
de grace pour les dames. Ein Witzbold bemerkte
jüngſt, daß die Frazoſen, durch das ewige Hinausſchieben
der Stunde des Diners, damit endigen würden, erſt den
folgenden Tag zu Mittag zu eſſen. In Oſtindien herrſcht
die Sitte, eine hatbe Stunde nach Sonnenuntergang ſich
zum Mittagstiſch einzufinden. In Deutſchland aß man
bis zur Zeit der franzöſiſchen Revolution faſt allgemein
punkt zwölf Uhr und erſt allmählig haben wir durch eine
ſpätere Stunde einen längeren Morgen gewonnen. Ein
Philoſoph, den man befragte, welches die beſte Zeit zum
Mittagsmahle ſei, antwortete: „Für Reiche, wenn ſie Ap-
petit und für Arme, wenn ſie etwas zu eſſen haben.“
(Das Einvernehmen mit der Welt.) Wer
mit der Welt in gutem Einvernehmen leben will, muß
ſeine Pflichten gegen die menſchliche Geſellſchaft ſelbſt ge-
wiſſenhaft erfüllen, allein er muß das Nämliche nicht von
den Andern erwarten oder fordern, es ſei denn von jenen,
die ihm im Leben am nächſten ſtehen. Wenn man das
Seinige leiſtet, ohne auf eine Gegenleiſtung zu rechnen, ſo
wird man nicht über Undank zu klagen haben. Wer ei-
nem Freunde Geld leiht, ſoll alſo nicht darauf rechnen,
daß ihm der Schuldner ſpäter den gleichen Dienſt erweiſt.
Vielleicht. geſchieht es, vielleicht auch nicht. Bedenklich iſt
es aber, mit Zuverſicht darauf zu hoffen. Dieſe Welt-
anſchauung hat jedenfalls den Vortheil, das Amüth ru-
higer zu ſtimmen und vor Täuſchungen zu bewahren. Auch
kann ſich keiner beklagen, daß er ſelber dann zu viel leiſte,
denn Alles, was wir im Dienſte der Menſchheit thun, trägt
ſeinen ſtillen Segen in ſich ſelbſt.
(Ettikette.) Zur Zeit der Kaiſerin Anna‚(+ 1740)
beſtand in Rußland die höfliche Sitte, daß ſich in Ge-
genwart der Monarchin keine Dame ſetzen durfte. Dieſer
Zwang fiel ganz beſonders einer Dame ſchwer, die wegen
ihrer ausgezeichneten Gabe, gut zu erzählen und gut vor-
zuleſen, bei der Kaiſerin ſehr beliebt war und darum oft
ſtundenlang das unbequeme Glück genoß, die Monarchin
unterhalten zu müſſen. Um nun die Etikette nicht zu ver-
letzen und doch die Kräfte der Erzählerin zu ſchonen, er-
ſann man folgenden ſonderbaren Ausweg. Die erzählende
Dame durfte ſich auf einen Stuhl in der Ecke des Zim-
mers ſetzen, aber vor ihr mußte eine jüngere Dame ſte-
hen, die mit ihrem Reifrock die Sitzende ſo vollſtändig be-
deckte, daß die Kaiſerin nicht das Geringſte von ihr ſehen
konnte.
(Weisheit und Klugheit) gehen oft verſchiedene
Wege; die eine ſchenkt das Ihrige den Armen, die andere
leiht auf Pfänder. ö
„Pardon“, ſagte ſie, ihm das Köpfchen zuneigend, als
habe ſie ihn nicht recht verſtanden.
„Ich fragte, was dieſer Menſch bei Dir wollte.“
„Nun, er beſuchte mich, wie Du wohl bemerkt haben
die Stunde des Diner's zu betrachten, doch nimmt man
wirſt“, erwiederte ſie gleichmüthig.
Er biß die Zähne aufeinander. Die kleine Tänzerin
ſprang im Zimmer umher, ihrem Kanarienvogel nach, dem
ſie das Bauer geöffnet hatte. Von Zeit zu Zeit ſah ſie
verſtohlen nach Richard hin, welcher, auf die Lehne eines
Stuhles geſtützt, daſtand und an ſeiner Unterlippe nagte.
(Fortſetzung folgt.)
Loſe Blätter.
(Der Spargel auch ein Frühlingsherold.)
Spargel und Nachtigallengeſang fallen in dieſelbe Zeit,
und es iſt ſchwer zu entſcheiden, welcher von Beiden mehr
Verehrer zählt. Indeſſen iſt der Spargel noch immer nicht
ſo allgemein verbreitet, als er es zu ſein verdiente, auch
iſt es ein arger Irrthum, zu glauben, daß er, wenn er
eine Zeitlang über der Erde und noch nicht ausgeſtochen
iſt, an Güte verliere. Im Gegentheil erhält er vielmehr
durch den Blick der allbelebenden Sonne erſt das ihm ei-
genthümliche Aroma und den milden Geſchmack. Man
ſollte ihn daher ſtets nur ſtechen, wenn die Spitzen bereits
1 bis 2 Zoll lang bläulich grün erſcheinen; freilich iſt
dann nur der obere Theil genießbar, der Reſt faſerig und
hart. In vielen Gegenden, wo man Spargel zieht, ſtürzt
man, ſobald die Triebe aus der Erde kommen, eine breite
Bouteille darüber.
bis zu dem Boden der Flaſche, beugt ſich dort um, ſteigt
wieder zur Erde, dann abermals hinauf und fährt ſo fort,
bis die ganze Flaſche gefüllt iſt. Zwei ſolcher Spargel-
triebe geben eine ganze Schüſſel voll des köſtlichen Gemü-
ſes und die Spargel ſind überaus zart und reich an Aroma-
(Karl V.) Als man von Kaiſer Karl V. verlangte,
er ſolle den Deutſchen das unmäßige Trinken abge-
wöhnen, erwiederte er: „Das iſt eben ſo viel, als wenn
man mich auffordern wollte, meinen Spaniern das Steh-
leen abzugewöhnen.“
(Die Stunde des Diner.) Die Alten pflegten
ihre Mahlzeiten gern zur Nachtzeit zu halten. Dies geht
unter Anderem aus manchen Stellen der Bibel hervor.
So war zum Beiſpiel auch das berühmte Feſt des Belſa-
zar, von dem Daniel ſpricht, ein Nachtfeſt. Der Predi-
diger Salomonis aber ſagt: „Wohl Dir, Land, deſſen
Fürſten zur rechten Zeit eſſen!“ — Welches iſt nun wohl
die rechte Zeit? Die Anſichten hierüber ſind ſehr verſchie-
den. Im 14. Jahrhundert aßen die Könige von Frank-
reich um 8 Uhr Morgens zu Mittag, zur Zeit Philipps
des Guten von Burgund hieß es: „Steh auf um fünf,
iß zu Mittag um neun, zu Abend um fünf, geh' zu Bett
um neun, und Du wirſt leben der Jahre neunundneun-
zig.“ — Unter Heinrich IV. und Ludwig XIV. ſetzte man
ſich um elf Uhr zu Tiſche, unter Ludwig XV. um zwei
Uhr. Unter Heinrich VIII. frühſtückte die gute Geſellſchaft
Morgens ſieben Uhr und aß um zehn Uhr zu Mittag.
Der Spargel wächſt alsdann hinauf
Zur Zeit der Königin Eliſabeth dinirte man um elf Uhr
und aß zwiſchen fünf und ſechs Uhr zu Abend, eine Zeit,
in der man heutzutage in England noch kaum das Diner
beginnt. In Frankreich pflegte man bisher ſechs Uhr als
es damit nicht ſehr genau, und bei größeren Diners ſetzt
man gewöhnlich auf die Einladungskarte: un quart d'heure
de grace pour les dames. Ein Witzbold bemerkte
jüngſt, daß die Frazoſen, durch das ewige Hinausſchieben
der Stunde des Diners, damit endigen würden, erſt den
folgenden Tag zu Mittag zu eſſen. In Oſtindien herrſcht
die Sitte, eine hatbe Stunde nach Sonnenuntergang ſich
zum Mittagstiſch einzufinden. In Deutſchland aß man
bis zur Zeit der franzöſiſchen Revolution faſt allgemein
punkt zwölf Uhr und erſt allmählig haben wir durch eine
ſpätere Stunde einen längeren Morgen gewonnen. Ein
Philoſoph, den man befragte, welches die beſte Zeit zum
Mittagsmahle ſei, antwortete: „Für Reiche, wenn ſie Ap-
petit und für Arme, wenn ſie etwas zu eſſen haben.“
(Das Einvernehmen mit der Welt.) Wer
mit der Welt in gutem Einvernehmen leben will, muß
ſeine Pflichten gegen die menſchliche Geſellſchaft ſelbſt ge-
wiſſenhaft erfüllen, allein er muß das Nämliche nicht von
den Andern erwarten oder fordern, es ſei denn von jenen,
die ihm im Leben am nächſten ſtehen. Wenn man das
Seinige leiſtet, ohne auf eine Gegenleiſtung zu rechnen, ſo
wird man nicht über Undank zu klagen haben. Wer ei-
nem Freunde Geld leiht, ſoll alſo nicht darauf rechnen,
daß ihm der Schuldner ſpäter den gleichen Dienſt erweiſt.
Vielleicht. geſchieht es, vielleicht auch nicht. Bedenklich iſt
es aber, mit Zuverſicht darauf zu hoffen. Dieſe Welt-
anſchauung hat jedenfalls den Vortheil, das Amüth ru-
higer zu ſtimmen und vor Täuſchungen zu bewahren. Auch
kann ſich keiner beklagen, daß er ſelber dann zu viel leiſte,
denn Alles, was wir im Dienſte der Menſchheit thun, trägt
ſeinen ſtillen Segen in ſich ſelbſt.
(Ettikette.) Zur Zeit der Kaiſerin Anna‚(+ 1740)
beſtand in Rußland die höfliche Sitte, daß ſich in Ge-
genwart der Monarchin keine Dame ſetzen durfte. Dieſer
Zwang fiel ganz beſonders einer Dame ſchwer, die wegen
ihrer ausgezeichneten Gabe, gut zu erzählen und gut vor-
zuleſen, bei der Kaiſerin ſehr beliebt war und darum oft
ſtundenlang das unbequeme Glück genoß, die Monarchin
unterhalten zu müſſen. Um nun die Etikette nicht zu ver-
letzen und doch die Kräfte der Erzählerin zu ſchonen, er-
ſann man folgenden ſonderbaren Ausweg. Die erzählende
Dame durfte ſich auf einen Stuhl in der Ecke des Zim-
mers ſetzen, aber vor ihr mußte eine jüngere Dame ſte-
hen, die mit ihrem Reifrock die Sitzende ſo vollſtändig be-
deckte, daß die Kaiſerin nicht das Geringſte von ihr ſehen
konnte.
(Weisheit und Klugheit) gehen oft verſchiedene
Wege; die eine ſchenkt das Ihrige den Armen, die andere
leiht auf Pfänder. ö