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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 44 - Nr. 52 (1. Juni - 29. Juni)
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gern mit Annetten. Er ſprang nur „des Spaſſes wegen,“
er hätte ader nicht ſo geſprochen, wenn er des Sieges ge-
wiß geweſen wäre.
„Charley Simms, 15½ Fuß! Hurrah für Char-
ley, Charley wird gewinnen!“ ſchrie die Menge gut ge-
launt. Charley war der artigſte Burſche von der Welt.
Seine Mutter hatte ihm aber gerathen, zu Hauſe zu blei-
ben, ihm bedeutend, wenn er einmal eine Frau ſich ge-
winnen ſollte, ſo würde ſie ſich eher wegen ſeiner guten
Laune, als ſetner Beine halber in ihn verlieben; Charlei
wollte jedoch die Fähigkeit der letztern auf die Probe ſtel-—
len und verlor.
Viele wollten nicht mehr antreten, Andere wagten noch
ihr Glück; nur einer der Springenden legte 20 Fuß
zurück.
„Nun kommt die Reihe an Henry Carroll,“ ſchrieen
die Bauern; „der wird es ihnen allen wohl zuvorthun!“
Jeder ſchien der von Annette erwiederten Liebe des letz-
ten Bewerbers zu gedenken und ihm guten Erfolg zu
wünſchen.
Mit feſtem Schritte begab ſich Caroll auf den beſtim-
ten Platz, ſein Auge ruhte zuverſichtsvoll auf den Nach-
barn umher, ehe er anſetzte.
„21½ Fuß“, ſchrie die Menge, den Ausruf eines der
Richter wiederholend. „Henry Carroll für immer, Annette
und Henry!“ Hände, Kappen und Schnupftücher flogen
in die Höhe und Annettens Augen funkelten vor Wonne.
Eben, als Henry auf den Plan trat, um den Preis zu
erringen, ſtieg ein junger Mann im einfachen militäriſchen
Frack, an dem Wirthshauſe anhaltend, vom Pferde und
miſchte ſich unbemerkt unter den Haufen der Zuſchauer,
drang plötzlich vorwärts und maß mit einem Kennerblicke
den von dem letzten Springer zurückgelegten Raum. Es
war ein Fremder, der nicht zur Dorfbewohnerſchaft ge-
hörte. Seine edeln Geſichtszüge und ſeine ungezwungene
Haltung zogen die Augen der Dirnen an; ſeine männliche
und kräftige Geſtalt, in welcher Ebenmaß und Stärke ſo
ſchön vereinigt ſchien, erregte die Bewunderung der Burſchen.
„Vielleicht, Herr Fremder, denkt Ihr das zu überbie-
ten“, wandte ſich an ihn einer der Umſtehenden, dem die
Aufmerkſamkeit auffiel, mit welcher dieſer den Plan des
Wettſtreites prüfte. „Könnt Ihr weiter als Henry Car-—
roll ſpringen, ſo thut Ihr es dem beſten Manne in den
Colonien voraus.“ Die Wahrheit dieſer Bemerkung wurde
durch ein allgemeines Murmeln beſtätigt.
„Treibt Ihr“, fragte der junge Fremde, „dieß Spiel
zum bloßen Zeitvertreib oder iſt ein Preis für den Sie-
ger ausgeſetzt.
„Annette, die holdeſte und reichſte unſerer Dirnen, ſoll
der Lohn des Siegers ſein“, rief ihm einer der Richter
zu. „Darf ſich Jeder als Bewerber einzeichnen laſſen?“
„Jeder, junger Herr!“ erwiederte der Vater Annet-
tens eifrig, in welchem das Feuer jugendlicher Erinne-
rung aufſtieg, als er die Körperverhältniſſe des ſtarkglied-
rigen jungen Mannes bemerkte. „Sie iſt die Braut Deſ-
ſen, welcher Henry Carroll überſpringt. Wollt Ihr es
verſuchen, ſo ſteht es Euch frei. Hier iſt meine Tochter.
Seht ſie an und verſucht's.“
Der Offizier betrachtete verwundert das zitternde Mäd-

chen, welches ihres Vaters unerbittlicher Laune zum Opfer
werden ſollte. Das arme Kind ſchaute nach Henry, der
mit einem Ausdruck ängſtlicher Beſorgniß in der Nähe
ſtand und warf dann einen bittenden Blick auf den neuen
Mitbewerber.
Dieſer übergab einem der Richter ſeinen Rock, zog eine
Schärpe, die er unter demſelben trug, enger um die Weſte
zuſammen, trat auf den Plan und machte ohne Anſtren-
gung den Sprung, der Henry's und Annettens Glück oder
Unglück entſcheiden ſollte.
„22 Fuß 1 Zoll!“ rief der Richter aus. Die Ver-
kündigung wurde mit Erſtaunen von den Zuſchauern wie-
derholt, welche ſich um den Sieger drängten, die Lüfte mit
Glückwünſchungen füllend. Dieſe blieben jedoch nicht ohne
einen Beiſatz von Murren von Seiten derer, welche an dem
Glücke der Liebenden näheren Antheil nahmen.
Der alte Mann trat auf ihn zu, ergriff frohlockend
ſeine Hand, nannte ihn ſeinen Sohn und ſagte, er ſei
ſtolzer auf ihn, als wenn er ein Fürſt wäre; körperliche
Gewandtheit ſeien des alten Springers ächte Adelsbeglau-
bigungen.
Der Sieger, ſeinen Rock zurücknehmend, ſuchte mit den
Augen den ſchönen Preis, welchen er, ungenannt und un-
bekannt, ſo herrlich gewonnen. Sie lehnte ſich, blaß und
zerſtört, auf ihres Vaters Arm.
Ihr Geliebter ſtand in der Ferne, düſter und bis zum
Tode betrübt, die Ueberlegenheit des Fremden in einer Ue-
bung, in welcher er ſich ſelbſt ohne Gleichen gewähnt, be-
wundernd, während er ihn wegen ſeines Glückes haßte.
„Annette, meine holde Beute!“ ſagte der Sieger, ihre
leicht ſträubende Hand faſſend, „ich habe Dich redlich ge-
wonnen.“
Annettens Wangen wurden bläſſer als Marmor; ſie
zitterte wie Espenlaub und drängte ſich dichter an ihren
Vater, während ihre thränenden Augen die Geſtalt ihres
Geliebten ſuchten. Dieſer runzelte die Brauen düſterer.
Der Fremde fuhr fort: „Ich habe Dich, o holde Blume,
gewonnen, um Dich zur Braut zu machen — zittere nicht
ſo heftig! — Ich meine nicht für mich, ſo ſtolz ich da-
rauf ſein möchte, einen ſolchen Edelſtein am Herzen zu
tragen. Vielleicht“, und er ließ einen forſchenden Blick
umhergleiten, während deſſen ſich ihre Wangen wieder rö-
theten und ein Murmeln des Erſtaunens ſich in der Menge
kundgab, „vielleicht iſt ein begünſtigter Jüngling unter den
Bewerbern, welcher ein größeres Anrecht auf das Juwel
hat.“ — „Junger Mann“, fuhr er zu dem überraſchten
Henry gewendet fort, „ich glaube, Ihr waret als Sieger
vor mir genannt. Ich habe nicht wegen des Mädchens
geſprungen, obwohl man für kein ſchöneres wettſtreiten
konnte, ſondern aus Liebe zu der mannhaften Uebung, in
welcher ich Euch begriffen ſah. Ihr ſeid der Sieger und
mit Erlaubniß dieſer werthen Verſammlung empfangt von
meiner Hand den Preis, den ihr ehrenhaft gewonnen.“
Der junge Mann ſprang hervor und faßte mit ſtür-
miſchir Dankbarkeit die Hand des Offiziers, und im näch-
ſten Augenblicke weinte Annette vor Freuden in ſeinen Ar-
men. Die Luft erſchallte von den Beifallsrufen der er-
freuten Dorfbewohner. Während der Aufregung, welche
dieſe Handlung erzeugte, entzog ſich der Fremde dem Ge-
 
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