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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 44 - Nr. 52 (1. Juni - 29. Juni)
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195⁵

wühle, beſtieg ſein Pferd und jagte im Galopp durch das

orf
Henry und Annette wurden noch an demſelben Tage

ein Paar, und die Geſundheit des geheimnißvollen edel⸗—
müthigen Fremden wurde in überfließenden Bechern bei
einem ländlichen Gelage gefeiert.
Im Verlauf der Zeit wurden die Vermählten mit Söh-
nen und Töchtern geſegnet und Henry Carroll wurde Obriſt
bei dem Heere des Befreiungskrieges.
Eines Abends, nach einem harten Feldzuge gerade nach
Haus zurückgekehrt, ſaß er mit ſeiner Familie auf dem
Altan ſeines anmuthigen Landhauſes, als ein Bote ange-
ritten kam und den General Waſhington nebſt Gefolge
anmeldete, welcher für die Nacht ſeine Gaſtfreundſchaft in
Anſpruch nehmen wolle. ö
Den Abend verwandte Annette, die nun die gefeierte
noch immer ſchöne Mrs. Carroll geworden, ihre Augen
von dem berühmten Beſucher nicht. Ihre Geiſtesabweſen-
heit und ihre Verwirrung wurde zuletzt ſo auffallend, daß
ihr Gatte ſie endlich beſorgt fragte, ob ſie ſich unwohl
befinde. ö
„Ich vermuthe, Obriſt!“ verſetzte der General, welcher
einige Zeit der Lady neugierige und verwundernde Be-
trachtung ſeiner lächelnd beobachtet hatte, „daß Mrs.
Carroll in mir eine alte Bekanntſchaft zu erkennen glaubt.
Verzeihen Sie mir, meine Theure! Verzeihen Sie mir,
Obriſt! Ich muß dieſem Auftritte ein Ende machen. Durch

Lagerkoſt und Strapazen bin ich zu puump geworden, um

nochmals 22 Fuß 1 Zoll zu ſpringen; ſelbſt um eine ſo
ſchöne Braut als die war, für welche ich einſt einen Wett-
ſtreit mitmachte.
Die, nun folgende Erkennung, Ueberraſchung und Freude
aß der Einbildungskraft des Leſers zur Ausmalung über-
laſſen.

Lo ſe Blätter.
(ECinunerwartetes Wiederſehen.) Man ſchreibt
aus Berlin: „In einem Hauſe in der Gartenſtraße, nahe
am Gartenplatze, wohnt die unverehelichte M. mit zwei
Kindern, einem Mädchen von ſieben und einem Mädchen
von acht Jahren. Beide Kinder werden von der Mutter
angehalten, nach beendeter Schulzeit in den Reſtaurationen
Streichhölzer zu verkaufen. Dieſer Verkauf der Kinder,
verbunden mit Bettelei, iſt Erwerbszweig der Mutter. Sie
ſtraft dieſelben grauſam, wenn ſie allnächtlich nach been-
digtem Geſchäfte mit zu wenigem Verdienſt nach Haus kom-
men. Die Hausbewohner haben über dieſe Mißhandlun-
gen bereits oft Klagen bei dem Hauswirth geführt. Am
Abend des 2. März drang wieder markerſchütterndes Ge—⸗
ſchrei der unverdienter Weiſe von ihrer dem Trunk erge-
benen Mutter geſchlageuen Kinder aus der Dachſtube. Ein
darunter wohnender Hilfsſchreiber S. fühlte menſchliches
Erbarmen, ſprang aus dem Bett und ſtieg die Treppe
hinauf, um entweder die armen Kinder von der Raben-—
mutter zu entfernen, oder ſie der Polizei zu übergeben.
Er hatte, erſt kurze Zeit in dem Hauſe wohnhaft, die un-
verehelichte M. nie zu Geſicht bekommen: wie er nun em-

pört die Thür öffnet, wird ſein Geſicht leichenblaß, ſteht
er — vor ſeiner ehemaligen Geliebten! Vor neun Jah-
ren, als ſie erſte Sängerin eines Hamburger Theaters
war, hatte er als Beſitzer eines blühenden Gutes in der
Nähe von Görlitz wilde Zeiten mit ihr durchlebt. Das
von Furien der Leidenſchaft zerriſſene Geſicht ſeiner ehe-
maligen Geliebten ſtarrte ihn einen Augenblick an, dann
blitzte ihr Auge unheimlich auf, ſie ſprang wie eine Ra-
ſende empor, ſchrie heiſer: „Wilhelm, jetzt biſt Du wieder
mein!“ und ſank ohnmächtig zu Boden. Ihre Kinder wa-
ren — ſeine Kinder! Welches Wiederſehen! Hilfsſchrei-
ber S. hatte damals ſein Vermögen der bildſchönen jun-
gen Künſtlerin geopfert, ſie aber, als er nichts mehr be-
ſaß, kalt mit zwei Kindern verlaſſen. Er war nach Ame-
rika gegangen, ſie hatte ſpäter ihre Stimme verloren und
nun führte das Schickſal beide ſo wieder zuſammen.

(Recept für Miether.) In den Tagen, da die
Wellen der Miethſteigerungs-Wuth in der deutſchen Kai-
ſerſtadt am höchſten gingen, beſuchte ein Miether in einem
Hauſe der erſten Etage in der Friedrichsſtadt ſeinen über
ihm wohnenden Nachbar. Er theilte ihm mit, wie der
Wirth ihn ſoeben um mehrere hundert Thalor „geſchraubt“
habe und der Beſuch deſſelben auch den übrigen Miethern
zu gleichem Zwecke ſofort zu Theil werden ſollte. Dieſe
Mitthetlung ließ indeſſen den Mann der zweiten Ctage ru-
hig: „Mich ſoll er nicht ſteigern, ich verſalze es ihm, ich
kenne ſeinen Aberglaͤuben!“ Noch waren dieſe Worte nicht
zu Ende geſprochen, als der Wirth gemeldet wurd und lä-
chelnd in's Zimmer trat. Die drei Hausgenoſſen unter-
hielten ſich über allerlei gleichghültige Dinge, endlich be-
gann der Miether der 2. Etage: „Denken Sie nur, wie
ſeltſam es mir ergeht, es verſtimmt mich förmlich!“ „Was
denn?“ fragten die Anderen neugierig. „J nun, ich habe
ſchon zweimal im Leben die Wohnung gewech ſelt, weil ich
geſteigert worden bin und that es jedesmal mit dem lau-
ten Wunſche, daß den Wirth der Teufel holen möge. Kaum
war ich in meine vorige Wohnung eingezogen, da ſtarb
mein Wirth plötzlich am Schlagfluß, und nun, da ich ge-
rade ein Jahr in dieſer Ihrer Wohnung hauſe, muß ich
heute erfahren, daß auch bei meinem letzten Wirth der
Wunſch in Erfüllung gegangen iſt. Nun iſt das ja eine
Dummheit, bloßer Zufall, aber es iſt doch abſcheulich!“
Der Wirth bekam ein langes Geſicht, ſuchte einen Vor-
wand, um über eine Baulichkeit Rückſprache zu nehmen,
und empfahl ſich mit der Warnung an den Miether, er
möge ſich das Fluchen abgewöhnen. Seine Frau ſoll den
Wirth furchtbar ausgelacht, er aber die Verſicherung ge-
geben haben, er ſteigere keinen Miether mehr.

(Herr Thiers) hat von Louis Philipp die bürger-
liche Gewohnheit angenommen, einen Regenſchirm zu
tragen. Kürzlich verſuchte man es, ihn deſſen zu berau-
ben. Er ſtand im Geſpräche mit einem Freunde, als ſich
ein Fremder des Schirmes bemächtigte. Er wurde gefaßt
und es ſtellte ſich heraus, daß der Dieb nur ein Curioſt-
tätenſammler, ein Engländer war. Man ließ ihn frei
und Herr Thiers verehrte ihm überdies den Gegenſtand
ſeiner Neigung, der übrigens keine 10 Franken werth war.
 
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