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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 44 - Nr. 52 (1. Juni - 29. Juni)
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103

ratheten amerikaniſchen Profitmacher meiſt ſo in Beſchlag,
daß ihnen der ſittliche Halt und die über das Geſchäft
hinausreichende Energie abhanden gekommen iſt, welche nö-
thig iſt, um der intrigualen Pantoffelherrſchſucht der un-
beſchäftigten, ſchlauen und an Egoismus ihre Männer noch
weit überbietenden Mankeſſen zu entgehen. So iſt Pantof-
felträgerei die Nattonaltracht der verheiratheten Yankees
geworden und die Frau, auch die nuverheirathete, benimmt
ſich mit einer Rückſichtsloſigkeit, der ſelbſt nur wieder durch
den Dollardienſt Grenzen gezogen wird. Da bleibt denn
mancher lieber ein Dandy, d. h. ein Junggeſell, der etwa
dem Pariſer Stutzer und dem deutſchen Zierbengel mit Weg-
laſſung der queckſilbernen Beweglichkeit bei jenem und des
ſentimental-ſüßlichen Weſens bei dieſem, entſprechen mag
und ſich von frühen Knabenjahren an die Hörner abge-
tollt hat. Vom laſttragenden Ehemann unterſcheidet er ſich
dadurch, daß er den beſten Theil ſeiner Zeit auf Groglo-
cale, Spielhäuſer, Wettfahrten und dergleichen verwendet,
worin es ihm, namentlich was den Schnapsverbrauch und
Wettfahrten betrifft, die faſhionabelſten Ladies nicht ſelten
gleich thun, wie denn dieſe auch vorkommenden Falls die
Reitpeitſche ſo gut zu handhaben wiſſen, wie der rauflu-
ſiigſte Dandy. Tritt der Dandy in's Ehejoch, ſo beſteht
ſtatt der Herausputzung ſeines eleganten Ichs die Haupt-
aufgabe in der Dollarjagd zur Ausputzung der Frau Ge-
mahlin, der Herren Söhne und der Fräulein Töchter.
Das ſind die Typen, die alltäglich zu beſtimmten Stun-
den über den Broadway ſtrömen. Manche von ihnen keh-
ren beim Lichte der Gasflammen dahin zurück, oft verklei-
det, Dandies in Frauenkleidern, Ladies in Männercoſtüm.
Die Nachtſeiten des New-Yorker Lebens im eminenten
Sinn, wie ſie dann ſich entfalten, entziehen ſich unſerer
Berichterſtattung. Ebenſo verweilen wir nicht im Spiel-
hauſe und Theater, wo betrogene Betrüger und überliſtete
Intriguanten und Intriguantinnen die Hauptperſonen ſind,
ſonſt aber vieles iſt wie in den Großſtätten Europas, nur
wilder, leidenſchaftlicher, diaboliſcher.
(Schluß folgt).

Die Berſuchung.

Aus den Lebenserfahrungen meines ſeligen Vaters, aus
deren reichen Schatze er mir in mancher traulichen Stunde
Verſchiedenes mittheilte, erinnere ich mich folgender war-
nenden Begebenheit, von deren Hergang er, vermittelſt ſei-
ner frühern Verhältniſſe zum B*nſchen Hauſe genauer,
als vielleicht irgend Jemand unterrichtet war.
Der Banquier v. B. war öfters in den Morgenſtunden
in ſeinem Zimmer mit dem Wiegen' und Sondern ſeines
Goldes beſchäftigt, bei welcher Arbeit ihn gewöhnlch ſein
Barbier antrafrf. Ohne Umſtände pflegte er dann ſeinen
Stuhl bloß ein wenig vom Tiſche, auf welchem die Gold-
haufen aufgeſchüttet lagen, abzurücken, worauf der Barbier
hinzutrat und ſeinen Dienſt verrichtete. Eines Morgens

bemerkte Herr v. B., daß dem jungen Menſchen die Hand

zitterte, und ſich dadurch mit dem Meſſer verletzt fühlend,
ſagte er ein wenig erſchreckend: „Nehmen Sie ſich beſſer
in Acht, find Sie vielleicht zu ſchnell gelaufen, ſo ruhen

Sie lieber erſt ein paar Minuten aus.“ — Der Barbier
that dies auch mit der Bemerkung, es habe ihn wie eine
Ohnmacht angewandelt! In einigen Augenblicken erholte
er ſich indeß und vollendete nun ſein Geſchäft mit ſicherer
Hand. Das nächſtemal — dieſelbe Erſcheinung. Noch
ſtärker zitterte der Jüngling. — Hr. v. B. fühlte eine fem-
pfindliche Verletzung; zuſammenfahrend verwies er dem
jungen Menſchen ſehr ernſtlich ſeine Unvorſichtigkeit, indem

er ſich mit dem Tuche das rieſelnde Blut von der Wange

wiſchte. Der Barbier lehnte bleich, wie ein Todter, an

dem Goldtiſche. Plötzlich warf er das Meſſer hin, ſtürzte

dem Hrn. v. B. zu Füßen und flehte, ſeine Knie umklam-
mernd, um Gnade — um Erbarmung. Der menſchen-
freundliche Mann vermuthete, irgend ein Vergehen des
jugendlichen Leichtſinnes habe den Jüngling in Geldnoth
geſtürzt, erklärte ſich auf dieſe Weiſe ſein Zittern und Za-
gen und fragte mitleidig: „Mein Freund, iſt's denn viel,
was Sie bedürfen?“ — Der Barbier aber antwortete
nur mit Stöhnen, Kopfſchütteln und Hinweiſen auf die
Goldhaufen. Hr. v. B. konnte lange nicht aus ihm klug
werden. Endlich preßte er die Worte hervor: „Um der
Wunden des Erlöſers willen! laſſen Sie mich nicht wieder
in dieſes Zimmer, bei dieſen Tiſch kommen! Der Satan
funkelt mich aus dieſem Golde an — ſchon zweimal habe
ich mit ihm gerungen und heute auf Tod und Leben —
ich bin wohl ein ſehr verworfener Menſch, daß der Feind
ſolche Gewalt über mich hat — aber doch muß ich es
Ihnen bekennen — machen Sie mit mir, was Sie wollen
— es war mir, wenn ich das Gold erblickte, als führte
eine fremde Gewalt das Meſſer in meiner Hand — als
ſollte und müßte ich's —“ ö ö
Bleich vor Entſetzen ſtand Hr. v. B. auf, trat einige
Schritte von dem zurück, der eben ſein Mörder hatte wer-

den wollen. Schon hatte er die Klingelſchnur in der Hand,

da fiel ſein Blick noch einmal auf den unglücklichen Jüng-
ling, der ſich nach dem entſetzlichen Geſtändniß zuſehends
erholte, und mit einer Art von Heiterkeit ſeiner Gefan-
gennehmung entgegen harrte. Ein ſo ſanftes edles Geſicht
— bis daher auch noch nicht durch einen Zug des Laſters
entſtellt — der einzige Sohn liebender Eltern — dieß al-
les betrachtend, ließ Hr. v. B. die Klingelſchnur ſachte
wieder fallen — trat zu dem Jüngling, faßte liebreich
ſeine Hand und ſagte: „Freund, vor allen Dingen laſſen
Sie uns erſt vor Gott niederfallen und ſeine Barmherzig-
keit preiſen.“ — Darauf knieten ſie gemeinſchafllich nie-
der und beteten und dieſes Gebet, dieſes Flehen um gänz-
liche Rettung des Verirrten, hat außer ihm nur Gott ge-
hört — und Dank ſeiner unendlichen Treue! auch erhört.
Der Jüngling, den Hr. v. B. zwar in ſeinem Geſchäfte
und Hauſe verabſchiedete, deßwegen aber nicht verſtieß, iſt

mit beſtändiger Treue und Gewiſſenhaftigkeit ſeinen Le-

bensweg fortgewandelt und auch ein muſterhafter Bürger
und Familtenvater geworden. Vorſtehende Begebenheit mag
uns zur Warnung dienen, Niemanden, beſonders auch Dienſt-
boten, nicht durch zuweitgehende Sorgloſigkeit, oder gar
durch Schauſtellung großer Reichthümer zur Uebelthat zu
verſuchen.
 
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