— ich muß Sie verlaſſen, Frau Baronin. Aber ich
hoffe, wir ſehen uns bald wieder. Ich bin gewohnt,
offen zu ſein und ſo geſtehe ich Ihnen frei, daß Ihre
Erſcheinung, Ihr ganzes Weſen, mich ungewöhnlich an-
gezogen hat. Wenn Sie ähnlich in Bezug auf meine
Perſon fühlen, ſo werden wir in Zukunft Freundinnen
ſein. Sie werden mir recht bald das Vergnügen Ihres
Beſuches ſchenken und ich werde Ihr Kommen mit Freu-
den erwiedern.“
Frau von Barikoff ſtand auf, verneigte ſich mit ge-
winnendem Lächeln vor der Baronin und eilte auf ihren
Gemahl zu, ihren Arm in den ſeinen hängend. Die
bleiche Frau ſah ihr mit wehmüthigem Geſichtsausdrucke
nach. ö
„Sie, meine Freundin,“ murmelte fie. „Ich ſoll
mich an dem Anblicke ihres Glückes weiden! Ach, dann
werde ich mein eigenes Elend nur um ſo ſchwerer fühlen.“
Was die Bruſt der jungen Frau bedrückte, mußte
in der That eine ſchwere Laſt ſein, da ſie es mit dem
Worte „Elend“ bezeichnet. Und dieſes Elend, dieſe
Bürde, die ihr Leben zu untergraben drohte, war nicht
abzuwerfen. Sie mußte es tragen bis zum letzten Athem-
zuge, denn der Prieſter hatte, als ſie mit ihrem Ver-
lobten vor dem Altare ſtand, geſagt: „Nur der Tod
ſoll Euch von einander trennen!“ Der Wille ihrer El-
tern, die mit ihrem geringen Vermögen eine Reihe von
unmündigen Kinder verſorgen mußten, hatte ſie an den
Wüſtling Alfred von Handorf gekettet der für einen der
reichſten Grundbeſfitzer Oſtpreußens galt, es aber ſchon
in der Zeit, als er um Cäcilie von Rollbach warb, nur
noch dem Scheine nach war, da er die Güter ſchlecht-
bewirthſchaftet, auf Reiſen in verſchiedenen deutſchen
und franzöſiſchen Bädern große Summen verſpielt und
ſich koſtſpielige Maitreſſen gehalten, die er auf den von
dem Hauptgute etwas entfernt liegenden, der Familie
von Handorf zugehörenden Gütern untergebracht hatte.
Was ihn dazu veranläßte, die nicht reiche Cäcilie von
Rollbach zur Gattin zu wählen, war aus der Zurück-
weiſung hervorgegangen, die ihm von den begüterten
Familien in dortiger Gegend geworden, um deren Töch-
ter er angehalten. Der Ruf ſeines Leichtſinns, ſeiner
Verſchwendungsſucht, hatte ſich ſtark verbreitet. Um
aber dennoch eine Frau zu bekommen, denn ſeine ſtolze
Mutter drang darauf, daß von ihrem älteſten Sohne
ein Erbe für die Handorf'ſchen Güter erzielt werden
ſollte, hatte er ſich eine ſolche in einer andern Provinz
geſucht, wo ſein wüſtes Leben nicht bekannt war, und
in Cäcilie gefunden. — Es könnte hier die Frage auf-
geworfen werden, warnm er ſeinen Blick auf ein nicht
mit irdiſcher Glücksgütern begabtes junges Mädchen ge-
richtet. Sie wäre damit zu beantworten, daß keine
reiche Familie ihn zum Schwiegerſohn gewählt haben
würde, ohne von ihm zuvor Rechenſchaft über den Stand
ſeines Vermögens zu verlangen. Da er denſelben aber
nicht befriedigend geben konnte, ſo hätten ſeine Bewer-
bungen ſtets mißlingen müſſen. Aber es war noch ein
Grund vorhanden, der ihn beſtimmte, Cäcilie zu wählen.
Es war die ſtille Anſpruchsloſigkeit, die ſich in ihrem
ganzen Weſen offenbarte. (Fortſ. folgt.)
druck.
370
Kummer und Glück.
(Schluß.)
„Gott zum Gruß, Herr Doktor!“ ſagte, wie es
ſchien, der Aelteſte, der Erſte des Dorfes. „Wir wollen
uns bedanken und wenn Sie mit uns ein Glas trinken
wollen, dann — willen wi uns ſehr freuen!“
„Herzlich gern, lieben Leute,“ erwiderte der Fremde
und hatte vollauf zu thun, alle die Hände zu ſchütteln,
die ſich treuherzig ihm entgegenſtreckten. „Wofür aber
Dank?“ ö
„IJnna! Sie wiſſen's doch ſo gut wie wir, daß Sie
mit Mutter Stezemann zum kleinen Georg gegangen
ſind. Wir wiſſen Alles!“
„Wir wiſſen Alles!“ tönte es in der Runde.
„Nun,“ meinte der Fremde lachend, „dann braucht
Ihr wahrhaftig hier keine Telegraphen. Aber Sie
nennen mich Doktor; Doktor bin ich nicht!“
Verwundert ſahen ſich die Bauern an. „O,“ ſagte
nach einer kleinen Pauſe der Aelteſte, während der
Fremde den ihm gebotenen Ehrenplatz am Tiſche ein-
nahm, „das iſt ſchade!“
„Warum?“ ö
„Nu,“ meinte Einer aus dem Kreiſe, „wir wollten
gern auch wiſſen, was Sie uns rathen; dem Einen
fehlt's hier, dem Andern fehlt's da!“
„So,“ erwiderte ſinnend der Fremde, „habt Ihr
denn keinen Arzt in der Nähe?“ ö
„Zwei Meilen von hier, aber der kommt ſelten
durchs Dorf.“ ö
„Wenn Ihr ihn ruft, kommt er doch gewiß?“
„Ja wohl, aber — das thuen wir nicht gern; wir
warten's ab.“
„So,“ fragte der Gaſt weiter, „wenn Euch nun
aber eine Kuh krank wird, oder ein Pferd, holt Ihr
da den Thierarzt?“
„Das will ich wohl meinen,“ rief Einer mit Nach-
„Die Kuh kann ja nicht ſagen, was ihr fehlt
und deßhalb muß der Viehdoktor kommen!“
„Wenn aber Eure Frau krank wird und ſagt Euch,
was ihr fehlt, und Ihr helft ihr doch nicht, hat ſie's
da nicht ſchlechter, wie Eure Kuh?“
Die Bauern ſahen ſich ſeitwärts an und kratzten
ſich hinter die Ohren; einer aber rief ganz reſolut:
„J na! Gott bewahr! Wir haben Malzextrakt und
der hilft immer: Sie können's ja gedruckt leſen, daß
er immer hilft, und wem der nicht hilft, dem iſt auch
nicht zu helfen!“ *
Beifällig nickten f Anderen, als wollten ſie ſa-
en: Der hat's getroffen! ö
„Run, lieben Leute,“ ſagte der Fremde, „Ihr habt
mir ſo freundlich die Hand gedrückt und da glaube
ich, Ihr nehmt mir's nicht übel, wenn ich Euch einen
guten Rath gebe. Wenn Ihr zuhören wollt, will ich
Euch ſagen, ganz offen, was ich denke, und wie es
mir im Leben durch die Anwendung der Erfahrungen
gut gegangen iſt, die ich geſammelt habe.“
hoffe, wir ſehen uns bald wieder. Ich bin gewohnt,
offen zu ſein und ſo geſtehe ich Ihnen frei, daß Ihre
Erſcheinung, Ihr ganzes Weſen, mich ungewöhnlich an-
gezogen hat. Wenn Sie ähnlich in Bezug auf meine
Perſon fühlen, ſo werden wir in Zukunft Freundinnen
ſein. Sie werden mir recht bald das Vergnügen Ihres
Beſuches ſchenken und ich werde Ihr Kommen mit Freu-
den erwiedern.“
Frau von Barikoff ſtand auf, verneigte ſich mit ge-
winnendem Lächeln vor der Baronin und eilte auf ihren
Gemahl zu, ihren Arm in den ſeinen hängend. Die
bleiche Frau ſah ihr mit wehmüthigem Geſichtsausdrucke
nach. ö
„Sie, meine Freundin,“ murmelte fie. „Ich ſoll
mich an dem Anblicke ihres Glückes weiden! Ach, dann
werde ich mein eigenes Elend nur um ſo ſchwerer fühlen.“
Was die Bruſt der jungen Frau bedrückte, mußte
in der That eine ſchwere Laſt ſein, da ſie es mit dem
Worte „Elend“ bezeichnet. Und dieſes Elend, dieſe
Bürde, die ihr Leben zu untergraben drohte, war nicht
abzuwerfen. Sie mußte es tragen bis zum letzten Athem-
zuge, denn der Prieſter hatte, als ſie mit ihrem Ver-
lobten vor dem Altare ſtand, geſagt: „Nur der Tod
ſoll Euch von einander trennen!“ Der Wille ihrer El-
tern, die mit ihrem geringen Vermögen eine Reihe von
unmündigen Kinder verſorgen mußten, hatte ſie an den
Wüſtling Alfred von Handorf gekettet der für einen der
reichſten Grundbeſfitzer Oſtpreußens galt, es aber ſchon
in der Zeit, als er um Cäcilie von Rollbach warb, nur
noch dem Scheine nach war, da er die Güter ſchlecht-
bewirthſchaftet, auf Reiſen in verſchiedenen deutſchen
und franzöſiſchen Bädern große Summen verſpielt und
ſich koſtſpielige Maitreſſen gehalten, die er auf den von
dem Hauptgute etwas entfernt liegenden, der Familie
von Handorf zugehörenden Gütern untergebracht hatte.
Was ihn dazu veranläßte, die nicht reiche Cäcilie von
Rollbach zur Gattin zu wählen, war aus der Zurück-
weiſung hervorgegangen, die ihm von den begüterten
Familien in dortiger Gegend geworden, um deren Töch-
ter er angehalten. Der Ruf ſeines Leichtſinns, ſeiner
Verſchwendungsſucht, hatte ſich ſtark verbreitet. Um
aber dennoch eine Frau zu bekommen, denn ſeine ſtolze
Mutter drang darauf, daß von ihrem älteſten Sohne
ein Erbe für die Handorf'ſchen Güter erzielt werden
ſollte, hatte er ſich eine ſolche in einer andern Provinz
geſucht, wo ſein wüſtes Leben nicht bekannt war, und
in Cäcilie gefunden. — Es könnte hier die Frage auf-
geworfen werden, warnm er ſeinen Blick auf ein nicht
mit irdiſcher Glücksgütern begabtes junges Mädchen ge-
richtet. Sie wäre damit zu beantworten, daß keine
reiche Familie ihn zum Schwiegerſohn gewählt haben
würde, ohne von ihm zuvor Rechenſchaft über den Stand
ſeines Vermögens zu verlangen. Da er denſelben aber
nicht befriedigend geben konnte, ſo hätten ſeine Bewer-
bungen ſtets mißlingen müſſen. Aber es war noch ein
Grund vorhanden, der ihn beſtimmte, Cäcilie zu wählen.
Es war die ſtille Anſpruchsloſigkeit, die ſich in ihrem
ganzen Weſen offenbarte. (Fortſ. folgt.)
druck.
370
Kummer und Glück.
(Schluß.)
„Gott zum Gruß, Herr Doktor!“ ſagte, wie es
ſchien, der Aelteſte, der Erſte des Dorfes. „Wir wollen
uns bedanken und wenn Sie mit uns ein Glas trinken
wollen, dann — willen wi uns ſehr freuen!“
„Herzlich gern, lieben Leute,“ erwiderte der Fremde
und hatte vollauf zu thun, alle die Hände zu ſchütteln,
die ſich treuherzig ihm entgegenſtreckten. „Wofür aber
Dank?“ ö
„IJnna! Sie wiſſen's doch ſo gut wie wir, daß Sie
mit Mutter Stezemann zum kleinen Georg gegangen
ſind. Wir wiſſen Alles!“
„Wir wiſſen Alles!“ tönte es in der Runde.
„Nun,“ meinte der Fremde lachend, „dann braucht
Ihr wahrhaftig hier keine Telegraphen. Aber Sie
nennen mich Doktor; Doktor bin ich nicht!“
Verwundert ſahen ſich die Bauern an. „O,“ ſagte
nach einer kleinen Pauſe der Aelteſte, während der
Fremde den ihm gebotenen Ehrenplatz am Tiſche ein-
nahm, „das iſt ſchade!“
„Warum?“ ö
„Nu,“ meinte Einer aus dem Kreiſe, „wir wollten
gern auch wiſſen, was Sie uns rathen; dem Einen
fehlt's hier, dem Andern fehlt's da!“
„So,“ erwiderte ſinnend der Fremde, „habt Ihr
denn keinen Arzt in der Nähe?“ ö
„Zwei Meilen von hier, aber der kommt ſelten
durchs Dorf.“ ö
„Wenn Ihr ihn ruft, kommt er doch gewiß?“
„Ja wohl, aber — das thuen wir nicht gern; wir
warten's ab.“
„So,“ fragte der Gaſt weiter, „wenn Euch nun
aber eine Kuh krank wird, oder ein Pferd, holt Ihr
da den Thierarzt?“
„Das will ich wohl meinen,“ rief Einer mit Nach-
„Die Kuh kann ja nicht ſagen, was ihr fehlt
und deßhalb muß der Viehdoktor kommen!“
„Wenn aber Eure Frau krank wird und ſagt Euch,
was ihr fehlt, und Ihr helft ihr doch nicht, hat ſie's
da nicht ſchlechter, wie Eure Kuh?“
Die Bauern ſahen ſich ſeitwärts an und kratzten
ſich hinter die Ohren; einer aber rief ganz reſolut:
„J na! Gott bewahr! Wir haben Malzextrakt und
der hilft immer: Sie können's ja gedruckt leſen, daß
er immer hilft, und wem der nicht hilft, dem iſt auch
nicht zu helfen!“ *
Beifällig nickten f Anderen, als wollten ſie ſa-
en: Der hat's getroffen! ö
„Run, lieben Leute,“ ſagte der Fremde, „Ihr habt
mir ſo freundlich die Hand gedrückt und da glaube
ich, Ihr nehmt mir's nicht übel, wenn ich Euch einen
guten Rath gebe. Wenn Ihr zuhören wollt, will ich
Euch ſagen, ganz offen, was ich denke, und wie es
mir im Leben durch die Anwendung der Erfahrungen
gut gegangen iſt, die ich geſammelt habe.“