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Heidelberger Zeitung (60) — 1918 (Juli bis Dezember)

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Heidelberger Zeitung

Freitag, öen 1L. Juli Ivis

r,ern;precyer vcr. s-.




MKWM

W

Grund zur Beunruhigung nicht vorliegt. Der
Kurs, mit dem sich die große Mehrheit des
Reichstags im November des Vorjahres einver-
standen erklärt hat, Wird weitergesührt
werden.

! und in der Stille erhob ein Mann feine Stimm«,
Ein Greis, groß und Kager, mit energischen Gn
sichtszügen, erschien Wer der Menge. Dieser Red»
n« hatte zur Tribüne einen Kausen Granaten ge-
wählt. dis eM Lastauto seradei abgeladen hatte.
Es war tztzx Bischof Anderson, Kastor einer großen
Diözese, der seine Landsleute aus dem Boden er-
mutigte und ermahnte . auf dem sie in kurzer Zett
ihr Blut für die- allgemeine Sache vervießen
würden."
«Mir sind", sagte er ihnen, „em, freies und'
i d s a l i stis ch es Volk. Wir hassen den Kriech
über noch mehr die Ungerechtigkeit und das ver-
brochen. Wir -haben die Waffen Nr die Verteidi-
gung des Rechts und der Zivilisation ergriffen,
die der Feind des Menschengeschlechts bedroht.
Habt Vertrauen! Die Welt wird von dem Hunnen
befreit werden, und Elsaß wird wieder
französisch für ewi g!"
Der blutdürstige Gottesmann aus Amerika 'bei-
wies eine geschmackvolle Selbsteinschätzung seines
Christentums, als er sich einen Hausen Granaten
zur Rednertribüne erwählte. Hat sich doch das
„idealistische Volk" von Anfang an durch einträg-
liche Granatenlieferungen seiner Zivilisations-MW-«
sion unterzogen. Und so etwas will uns die höher«
Menschlichkeit bringen!

einlöst. Das gilt auch für Herrn von Hintze,
wenn er im Sinne dieser Politik handelt. Mr
uns Handelt es sich nicht um Personen, wir nehmen
rein sachlich Stellung.
Abü. Graf Westarp (Kons.): Wir Halten die
über den Rücktritt des Herrn von Kühlmann
mitgeteilten Gründe für durchschlagend. Die
Antwort auf dis Papstnote ist nach unserer An-
sicht. kein Programm unserer Regierung, sondern
nur ein diplomatischer Akt. Die Antworb enthielt
als schwersten Fehler die Bezugnahme auf die
Frledsnsentschließung des Reichstags; im übrigen
enthielt sie nur allgemeine Grundsätze, unter de-
nen sich jeder alles vorstellen kann und bei denen
alles auf die Ausführung ankommt. Unrichtig ist,
daß Herr von Hintze der Kandidat der Alldeut-
schen ist. 'Wir werden ihm ohne jedes Vorurteil
gegenüber treten und warten seine Politik ab.
Am Freitag wird die Aussprache fortgesetzt.

Aus Baden
Aeuderung der Genreindebesteuer urrg
Zn Baden ist ein Gesetz in Kraft getreten, wo-
nach die auf Grund des Doppelsteuergesetzes von
den badischen direkten Steuern und wegen des en-
gen Anschlusses der Comermdebestsuerung an dis
staatliche Besteuerung auch gemeindüsteuerfrei ge-
bliebenen Einkommen aus einem Dienstverhältnis,
einem Berufs- oder Kapitalvermögen vom 1. Jan.
1918 an zur Eomeindebesteuerumg herangezogen
werden können. Zur Vermeidung einer gemeind-
lichen Doppelbesteuerung ist den Gemeinden Las
Recht eingeräumt, eine Umlageminderung oder
UmlagÄhefreruing von sich aus zuzugestehen. Da in
Baden nach den bestehenden EesetzesbestimmunMN
lediglich eine Veranlagung zu den direkten Staats
steuern ftattfindet, die auch Nr die Gemeind Be-
steuerung maßgebend ist. so findet anläßlich der! all-
jährlichen Feststellung der direkten Staatssteuern
eine vovmerkunasweifs Veranlagung der hierher
gehörigen Einkommen und Kapitalvermögen statt.
Das neue Gesetz enthält noch dis wichtige Bestim-
mung. daß Neuanziehende, die in der Gemeinde
keinen Wohnsitz begründen, vom Tag ihres Aufzugs
am neuen Wohnort gemeindssteuerpflichtig werden,
wenn sie ihren Aufenthalt daselbst über die Dauer
von 8 Monaten ausdehnen.

Der Reichstag
setzte auch gestern in einer Dauersitzung die zweite
Lesung der Steuervorlagen fort. Die Um-
satzsteuer, zu der dis Sozialdemokraten eine
Reihe übrigens ziemlich unmöglicher Nbände-
runssanträge einbrachten, wurden nach den Be-
schlüssen des Ausschusses angenommen. In einer
Entschließung wurde noch eine Besteuerung des
Luxus - Mobilar - Besitzes angeregt. Die Aus-
kunftspflicht bei § 17 wurde gestrichen. Das
Branntwein - Monopol wurde von der
Tagesordnung abgesetzt, während das Gesetz ge-
gen die Steuerflucht ohne Aussprache an-
genommen wurde.

Elgersweier b. Offenb., 11. Juli. Die Töchter!
Ludwine und Hermine des Haüptlchrers O ch s ret-
teten einen 12jährigen Knaben vom Tode des,
Ertrinkens, der in der Kinzig gebadet hatte.
Lörrach, 11. Juli. Kommerzienrat Uebelen»
Hannover hat der Stadtgemeinde Lörrach anläßlich'
des Geburtstages des Eroßherzogs den Betrag von
10 000 M. Nr gemeinnützige Zwecke zur Verfügung
gestellt.
Ludwigstal, 11. Juli. Nach dem Mannheim«
Tageblatt unterhielt die Ehefrau des Hüttenarbei-
ters Fritz Schmitt von hier feit länger« Zeit M
einem angeblichen Vetter unerlaubte Beziehungen,
wodurch es öfters zu Familienstreitigkeiten kam-.
In den-letzten Tagen entfernte sich die Ehefrau
Schmitt wieder von zu Hause, um zu ihrem Ge-
liebten zu eilen. Auf der Suche traf Schmitt seine
Frau mit ihrem Kumpan in Lothringen zusammen,
wobei es zu einer Auseinandersetzung kam. in der
Schmitt feinen Nebenbuhler erstach.
Schmitt wird als fleißig« und braver Mann ge-
schildert.
Konstanz. 11. Juli. Am Samstag fand in den
Räumen der Handelskammer Konstanz unter dem
Vorsitz des Geh. Kommerzienrats L. S trom eie«
eine Besprechung mit dem neuernannten stell-
vertretenden Bundssratsbevollmächtigten Nr Ba-
den, Ministerialrat Dr. Fecht. und Oberregiö-
rungsrat Dr. Michelmann aus Berlin statt,
die beide Gelegenheit nahmen, sich über die Wünsche .
des Handels und der Industrie des HandelskaM-
merbezirks Konstanz zu unterrichten.

Die Reden der Parteiführer
Abg. Gröber (Zentr.): Mr uns hat die heutige
Rede des Kanzlers etwas Beruhigendes gehabt.
Mit Herrn von Kühlmann hat ein hervorragend
begabter Diplomat das Auswärtige Amt verlas-
sen. Mit seiner Rede vom W. Juni aber Hat der
Staatssekretär weder die polittschenGegn« gewon-
nen, noch die anderen Parteien befriedigt. Der
Wechsel im Auswärtigen Amt an sich ist nicht zu-
letzt wegen des Eindrucks auf das Ausland ge-
wiß bedauerlich, aber nach Lage der Dinge war
es das Veste. In feiner heutigen Rede hat der
Reichskanzler feine außen- und innerpolitifchen
Anschauungen und Absichten rückhaltlos mitgeteilt
Er will, daß an den im lltovem^r 1917 nieder-
gelegten und vom Reichstag gebilligten Grund-
sätzen nichts geändert- werde. Auf dem Gebiete
der inneren Politik hat der Reichskanzler seine
Zusagen singchalten. Wiederholt hat der leitende
Staatsmann unsere Friedensberettscha.fi zum Aus-
druck gebracht. Wir können aber doch nicht immer
dasselbe sagen: wenn jetzt die Feinde uns mit
ernsthaften FriodensvorsMäsen kosnmen. iso wer-
den sie selbstverständlich von uns gewissenhaft ge-
prüft werden, ab« wir wollen nicht unsererseits
unsere Friedensbedingungen im einzelnen ein-
seitig der ganzen Welt preisgeben und uns damit
die Hände binden.
Abg. Scheidemann (Soz.): Bedauerlich ist nur,'
daß diese wichtige Aussprache unmittelbar vor
Toresschluß stattfindet. Die Regierung war sich
des schlechten Eindrucks bewußt, den der Rücktritt
Kühlmanns im Ausland machen muß, daher die
fortgesetzten Versicherungen, es bleibe alles beim
alten, in der Politik würde nichts geändert. Wenn
alles Leim alten bleibt, warum ist dann gerade
Herr von Kuhlmann gegangen? Dis Rede. vom
24. Juni soll an der Front schlecht gewirkt haben.
Wen hat der Reichskanzler an der Front gefragt?
Wohl nur die Offiziere, die dis alldeutsche Presse
lesen, die Soldaten sicher nicht; von ihnen würde
er ganz etwas anderes gehört haben. Wenn alles
so bleiben soll, wie es gewesen ist, warum seiht
denn die Berufung des Herrn von Hintze
anders vor sich, als die Berufung des Grafem
Hertling und des Herrn von Pap«? Die Negie-
rung war sich damals auch bewußt, welche Wir-
kung dieses Verhalten auf das Ausland haben
mußte, auf das Ausland, das keinen Frieden mit
uns machen will, weil es behauptet, wir hätten
niemand, der Frieden schließen könne, Abg.
Scheidemann ging dann auf die Ausführungen
des Kanzlers über die Papstnote ein und ver-
wies darauf, daß die Vaystnvte klar und deutlich
von Belgien sprach, während in der Antwort auf
die Note die belgische Frage nur sehr weit um-
schrieben war und nur dem genauen Kenn« der
Friedensentschließung des Reichstages, auf die dis
Antwort an den Papst sich berief, klar werden
konnte, was über Belgien eigentlich gesagt war.
Jetzt ist es an d« Zeit, klipv und klar zu sagen,
was mit Belgien geschehen soll, näm-
lich, daß wir es herausgeben.
Abg. Fischbeck (Fortschr. Bolksvt.): Die Rede
vLM 24. Juni wird in der Osffentlichkeit als Ur-
sache! des Rücktritts angesehen. Ob jedes Wort der
Rede geschickt war oder nicht, darüb« braucht
man sich jetzt nicht mehr zu streiten- sich« aber
ist, daß viel von außen in dis.Rede Hineingelegt
wordSn ist. Keinesfalls war die Rede dazu be-
stimmt, uns« Heer oder uns« Volk mutlos zp
machen, kleb« dis Gründe des Rücktritts des
Herrn von Kithlmann muß Klarheit geschaffen
werden. Wir müssen wissen, ob der Rücktritt auf
Treibereien der Alldeutschen zurückzuführen ist,
also einem Sieg dies« Richtung gleichkommt. Der
Reichskanzler hat gemeint, daß der Personenwech-
sel keinen Sqstsmwechssel bedeute. Ist das zu-
treffend, so freuen wir uns darüber und auch
üb« das erneute Bekenntnis zu seinem Programm
vom November 1917. Im übrigen warten wir ab
welche Taten den heutigen Worten des Reichs-
kanzlers folgen werden. Wir werden ihn unter-
stützen, wenn er feine heute gegebenen Zusagen

Sei e 2
Ich kann nur an das Wort erinnern, das ein-
dial Gortschakow gesprochen hat: Wir sind stumm,
< aber wir sind nicht taub.
Wir lassen uns jetzt in keine politischen
Strömungen ein, ab« wir horchen aufmerk-
sam, wohin die Richtung in Rußland seht.
Das ist der Standpunkt, den ich einnchme, das
ist der Standpunkt, üb« den auch bei den W-
sprechungen am 2. Juli im Großen Haupt-
quartier die vollste Klarheit und das vollste
Einverständnis zwischen allen Beteiligten
erzielt worden ist. Ich kann sagen, der Staats-
sekretär von Kkhlmann, der selbst bei diesen
Besprechungen nicht anwesend war — das Aus-
wärtige Amt aber war vertreten durch den Ihnen
wohlbekannten Herrn von Rosenberg, d« der
Gefährte und dis sachverständige Stütze des Herrn
von Kühlmann in Brsst-Litowsk und in Bukarest
gewesen ist — mit diesem Standpunkt vollkommen
einverstanden gewesen und daß die Oberste Hee-
resleitung diesem Standpunkt ebenso voll-
kommen Leigetreten ist. kleb« Ein-
zelheiten kann ja im Einzelfall vkine Mei-
nungsverschiedenheit da oder dort auftveten, aber
die Grundlinie ist die, die ich gezeichnet habe.
Im Anschluß hieran ging der Reichskanzler auf
Beurteilung der politischen Lage
im Westen
ein und machte darüb« vertrauliche Mitteilungen
! Sodann sprach er von den Gründen, "die zu
dem Rücktritt des Herrn von Kühl mann
geführt haben. Er wies darauf hin, datz, es keine
«fachlichen, sondern
persönliche Gründe
Awaren, die den Staatssekretär von Kühlmrann
veranlaßt haben, um Enthebung von seinem Amte
szu -Wen. D« Reichskanzler sprach dann in war-
!men Worten von den Eigenschaften des Staats-
sekretärs, dessen politische Erfahrung, treffendes
Urteil, unermüdliche Ausdauer und dessen Ge-
schicklichkeit und Gewandtheit im Verhandeln er
voll anerkannte. Er habe sich von ihm trennen
müssen, da das notwendige Vertrauensverhältnis
zwischen ihm und änderen Faktoren nicht bestan-
den habe, ein Vertrauensverhältnis, das für eine
-reibungslos« Führung der Geschäft« nicht ent-
shehrt werden könne.
Der Reichskanzler fuhr dann fort: Der NaMe
-des in Aussicht genommenen Nachfolgers
' Herrn von Hintze
fist Ihnen bekannt. He« von Hintze ist ein sehr ge-
jnau« Kenner russisch« Verhältnisse. Er ist Mr
dem Kriegs auf der Botschaft in Petersburg ge-
jwesen und hat in dieser Eigenschaft große Reifen
durch Rußland gemacht-
- Et ist mit den Verhältnissen und Personen in
Rußland sehr eingehend vertraut, was für die
i jetzige Lage von groß« Wichtigkeit ist. Aber es
versteht fich von . selbst- daß ich meine Kontrasis-
nteünng oder Unterschrift zu der Ernennung des
Herrn von Hintz« Nur dann gebe, wenn Herr von
Hintz«
«sine Politik macht und nicht seine eigene
Dafür habe ich -bereits in den .Magen des
Herrn von Hintze, — die Ernennung ist noch nicht
-erfolgt — meinerseits dis feste Bürgschaft.
Ich mache die Politik, der verantwortliche
Reichskanzler macht die Politik, der Staatssekre-
tär des Auswärtigen Amtes hat lediglich meine
Politik zu führen. Davon ist der in Aussicht ge-
nommene, ab« noch nicht ernannt« Staatssekretär
voll durchdrungen. Ich glaube also, daß ein

Ein ehrlicher Engländer über
Ludendorffs Taktik
D« militärische Mitarbeiter der London«
Wochenschrift Truth schreibt in einer rückblicken-
den Betrachtung über die bisherigen deutschen Of-
fensivstöße am 19. Juni:
„Ludendorffs Taktik weicht von der ab, dis die
Befehlshaber der Alliierten im vergangenen Jahre
anwandten. Beschränkte Angxiffsobjekte -entspre-
chen sein« Denkweise nicht, denn er -sucht -durch das
Mittel des UebergSwichts und der Ueberraschuns sei-
nem Feind einen schnellen und tödlichen
Stoß zu versetzen, bevor dieser Zeit hat, ihn äb-
Sllwehren. „Schnelligkeit, Pünktlichkeit, Kühnheit",
das war Napoleons Losung und ist auch dis Lu-
de ndor ff s. Er lernte seins Aufgabe aus dem
Fehlschlag der Alliierten im vergangenen Jahrs,
als diese keine ihren Anstrengungen entsprechenden
Resultate erringen konnten."
Dies« englische Militärkritiker macht dem Na-
men der Wochenschrift, in d« « schreibt, Ehre-, «
hält es mit der Wahrheit.
Der amerikanische Geistliche auf
der Granaten-Kanzel
Dis amerikanischen B-undesbrüd« der Franzosen
haben wähl noch keine Schlachten gewonnen, aber
bei Fsstfeiern all« Art stellen sie ihren Mann. Da-
bei Himmeln die einst so hochmütigen Franzosen
die Rett« in allen Tonarten an, indes die Ameri-
kaner sich auch nicht lumpen lassen und mit den
großspurigsten Redensarten freigebig um sich wer-
fen. So berichtet die Illustration vom 15. Juni
1918 üb« eine solche gut arrangierte Theatervor-
stellung in dem kleinen Vogesenstädtchen Masmün-
ster. „der vorübergehenden Hauptstadt dieses zu-
rückgewonnenen Teiles des Elsaß, den wir aus den
Klauen unserer Feinde gerissen haben". Dtsss al-
lerdings „vorübergehende" Hauptstadt von noch
nicht viertausend Einwohnern liegt in dem kleinen
oberelfässischen Landzipfel. den wir im August
1914 prsisgsgeben haben, den die Franzosen seit
vi« Jahren nicht um einen Zoll breit vergrößern
konnten und mit dem sie nun ihren gsographis-
schwachen Verbündeten imponieren «vollen. Der
erwähnte Bericht -sagt: „Nach Beendigung der
Feierlichkeit sin der Kirchss bildeten die amerika-
nischen Truppen ein Viereck auf dem Marktplatz,

Die Frau in der alten Kirche
Pros. Liz. Braun. Marr« in Neckargemünd,
hielt am Mittwoch den dritten der vom hiesigen
deutsch-evangelischen Frauenbund
veranstalteten Vorträge üb« „Dis Stellung der
Frau in der Geschichte". Der Vortrag bot in le-
bendiger Darstellung eine reiche Fülle farbig« Ein-
zelbild« und eingehender Berichte aus der Litera-
tur jener ersten Jahrhunderte nach Christus, um
ein eingehendes Urteil Wer Art. Größe und Män-
gel des christlichen Frauenlebens zu ermöglichen.
Als das Christentum aus dem Dämmerschein des
Urchristentums in das volle Tagsslicht des Mrlt-
aetrisbss trat, mußte es zu einem Zusammenstoß
kommen. Cs galt srnen Kampf gegen die Molt
draußen und gegen die innere Verweltlichung, und
gerade die Geschichte der Frau ist ein besonderer
Ausschnitt aus diesem Kampf mit der Welt.
Die antike Welt war dekadent. Sittliche Verlot-
terung brachte einen ungeheuren Rückgang der Ge-
burten. Prämien und Ehren Nr Kinderreichtum,
Strafgesetze gegen Ehrlose, Vermögensschädrgungen
der Gheschsuen halfen nicht viel. Ehebruch und
Ehescheidung war « d« Tagesordnung. Der
Frauensenat, eine Art heidnisch« Frauenverein,
behandelte die äußerlichsten Fragen von Rang und
Mvde. Die gebotene Frauenbilldung war zumeist
eine Fratze, ein Hohn auf alle tiefere echte Bildung.
Der Laibphrlosoph unterhielt die Gnädige beim
Ankleiden und bei der Tafel über philosophische
Probleme und Miete bei der Ausfahrt ihr Schoß-
hündchen. Die Religion hat der Frau nichts zu
bieten, das sie heben konnte. Astrologischer Un-
finn. ZaNbermittel und Liebestranke förderten nur
die Dekadenz. Wenn auch einige wenigs Frauen
durch Tapferkeit, Größe und Bildung hsrvorvag'en,
wie etwa, dis Frau des Plinius — die Regel war
der Tiefstand der gesamten weiblichen Bildung und
Sittlichkeit, wie das die heidnischen, ssitge-
nössischsn Schriftsteller, besonders Tacitus und Ju-
venal, beseuftsn. Dagegen hatte die christliche Kra,u
die Nr das Christentum nicht durch ihren Verstand,
sondern vielmehr durch den Erweis tiefen töd-es-
frc' d-bgen Lebens gewonnen war. ihre Art zu setzen.
Das war vor allem in dem Sturm der VorfolgAK-

gen ein unüberwindlich« Heldengeist. Einige der
bekanntesten Bilder aus -dieser Passionsgöschichts
der Frau bot d« Vortragende in ^ausführlicher
Darstellung. Dann aber war es die strenge, wohl-
bedachte Stellung der Führer der Gemeinde zu den
einzelnen Problemen des religiös-sittlichen -Fran-en-
lebens. Unter diesen ist der energischste Tertullia-n,
der große asrAanifche Kirchenlehrer der ums Jahr
LOO schrieb. Er behandelt, geistvoll, sich mit vie-
len Einwänden auseinandersetzend, die Mischehe,
sie als Unsinn und Gefahr ablehnend. Dann die
zweite Ehe, auch hier verneinend. Ein strenger
Geist, wie ihn die eiserne Zeit der Not und des
Kampfes, dazu allerlei Weltuntergangsideen, fchu--
sen, durchzieht die Forderungen dieses Kirchen-
vaters. Ein noch strenger« dis Kritik an der -Ver-
weltlichung der christlichen Frau. Auch sie hatte
der Molt ihren Tribut bezahlt. Man -meinte manch-
mal einen Mann unserer Tage zu Hörmr, der hin-
weist auf die -Gebots «in« todernsten. Zeit. So
wird ihr das Theater, d. h. die Zirkusspiele, Tier-
und Gladiatorenkämpf« mit ihren Rohheiten und
ihrem Leichtsinn als Teufelswerk verboten. So
wird ihre Putzsucht und Gefallsucht. Haartracht und
Scheinwesen kritisiert — aus Deutschland ließen sie
sich rotblondes Haar kommen, um es in mächtigen
Locken-Lauten zu tragen. So wird ihr besonders
von Klemens aus Alexandria ein Bild wahrer, in-
nerlicher, geWger Schönheit vor die Seele gestellt.
Dieser empfiehlt dis Ehe u-m des Vaterlandes, der
Nachkommenschaft, der Uebung der Liebe und des
Dienstes und der Weltvollendung willen. Chryfo-
stomus weist auch auf die feelenbildende Kraft des
Frailvengemüts an dem ihres Mannes hin. Mer
Msm -beginnt das Ideal der Ehelosigkeit sich leise
einzuschleichsn. besonders durch Hieronymus. Erst
ists ein zartes harmloses Dasein, das Kranken und
Heimatlosen dient. Dann wird's eine enge Forde-
rung, eine bewußte Mstnmpfung der Gefühle, be-
sonders der mütterlich« Gefühle, ein Umwerten
der Werts verhägnisvoller Art. So wird im vier-
ten Jahrhundert der Frauenbewegung ein falsches
Bett gegraben. Dem ewig Weiblichen im echten
Sinne entsprach dieses Ideal nicht. Trotzdem bricht
auch dies La und dort in wundersamer Weise hin-
durch. So erklang zwischen den eintönigen Legen-

den der ehe losen Heiligem eine zarte, tiefe Melodie
ün reichen irdischen und himmlischen Wandlungen:
das Hohelied der Mutterliebe im Leben d« Mut-
ter Augustins, jener Monika, in dem die eigent-
lichen Motive des 'christlichen Frauenideals der
ersten Jahrhunderte noch einmal voll erklängen,
jene für alle Zeiten unvergänglichen Motive: die
Frau die Hüterin der Sitte, die Hüterin der Seele.
Hoffentlich ist es dem deutsch-evang. Frauen-
bund möglich, im Herbst und Winter noch einige
dieser wertvollen und anregenden Geschichsbilder
aus dem Frauenlsbsn zu bieten. Sie sagen dem,
der hören will, viel.M
Christian Morgenstern
Von Meinhart Maur.
Die folgenden Sätze sind der Einfüh-
rung entnommen, mit der Hofschaus-pielsr
Meinhart Maur vom Hostheater in
Mannheim seinen Christian Mor-
genstern-Abend am Samstag, 13.
Juli, einleitet. Maur, auf dessen tempe-
ramentvolle Begabung Dr. E. L. Stahl
und Herbert Eulenberg nachdrücklich Hin-
weisen, hat sich in das Wesen Christian
Morgensterns mit liebevollem Eirmshen
versenkt.
.Den, Kinde im Manne." „Im echten Manne
ist ein Kind versteckt, das will spielen". Diese
Worte Nietzsches setzt Morgenstern als Motto Sü-
den Ealgenlisdern. Die Lust am Spiel im allge-
meinen. die besondere Freude des geistigen - Men-
schen am Spiel der Gedanken, die genießerilche
Liebe des geistigen Menschen zum graziösen Spiel
mit Worten. Gedanken und Bildern. Pointen, dis
ch gegenseitig überraschen, Gedanken, die sich selber
ebhorchen und belauschen, eins stark a-.sgsprägte
-grotesl-ckom'Ms Phantastik, ein Hang, zum My-
stisch-Symbolischen, dazu eine eminente BE-err-
schung der Sprache, eine souveräne artistische Si-
cherheit in der -Handhabung der Form, das sind die
besonderen Merkmals der Morgensternschen Must.
Das Reich der Phantasie ist unbegrenzt. Das
Neue, Usberraschende und Eigenartige bei Morgr-m-
ftern ist eine ganz besondere Art, der Phantasie ein«

Welt von eigen« Geltung zu schaffen. Neben Ge-
dichten. die einen rätselhaften -symbolischen Sinn
haben, wie z. V. das Einhorn, das in seiner dunk-
len Gedankentiefe einen fast kosmischen Hauch ver-
rät, stehen andere, die nichts weiter sind und sobn
wollen, als graziöse GeLankenspiele, wunderschöne,
bunt« Seifenblasen, die keinen anderen Zweck -ha-
ben, als die Phantasie durch ihre eigenartigen Fan»
bentöne und merkwürdig grotesken' Gebilde anzu-
regen.
Die grobe Liebe und das Verständnis, das Mor-
genstern für die Natur hatte, führte ihn dazu, dis
Materi e zu beleben. Tote Gegenstände, die ums
bisher nichts sagten, werden lebendig und klagen
uns ihr Leid. Wie die zwei Schuhe, die von den
Mägden immer ung-eraid gestellt worden, wo sie doch
dazu geschaffen sind, ein Paar zubilden. Dis Tier«
bekommen in einer neuen, fabelhaften Art eins
Sprache. Mit geheimem Schauder fühlen wir dis
unheimliche Kraft der Jahrtausende in der aufge-
blähten Anmaßung der Schildkröte, gleichsam als
Symbol Nr das sanktioniert Traditionelle. Der
heroische schwarze Pudel, welch« sich üb« das
Klamiers-pielerr seiner Herrin so höllenheiß betrübt,
daß er aus Kummer Wer Nacht grau wird, löst bei
ums verständnisvolle Heiterkeit aus. Morgenstern,
dem Mystiker, war das Leben umd die Natur nicht
etwas, an dem man achtlos vorübergekt, Nr ihn
gilt nicht nur der Mensch -als ein Geschöpf mit
Seele, sondern für ihn ist die ganze Natur be-
seelt. Der KoMtuhl. der durch geheimes Flüstern
umd Knistern die Gedanekn desjenigen, der den gan-
zen Tag Larin s-atz, nachts geheimnisvoll Weiter-
spinnt, hat genau seine Seele, wie die zwei Wur-
zeln, die in demokratischer Klatschsucht alles, was
oben in den Wipfeln rauscht, unken austauschcn.
Der Wasseresel, der in sein« grotesken Häßlichkeit
sich- zu verMönern strebt Md das KuMhandwer?
als Religion predigt, hat genau seine Seele, wie die
Teppiche, die von den Schlägen der Mstode an-.
Samstag heulen und wehklagen. Mr Morgen-
stern war eben alles, was existiert, belobt und
beseelt.
Diejenigen, die Lei Morgenstern vielfach Line
Art höherem Blödsinns entdecken wollen, haben dem
T'cht« entweder niemals gekannt oder immer falsch
 
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