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Heidelberger Zeitung (60) — 1918 (Juli bis Dezember)

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Heidelberger Zeitung

Samstag, den 13. Juli 1918

Fernsprecher Nr. 82

Nr. 161

das ist die UNBetteHrthrit unseres Territer'mms,
das ist
freie Lu?r
für die Entwicklung unseres Volkes, insbesondere
an? dem wirtschaftlichem Gebiete. Das ist natür-
lich auch die notwendige Sicherung für künftige
schwierige Verhältnisse. Das trifft vollkommen,
auch für Ken Standpunkt zu, den ich Belgien ge-
genüber einnehme. Wie sich dieser Standpunkt
aber im einzelnen festlegen lägt, das hängt von
den künftigen Verhandlungen ab. Ich muh mich
damit begnügen, diese allgemein maßgebende'
Richtlinien hier nachdrücklich festgelegt zu haben.
Er schloss mit den Worten: Helfen auch Sie
mit, daß wir
im Innern die Einheitsfront halten
die für unsere Brüder draußen im Felde so über-
aus wichtig ist. Helfen Die alle mit. das; wir die
schwere Zeit des Krieges, den wir führen müssen,
solange wir ihn führen müssen bis zu einem
ehrenvollen Ende, bestechen.
Ab«. Wermuth (D. Fr.): Die unerfreuliche
Wirkung der Rüde des Staatssekretärs von Kühl-
nrann vom 24. Juni muhte sobald wie möglich be-
seitigt werden. Mit dieser Rede batte sich Herr
von Kühlmann das notwendige allgemeine Ver-
trauen verscherzt. Die Ausführungen des Reichs-
kanzlers finden unsere Billigung.
Abg. Ledeboux lUnabh. Soz.): Wir stehen der
Person des Herrn von Kuhlmann viel unbefange-
ner gegenüber als alle anderen Parteien. Wir
halben nie begriffen, wie die Mittslparteien seine
Politik als im Einklang mit der FriedenseMchlie-
tzung stehend ansshen konnten und diese Politik
auch in Zukunft unterstützen wollten. Gegen seine
innerste Usborzeugung hat Herr von Kühlmann
«ine Kvmpramitzpolink betrieben und die Unter-
stützung der militärischen Leitung gefunden, so-
lange er dies lat, Als er aber am 24. Juni ein-
mal seiner Ueberzeugung Ausdruck gab. verlor er
diese Unterstützung.
Hierauf wurde auf Antrag des Abg. Gröber
lZentr.) die Aussprache geschlossen. Die Kredit-
vorlage wurde gegen die Stimmen der Unab-
chängigen Sozialdemokraten angenommen.
Zum Berichterstatter für die Vollversammlung
wurde Abg. Fischbeck bestimmt.
Reichsschatzsekretär Gras Roedern regte cm, ei-
nen Unterausschuh einzusetzen, zur Mit-
beratung von Verträgen, die erneuert
oder neu abgeschlossen werden sollen.
Die Abgg. Noske (Soz.) und Erzberger (Zentr.)
gaben ihrer Genugtuung darüber AusdÄück. doZ
die Regierung mit dieser Anregung an den Reichs-
tag herantritt. Zum Berichterstatter über dis
Urage einer Reform des auswärtigen
"Dienstes für die Vollversammlung wurde Abs.
Freiherr von Richthofen (Natl.) gewählt.
Der Vorsitzende, Abg. Ebert schloh darauf die
letzte Sitzung des Hauptausschusses in diesem Ta-
gungsabschmtt.
» * »
Miit der Annahme des 15 Milliardenkredits auch
'durch die Sozialdemokraten ist die letzte Eierschale
des politischen Julikükens abgestreift. und die Sen-
sation der -weiten Juliwoche endgültig abgetan.
Immer wieder nur drängt sich die Frage auf die
Lippen: wozu der Lärm? Der Reichskanzler hat
mit unleugbarem Geschick die zuerst als ganz ver-
fahren hingestellte Lage wieder hergestellt, sodatz
nunmehr Oberste Heeresleitung und politische Lei-
tung samt Volksvertretung wieder an einem
Strange ziehen. Nicht ungeschickt war auch die Er-
klärung Hertlings, daß wir nicht beabsichtigen,
die Selbständigkeit und Unabhängig-
keit Belgiens anzutasten, aber anderer-
seits können wir auch, wie schon wiederholt erklärt
wurde, nicht zulasten. Latz Belgien zum Aufmarsch-
gebiet unserer Feinde wird und daß unser wirt-
schaftlicher Einfluh dort verdrängt wird. Damit
hatte er der Sozialdemokratie eine goldene Brücke
geschlagen, sodatz unseren Feinden die günstige Ge-
legenheit erspart bleibt, aus einem Anwachsen der
Zahl der Kreditverweigerer tm Reichstag Kapital
zu schlagen. So ist. wenn heute sich die Pforten

des Rcichstasshanses für . längere Zeiten wieder
schlissen, der Ausgang einigermaßen versöhnlich,
und das ist nach den Erregungen der vergangenen
Woche wenigstens ein erfreuliches Ergebnis.
* 4t N
Der Reichstag
erledigte gestern die St euer vor la gen in
zweiter und dritter Lesung. Vor Eintritt
in die Tagesordnung kam
General Wriesberg auf eine Behauptung zu-
rück, die der Abg. Scheidemann in seiner letz-
ten Rede über ein allgemeines Verbot, in der
Presse Fliegerangriffe auf süd- und
westdeutsche Städte zu melden, gemacht
hat. Abg. sScheidsmann habe im Anschluß daran
gesagt, in Berlin erfahre man Lar nicht, was in
Süiddeutschland fortwährend un Frauen? und
Kiüdern gemordet werde. Diese Behauptung des
Aba. Scheidemann entbehrt der sachlichen Grund-
lage. Ein derartiges Verbot an die Presse sei
nicht ergangen.
Beim Branntwein - Monopol wurde
ein Antrag Lunk (F. V.) auf Rückvergütung von
8 Millionen zur Ermäßigung der Kosten von al-
koholhaltigen Arzneimitteln für die minderbemit-
telten Volkskreise namentlich iAr mittleren
Kranken- und Knappschaftskasten angenoinmsn.
Ein weiterer Antrag, 4 Millionen zur Bekäm-
pfung der Trunksucht zur Verfügung zu
stellen, wurde mit 161 gegen 120 Stimmen ange-
nommen. Das Gesetz über den Absatz von Kali-
salzen wurde in zweiter und dritter Lesung
ebenfalls angenommen. Eins große Reihe von
Petitionen wurde nach den Anträgen des Aus-
schusses erledigt. Beim mündlichen Bericht des
Hauptausschusses über die P ap ie r be li e f e-
rung der Zeitungen empfahl Abg. Gothein
iF. V.) als Berichterstatter eine Entschließung
auf Fortsetzung der bisherigen Zuschüsse zu den
Kosten der Papierbelieferung zu den Zeitungen
und ihre Ausdehnung auch auf Wochen und Mo-
natsblätter. Diese EMWietzung rrzujrd« (ange-
nommen.
Zu Beginn der dritten Lesung der Steuervor-
lage gab Abg. .Keil (Soz.) eine Erklärung ab, daß
die Sozialdemokraten der Kriegsabsabe im Wech-
selstempelgesetz, Reichsstempelgesetz, Gesetz gegen
Steuerflucht und Errichtung eines Reichsf'manz-
hofes sowie über die Schaumweinsteusr zustimmen
im übrigen aber Verbrauchssteuer ablehnen wer-
den. Graf Roedern dankte dem Hause für die
Mitarbeit und teilte mit, daß der Reichs-
finanzhof nach Südd-autschlanh ver-
legtwerden würde. Von dem Paragraphen 6a
der Umsatzsteuer (der Aktienumsatz-Stsmpel) würde
die Regierung in umfangreicher Weiss Gebrauch
machen. Dsbattelos wurden darauf alle Gesetze
mit Ausnahme des Branntweinmono-
pols in dritter Lesung angenommen.
Dieses, sowie die Kreditvorlage stehen
heute aus der Tagesordnung, sodatz nur eine kurze
Sitzung zu erwarten ist und der Reichstag sich
dann bis zum Herbst vertagen kann.

* Hcrtltirg, Hintze und Kuhlmann. Reichskanz-
ler Graf Hertling hat sich gestern abend wieder ins
Große Hauptquartier begeben. Herr v. Hintze
kehrt ebenfalls nach Kristiania zurück, um sich dort
zu verabschieden. Er wird dann vermutlich im
Lause der nächsten Woche die Geschäfte des Aus-
wärtigen Amtes übernehmen. Herr v. Kühlmann
hat sich bereits am Mittwoch von: Personal seines
Amtes verabschiedet und wird sich in einigen Ta-
gen auf sein bayrisches Gut begeben. Bis -um Ein-
tressen des neuen Staatssekretärs führt der Stell-
vertretende Staatssekretär Herr v. d. Bussche
die Geschäfts des Amtes.
Die schwedische Regierung schüttelt
Branting ab
Der schwedische Korrespondent der Neuen Züricher
Zeitung meldet: Die schwedische Regierung hat
dem deutschen Botschafter in Stockholm
gegenüber ihre bestimmte Mitzbilligung
gegen die Aussprüche, welche der schwedische Soria-
listenführer Branting in London getan bat,
ausgesprochen und ihr Bedauer n über Las Vor-
gefallene ausgsdrückt.

Die Zustände in den französischen
Provmzstädten
Aus dem L'Oeüvre vom 30. Juni: Zur Zeit
sind Tours, Bourges, Montlucon. Orleans, Cha-
teauvoux. Limoges und andere Städte mehr so
übexfüllt, das; man keine tausend Personen
mehr unterbringsn könnte. Und die Pariser und
Fremden strömen weiter den überfüllten Städten
zu. Natürlich gibt das zu den größten Unzuträg-
lichkeiten Anlaß. Sie finden nickst einmal, wo sie
sich betten können, geschweige denn, wovon sie be-
stehen könnten. Vielerorts, wie in Puy-de-Dome
und Lot fehlt es an Mehl — in Mont Dire und
in der Bourboule ist man auf halbe Ration ge-
setzt — wie soll man dort in der Lage sein, von
heut auf morgen hunderttausend neue Gäste auf-
zunchmen. Dabei kommen auch die Amerikaner
anund lassen sich in ihren Barackenstädten nieder.
Wir wollen hoffen, daß sich nicht dieselben Zu-
stände, wie in (Zensurlücke) wiederholen. Wenn
man in Bourges oder Limoges zu Dutzenden in ei-
nem möblierten Zimmer zusammenlebt, so ist
man dort weniger sicher als in Paris. Bei der ge-
genwärtigen Hitze ist für Kinder und Kranke dis
Gefahr für ihr Leben auf diese Weise jedenfalls
größer als in ihrem Keim in Varis. Die Einhei-
mischen aber müßen es sich gefallen lassen, daß ih-
nen die Wirt« kündigen. Die Pariser und die
Amerikaner zahlen uns Ehr- sagen diese edlen
Menschenfreunde. Nur die Ortsansässigen können
noch für 6 Franken im Gasthaus essen. Für dis
Pariftr und die Amerikaner sind die Mahlzeiten
zu festgesetzten Preisen «-geschafft, sie können nur
noch nach der Karte speisen. Der Präfekt von
' Haute-Vienne und der Bürgermeister von Limoges
drohen Strafen denjenigen Händlern an, die das
Pfund Erdbeeren mit 8 Franken verkaufen oder
sich ähnlicher lleberfordsrungcm schuldig machen.
Aber mit diesen Straferlässen hat es seine beson-
dere Bewandtnis. Warum soll man nicht 10 oder
lö Fr. Geldstrafe riskieren, wenn man unter der
Hand reich werden kann! Und uni di« Wohnungs-
kalamität zu illustrieren, diene nur noch dis Fest-
stellung, daß in zwei Departements erst diö nö-
tigen Schlafstellen für dis Polizeiorgane requi-
riert lverden mutzten, da es diesen trotz eifrigster
Nachforschung nicht gelungen war. eine Schlaf-
stelle ausfindig zu machen!
Finlands Regierung zur Monarchie
entschlossen
Der MttarMter des „Ssenska DaMadat" in
Finland meldet, Senator Settälä Habe jüngst
in Wiborg erklärt, es sei der sinWen Regierung
fast unmöglich, wÄtevzuarbsitön. Falls nicht in
.der allernächsten Zeit eins Entscheidung über die
Regierungsform getroffen werde, muffe sie ihre
Tätigkeit einstellen. In einer geheimen Konferenz
besprach die siwische Regierung mit dem Landtag
am Montag die zukünftige Regierungsform. Mi-
nisterpräsident Paasikivi teilte bei dieser Ge-
legenheit mit, die Regierung müsse die Annahme
einer monarchischen Staatsform zur
Kabinettsfrage machen. Dis Republikaner
im Landtag erklärten, das sei illoyal und forder-
ten, daß die Frage zum Gegenstand einer allge -
meinen Volksabstimmung gemacht werde,
vor deren Ausfall sich alle beugen würden.
„Der letzte Penny nicht mehr fern*'
Der ehemalige Chefredakteur des „Economtst",
Hearst, schreibt tm „Common Sense" über die
Kriegskrsdite, dis jetzt Lis auf 7,342 Millionen
Pfund gestiegen sind, und erinnert an Lloyd Ge-
orges Parole: „Ws -um letzten Mann und bis
-um letzten Penny!" Der letzte Penny, meint
Hearst, sei je tzt nicht mehrfern.

. * Die ungarische Wahlreform. Die Gesetzesvor-
lage über die Wahlreform wurde vom ungarischen
Abgeordnetenhause mit großer Mehvheit als
Grundlage der Einzelberatung angenommen.

Deutsches Reich
? Die Landgesellschaft Westmack, die die in El-
satz-Lothringen in Liquidation befindlichen Güte«
zum Schätzungswert übernehmen wird, um dort
„national zuverlässige" Leute anzusiedeln, ist in
mehreren Sitzungen des Hauptausschusses des
Reichstags eingehend besprochen worden. Aus der
Beratung ist bemerkenswert, daß eine Entschlie-
ßung Hautz fCls.) im ersten Punkt .gegen die
Stimmen der Konservativen, im zweiten Punkt
gegen die Stimmen der Unabhängigen .Sozial-
demokraten angenommen wurde. Diese Entschlie-
ßung lautet:
1. Den zwischen dem Reich und der Land'gesell-
schaft Wsstmark am 27. Januar 1918 geschloffenen
Vertrag aufzuheben, 2. der elsatz-lothringjschen
Regierung anhoimzugüben, die Gründung einer
elsaß-lothringischen Medlunssge --
feilsch« ft zu veranlassen die unter Wahrung
der berechtigten Landesinteressen den Erforder-
nissen dos Reiches entspricht. In der Abstimmung
wurde noch der Regierung als Material überwie-
sen eine Entschließung des Zentr.ums. die
den Reichskanzler ersucht, dafür -u sorgen., daß die
Satzung der Landgesellschaft Wchtmark dahin ab-
geändert wird, Latz süddeutsche, rheinlän-
dische und re ich ständische Interessenten
die Mehrheit des Stammkapitals er-
halten. daß in dem AuUichtsrat je ein Sechstel der!
Aufsichtsratsmitglieder aus vom Reichstag und
dom elsaß-lothringischen Landtag gewählten Ver-
tretern besteht, daß über die Tätigkeit der Gesell-
schaft dem Reichstag Bericht zu erstatten ist. daß
in erster Linie Süddeutsche unter Wah-
rung des konfessionellen Besitzstandes an gesie-
delt werden, und daß die Landesregierung in
Straßburg ein allgemeines, zeitlich unbefristetes
Vorkaufsrecht auf alle liquidierten Grundstücke
erhält.
Aus Vaden
Mannheim, 12. Juli. An Eroßbeirzogs Geburis-
tag wurden dem Kriegsinoaliden Wich. Braun.
Drillinge beschert. Die Mutter und die drei
Kinder — zwei Knaben, und ein Mädchen — befin-
den sich wohl.
Karlsruhe, 12. Juli. Das Unterrichtsministe-
r:liw beabsichtigt zur Heranbildung v i: n
Fortbildungsschulleherinnen einen
Ausbilderngs'urs zunächst für Lehrerinnen der
Holksschule einzurichten. Zugslassrn zu dem Kurs
werden Lehrerinnen, die die Erste oder die Höhere
Lehrerinnenprüfung bestanden haben und ein Jahr
lang im Schuldienst schon tätig waren. Der Kurs
ist auf die Dauer eines Jahres berechnet und wird
am Seminar des Bad. Frauenvereins -ur Heran-
bildung von Haushaltungslehrerinnen abgehalten
werden.
Engen, 12. Juli. Beim Broßherzogsfeuer der
Altdorfer Jugend auf Ernsthofen war der 15jäh-
rtge Max Matt vor dem Anzünden auf den Rei-
sighaufen geklettert, um oben Feuerwerk abmbren-
nen. Der Feuerwerkskörver explodierte und dis
Ladung ging -dem jungen Manne ins Gesicht; sr
wurde schwer verletzt.
Amoltern b. Kenzingen, IS. Juli. Kürzlich wur-
den Lei einem Landwirt 13 Zentner Getreide be-,
schlagnahmt und ins Rathaus verbracht. Bet Nacht -
stieg ein Dieb durch eine -erbrochene Fensterscheibe
ein und stahl 2(1 Zentner der beschlagnahm-
ten Frucht.
Radolfzell, 12. Juli. In Ueberlingen am
Ried hat der wegen einer Reihe schwerer Dieb-
stählte und Einbrüche verfolgte vorbestrafte Josef
Bieder m an tz, seit einiger Zeit in Singen an-
sässig, bei seiner gestern versuchten Verhaftung den
dortigen Polizeidiener Hermann Sont Heimer
erschossen. Ein auf den Vizewachtmeister
Hirz abgegebener Schub verfehlte, zum Glück sein
Ziel. Der Verbrecher entfloh dann in den nahe-
gelegenen Wald,
Insel Reichenau. 12. Juli. In dem jenseits des
Rheins gelogenen Crmatingen stürzte eine im
Bau begriffene 'Scheune ein, wobei drei Zimmer-
leute, darunter ein deutscher Internier-
ter. in die Tiefe gerissen und verletzt wurden.


Das Mannheimer Hoftheater
" 1917-18
Vom Berichterstatter der »Heidelberger Zeitung"
- Alfred Madern»
Nicht in Gruppen, wie das bei solchen Anläs-
sen vielfach üblich ist. will ich die in der vergange-
nen Spielzeit aufgesührten neuesten, neuen und
älteren Stücke zusammenfassen, sondern mit dem
ersten Theaterabend beginnen" und brav nochmals
Lurchhalten, mein zu verschiedenen Malen gespen-
detes Lob erneuern, mich zum zweiten Male M
anderen Anschauungen bekennen, wo ich es bereits
einmal tat, und die Bitte vornehmen, uns in der
kommenden Spiezeit mehr reife Kunst und weni-
ger »Zustände", krchßende Dichter vorzusetzen. die
schließlich durch nur eine Mißgeburt in die Welt
setzen.
Die verflossene Spielzeit stand zu gewissen
Zeiten unter ganz besonderen Zeichen
von keineswegs alltäglichem Ausdruck. Zu
ihrem Beginn war es das Fragment. Goethes
»Prometheus" und Grillparzers „Escher" wurden
einige Male gegeben und Evertbs sowie der nicht
gewöhnlichen Ausstattung wegen mit Beifall aus-
genommen. Mit Fuldas „Verlorener Tochter"
kam der erste Schwung ins Haus. Bevor die Leute
nicht tüchtig gelacht haben, besitzt der Theater-
besuch noch nicht den prickelnden Reiz, der bis zum
letzten Tage anzuhalien hat. Daraufhin glaubte
man. das Publikum für einen ernsten Stoff ge-
winnen zu können, täuschte sich jedoch mit Ky-
sers „Charlotte Stieglitz". Diesmal blieben
'Wirkung und Beifall beim Publikum Fragment,
ohne daß diese Erscheinung auf dis geistige Mit-
arbeit der Theaterbosmcher ein vorteilhaftes Licht
geworfen hätte; denn das Kyser,schs Schauspiel ist
nicht allein gedanklich, sondern auch technisch wert-
voll. Mit der ersten Vormittags-Aufführung „Ma-
ker Müller" kehrte das Fragment wieder aus die
Bühne zurück. Da man jetzt auch für dm geistigen
„Mittelstand" etwas tun mußte, wurde im Rosen-
garten „Das Ertemporals. der Schul-Schwank von
.Sturm und Färber gegeben., der sich vom

Spielplan nicht verdrängen ließ. In diesen; Tagen
trat das Hoftheater aus dem Zeichen des Frag-
ments in das der Kometen. Den längsten Schwanz
befaß sicherlich Hauptmanns „Florian Geyer"
aber er war am kürzesten zu sehen. In der Zeit-
die es brauchte, bis ein neuer Komet sichtbar
wurde, gelangte das erste Zugstück zur Auffüh-
rung, Wildes „Fächer", in der formvollendetM
Neuinszenierung Hagemanns.
Einer Märchenvorlesung war di» zweite Vor-
mittagsauWHrung gewidmet; dieser folgtd als
erste verdienstvolle Tat des neuen Jahres die
Neueinstudierung von Heb'bels »Gvses und sein
Ring". Dann kam der Komet! Seine Atmosphäre
hieß Exstase; wir lernten sie zum ersten Malo
kennen. Hasen clever durste uns seinen Most
„Der Sohn" kredenzen. Und damit wir den menen
Kometen ja nicht aus den Augen verlören, las
uns der Dichter zwei Tags später in einer flugs
improvisierten Vormittags-Aufführung, der 3..
seine „Antigone" vor. Mir hat das Werk eigent-
lich gefallen, wenn auch der „Kunstwsrt" fürchter-
lich darüber schimpfte. Doch ließ ick mich in Ha-
senclepers Kometenschweif deshalb nicht aufneih-
men. Andere blieben längere Zeit berauscht und
schlugen in diesen! Zustand den Wiener Brüll mit
seiner Rokoko-Komödie „Die kleine Königin" tot.
Im letzten Akt Lieb ich selbst nach ihm; zu bos-
haften Witzen gab das Stück fedock keineswegs
Anlaß. Das Rokoko-Milieu hat Brüll sehr gut
getroffen! Von Strindberg wurden wir zuerst
mit der „Mutterliebe" Und dem „Band" gequält.
Ein „Altdeutscher Lustspielabend" in Bearbeitun-
gen von E. L. Stahl, dem das PublittHn dis
wohlverdiente Anerkennung auch nicht restlos
zollte, und eins prächtige Aufführung der Haupt-
mannschen Diehskamödie „Biberpelz" mit Toni
Wittels als Gast, machten uns Lest grausamen
Nordländer vergessen, bis uns dte Wittels mit
beiden Teilen des „Totentanzes" an einem Abend
von neuem aufpeitschte. Der beliebte Gast 'brachte
als Gräfin Terzky auch Schiller zu Ehren. Das
Fragment kehrte in der vierten Vorimittags-Auf-
führung „Vergessene Dichter" wieder, die Lenz.
Grabbe und Büchner gewidmet war. Heller
Jubel und ein großer Erfolg, der dem Stück treu
blieb, begleitete die Wiederaufführung der Rae-

derschen Posse „Robert und Bertram," vom Inten-
danten neu inszeniert.
Dann aber La-men Tags, von denen wir sagen
müssen... .St er nhei-ms brutale Komödie
«Der Snob" hatte unbegreifltcherweise keinen The-
aterskandal zur Folge. Und der wäre dem deut-
schen Drama so heilsam. Maria Petri verdarb
Grillparzers „Medsa". Sie wurde gleich-
wohl für die kommende Spielzeit engagiert. Einem
^achtenswerten Gastspiel des Karlsruher Hosths-
aters, „Adam" von Nadel, wurde weder von
unserer Bühne noch vom Publikum die gebührende
Aufmerksamkeit geschenkt. Die Wedekind-
Gedächtnisfeier hinterließ auch keinen ein-
heitlich befriedigenden Eindruck, da der „Kammer-
sänger" nicht zu den Stücken gehört, die in unse-
rem Gemüt Moll-Töne aufklingen lassen.' Voll-
kommen kalt mußte man auch bei Kaisers »Ko-
ralle" bleiben. Wr lernten dieses Werk, das auch
mehr ein Zustand denn ein Drama ist. durch ein
Gastspiel s^s Frankfurter Neuen Theaters ken-
nen. Dig Rosengarten-Boucher erhielten einen
recht unzulänglichen Schwank »Die bessere Hälfte"
von Arnold und Bach vorgesetzt, auf oen sie
zugunsten der prächtigen Komödie „Flachsmann
als Edsher" von Otto Ernst recht bald ver-
zichteten. Im Hoftheater folgten drei Gastspiele
einander: Else Lehmann in »Biberpelz" und
Ibsens »Gespenstern"; Katharina Reichert auf
Engagement als Elisabeth in „Maria Stuart" —
mißlungen; Wegener als Othello und Holofernes
— zwei gewonnene Abende. Das interessante
Gastspiel der Münchener Kammetzspiele mit Jobsts
Grabbe-Drama „Der Einsame". Möllers wohlge-
lungsnes Lustspiel „Meine Frau, die Hofschau-
spielerin" und auch die letzte VetmittagsauMH-
rung „Arbeiterdichter", an dar Fritz Droop ver-
dienstvollen Anteil besaß, wurden durch eine böse
Stimmung schwer geschädigt, dis von der Auffüh-
rung des Romantischen Lustspiels »Leones Und
Lena" des bereits 1837 verstorbenen Georg Büch-
ner ausging. Das Haftheater hat knapp vor
Torschluß seinen Theaterffandal gehabt: zu viel
Ehre, die dem schwindsüchtigen. kuckevwässMigen
Spielchen erwiesen wurde. Wieso aber- eine
Opposition gegen dis Opposition einsetzen konnte,
muß Richtgdenkenden unverständlich: bleiben. Die

ungeheuerlichen Behauptungen, die zur Ehrenret-
tung des Stückes vorgsbrackt wurden, werden von
der Literaturgeschichte kalt läckelnd abgetan. Die
Literaturgeschichte hat immer bedauert, daß sich
Büchner, dessen Talent doch von wesentlich kräfti-
gerer Art war, zu einem so kunll- und würdelosen
Machwerk verirren konnte. Ohne die schönen Büh-
nenbilder und die „Einfälle" der Regie, zum ge-
ringsten Teile der unseren, wäre das Stück infolge
seiner unerträglichen Langweile auf Nimmer-
wiedersehen durchgefallen. Die vielgerühmte
Grazie stammt von Schneider und Dekorateur,
Deutsch erscheint es mir keineswegs, seine Fürsten
als Trottel hinzustellen. Heine, der nur Kritik
und die Mm Besten des Vaterlandes üben wollte,
ist man schön gekommen, Und auch von Meyrink
haben wir uns die Beschmutzung deutscher Art
entschieden verbeten. Gegen den spöttischen Hin-
weis. die Gegner von „Leonce und Lena" hätten
in dem Dichter einen modernen Vstfasser vermu-
tet. muß energisch protestiert werden. Um »Leonce
und Lena" handelt es sich überhaupt nicht, sondern
um brutale und geschmacklose Darstellungen aus
der Schaubühne. Beklagenswert die Zeit, in der
niemand dagegen aufstünde! Das Erscheinen Les
letzten Komstes war also mit einem kleinen Erd-
bebn verbunden. Nun herrscht aber wieder Ruhe,
und unter den letzten, dis in dieser Spielzeit über
die Mannheimer Bühne schritten, befanden sich
Lessing mit „Philotas," Kleist mit dem „Zerbroche-
nen K"rg" und Schiller mit „Wilhelm Tell".

Theater und Musik
Eins unbekannte Flsten-Sonate Bachs. Im
Nachlaß des 1892 verstorbenen Thomas- Kantors
Rust wurde auf der Amschlagseite eines seiner
Bach Manuskripte die Niederschrift einer Wöten-
Sonote entdeckt.- Der verstorbene Thomas-Kantor
Gustav Schreck schuf dmu tm Geiste Bachs die Ak-
kord-Harmonien. Während der letzten Mdtetto in
der Thomas-Kirchs wurde auf Anregung, des ge-
genwärtigen Thomas-Kantors Prof. Karl Straub«
das Werk durch den bekannten Flöteiimoister und
Kammervirtuosen Maximilian Schwedler erstmattA
aufgeführt. - ...
 
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