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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 17 - No. 25 (1. März - 29. März)
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licher Standhaftigkeit. Vielleicht niemals aber wird es
deren ſo viele gegeben haben, wie in der Periode der
„guten alten Zeit“, aus der ich das Folgende mittheilen
will, und niemals waren die bacchiſchen Anlagen und
Neigngen der Menſchenkinder ſo zur Kunſt ausgebildet
und in ſo reiches und ſinnvolles Ceremoniel gefaßt.
Was ich im Auge habe, iſt die Zeit, in welcher in
Deutſchland erſt neben, dann noch lange nach dem Hoſen-
teufel des Frankfurter Profeſſors Musculus der Sauf-
teufel Fürſten und Völker regierte; die den Ritter v.
Schweinichen ſeine Rieſentrünke thun ſah; die Johann
Friedrich den Großmüthigen die Schlacht bei Mühlberg
und mit ihr den Kurhut verlieren ließ, weil er — ſeien
wir artig gegen das Unglück — zu lange und zu tief
in den Humpen geſehen hatte, und die den Kurfürſten
Chriſtian II. von Sachſen den „Merſeburger Bierkönig“
nannte, kurz, die Zeit des ſechszehnten und ſiebzehnten
Jahrhunderts.
Die deutſche Welt hatte ſchon früher viel Durſt ge-
habt und nicht gern Durſt gelitten. Jetzt aber trank
ſie, wie von einer brennenden Seuche ergriffen, allent-
halben, namentlich aber im Norden und Oſten, Wein
und Bier in Strömen. „Es iſt leider ganz Deutſchland
mit Saufen geplagt“, ſchreibt Luther in ſeiner Zeitſchrift:
„Wider Hans Worſt“, die 1544 erſchien. „Wir predigen
und ſchreien darüber, es hilft aber leider nicht viel. Es

iſt ein böſes altes Herkommen im deutſchen Lande, wie

der Römer Cornelius ſchreibt, hat zugenommen und
nimmt noch zu.“ Und um dieſelbe Zeit ungefähr ſagt
der Reformator in ſeiner Auslegung des 101. Pſalms
reſignirt: „Es muß ein jeglich Land ſeinen eigenen Teu-
fel haben — unſer deutſcher Teufel wird ein guter Wein-
ſchlauch ſein und muß Sauf heißen.“
Das war durchaus keine Uebertreibung. Vornehm
und Gering zechte, daß ſich die Balken bogen; Weltlich
und Geiſtlich diente dem böſen Geiſte im Faſſe mit Saus
und Braus; Jung und Alt half den Keller leeren, ſo
weit der Beutel reichte und der Wirth borgte. Und was
ſchlimmer war, man rühmte ſich ſeines maßloſen Trinkens
und ſelbſt in den höchſten Kreiſen war es eine Ehre,
möglichſt viel Getränk in ſich hineinſchütten zu können,
und Pflicht und Erforderniß, ſein Licht in dieſer Be-
ziehung bei jeder Gelegenheit leuchten zu laſſen.
An den norddeutſchen Höfen, vorzüglich am Witten-
berger, und ſpäter, während des dreißigjährigen Krieges,
am Dresdener Hofe, verſchlang der hier faſt nie ſchwin-
dende Rauſch eine Menge höchſt nothwendiger Thatkraft
und zeitweiſe allen Verſtand. Der Sohn des erwähnten
Johann Friedrich, wie der Vater getauft, artete auch nach
dieſem. Seine Schwiegermutter ſeufzt in einem Briefe
an ihn, „möge doch Gott geben, daß er von dem Zu-
trinken einmal ablaſſe“, und ſpäter bittet ſie ihn, er
„wolle doch nicht ſtets zutrinken, damit er dadurch nicht
den Herrgott und ſeinen heiligen Geiſt von ſich treibe.“
Als Kurfürſt Friedrich von der Pfalz ſeinen Sohn Lud-
wig nach Neuburg zu einer Kindstaufe gehen läßt, ſpricht
er die Befürchtung aus: „Wenn mein Sohn nur vor
Herzog Albrecht zu Bayern und Herzog Chriſtoph zu
Württemberg, beiden meinen Vettern und Brüdern, des
Trunks halber kann geſund bleiben; denn dieſe beiden
Fürſten ſollen auch da ſein.!“ Für den andern Bruder
Hanns Caftmir aber fürchtet die Mutter, als er ſich zu
Ansbach aufhält: „Habe nur Sorge, der Markgraf werd'
mir ihn krank ſaufen.“
Der Adel eiferte ſeinen Fürſten, ſo viel er konnte
und mit beſtem Erfolge, nach. Ein guter Theil der ge-
lehrten Welt mit Einſchluß mehrerer von den berühm-
teſten Humaniſten, that nach Kräften deßgleichen. Selbſt
Viele von der Geiſtlichkeit machten keine Ausnahme von

der Regel, und es kam vor, daß Pfarrherren ihre Amts-

wohnungen zu Bierſchenken verwandelten. Dem Hof-
prediger und Superintendenten der Mark Brandenburg,
Johann Agricola, warf Luther ſein übermäßiges Bier-
trinken vor. 1561 legte der Schloßprediger Stigel zu
Gotha in einem Briefe an den Herzog zu Sachſen das
Bekenntniß ab, der leidige Satan habe, nachdem er 14
Jahre im Pfarramte geweſen, ſein Teufelsſpiel mit ihm
getrieben und ihn „zum Vollſaufen“ gebracht, beſonders
aber in den letzten ſechs Jahren, ſeit er auf dem Grim-
menſtein geweſen, ihm dermaßen zugeſetzt, daß er nun ent-
ſchloſſen ſei, Amt, Weib und Kind zu verlaſſen und nie
mehr nach Thüringen zurückzukehren. Er kam indeß,
nachdem er noch nicht weit gewandert war, wieder und
gelobte, in den nächſten zwei Jahren außer dem Abend-
mahl keinen Tropfen Wein zu trinken. Daraufhin wurde
er wieder zu Gnaden angenommen und hat hoffentlich
Wort gehalten. Noch von Dr. Selnecker, der 1592
ſtarb, hören wir über ſeine Amtsbrüder ſehr Unerfreu-
liches. „Sie gehen,“ ſagt er, „dahin, wie eine blinde
Kuh, wo ſie ihres Herzens Luſt hintreibt, zur Völlerei
und gutem Schlampamp“ — „in den Sünden, die ſie
am meiſten ſollten ſtrafen, Ehebruch und Sauferei, ſtecken
ſie bis an die Ohren.“
Beiſpiele endlich, daß Geiſtliche es nicht für einen
Raub hielten, den Schenkwirth zu machen, werden 1549
in einem Erlaß des Kurfürſten Moriz an den Super-
intendenten Buchner zu Oſchatz, unter dem der Betreffende
die Pfarre zu Grödel innehatte, und in demſelben Jahre
durch eine Mahnung an das Conſiſtorium zu Meiſſen,
unter welchem der Paſtor in Rieſa in der gedachten är-
gerlichen Weiſe das Decorum verletzt hatte, gerügt und
als unzuläſſig bezeichnet.
Ueberall war der Dämon des Zechens ein will-
kommener Gaſt und anerkannter Vorſitzender. Bei den
Commerſen der Studenten hörte man ihn ſingen:
Codre, caput tibi fumat, ö
Ne quis ignis te consumat,
Stingue mero citius.*)

(Fortſetzung folgt.)

Verſchiedenes.

— Nachterſtedt (bei Aſchersleben), 1. März.
Am heutigen Tage bot ſich den Bewohnern unſeres Dor-
fes das ſeltene Schauſpiel einer ſogenannten Fata Mor-
gana. Zur Orientirung iſt vorauszuſchicken, daß unſer
Dorf auf dem Höhenrücken liegt, der auf der einen Seite
eine größere, etwa eine halbe Stunde breite Wieſenfläche
einfaßt, die „See“ genannt, welche auf der andern Seite
von einem ähnlichen Bergrücken umſäumt wird. Unſerem
Dorfe genau gegenüber liegt etwa in gleicher Höhe das
Dorf Schadeleben. Die dazwiſchen liegende Wieſe bietet
ſonſt eine grüne Grasfläche, iſt aber gegenwärtig durch
den Waſſerreichthum dieſes Jahres bis auf einige Damm-
erhöhungen faſt ganz von einem Waſſerſpiegel bedeckt.
Heute Morgen nun etwa um 10 Uhr konnte man be-
obachten, wie in einer Entfernung von etwa 10 Minuten
das Dorf Schadeleben ſich in den Wäſſern abſpiegelte,
doch war die Spiegelung eine matte und nichts Un-
gewöhnliches bedeutende, da die Häuſer in umgekehrter
Richtung, d. h. wie man ſagt, „auf dem Kopfe ſtehend“,
geſehen wurden. Allmälig aber änderte ſich das Bild.
Es ſchien, wie wenn die Häuſer ſich drehten, das Bild
wurde klarer, die Häuſer gewannen ihre normale Stellung,
die Dächer waren nach oben gerichtet. Nur der Kirch-

*) Kodrus, Dir raucht der Kopf; daß kein Feuer Dich ver-
zehre, löſche flugs mit Wein.
 
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