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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 26 - No. 34 (1. April - 29. April)
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— 126 —

er hat ſeinen Fluch von ihrem Haupte zurückgezogen, er
hat ihr, noch ehe er die heiligen Sterbſacramente empfing,
vergeben. Wir aber, ihre Geſchwiſter, verzeihen ihr nicht,
wir ziehen unſere Hand von ihr ab. Nie ſoll ſie mehr
mit uns Gemeinſchaft haben, nie unſere Schwelle, nie
eine Scholle unſeres Ackers betreten. Sie mag als Bett-
lerin auf der Landſtraße ſterben, denn ſie hat unſern
guten Vater getödtet!“
Arme kleine Céline, ſo jung, ſo anmuthig und durch
deine eigene Thorheit ſchon ſo unglücklich! Aber mögen
die Geſchwiſter dich mit Verachtung ſtrafen, dich mit
Haß verfolgen — der ſterbende Vater hat dir verziehen,
Vergebung wird dir auch der Himmel angedeihen laſſen.
Der Himmel weiß, daß du nicht ſo tief geſunken biſt,
als die Menſchen, als deine Brüder, deine Schweſtern
wähnen!
Als Alfred von Noirmont ihr in glühenden Worten
ſeine Liebe vorſtammelte, als Celine dem jungen ſtrahlen-
den Oſſizier das, was ſie unter Gegenliebe verſtand, be-
kannte und Beide die Flucht aus Marcilly verabredeten,
waren Beide ſchuldlos, unerfahren in der Liebe und im
Leben. Die jungen Köpfe ſtrotzten voll abenteuerlicher,
wunderſamer Ideen. Céline zumal war wie ein aus
dem Neſte entwichenes Vögelchen, welches zum erſten
Male ſeine Schwingen regt, von Aſt zu Aſt und weit
hinaus voll Sehnſucht in die blaue Luft emporſtreckt.
Sie war überzeugt, daß Alfred wie ein Prinz aus jenen
Zaubermärchen, welches ſie verſtohlen geleſen, ihr ſteter
und großmüthiger Beſchützer ſein, jeden ihrer Wünſche,
noch ehe ſie ihn ausgeſprochen, erfüllen und treu und
rechtſchaffen ſie auf der bunten blumigen Bahn ins Leben
geleiten werde. Er hatte es geſchworen — ſie vertrauete
ſeinem Worte, daß er nach wenigen Wochen, ſobald die
franzöſiſche Armee ſieggekrönt aus Berlin zurückgekehrt,
ſie in das Schloß ſeines Vaters einführen, und daß der
Hauscaplan alsdann den Segen über ihren Bund aus-
ſprechen werde. Wie würde Vater Sulpiee erfreut ſein,
wie gern würde er ihr verzeihen, hoffte ſie, wenn ſie
alsdann ſtrahlend vor Wonne und Glück als Frau von
Noirmond nach Marcilly zurückkehrte. —
Als der Sergeant mit ſeiner Schreckensnachricht wie-

der zum Regiment ſtieß, warf Céline zum erſten Male

einen klaren Blick auf ihre Lebensbahn. Sie erkannte,
daß ſie am Rande des Abgrundes, ein argloſes Kind,
mit Blumen geſpielt hatte. Die Botſchaft ihres Bruders
Leon, welche der Sergeant wörtlich ausrichtete, erhellte
wie ein Blitzſtrahl die Nacht dieſes Abgrundes und zer-
ſchmetterte mit einem Schlage die verlockenden phan-
taſtiſchen Gebilde, die goldenen Luftſchlöſſer der jungen
Träumerin.
Vergeblich ſuchte Alfred die gänzlich Niedergebeugte
wieder aufzurichten. Bis dahin hatte ſie das Lachen und
den feinen Spott der Kameraden Alfreds über die ſüße
Bürde, welche derſelbe mit ins Feld genommen, leicht er-
tragen, weil ihr das Verſtändniß dafür fehlte. Jetzt
erwachte ihr Argwohn bei jedem, auch freundlich ge-
äußerten Worte. Kummer und Reue nagten an dem
jungen Herzen.
Sie wollte zurück nach Marcilly, ſie wollte ſterben,
ſterben an dem Grabe des Vater Poirot.
Aber Alfred hielt ſie mit ſanfter Gewalt zurück.
Er ſtellte ihr die Schmach, die ihr in der Heimath durch
den Haß der Geſchwiſter, durch die Verachtung aller Be-
kannten bevorſtehe, lebendig dar. Er wiederholte ſeinen
Eidſchwur — er ſchwur, ſelbſt in dem erſten beſten Ge-
fechte den Tod zu ſuchen, wenn ſie ihn verlaſſen würde.
Hätte ſie Alfred nicht gehabt und wäre ſeiner Liebe
nicht gewiß geweſen, ſo wäre Céline in Verzweiflung un-
tergegangen. Aber Alfred's Treue ſprach deutlich und

Schlaglichter auf die Zuſtände

unverkennbar aus jedem ſeiner Blicke. Er wich nicht
von ihrer Seite, er ſuchte ſie aufzuheitern und war um
ſie mit der zärtlichſten Sorgfalt bemüht. Hatte er Abends
für ſie das beſte und behaglichſte Quartier beſchafft, dann
zog er ſich ſelbſt beſcheiden und achtungsvoll zurück —
jedoch nicht zu weit, um ſtets zu ihrem Schutze bereit
zu ſein. Ein Druck der Hand, ein freundlicher Blick
war Alles, was ſie ihm gewährte — Alles, was er ver-
langte und was ihn beſeligte. ö
Alfred ſchrieb aus dem Felde an ſeinen Vater auf
Schloß Noirmont, er bekannte ihm ſeine und Célinens
Lage; er beſchwor ihn Cöline bei ſich aufzunehmen und
fügte die Verſicherung bei, daß an Cölinens Beſitz ſein
Glück und ſein Leben hange. ö ö
Alfred war ein leichtſinniger, aber ein Menſch von
eben ſo großmüthigen als wahrhaft edlem Herzen. Seine
Kameraden wußten das und achteten ihn deshalb. Für
ſeine Freunde hätte er die letzten Centimes hergegeben.
Er nahm Theil an allen Jugendthorheiten; kein Wage-
ſtück, kein toller Streich war ihm zu arg. Er war ver-
ſchwenderiſch ohne Maßen, aber ein gegebenes Wort hielt
er unverbrüchlich. Er hatte Célinen gelobt, ſie rein und
heilig zu halten, dis er vor Gott und der Welt ſie ſein
Weib nennen könne. Er lehnte die Neckereien ſeiner
Kameraden mit einem Hinweis auf dieſen Eidſchwur ab
und ſie verſtummten nach und nach, wenn ſie für ihre
Perſon auch das Verhältniß unbegreiflich fanden.
Alfreds uneigennützige Liebe ſänftigte den Kummer
Célinens. Sie beſchloß, bis die Nachricht von Alfreds
Vater eingehen würde, ſich nicht von ihm zu trennen.
Die Jugend, welche leicht vergißt, machte ihr Anrecht

wenig geltend, aber der Wechſel des bewegten unſtäten

Lebens wirkte, bald hier bald dorthin führend, betäubend.
So gingen die Marſchtage hin zwiſchen Luſt und Klage,
zwiſchen Sonnenſchein und dunklem Schatten.
Um ſtets an Alfreds Seite bleiben zu können und
in der Fortbewegung nicht behindert zu ſein, hatte Céline
Männerkleidung angelegt. Sie ſah in ihrem ſchmuckloſen
grauen Anzug wie ein reizender Knabe von zwölf Jahren
aus, aber ſie taumelte ihr Roß, wie der erfahrendſte
Reiter. — ö
(Fortſetzung folgt.)

Eint Pavoritin Friedrichs des Großen.
Im Verein für die Geſchichte Berlins gab in den

jüngſten Tagen Geh. Rath Schneider ein charakteriſtiſches

Lebensbild der Tänzerin Barbarina, dieſer Favoritin
Friedrichs des Großen, indem er zugleich intereſſante
der damaligen Zeit
fallen ließ.
Die Tänzerin Barbara Cambanini trat zum erſten
Male am 12. Mai 1744 in Berlin auf dem damaligen
Schloßtheater aufz es hatte aber nicht wenig Mühe ver-
urſacht, ſie dorthin zu bringen. Sie hatte ſich zwar ſchon
im Jahre 1743 förmlich engagiren laſſen für Berlin;
da aber der Contract mit der Unterſchrift des Königs
auf ſich warten ließ, ſo ward ihr die Sache offenbar
leid, und ſie erklärte plötzlich, ſie werde nicht kommen,
denn ſie habe ſich verheirathet und ihr Gemahl Lord
Stuart de Mackenzie litte nicht, daß ſie auftrete. Jetzt
war die Noth groß, Friedrich verlangte, daß die Republik
Venedig ihm die Tänzerin ausliefere und belegte, als
dieſe ſich weigerte, Pferde und Equipagen eines durch
Preußen reiſenden venetianiſchen Geſandten mit Beſchlag.
Jetzt war die Republik bereit, den König zu befriedigen
und der Graf Dohna in Wien erhielt den Auftrag, „dieſe
Kreatur nach Berlin zu ſchaffen.“ Dohns entſendete
 
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