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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 26 - No. 34 (1. April - 29. April)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 34.

Samſtag, den 29. April

1876.

Bie Gruft von Steffendorf.
Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)

Als Celine allein gelaſſen war, ſchob ſie die ſchweren
grünen Vorhänge zurück und öffnete das Fenſter. Das-
ſelbe gewährte einen weiten Ausblick über die Duͤcher
der Stadt und ſtellenweiſe auch das freie Feld. Von
den deutlich in Grau ſich abhebenden Hügeln herüber,
hinter denen Sedan lag, leuchteten die Flammen wie
Nordlichtſchein. Ein Brauſen und Sauſen tönte dort
herüber, und wenn der Nachtwind kreiſchend in die
Wetterfahne griff und um die hohen Giebel der Nach-
barhäuſer rauſchte, glaubte Celinens aufgeregte Phantaſie
dazwiſchen Aechzen und Wehlaute unterſcheiden zu können.
Sie ſchauderte zuſammen und hob ihre großen blauen
Augen zu dem Nachthimmel empor. Dort blinkten durch
die zerriſſenen Wolken unwandelbar, ſtill und gleich-
förmig die Sterne. Dann ſchloß ſie das Fenſter.
Neben dem Bett in einer weißen Wandniſche ſtand
das Bild des Gekreuzigten. Vor ihm warf Celine ſich
nieder. Der Frieden, welchen der Anblick des geſtirnten
Himmels dem ruheloſen Herzen nicht gewähren konnte,
den verlieh ihm das kleine aus Elfenbein geſchnitzte Bild
des am Kreuze geſtorbenen edlen Dulders. Getröſtet er-
hob ſich Celine vom Gebet. Sie entlleidete ſich ſchnell,
nachdem ſie den Riegel vor die Thür geſchoben, und kaum
daß ihre zarten weißen Finger die ſilberne Löſchkapſel über
das Stearinlicht geſetzt, als auch ſchon die Natur ihr
Recht genommen hatte. Nach ſoviel aufregenden und
qualvollen Stunden löſte ein tlefer, wohlthätiger Schlaf
die Bande des wachen Lebens und kräftigte durch traum-
loſe Ruhe zu neuen Anſtrengungen.
Celine ſchlief bis tief in den Tag hinein. Als in-
deß die erſten Sonnenſtrahlen ſchräg gegen das Fenſter
fielen, wurde ihr Schlummer unruhig. Sie warf ſich in
den Kiſſen umher, ihre alabaſterweißen Arme ſtützten
bald rechts, bald links den Kopf; ihre Lippen bewegten
ſich zu angſtvollen Seufzern. Der Traumgott führte ſie
in einem großen, mächtigen Saal, erleuchtet durch viele
gluthrothe Fackeln, welche an den kurzen, dicken Säulen
in eiſernen Ringen ſtanden. Wunderbare große Geräth-
ſchaften verſtellten den Raum, Retorten, Keſſel von ſelt-
ſamer Bildung, große Fäſſer von Kryſtall mit rother
Flüſſigkeit gefüllt, ſtanden überall umher. Plötzlich be-
gann ſich Alles zu beleben. Die Stempel in den Retorten
ſchoben ſich auf und nieder, die Räder ſchwangen ſich
herum, die Ventile dampften. Aus jedem Gefäße tauchte
eine häßliche gnomenhafte Geſtalt empor mit aſchfahlem
Geſicht und blutunterlaufenen Augen. Die in allen Ge-
fäßen enthaltene rothe Flüſſigkeit begann zu ſieden, über-
zulaufen und zu ziſchen. Sie hob ſich immer höher, die
Keſſel und Retorten ſchwammen in ihr umher. Mit
einemmale ertönte eine Stimme: Er kommt! Aus dem
Hintergrunde des Saales ſchoß ein blendender Lichtſtrahl
über die rothe Fluth. Eine Brücke wie von Regenbogen-

farben gebaut, entſtand aus dem Lichtſtrahl, und auf
der Wölbung dieſer Brücke ſtand eine Geſtalt, nach wel-

cher die Träumende ſehnſuchtsvoll ihre Arme ausbreitete.

„Alfred?“ flüſterten die Lippen Celinen's. — Ja!
er war es, der ihr im Traume erſchien. Ein ſeliges
Lächeln verklärte ihr Antlitz. So ſchön war er noch nie
geweſen. Himmliſche Klarheit leuchtete aus ſeinen Zügen;
er blickte mit großen Augen zu Celinen herüber; ſeine
Geſtalt war ſchlanker und größer, ſeine Haut klarer und
durchſichtiger als ſonſt. In der weißen rechten Hand
hielt er eine prachtvolle rothe Roſe, die er Celinen
reichte. Als ſie danach griff, zerbrach der Stengel, drei

ſchwere Blutstropfen floſſen langſam aus dem Blüthen-

kelche und färbten die Hand Celinens. Sie wollte mit
der linken Hand dieſe rothe Farbe von der rechten ab-
wiſchen — — — — dabei erwachte ſie. In dieſem
Augenblicke ſchlug die Thurmuhr der Marktkirche die
ſiebente Morgenſtunde. Celine zählte die Schläge und
ſank dann ermattet abermals in das Kiſſen zurück.
Erſt gegen neun Uhr erſchien ſie unten im Familien-
zimmer. Eine namenloſe Angſt trieb ſie hin und her.
Sie eilte auf den Markt und vor das Thor, um Neuig-
keiten einzuſammeln. Niemand wußte, was vorging.
Man hörte deutlich das dumpfe Getöſe der Schlacht, noch
deutlicher, wenn man das Ohr an die Erde legte. Die
Meiſten hofften, daß die Preußen geſchlagen würden.
Gruppen, in denen die verſchiedenſten Meinungen vor-
getragen wurden, ſtanden hier und da zuſammen. Ein-
zelne junge Männer ſchwangen ſich auf Pferde und
ritten in der Richtung nach Sedan aus, um Nachrichten
einzuziehen.
Zerſprengte Flüchtlinge kamen gegen Mittag unter
preußiſcher Bedeckung an. Sie ſchienen niedergeſchlagen,
wußten aber etwas Beſtimmtes nicht anzugeben. Später
wurden dieſe Gefangenenzüge zahlreicher. Einzelne Ver-
wundete ſchleppten ſich durch die Stadt. Bald kamen
Wagen mit Leichtbleſſirten im ſauſenden Galopp durch
die Stadt geſprengt.
Mit dem hereinbrechenden Abend flüchteten ganze
Bataillone ſeitwärts an der Stadt vorbei. Sie waren
hungrig, durſtgequält und ſtaubig. Man eilte herbei ſie
zu erquicken. Viele ſanken erſchöpft auf dem Straßen-
pflaſter nieder. Andere verkrochen ſich in Ställen oder
Kellern. Die meiſten ſuchten, nachdem ſie die Nähe der
Preußen erfahren, ihr Heil in der ſchleunigſten Fort-
ſetzung der Flucht. Hinter ihnen her ſtürmten, die
Lanzen gefällt, preußiſche Ulanen mit Hurrah! und
Viktoria!
In der Stadt niſtete die Kunde von der verlorenen
Schlacht ſich ſcheu wie ein unheimliches Geſpenſt von
Haus zu Haus ein. Man wisperte von dem Tode Mae
Mahons, und man brachte es kaum über die bebenden
Lippen, daß der Kaiſer Napoleon gefangen ſei. Tauſende
von ſchrecklich verſtümmelten Leichen, erzählten die zuletzt
Heimgekehrten, füllen das Feld um Sedan. Tauſend
blutrothe Franzoſenleiber dqaaͤmmen die Maas zu, in der
Feſtung ſind die Gräben und Straßen vor Sterbenden
und Todten nicht zu paſſiren. ö
 
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