Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1876

DOI chapter:
No. 26 - No. 34 (1. April - 29. April)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0142

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
In dieſer Aufregung hatte man im Hauſe des Ad-

vokaten auf Celine Poirot nicht geachtet. An regelmäßige
Familienzuſammenkünfte zu den ſonſt üblichen Tages-
zeiten bei dem Mittagstiſch und bei dem Abendeſſen war
nicht zu denken. Es fiel nicht auf, daß Celine ſich nicht
einfand. Erſt als der Friedensrichter mit ſinkender Nacht
heimkehrte, und das, was er draußen erfahren hatte,
umſtändlich mitgetheilt, erinnerte er ſich des ihm anver-
trauten Schützlings. Er forſchte nach ihrem Verbleib.
Allein als Niemand ihm Auskunft geben konnte, beruhigte
er ſich mit dem Gedanken, daß Celine irgend eine be-
freundete Perſon angetroffen haben könnte und in Sicher-
heit ſein werde.

*
*

Grauenvoll war der Anblick, welchen das Schlacht-
feld von Sedan darbot.
Als die Nacht des zweiten September heraufzog
und Hügel, Feld und Fluß mit ihrem grauen Mantel
deckte, lag noch die größte Anzahl der gefallenen Opfer
unbeſtattet. Die von dem kühler werdenden Erdboden
aufſteigenden feuchten Dünſte waren mit Brandgeruch
erfüllt. Der Rauch, der von den niedergebrannten Ort-
ſchaften herüberſchlug, zog in Streifen athembeklemmend
und greifbar über das Gefild. Die Maas trieb noch
mit Leichen. Haufenweiſe lagen in der Ebene die Ge-
fallenen zuſammengeſchichtet mit beſchmutzten Uniformen,
verzerrten Zügen, weit aufſtarrenden Augen. Von dieſen
Haufen und den Cadavern der gefallenen Pferde ſtrömte
der Leichengeruch aus. Zerſchoſſene Protzen, zertrümmerte
Wagen und Fuhrwerke anderer Art füllten die Wahlſtatt,
behangen mit Fetzen von Kleidung, mit den Ueberbleibſeln
zerriſſener Menſchenleiber. Blutlachen dünſteten ihren
giftigen Athem aus.
Dennoch war ſchon im Laufe des Tages gearbeitet
worden, um die zerſtreuten Waffen zu ſammeln, um die
getödteten Menſchenleiber zu beſtatten. Aber unter den
Haufen der zuſammengetragenen Körper wimmerten auch
noch Lebendige. Aus ſchwerer Betäubung erwacht, reck-
ten ſie zerſchoſſene Arme hilfeſuchend — oft vergeblich
empor.
Die ſchwere Arbeit der Liebe begann und ſuchte den
Fluch des Haſſes zu tilgen. Hier und dort bewegte ſich
in ſpaͤter Stunde noch ein Fuhrwerk, mit dem rothen
Kreuze gezeichnet, ſchattenhaft über das Gefild. Einzelne
Geſtalten wankten von jener Stätte des Verderbens zu
dieſer, ſei es, einen vermißten Freund zu ſuchen, ſei 2s,
um ſich herabzubücken und aus der Feldflaſche den brennen-
den Lippen aufgefundener Schwerverwundeter ein armes
Labſal einzufräufein oder — nach langen qualvollen
Stunden — den erſten Verband den Wunden anzulegen.
Graue Schweſtern begleiteten die Aerzte und die Kranken-
trägercompagnien. Ihre Laternen flimmerten wie Irr-
lichter über die Ebene, Irrlichter, aus Blut und Moder
ihr flackerndes Licht ſaugend.
Stille begann herabzuſinken. Nur der dumpfe Laut
eines rollenden Wagens, der ferne Ruf der Wachen
machte ſich neben dem Gekreiſch einer Schaar Raben
hörbar, welche, von den Ueberreſten einer großen Menge
verendeter Pferde aufgeſcheucht, geſpenſterhaft durch die
Lüfte flatterten.
Drüben, jenſeits des verſiegten Baches, wo, dem
ausgetrockneten Bette folgend, eine Weidenreihe ſich ent-
lang zog, lag Mann bei Mann. Die rothen Hoſen, die
gelben Aufſchläge auf den blauen Uniformen, die zer-
ſtreuten Käppis zeigten, daß eine franzöſiſche Abtheilung
hier nach tapferer Gegenwehr faſt gänzlich aufgerieben
war. Hinter jedem Baume eine Leiche, das Chaſſepot-

134

gewehr noch in der Fauſt oder dicht neben dem Getödteten
am Erdboden. Sie lagen ſtarr und ſtumm in den ver-
ſchiedenſten Stellungen. Weiterhin fanden ſich Gruppen
von zehn und zwölf Leichen, bis zur Unkenntlichkeit ent-
ſtellt, im Kreiſe, rauchgeſchwärzt, blutigroth wie die Blätter
einer vom Sturm jählings zerflückten Roſe, deren Zu-
ſammenhang noch nicht vollſtändig verweht iſt. Ein ein-
ziger Granatſchuß hatte, in ihrer Mitte einſchlagend, ſie
ſaͤmmtlich getödtet.

(Fortſetzung folgt.)

Bie Runſtgewerbe-Ausſtellung zu München,

welche am 15. Juni 1876 beginnt und den Sommer
und Herbſt über beſtehen bleibt, nimmt ſeit Monaten das
Intereſſe aller deutſchen Blätter in Anſpruch. Der Glas-
pallaſt in Bayerns Hauptſtadt, von wo das Kunſtleben
der neueren Zeit ausging, hat bereits 1854 die allge-
meine Induſtrieausſtellung, 1859 die große hiſtoriſche und
1869 die internationale Kunſtausſtellung geſehen und
iſt der hiefür geeignete Rieſenbau. Alle Deutſchen, auch
in Oeſterreich und der Schweiz, ſind dazu eingeladen,
ſelbſt nach Belgien und England ergeht der Ruf hinüber
— was deutſche Kunſtarbeit — zur Expoſition ein-
zuſenden.
Der Architecten- und Ingenieurverein will mit be-
theiligt ſein; ſämmtliche Kunſtgewerbe-Schulen liefern die
Proben ihrer fortgeſchrittenen Leiſtungen ein, und die Be-
ſucher aus allen Welttheilen werden hoffentlich mit uns
aus Alldem einige Belehrung ſchöpfen.
Eigentlich will das neue Deutſche Reich, mit ſeinen
deutſchen Bruderſtämmen ſich ſehen laſſen. Das Kunſt-
gewerbe iſt in den Reformationsſtürmen und dem dreißig-
jährigen Kriege auf heimiſchem Boden niedergegangen
und die Technik hat ſich mit der Blüthe des Städtelebens
verloren. Das deulſche Volk will nun zeigen, daß es
wieder etwas gelernt hat; es möchte anknüpfen an das
15. und 16. Jahrhundert, wo es im Kunſtgewerbe die
benachbarten Nationen nahezu überflüelte, an die Zeit
eines Albrecht Dürer, der in allen Fächern Meiſter und
Erfinder war, an Adam Krafft, Freyelin, Seiſenhöſer
u. A., an die berühmten Schwertfeger und Künſtler im
Schmiedewerk und Panzerarbeit, Harniſch und Platten-
rüſtung, in Email und Drahtzug, in Gold- und Silber-
geſchmeide, Kunſtguß und eingelegtem Metallgeräth, Me-
daillen und getriebener Arbeit, Aetz- und Schabkunſt.
Welch' reichen Vergleich zwiſchen dem, was man früher
verſtanden und jetzt leiſtet; zwiſchen Fort⸗ und Rückſchritt
wird die Menge von Gefaßen und Kaſſeten, Lampen und
Luſtern, Kunſtdrechſelei und Ornamentſchnitzerei, Käſten,
Marmor⸗ und Holzmoſaik, Teppichen und Ledertapeten,
Farbendruck und wundervolle Buchbinderarbeiten, Per-
gamentmalerei und Perlmutterfach, Steinplaſtik und Ter-
racotten aus alter und neuer Zeit, ein richtiges Urtheil
geſtatten. ö
Nur Gediegenes wird zur Anſchauung gebracht und
dem Künſtler wie dem Kunſthandwerker ſoll gebührende
Ehre zu Theil werden.
800 Maler ſind bereits angemeldet.
Aus Dresden, wo Pfotenhauer, Hauſchild und Graff,
wie in Leipzig Nieper ſich's angelegen ſein laſſen, ſind
die deutſchen kunſtgewerblichen Arbeiten des grünen Ge-
wölbes — Werke von Jamnitzer u. A. ebenſo zugeſichert.
Dieſe von Seite der k. ſächſiſchen Regierung der Muͤnchener
Ausſtellung erwieſene Ehre kann gar nicht hoch genug
angeſchlagen werden. Ebenſo geſichert die Eiſendungen
all des Schätzbarſten von der Veſte Koburg, aus den
 
Annotationen