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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 87 - No. 95 (1. November - 29. November)
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Wirbel auf den Taſten, der junge Mann eine Compo-

ſition für das bekannte Compliment der Roſe an die
Nachtigall — und Valeska erröthete, obgleich ſie ganz
allein war. ö
Dann aber fiel ihr ſchwer auf's Herz, daß nun eine
Einladung an den Fremden durchaus nothwendig gewor-
den ſei, um ſie nicht, ihrer Zurückhaltung wegen, zum
Gegenſtand ſeiner Vermuthungen zu machen. Sie glättete
ein wenig das Haar und ſah nach, ob nicht die Augen
eine zu deutliche Thränenſpur zeigten, dann ſchickte ſie
daß Dienſtmädchen zu Herrn Böhm und ließ ihn bitten,
jetzt ſeine Antrittviſite zu wiederholen. ö
Es war mittlerweile Dämmerung geworden und ſo
warm, daß Valeska die Fenſterflügel öffnen mußte. Sie
hörte den jungen Mann eine laute Antwort geben, aus
deren Tonfall ihr, obgleich die Worte unverſtändlich blie-
ben, doch die eifrige Bejahung entgegenklang und verließ
daher ihren Nähtiſch, anſtatt deſſen abſichtlich auf dem
Sopha Platz nehmend, um den neuen Hausgenoſſen mehr
in der Weiſe der Dame als der Hausfrau zu empfangen.
Fernerer Umgang war ihr ja aus naheliegenden Gründen

unerwünſcht und konnte nur beſchämende Eventualitäten

herbeiführen.
Nach kaum fünf Minuten, in welcher Friſt ſie den
jungen Mann hin und hergehen hörte und das bemerk-
bare Herausziehen verſchiedener Schubfächer ihr zeigte,
wie viel Sorgfalt er auf ſeine Toilette verwendete, klopfte
er an die Thür. Valeska rief „Herein!“ und erhob ſich
für einen Moment, um dem Fremden den Platz an ihrer
Seite zu bieten.
Er trat der Dame vom Hauſe unbefangen näher,
bis beide einander unmittelbar gegenüberſtanden, dann
aber griff Valeska plötzlich nach der Lehne des Sopha's,
wie um eine Stütze zu ſuchen. Der junge Mann hätte
faſt einen Ruf der Ueberraſchung ausgeſtoßen, nur mit
größter Mühe zwang er ſich, äußerlich ruhig zu bleiben.
Einen Augenblick ſtanden ſich die beiden, deren neu-
liches Zuſammentreffen an den Ufern der Trave ein ſo
eſltſames Geheimniß zwiſchen ihnen bildete, vollkommen
faſſungslos, ſtumm gegenüber, dann raffte der Fremde
feinen ganzen Muth zuſammen und ſagte ſo gleichgültig
als ihm irgend möglich war einige Worte, deren präciſer
Zuſammenhang freilich bedeutend zweifelhaft blieb. —
Valeska zitterte ſo bemerkbar, daß er nicht umhin konnte,
ein inniges Mitleid zu empfinden und das Verhängniß,
welches ihn von allen Häuſern der Stadt gerade in
dieſes führte, kräftigſt wenn auch ſtillſchweigend zu ver-
wünſchen. Es mußte ja der jungen Frau in jeder Mi-
nute neue peinliche Verlegenheit bereiten, ſo Wand an
Wand, in nächſter Nähe mit dem zu leben, der ihr trau-
riges beſchämendes Geheimniß kannte; aber ein offenes
Wort zu ſprechen, ſchien ihm indiscret, er wollte lieber
ſchreiben und ſchon folgenden Tages ausziehen. Vor der
Hand jedoch mußten einige Phraſen gewechſelt werden,
während doch alle Sallontalente ihn und ſie im Stiche
ließen, während er ſehr roth und ſehr verlegen die Hand-
ſchuhe emporſtrich, als beabſichtige dies harmloſe Ziegen-
leder auf myſtiſche, noch nie dageweſene Art, eigenmächtig
von ſeinen Fingern zu flüchten — während Valeska,
bleich wie eine Todte, unfreiwillig in die Kiſſen des
Sophas ſank und dem jungen Manne winkte, neben ihr
Platz zu nehmen.
„Da ſoll doch!“ — dachte er voll Grimm, „iſt man
denn plötzlich ganz einfältig geworden? — Arme Frau,
ich kann ja nicht dafür!“
Das rege Mitleid gab ihm den verlorenen Halt in
etwas zurück, die Hand der Dame ehrerbietig an ſeine
Lippen ziehend, ſagte er: „Ich bedaure lebhaft, zu ſehen,

daß Sie noch keineswegs wohl genug ſind, um einen

Beſuch empfangen zu können, gnädige Frau! Laſſen

Sie mich Ihnen herzlich danken für den gewährten Ge-
nuß ihres Geſanges — und meiner muſikaliſchen Ver-
ſündigungen wegen um Entſchuldigung bitten!“
Baleska ſah zu ihm empor und der Blick in ſein
offenes ehrliches Auge mochte ihr plötzlich Troſt ver-
leihen, die Schonung, welche er ihr bewies, ſie innig
rühren. —
„Nicht ſo, Herr Böhm,“ antwortete ſie mit traurigem
Lächeln und bebender Stimme, — „Sie ſind unſchuldig,
0 weiß es, Sie hatten von meinem Manne gemiethet,
ehe — —
„Ehe ich ahnen konnte, daß Sie viel zu leidend
ſind, um irgend welche Sorgfalt an Fremde verwenden
zu können!“ unterbrach der. junge Mann. „Morgen
ſchon werde ich mir eine andere Wohnung ſuchen!“
„Das ſollen Sie nicht, Herr Böhm, ich bin von
Ihrer Discretion überzeugt und außerdem hoffe ich, daß
Sie mich vielleicht minder ſchuldig und kleinmüthig halten,
wenn Ihnen mein Unglück bekannt geworden. Ich bin
ganz in Ihren Händen — ohne Unruhe!“
Vdch danke Ihnen, gnädige Frau!“ flüſterte der
junge Mann. „Sie würden von mir nie eine Andeu-
tung des Wiedererkennens erhalten haben; da Sie nun
aber ſelbſt auf die Stunde eines traurigen Begegnens
zurückkommen, ſo nehmen Sie mein Ehrenwort, daß ge-
gen keinen Sterblichen Ihr Geheimniß von mir aus-
geplaudert werden wird!“
„So ſpricht ein ganz Fremder!“ dachte bitter die
Dame, „und Waldemar tritt ſchonungslos Alles mit
Füßen, was Andere Zartgefühl oder Rückſicht nennen!“

(Fortſetzung folgt.)

F+r Ritter Toggenburg.

Humoreske von Arthur Brehmer.
(Fortſetzung.)

ö II.
„Willkommen!“ ſo tönte es mir abermals von Kuno's
Onkel entgegen, „herzlich willkommen.“ Und wieder
reichte er mir die Hand hin, diesmal jedoch wies ich ſie
nicht zurück, im Gegentheil mochte ich ſie in meiner Ver-
legenheit etwas über Gebühr gedrückt haben. Ich ſtam-
melte Einiges von verzeihen — taktloſem Benehmen, er
aber unterbrach mich ſchnell:
„Papperlapap! ſprechen Sie mir nur nicht von Ent-
ſchuldigung. Ihr Poeten und Schriftſteller ſeid einmal
nicht anders. Wenn Etwas nicht nach Eurem Kopfe
geht, ſeid Ihr gleich aus dem Häuschen. Aber à propos,
Sie werden doch nicht böſe ſein auf Kuno? Er darf
ſich Ihnen als reuiger Sünder wohl wieder nähern?“
„O, gewiß,“ entgegnete ich lachend, „hat er doch
eigentlich nichts verbrochen, im Gegentheil, ihm verdanke
ich das Glück Ihrer Bekanntſchaft.“
„Wiſſen Sie was,“ unterbrach mich der joviale
alte Herr, „ſparen Sie ſich Ihre Schmeicheleien für ſpäter
auf, bis Sie meine Frau und Tochter kennen lernen.
Aber ich vergeſſe, Sie kennen ja ſchon meine Lilli! Nun,
wie gefällt ſie Ihnen? Nicht wahr, ein Blitzmädel?
Und geſcheit, ſage ich Ihnen, geſcheit, kein Mann, nicht
der Gelehrteſte nimmt's mit Der auf. Sie verdreht
Einem das Wort im Munde, und die Dichter kennt ſie.
— Na, Sie werden ja ſelbſt ſehen, umbringen könnte
ſie Einen vor lauter Citaten. Ich weiß mir mit dem
Mädel nicht zu helfen, bös kann man ihr aber doch nicht
werden. “
 
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