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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 87 - No. 95 (1. November - 29. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0371

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— 363 —

Der alte Herr ſprach immer fort, er ließ mich nicht
zu Worte kommen. Seine Art und Weiſe gefiel wir
ſehr, er war wirklich ein „Original“, wenn auch kein
ſolches, wie ich erwartet. Er war eher klein, als von
mittlerer Große, ſein hochrothes Geſicht glaänzte von Fett
und ſeine fleiſchigen Haͤnde falteten ſich über dem nicht
zu verachtenden Bauche. Er mußte ein ſeelenguter Menſch
ſein, dieſer Herr — ja da erinnerte ich mich, wir kann-

ten uns ja gar noch nicht dem Namen nach; dieſen Feh-

ler wollte ich ſobald als möglich gut machen. Die Ge-
legenheit war günſtig, denn der redſelige alte Herr ſchöpfte
eben tief Alhem, um in ſeinem unhemmbaren Redeſtrom
fortzufahren. ö
„Ach, Sie verzeihen,“ begann ich daher; doch er
ließ mich nicht weiter reden. ö
„Was habe ich denn zu verzeihen? Ich wüßte
wirklich nichts; ich ſagte Ihnen ja vorhin ſchon, ich fände
Ihr Benehmen ſehr natürlich. Bei Ihrer Berufsart!
Nun laſſen wir das auf ſich beruhen. Wo blieb ich
nur früher ſtehen? Ja, Sehen Sie —“ ö ö
ö Da ging die Thür auf und als rettender Engel
trat Kuno in's Zimmer; als er meiner anſichtig wurde,
fing er von Neuem zu lachen an und ich that das Klügſte
und lachte mit, konnte aber nicht umhin, ihm mit dem
Finger zu drohen. Der liebe alte Herr freute ſich „un-
geheuer“ über meine Verſöhnlichkeit und ließ ſich's nicht
nehmen, die feierliche Verſöhnung mit einem Schlucke
guten Weines zu beſiegeln. Zu dieſem Zwecke eilte er
hinaus. Dieſen Moment benützte ich, um Kuno zu fra-
den, ob er mich nicht förmlich vorſtellen wolle.
„Nicht nöthig, alter Junge,“
„Onkel Toggenburg kennt Dich beſſer, als Du glaubſt.
Habe ich ihm doch all' die Streiche erzählt, die wir in
Compagnie ausgeführt.“
„Onkel Toggenburg ſagſt Du? Ja, iſt denn das
wirklich ſein Name?“
„Nun freilich, glaubſt Du denn, ich würde mir
mit ſolch' einem bemooſten Haupte, wie Du, einen Witz
erlauben?. Es iſt Alles Wahrheit; Toggenburg heißt
er und ein Original iſt er; das wirſt Du wohl nicht
läugnen?“ ö
„Allerdings, aber ein etwas redſeliges.“
In dieſem Augenblicke trat unſer liebenswürdiger
Wirth, mit einer Batterie Flaſchen beladen, ein, und be-
merkte ich zu meiner Freude, daß das feurige Getränk
ihn nicht redſeliger, ſondern im Gegentheil ſchweigſam
machte. —
Beim Abendbrode lernte ich auch Kuno's Tante
kennen, ſie war eine ſtattliche Dame, auch eher korpulent
als ſchlank, ähnelte ſie in Vielem ihrem Gatten, nur
Eins vermißte ich an ihr zu meiner Freude — die große
Rednergabe. Es war offenbar, die Zungenfertigkeit ihres
Mannes hatte ſie niemals zu Worte kommen laſſen und
ſah ſie ſich gezwungen, den Erbfehler der Eva's⸗Töchter
abzulegen. ö
Die Unterhaltung war ſehr lebhaft; ich fühlte mich
ſo wahrhaft glücklich, es war mir, als ſäße ich in mei-
nem Familienkreiſe und nicht unter fremden Menſchen.
Bald kam das Geſpräch auch auf das humoriſtiſche Tages-
ereigniß. Kuno erzählte allerdings etwas dick aufgetra-
gen, aber ſo gut, daß Alle herzlich lachen mußten, ich
natürlich mit am Meiſten.
„Nun, was meinſt Du, Täubchen,“ wandte ſich der
alte Herr an ſeine Tochter, „hab' ich etwa die Geſtalt
ſo eines verliebten Ritters? Gelt nein? Mir ſieht
man's an, daß ich mich an's Reelle halte..
„Und doch, Papa, haſt Du etwas vom Ritter Tog-
genburg,“ entgegnete Lilli ſchelmiſch lächelnd.

entgegnete dieſer,‚

Wir brachen ſämmtlich in lautes Gelächter aus,
nur das Fräulein blieb ernſt. Als ſich unſere Heiterkeit
etwas gelegt hatte, ſagte ſie mit einer trefflichen Miene
beleidigten Stolzes:
Vund ich bleibe dabei, Papa würde einen prächtigen
„Ritter Toggenburg“ abgeben, wäre er nur ein klein
wenig länger gerathen.“ ö
„Wie begründen Sie das, Fräulein?“ fragte ich
lachend. ö ö
„Ei, ei, über den Journaliſten; wiſſen Sie ſich wirk-
lich keinen Rath?“? ö
„Nein; ich geſtehe, daß die Erſcheinung Ihres Herrn
Vaters wenig zu meinem Phantaſiegebilde paßte!“
„Papa iſt auch kein Phantaſiegebilde,“ erwiderte ſie
ſo trocken, daß ihre Worte abermals einen Sturm der
Heiterkeit erregten, „und Ihr Ritter Toggenburg wäre
es ebenſowenig,“ fuhr ſie unbeirrt fort.
„Die Begründung, die Begründung!“ riefen wir,
Kuno und ich unisono. ö
„Nein, ſie hat Recht,“ ſo ließ ſich die Stimme Herrn
v. Toggenburg's hören; „vollkommen Recht, wenn ich
auch noch nicht weiß, wo ſie hinaus will.“
„Ich habe auch Recht, und Herr B. — hier nannte
ſie meinen Namen — wird es beſtätigen, wenn e
Shakeſpeare und ſpeciell deſſen Hamlet kennt.“ ö
„Allerdings kenne ich ihn und zwar ziemlich genau,
mein Fräulein, nur wäre mir keine irgendwie paſſende
Stelle daraus bekannt. Ueberdies wüßte ich keinen Zu-
ſammenhang zwiſchen Shakeſpeare und Toggenburg.“
O, über Euch Kurzſichtige. Hat der große Brite
nicht auch in ſeinem Hamlet einen thatenloſen Träu-
mer deargeſtellt, wie Schiller in ſeinem Toggenburg?“
„Allerdings, allerdings!“
„Nun denn, und was ſagt Hamlet's Mutter von
ihrem Sohn? Sagt ſie nicht:
„uUnſer Sohn iſt fett und von kurzem Athem,“ und
daß dieſes Citat auf meinen Vater paßt, das werden
Sie doch nicht beſtreiten?“ ö
Schallendes Gelächter belohnte das klaſſiſche Citat,
Niemand aber freute ſich ſo ſehr, wie Herr v. Toͤggen-
burg, der ſich als „Schwärmer“ und „Träumer“ be-
deutend zu fühlen ſchien.
Unter ſolch' heiteren Geſprächen verfloß der Abend
im Handumdrehen. Endlich kurz vor Mitternacht nah-

men wir Abſchied von dem gaſtlichen Hauſe und ſeit

langer Zeit betrat ich mein Stübchen zum erſten Male
wieder mit dem Bewußtſein eines glücklich verlebten Tages.

(Schluß folgt.)

Doppelſelbſtmord in Luzern.

Ein junger Mann, Egger, eirca 21 Jahre alt und
mütterlicherſeits mit einer guten hieſigen Bürgerfamilie
verwandt, wohnte bei ſeinen Eltern, an der Reuß, ge-
gen über der Kaſerne. Sein Vater iſt Württemberger.
Er war eine Zeit lang Angeſtellter in einem hieſigen

Geſchäfte, in letzter Zeit aber ohne beſtimmte Arbeit.

Am Freitag Abend ſah man ihn noch in mehreren Wirth-

ſchaften. In einer wies er ſeinen Bekannten einen Dolch,
welchen er aus Amerika als Geſchenk wollte erhalten
haben. Nach 9 Uhr kam er nach Hauſe. Hier wollte
er ſich zuerſt erſchießen, was aber von den anweſenden
Hausgenoſſen verhindert wurde, worauf es ihm gelang,
mit einem Dolche ſich einen 4 Zoll tiefen Stich ins Herz
zu geben. Die Familie ſelbſt befindet ſich, ſo viel man
weiß, finanziell in guter Lage. Der Verſtorbene wird

Nals eine angenehme Perſönlichkeit, allein als ein bedeu-
 
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