Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

DOI article:
Heilbut, Emil: Schweizer Reisebrief, [1]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0389

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

II. Iabrgang. Left ro

15. Iuli )557


—Kerclrrsgegeben von IrneörntH H'echt

..Dic Kliüsl fM'AIle" erscheint iu halbmrmatlicheii Hestcii V0II l>/2—s Bogcn rcich illustricrtcn Tcxtes mid ca. 4 Vilderbeiiagcir in Umschlag. AboiillemeiltSIireis im
Vnchliaiidcl odcr dnrch dic Post iRcichspostvcrzcichiiis Sir. glül. balir. Vcrzcichllis 4I0> S M. 60 Pf. fiir das Bierteljahr <6 Hestc); das eiitzelne Hest
?s Pf. — Jnscrate lmir durch R. Mosse) dic vicrgespalrcne Noiipaieillezeile sa Pf. 10.000 Bciiagcii 60 M., bei größcrem Format oder Umkang Preisaufschlag.

Schweizer Reisebrief*)
vou Derinan Helferich '7 d ck II

ll^ein Freuud holte mich ab und wir fuhreu zusainmeu
m die Schweiz. Von der Hinreise wäre nicht oiet
zu vermelden. Jm Koupee war — ausgenommen uus,
verehrter Leser — uicht die mindeste Persou vou Jnteresse.
Keine juuge Witwe, nicht einmal eiu merkwiirdiger Frem-
der. Draußeu schneite es in den dichtesteu Flocken. Nur
einmal erspühten wir durchs Feuster etwas Amüsantes,
ein einzelnes graues Haus stand im Schuee und trug iu
hohen Buchstaben den Titel Strohhutfabrik. Strohhut-
sabrik! Strohhüte, während die Natur im übrigcn ihr
Winterkostüm anhatte, oder nvch richtiger, währeud sie im
Negligee des Winters lag — denn für ihr Kostüm deuke
ich niir mehr klaren, reinen Frost — es war der drolligste
Gegensah. Tas Haus, allen andringeuden Schneemassen
zum Trotz, unentwegt seiue Marke hvchhaltend: „Strvh-
hutfabrik": Strohhutfabrik trvtz allem, Strohhutfabrik
iguancl rusrue, und Strvhhüte wecken Gefühle einer schoneren
Jahreszeit; aber eine Strohhutfabrik bringt noch keinen
Sonimer, uud wie ich so iiimitteu von Wintersgraus au
das luftige Kleidungsstück der heißen Monate gemahnt
ward, trat mir in die Eriunerung jene Anekdote von dem
schüchternen jungeu Mann, der im Winter einer Ladneriu
die Kour iu ihrem Ladeu schuitt, uud dem alsdauu plvtzlich
aus der Tiefe des Komptoirs die Madame erscheint. Sie
wünschen, fragt dieselbe, mein Herr.... und man
muß die für uus immer so beschämende, kalte llkichts-
würdigkeit kennen, die im Ton solcher Ladeniuhaberinuen
zu liegeu pstegt, weun sie über solche Affairen koiumen ...
Der junge Mann sieht verzweiselt an den hellgrünen
Kartons in deni einen Regal, an den weißeu schrägstehen-
den Pappschachteln des anderu iu die Höhe, sein Blick
streist die Auslage, irrt an alleu Mantelets hiu, an allen
Schürzen eutlang, was soll, was kaun erin diesem Konfektions-
geschäfte brauchen? ... und — eiue Schwimmhose! fährt
es eudlich aus ihm, dem gänzlich die Fassung geraubt war,
heraus: die Situation im Januar, Eisblumen vom Frost
aus die Schaufenster gemalt, der eingeschüchterte Jüugliug
in Shawl und Wiuterüberzieher, die Madame in Kälte
erstarrt und nur die kteine Laduerin, sageu die Berichte,
*) Geschrieben im dlpril.
Die Aunst für Alle II.

soll geglüht haben — rot war sie bis an die Ohreu ge-
wordeu.
1.
Als wir in Arth hielten, war's Abeud. Der Schnee
hatte anfgehört zu fallen, wir konuteu uns aus dem Perron
eiuige Minuteu ergehen und atmeten in vollen Zügen die erste
Alpenluft ein. Rechts lag die Rigigruppe. Man hatte
die beste Beleuchtung, die sich ein Moderner sür die
Alpen nur wünschen konnte, uämlich die unauffalligste, es
wurde nichts pathetisch gehoben, es wurde nur sachlich
was grvß war, gezeigt. Ohue Knalleffekte der „Schweizer-
laudschaft", wie man sie von den Öldrucken her gewohnt
ist, und Gott sei Dank auch vhne dllpenglühen. Keine
Banalität, keiu Kalckreuth senior. Die Natur hatte jede
Regie vermiedeu. Lautlos lag die Erde und aus der
Tiefe hvbeu in eiufacher Majestät die Berge ihre weißen
Häupter zum Himmel auf. Der Himmel dunkel und das
weite Thal dunkel, und nur auf den Bergen glänzte der
Schnee. Er glitzerte zauberhaft und es funkelte wie von
Krystalleu in der Höhe, doch über das Thal lag tiefe
Nacht gebreitet und nur einige gelb-rötliche Laternen, die
das Duster uoch düsterer machten, tauchteu im dichteu
Nebeldunst enipor wie Jrrlichter. Das war ganz kleiu,
gebrechlich und ürmlich, unzureicheud Menschenwerk, aber
die rieseugroßen Bergkolosse lagen im Glanze ihrer
weiteu Schneefelder in magischem Leuchteu berauschend
schön als etwas Ewiges da. Wir, in den Fensterii
unseres langsam dahinfahrenden Zuges lehneud, sahen
stauuend zu den Wundern hinauf, und die Seele sättigte
sich nicht, das Große zu schauen; auch hatten wir das
Große ganz ohne leidigen Rest, keine reisenden Heerscharen
belästigten uns, die bringt erst der Sommer, und es wurde
nicht gejodelt auf den Bergen wo die Freiheit wohnt,
denn die Schweizer jodeln erst von Beginn der Saisou an.
dluch die Gasthöse, die ganz großeu, öffneu sich erst
zu Aufaug des Sommers. Jetzt sind ihre Jalousien uoch
geschlossen, in der Portierloge sitzt kein Portier und steht
kein Groom, die Hotelglocke läutet nicht und die großen
69
 
Annotationen