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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Volbehr, Theodor: Die praktische Aesthetik der Sitzmöbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0026

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Zur Einführung

Nie Kunst ist in ihrem innersten Wesen eins und unteilbar: sie ist die Blüte der jeweiligen menschlichen Kultur,
der Ausdruck der die Zeit beherrschenden oder sührenden kulturellen Ideen und unabhängig von Material und Stoff. Vb
diese Kunst sich äußert an einem Werke der Goldschmiede oder der Töpfer, ob sie an einem Bucheinband, einem Drucke, einem
Möbel oder Gerät zum Ausdruck kommt, immer entspringt sie derselben Wurzel, aus der die bildenden und tönenden Künste
emxorwachsen.

Die Ausgabe der Kunst ist wesentlich eine erzieherische, und wie die Erziehung mit dem Hause und in demselben
beginnt, so soll die Kunst im Hause eine besondere Pflegestätte haben.

wir weichen daher von dem in diesen Blättern maßgebenden Programm nicht ab, sondern wir erweitern es lediglich,
wenn wir der Kunst im Hause in dieser neuen Abteilung eine besondere Stelle anweisen. Hat die „Kunst für Alle" bisher
ausschließlich den Werken der bildenden Künste sich widmend, ihren kritischen Maßstab nur an die Schöpfungen der Malerei
und Bildhauerei rc. angelegt, so will sie künftig die gleiche künstlerische Betrachtungsweise auf die Erzeugnisse des Kunst-
gewerbes zur Anwendung bringen und so den Kontakt mit der lebendigen, schaffenden Kunst der Gegenwart auch auf diesem
Gebiete aufrecht erhalten.

Unsre Aufgabe wird also darin bestehen, daß wir die Errungenschaften der kunstgewerblichen Wissenschaft nach ihrer
praktischen Bedeutung für die Ausschmückung des Hauses in einfacher, bündiger und populärer weise unfern Lesern zugänglich
machen und sie von allen Fortschritten dieser Wissenschaft verständigen, wir wollen eine praktische und leichtsaßliche Ästhetik
für den Hausgebrauch liefern, die der erzieherischen Aufgabe der Kunst im Hause nach allen Richtungen entgegenkommt,
wir wollen ferner durch Vorführung neuester Schöpfungen des Kunstgewerbcs einem jeden zeigen, wie und mit welchen
Mitteln er seiner täglichen Umgebung ein harmonisches, den jeweiligen Verhältnissen entsprechendes Gepräge geben kann.

Möge dieser Erweiterung unsres Programms das Wohlwollen unsrer Leser in gleicher weise sich zuwenden, wie
wir dessen bei unserm Hauptblatt uns zu erfreuen hatten.

München, t. Gktober ,8g2. Die Nedatttion der„Vunst für Alle".

Sluhl für Lin Arbeitszimmer

von ). A. Lasser, kgl. ba?er. Hof-Möbelfabrik,

Die Praktische Uestljelik der SilzmöScl

Von Th. volbehr (Nürnberg)

enig Dinge sind für das körperliche
und infolgedessen auch für das geistige
Wohlbefinden eines modernen Kulturmenschen
von solcher Bedeutung wie die Wahl des-
jenigen Möbels, auf dem er sich zur Ruhe,
zur Arbeit oder zum Essen niederläßt. Es
ist nicht zufällig, daß man im Eßzimmer

die weichen Fauteuils vermeidet, daß man j
im Salon keine eckigen Bauernstühle findet. ^
Es spricht sich darin aus, daß der Zweck
des Sitzmöbels nicht immer der gleiche ist,
daß also in der Wahl des Stuhles und
seiner Abarten eine Aufgabe zu lösen ist.
Nur wenn diese Aufgabe in jeder Beziehung
gelöst ist, wenn in einer dem Behagen des
Menschen völlig gerecht werdenden Weise
das Sitzmöbel seine Dienste leistet, ist es
auch schön. Was will der Sitz? Er will
dem Menschen eine größere Bequemlichkeit
bieten, als ihm das Ruhen auf den eigenen
zwei Beinen gestattet. Bequemlichkeit ist
also die erste und die letzte Forderung, die
man an das Sitzmöbel stellen muß. Nun
kann und muß man aber weiter fragen:
Wozu soll es bequem sein? Ein Stuhl, der
zum Arbeiten überaus bequem ist, kann
äußerst unbequem für ein Nachmittags-
schläfchen sein. Der allgemeine Zweck, zur
Bequemlichkeit zu dienen, wird also durch
den speziellen Zweck des einzelnen Falles
modifiziert. Für Arbeitszwecke geistiger
Natur wird man Sitze bevorzugen, die nicht
zu weich und warm, aber doch mit Rücken-
und Seitenlehne ausgestattet sind, um ein
dem Gedanken förderliches Ausruhen für
kurze Fristen zu gestatten. Hier sind auch
schwere reiche Formen, wie sie die neben-
stehende Abbildung eines Stuhles von I.
A. Eysser in Nürnberg zeigt, durchaus auge-
zeigt ; denn ein hoher Stuhl repräsentiert das
Herrschergebiet des Mannes. Für die Stunde
des Essens, wo die Hände und mit ihnen
die Arme in Thätigkeit sind, wird man die
Seitenlehnen leicht entbehren, die würden
sogar als lästig, den gesellschaftlichen Ver-
kehr mit den Nachbarn hindernd entpfunden
werden. Eine Rückenlehne hingegen wird

man ungern verminen, sowohl während der
Ruhcpunkte zwischen den Gängen, als auch
bei den behaglicher fließenden Gesprächen
des Nachtisches. Ein kühler Sitz ist gerade
hier, wo deni Körper durch die Zufuhr der
Nahrungsstofse neue Wärme zugeführt wird,
durchaus am Platze, Leder und Strohgeflecht
verdient den Vorzug vor jeder andern Aus-
stattung der Sitzfläche. Glaubt man die
Polsterung nicht entbehren zu können, dann
wähle man wenigstens Lederpolsterung, wie
bei dem nebenstehend abgebildeten Stuhl,
der ebenfalls von
I. A. Eysser
stammt. Ganz
anders liegt die
Sache in den üb-
rigen Räumen des
Hauses. Wo man
der Ruhe pflegen
will, soll man
alles thun, um
in der Ruhe zum
wirklichen Beha-
gen zu kommen,
da braucht man
auch warme Pol-
sterung nicht zu
scheuen, denn der
ruhende Körper
verlangt mehr
Wärme als der
arbeitende, sich
selbst Wärme pro-
duzierende Kör-
per. Aber auch ,, ,,

hier sind die spe- . , " V.

ziellerenZweckezu ^ir ein Speisezimmer

berücksichtigen. Von I.A. E-xfser, kgl. ba-ser.
-qM Empfangs- Hof-Möbelfabrik, Nürnberg
 
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