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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Pecht, Friedrich: Die Jahresausstellung 1893 der Künstlergenossenschaft zu München, [3]
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Schultze-Naumburg, Paul: Der Samariterdienst auf dem großen St. Bernhard
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0449

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Die Iahresausstellung ^8yz der Aünstlergenofsenschaft. — Der Samariterdienst auf dem großen St. Bernhard. 357

ihm in der Heimat angedeihen ließ. — Sehr hübsche Arbeiten haben auch die Benlliures aus Rom geschickt,
so ein Wettrennen im Zirkus.

Die italienische Bauernart schildert dann vortrefflich in einer mit unendlicher Virtuosität ausgeführten
Marmorgruppe eines ihr Zicklein tragenden Bauernmädchens Pisani, wohl die beste Genrefigur von allen.
In der religiösen Plastik leistet das Medaillon einer liebenswürdig naiv gemütvollen Madonna mit dem Kinde
vom Münchener Balth. Schmitt wohl am meisten, wo doch in unserer Zeit die Naivetät so selten geworden.
Schon etwas gesuchter, doch immer noch ansprechend ist dann Sibers in Küßnacht „Edelweiß", und Stolz'
„besiegt" fallender Kämpfer ist wenigstens gut studiert.

Übersieht man aber den ungeheuren Reichtum von oft sehr geistvollen Gedanken und Gestaltungen,
der hier in diesen Arbeiten zutage tritt, so bleibt einem kein Zweifel, daß unsre Bildhauerei dermal viel
ideenreicher sei, als der bekanntlich alle „Gedankenmalerei" offenbar recht erfolgreich vermeidende Naturalismus
vieler heutigen Maler. Und dabei kann mau gewiß nicht sagen, daß diese Bildhauer die Natur weniger fein
studierten! Hoffentlich sieht unser Publikum allmälig auch wieder ein, um wie viel vornehmer die Plastik
alle Räume zu gestalten vermag, als ihre malende Schwester. Sind doch nachgerade selbst die Baukünstler
wieder dahinter gekommen, daß zur Belebung der starren architektonischen Formen eines Baues nichts so
wirksam sei, als die Arbeit des Bildhauers. — Und zwar die, welche auf malerische Behandlung ausgeht,
gerade am meisten. —

(Ein Schlußbericht folgt.)

Der Samariterdienst auf dem groszen St. Bernhard.

von Paul Schulhe-Nauuiburg.

St. Bernhardhospi?,
April 18I2.

Lieber Freund!

^s sind einsame Tage, die ich
hier oben verlebe. Auf
meine zwei Zimmer gebannt,
komme ich mir oft vor wie ein
Gefangener; tagelang erblicke
ich nur den Speisediener, den
Bruder Apotheker, der die
Liebenswürdigkeit hat, sich hie
und da nach meinem Befinden
zu erkundigen, und den Monsieur
le clavsnckier*), wenn er mir
einen Besuch macht. Fatal ist,
daß ich absolut nichts arbeiten
kann; nicht allein, daß meine
Hände rheumatisch angeschwol-
len sind; was das Schlimmste
ist, mein Gemüt ist durch den schroffen Wechsel, aus der
lachenden Frühlingspracht da unten in diese eisige
Grabeseinsamkeit, so verstört, daß ich mich erst selbst
wiederfinden muß, ehe ich an eine systematische Arbeit
gehen kann. Sie machen sich da unten ja keinen Be-

Luf dem Sk. Golthard.

griff davon. Draußen liegt haushoher Schnee, über
dem Nebel oder Schneegestöber einherjagen, so daß an
ein Herausgehen nicht zu denken ist. So sitze ich denn
im Winkel meines Zimmers in verschleiertem Dämmer-
lichte da. Nicht mal zum Lesen habe ich Lust, sondern
gebe mich lediglich dem dumpfen Tone hin, der von
den auf und ab gehenden Schritten der Mönche im
Refektorium fascinierend monoton zu mir heraufdringt.
Am kleinen Fensterlein in tiefer Nische ist nichts zu
sehen, als höchstens, wenn sich nach tagelangem Schnee-
gestöber der Nebel etwas lichtet, drüben an der Berg-
wand ein unbewohntes, halbverschneites Haus. Zu
alledem bringt mir heute die Post noch zwei Todes-
-nachrichten: die von Professor Hoff und die eines väter-
lichen Freundes in Genf, den ich auf der Heimreise froh
zu begrüßen hoffte. Sie können sich denken, wie das
noch zur Herabsetzung meiner Stimmung beiträgt . ."

So und ähnlich lauteten wohl die Briefe meines
Freundes Leuenberger, der sich im Frühjahr 1890 nach
den Alpen aufgemacht hatte und nun seit Wochen auf
dem großen St. Bernhard hauste, um dort Studien
für ein großes Bild zu machen. Es war so gekommen.
Die Lociele ckes arts, classs ckes deaux-arts in Genf
ließ an eine Anzahl eidgenössischer Maler eine Einlad-
ung ergehen, sich durch Einsendung von Bildern an der
Calame-Konkurrenz zu beteiligen, der das Thema „I7n
tadleau cke et ügures representaiit ckes vo^a-

Zeurs ckans Iss Xlpes" zugrunde liegen sollte. Das
schlug zündend bei Leuenberger ein; schon längst hatte
dunkel der Samariterdienst der Paßhospitien als ein
noch zu gestaltender Stoff in ihm geschlummert; zur
Beteiligung an der Konkurrenz war es zwar zu spät, denn
das Bild mußte groß, riesengroß werden; aber die An-
regung war gegeben, die vage Idee zum Entschluß
werden zu lassen, dem rasch die That folgte. Schon
im Frühjahr 1890, als noch tiefer Schnee die Berge
deckte, befand er sich auf seinem Studienplätze.

') Haus- und Küchenmeister.
 
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