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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 3
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J., F.; Jeffen, Jarno: Berliner Kunstsalons
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0052

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40

4- Die Nun st-Halle

Nr. 2

schwach schimmernde Lichter entsenden. In schwarzen Rüsten,
auf weißen Sammetlagern aufgebahrt, liegen hier die
Goldwaaren, die van der Velde, Vernier, Reller äc Reiner
und einzelne wiener Firmen ausführten. Aus dieser: Ge-
häusen strömt auch die einzige Lichtquelle des Raumes.
Sie betont mit zwingender Anziehungskraft die Reize jedes
einzelnen Verkaufsobjekts.
Lin Nebenzimmer, die frühere Bibliothek und der
große Mberlichtsaal sind der eigentlichen Runst-Ausstellung
gewidmet. Line umfangreiche Sammlung Rlingerscher pand-
zeichnungen zeigt den Künstler in seiner meisterlichen
pandhabung der Feder, des Stiftes und der Rohle. Man
ist durchaus geneigt, einige Blätter wegen der Schärfe und
Präzision der Strichlagen für Radirungen zu halten. Be-
sonders bewundernswerth sind die anatomischen Vorstudien
für größere Werke, die den Meister immer aufs Neue
als hingebenden Schüler der Natur charakterisiren. Auch
hier offenbaren sich seine beiden Seelen, die grüblerische
und die materielle, er bleibt der Zeichner der Gedanken-
probleme und des matter ot kaot. — Lin Bildniß Lenbachs,
das seine kleine Tochter Marion darstellt, zeigt die grün-
liche Leichenfarbe, die der Meister neuerdings, wie in
dekadenten Anwandlungen, dem blühenden Kolorit des
Menschenantlitzes vorzieht, wie so häufig bringt L. von
Pofmann durch eine geschmacklose Rahmenkomposition
Unruhe in die' minnige Traumseligkeit seiner Mägdlein
im Frühlingshain. Lin Tänzerinnen-Relief Stucks zeigt
antike Jungfrauen als Loie Fullers kostümirt. — Im Dber-
lichtsaal ist eine schäbige Auswahl neuenglischen Kunst-
schaffens geboten, wenige Ausnahmen rechtfertigen eine
solche Schau, die dem Kenner der großen zeitgenössischen
Kunst des Insellanhes nur Mißstimmung, dem Nichtkenner
verkehrte Begriffe verursacht. Die ältere Schule der
Präraffaeliten ist durch einen Mädchenkopf von Dante
Gabriel Rosetti und einige Zeichnungen Bur ne Jones
vertreten. Trotz der vortrefflichen Arbeit Rosettis macht
sich die sinnenschwüle Ueppigkeit seines weiblichen Ideal-
tyxus mit den röthlichen Paarmassen und den übertriebenen
Knospenlippen peinlich fühlbar. Burne Jones zeigt
sich als vornehmer Zeichner in einem hingehauchten „Mädchen-
kopf" mit der gewohnten eckigen Gesichtsform toskanischen
Stils und auf dem unvollendeten Bild „Die (Duelle". —
von dem Mahl dieser Vorläufer nährte sich der Schotte
Macgregor. Auch er kann zeichnerisch viel, aber er
zergrübelt sich in seinen Motiven und bringt daher peinigende
Gebilde auf die Leinwand. Auf düsteren Grundton ge-
stimmt, spricht er sich meist in ungesunden Farbenwirkungen
aus. Man wirft vergebens das Senkblei des Gedankens,
um seine Bilder-Räthsel zu lösen.
Künstlerische Befriedigung gewähren sonst wohl noch
die Landschaftsbilder Austen Browns, dessen Farben-
zauber in feinen Naturausschnitten erfreut. Ihm gelingt
das silbrige Grau der mondbeschienenen See, wie das
Braunroth des Abendlichtes auf den dunklen Schollen des
Moorlandes. Erwähnen wir noch ein zartes Landschafts-
bild von Lameron mit sonderbar spanisch - kostümirten
Frauen in englischer Landschaft, eine gut gezeichnete
„Ansicht der Stadt Lincoln" von Seckert, die schönen
„Kamelien" von Stuart Park und des Amerikaners
Pitch cock vortreffliche Freilichtbilder aus holländischem
Land, mit den frischwangigen Dirnen und den bunten
Tulpenfeldern, so ist wohl das wenige Bessere aus der

Fülle des Nichtigen genannt. Die Geschmackserzieher
der bildenden Kunst sollten es sich jedoch angelegen sein
lassen, wie perder, der große Bahnbrecher für internationale
Kunst auf literarischem Gebiet, nur „Blüthen vom Baum
der Menschheit" einsammeln zu wollen.
Bei Lassirer muß man dieses Mal direkt in den
Gberlichtsaal, wenn man nach Feinschmeckerart das Beste
zu kosten begehrt. Pier ist ein Todter und ein Lebender
zusammengestellt, Segantini und Max Liebermann.
Der Todte wirkt in packender Lebensfrische. Der Lebende
entzückt in Werken, die für ihn längst todt sind, wo ist
in seinen trockenen, krassen Neugebilden noch der einstige
Zauber des Farbenschmelzes, das Seelische seiner Realismen,
die Feinheit seiner Tonvaleurs zu erkennen? Der ältere
Liebermann lehrt uns immer aufs Neue den jüngeren
vorziehen. Aber selbst für den Skeptiker giebt es den
Glauben an eine Wiedergeburt, die sich in der Geschichte
der großen Individualitäten bestätigt. — Die Ausstellung
aus Segantinis Nachlaß ist höchst dankenswerth. Pier
darf sich das Auge an einigen wahren perlen der Malerei
erfreuen. Aus allen Perioden seines Wirkens sind hier
Proben zusammengetragen, wir sehen eines seiner Erstlings-
werke in der „Frühmesse", einem stimmungsvollen, frei-
zügigen Genrestück. Farblos wie das graue Morgenlicht
ist der weg der Pflicht, den der Priester auf dem Bild
tagaus, tagein über die steinerne Kirchtrepxe zu wandeln
hat. Line ganze Reihe von Arbeiten folgen, die Segantini
immer auf der: Spuren der Natur, als ihren treuesten
Anbeter zeigen, welch' liebevolles Studium in seinen
Thier- und pfianzenbildern, dem „steirischen Kapaun", den
„Schnepfen", dem „Fichtenbaum", dem vollen Frauenarm
der „Badenden", wie zeigt er das Temperament des zur
weide dahinstürmenden Pferdes. Pier quellen die weich-
theile des Körpers plastisch hervor, während noch all' die
scharfen, schwarzen Umrißlinien der Beine stehen geblieben
sind. Lin Genrestück von hohem koloristischen Reiz und
feinster Durcharbeitung ist das Bildchen „Liner zuviel".
Ls gießt erbarmungslos vom Pimmel auf eine Schafheerde
und die pirtin herab. Sie hat ein Lämmchen mit unter
ihrem Regenschirm geborgen, aber ein großes Schaf begehrt
dort ebenfalls Schutz. Alle Drei können nicht gut im
Trockenen bleiben, — Liner ist zuviel. Das Grau des
Regenhimmels, der feuchte, bräunliche Erdboden und das
Blau des Regenschirms geben einen wundervollen Farben-
akkord. In seinen symbolischen Schöpfungen wirkt Segantini
häufig gequält und unklar, so auch hier in den Pendant-
zeichnungen „Edelweiß" und „Rhododendron". Die „Kartoffel-
ernte", das letzte Werk des Künstlers, zeigt ihn neuer:
Methoden nachspürend. In der impressionistischen Be-
handlung des Gewölks und der Bauern glauben wir einen
neuen Liebermann zu sehen. Die Details des Vordergrundes
zeigen jedoch die gewissenhafte, strenge Art des italienischen
Meisters. — Linen olou der Ausstellung mag Vielen die
Sammlung d'Lspagnat bedeuten, wer von der Malerei
Formen verlangt und den gesunden Lokalton liebt, wird
sich vor diesen gekünstelten, zusammengetüpfelten oder
impressionistisch gepfuschten Bildern wenig erbauen,
was thut es, wenn zuweilen, wie bei dem „Blumenstrauß"
die Blumen, bei gehöriger Distanzirung, ein Ganzes ergeben,
oder der „Genfer See" als Farbensymphonie empfunden
ist? Uns dünken die herrlich gezeichneten, farbenschönen
 
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