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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 5
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Fischbach, Friedrich: Eierstab-Ornamente
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0084

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68

4- Die Aun st-Halle -L-

Nr. 5

— was ist den Modernen Hekuba? — Da aber das
Lierstab-Ornament, trotz jeglicher antiklassischer
Strömung, sich nach wie vor behaupten wird, dürste
eine Abhandlung über seine Entstehung nicht allzu
spät kommen.
Noch so geistreiche Definitionen sollen hin und
wieder wie lustige Kartenhäuser zusammen, wenn
Grabsunde aus ältester Zeit bekunden, welche srühere
Formen den entwickelteren vorausgingen. Nur-
Athene sprang gerüstet aus dem Haupte des Zeus,
aber alles Irdische hat sein stetiges werden. Freilich,
wenn wir unverstandenen Ziersormen nur ein Spielen
der Phantasie zu Grunde legen, ist die Deutung sehr-
bequem. Dann ist ja auch eine kalligraphische Urkunde
nichts weiter als eine Anhäusung von Scknörkeln und
der Inhalt Null.
wohin hat diese Auffassung geführt? Mit
Reklame will die Linie an und sür sich, die angeblich
keinen geistigen Inhalt haben dars, herrschen und die
alten Formeir verdrängen. Hier die müde, dort die
wild gewordene Linie!! Anstatt die Kultur-
Lrbschast von Jahrtausenden zu verwerthen und
durch Eigenes zu steigern, wird sie leichtfertig ver-
achtet.
wenn irgend eine Entschuldigung sür solche
Barbarei statthaft ist, so ist es die, daß man bisher
eine zu mangelhafte Kenntniß vom geistigen Inhalte
der alten Ornamente besaß und irrthümlich annahm,
diese seien nur spezieller Ausdruck verflossener Epochen,
die sich absolut überlebt Hütten. Mit demselben
Rechte müßten wir dann aber auch unsere Sprache,
Schrift rc. durch ganz neue Naturlaute ersetzen, da
sie sich ebenfalls schon in grauester Vorzeit ent-
wickelten.
Die einseitige Betonung der ästhetischen Wirkung
und der technischen Konstruktion war erklärlich, so
lange den Archäologen die Uebersicht über die älteste
Ornamentik fehte. Als diese immer reichlicher geboten
wurde, war die Neigung gering, alten Lehrmeinungen
entgegenzutreten und räthselhaste Formen zu entziffern.
Eben weil viel zu wenig erforscht war, aus welchem
Kultus die Tempel- und Vasen-Ornamente hervor-
gegangen, stand inan vor scheinbar unlösbaren
Räthseln.
Es dars also nicht überraschen, daß ein so
hervorragender Architekt wie Durm aus ehrlichster-
Ueberzeugung junge Architekten warnt, die Bedeutung
der Mutuli am dorischen Gesims zu erforschen, da
bisher die hellsten Köpfe Ungenügendes gesunden.
Man könnte dasselbe von einem Japaner hören, Ver-
nicht zum Ziele kommt, wenn er ohne Kenntniß der
christlichen Symbole die Ornamente des Kölner Domes
erläutern will. Es muß also die Symbolik aus dem
in alten Zeiten vorwiegenden Kultus der Griechen
die Grundlage zur Erforschung der Bedeutung der
klassischen Ornamente sein. Selbstverständlich kann
ich ein so umfassendes Studium nicht in einem kurzen
Artikel genügend beleuchten und ich weise daher aus
meine Festschrift zur Gutenberg-Feier*) hin, in
welcher ich eingehend erläuterte, daß die ältesten
sieben Runen abgekürzte Ornamente aus dem
Feuerkultus sind. Aus den Runen entwickelte sich
die phönizisch-semitische Schrift, welche der griechischen
und römischen zu Grunde liegt. In dieser Festschrift
bot ich aus (6 Tafeln cirka flOO Ornamente des
Feuerkultus, und wies nach, wie sie ans den Feuer-

H Ursprung der „Buchstaben Gutenbergs". Verlag
der, Mainzer Verlagsanstalt und Druckerei in Mainz.

geräthen als Abwehrzeichen gegen Dämonen oder als
Heilszeichen entstanden sind und daß sie mit dem Kultus
des heiligen Feuers mehr oder weniger über alle
Kulturländer Verbreitung fanden. So lösen wir
z. B. das Näthsel, daß altperuanische und etruskische
Ornamente sich heute noch aus orientalischen Teppichen
vorfinden.
wir kommen nach dieser Mittheilung nunmehr
zur Deutung der Eierstock-Ornamente, welche Ge-
rüche des Feuerkultus finden wir angedeutet? In
einer der älteren Formen (Nr. (0) sehen wir eine
Verbindung von Dreiecken, Kreisen und Strahlen.
Unzählige Variationen bekunden aus Vasen aus
Oedenburg, Sakran, Mykene, Orchomenos, Tolysos rc.,
daß neben und hinter einander gestellte Scheiterhaufen
und Feuerschnüre dargestellt sind, viele zeigen im
Balkengestell das Lust- oder Zugloch. Ist das Dreieck-
Schema das einfachere und ältere, so kommt später
noch das der Schnur hinzu. Mit dieser wurde der
Feuerbohrer in schnellste Drehung gebracht, sie hals
also mit bei der Erzeugung des Feuergottes Agni.
Feuerschnüre und Bohrlöcher finden wir in den
klassischen griechischen Halmetten-Grnamenten. Die
Spirale der sich aus und abwickelnden Schnur wurde
Symbol des Feuers, des Lebens, des Kreisens der
Gestirne rc.
Solche Schnüre wurden nut geschichtetem Holz
verbunden (Etruskische Ornamente N.) und
als Heilszeichen verehrt. — Da in Höhlen Asche neben
Knochen längst ausgestorbener Thiere gesunden wird,
dürfen wir annehmen, daß der Feuerkultus so uralt
ist, daß selbst die primitivsten Ornamente schon einer
jüngeren Epoche angehören. Hielt man auch die
wichtigsten Gerüche bei, so ergaben sich doch unzählige
Variationen und Kombinationen in verschiedenen
Zeiten und Ländern, wir schließen auch großen
Rebereinstimmungen nut demselben Rechte aus nähere
Beziehungen der Völker wie aus sprachlichem Gebiete.
Gottfried Semper prophezeite daher schon (858, daß
die vergleichende Ornamentik und die vergleichende
Sprachforschung sich dereinst gegenseitig unterstützen
würden, wenn genügend die ältesten Ornamente aller
Epochen gesammelt seien. Meine Festschrift bringt
die erste derartige Uebersicht und deutet an, in welcher
weise dieses ungemein große Material in der Folge
,u sammeln und zu sichten ist.
Kann nicht bestritten werden, daß es ein großer
Gewinn sür die Archäologie ist, selbst in den ein-
fachsten Formen Symbolzeichen zu erkennen, die vor-
der Schrift-Erfindung gleichsam Ersatz sür letztere
waren, so wird auch der Aesthetiker es gern begrüßen,
die Entwickelung der dorischen und jonischen Säulen-
ordnung aus heiligen Ideen erfassen zu können.
Die denkbar größte kulturelle Bedeutung hat
jedoch dieses Studium sür den gewerblichen Zeichen-
Unterricht. wie trocken und langweilig ist das
Kopiren nur äußerlich erfaßter Formen! Aehnlich
wie mit leuchtenden Augen die Kinder zuhören,
wenn interessante Märchen erzählt werden, lauschen
sie auch den Erklärungen des Lehrers, was die
Formen bedeuteten, die als klassisch heute noch gelten.
Das hindert nicht, den: Zeichnen nach der Natur-
vollste Rechnung zu tragen. Mindestens ebenso
wichtig ist jedoch, das Erkenner: des Dargestellten
und Empfinden des Schöner: möglichst früh im Zeichen-
unterricht zu pflege::. Ls führt zur Barbarei, wein:
das, was in Jahrtausenden als Ausdruck des Er-
habensten und höchster Kultur errungen wurde, den
Naturalisten zulieb aus den Schulen verbannt wird.
 
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