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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 10
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-r- Die Aunst-Halle -L-

Nr. l0

^8

Jahrzehnten geradezu planmäßig für Verthschätzung des
Fremden erzogen worden.
Die immer wiederkehrendeu Internationalen Kunst-
ausstellungen haben einen würdelosen Wettlauf um die
Gunst des Auslandes in Deutschland erzeugt. Ihre nächsten
Interessen zwingen sie, um jeden Preis Neues, sensationelles
Fremdes herbeizubringen, selbst um den Preis, daß dadurch
die eigene Kunst an die wand gedrückt wird. Die öffent-
lichen Kunstsammlungen halten es für ihre Pflicht — koste
es was es wolle, ein umfassendes Bild auch des aus-
ländischen Schaffens zu geben- In Berlin glaubte man
auch in dem Pause, das seiner Inschrift nach ausdrücklich
der deutschen Kunst gewidmet sein soll, nicht ohne franzö-
sische Werke auszukommen, und hat im Erdgeschoß aus-
ländischen Nichtsen, wie valgreens Bronzen, einen Platz
eingeräumt, der sür deutsche Arbeiten ein Ehrenplatz ist.
In pamburg rühmt sich die Kunsthalle mit Recht der voll-
ständigsten Sammlung französischer Plaketten und Medaillen;
der Direktor des Kunstgewerbemuseums soll — wenn der
„Anzeiger" recht unterrichtet ist — auf der-pariser Aus-
stellung für tvoooo Mark gekauft haben, und als vor
Jahren eine größere Summe durch Geschenk oder Erblaß
verfügbar wurde, wußte man natürlich nichts Richtigeres
zu thun, als eine französische Marmorfigur von Marqueste
dafür zu erwerben. In Dresden endlich steht es gar schon
so, datz nicht einmal ein ruhiger Widerspruch gegen die
Ausländerei mehr gestattet ist.
wenn gegen eine derartige Kunstpflegc die Künstle x
endlich Front machen, so hat man wahrlich keinen Grund,
sich zu entrüsten. Es mag menschlich begreiflich sein, daß
Sammlungsleiter in aufrichtiger Begeisterung für gutes
Fremdes zu weit gehen- Aber es ist ebenso zu begreifen,
daß die Nächstbetheiligten dagegen Verwahrung einlegen,
wenn es ihrer Meinung nach auf Kosten der eigenen Kunst
geschieht.
Sind die Sammlungen wirklich nicht in erster Linie
sür die Kunst eines Landes da, so dürfen sie mindestens
nicht gegen sie sein. Das ist aber der Fall, wenn sie im
Uebereifer sich nicht genug thun können mit vorführen
ausländischer, besonders französischer Werke- Denn sie
bringen das Publikum so langsam zur Meinung, jedes gute
Kunstwerk müsse aussehen wie ein französisches; sie stellen
unwillkürlich Ideale hin, die deutscher Anschauungsweise
fremd und darum gefährlich sind. Ein deutscher Künstler
sieht und empfindet anders als ein französischer und soll
bei diesem anderen Empfinden stehen bleiben, denn darauf
beruht seine Stärke. Rühmt man den Franzosen den
kühnen Wurf nach, das eminente Können, die geniale
Freiheit, die gelegentlich auch nicht vor Gesetzlosigkeiten
zurückschreckt, so haben wir dafür die schlichte, tiefe
Empfindung, das bedächtige und gewissenhafte Stillstehen
bei allen Einzelheiten, den starken Gegensatz zu allem, was
nach Theaterpose aussieht. Man kann diese Eigenheiten
bewerthen, wie inan will, kann sie niedriger schätzen wie
die französischen, wenns drauf ankommt. Aber man wird
zugeben müssen, daß das deutsche Volk nichts besseres thun
kann in seiner ganzen Kultur, als ihnen zum stärksten
Ausdruck zu verhelfen. Was die Menschen unterscheidet,
macht sie bedeutend: das Persönliche, nicht was sie gleich
macht. Für die Völker ist das Nationale, was das Per-
sönliche sür die Individuen ist. Wo ein Künstler groß
geworden ist, da wurde er es dadurch, daß seine Werke

stärker und reiner als andere die Eigenschaften seines Volkes
wiedersxiegelten. was blassen, internationalen Idealen
nachstrebte, hat sich niemals zu behaupten vermocht.
wir leben in einer Zeit, in welcher der riesige Ver-
kehr und der fieberhafte Austausch geistiger Güter unter
den Völkern, durch Schriften, Illustrationen, Photo-
graphien rc-, die Gefahr eines langsamen Ausgleiches der
verschiedenen Kulturideale ohnehin näher rückt. Legen wir
wirklich Werth auf unsere nationale Persönlichkeit, so haben
wir auch in der Kunst das lebhafteste Interesse daran,
unsere besonderen deutschen Eigenschaften bei Ansehen zu
erhalten, nicht aber sie durch unüberlegtes Perausstreichen
des Fremden zu gefährden. Gewiß, die Erscheinung einer
Blüthe französischer und belgischer Kunst, besonders der
Plastik, ist nicht wegzuleugnen, und nur engherziger Chau-
vinismus konnte verlangen, daß man sich dieser Thatsache
durch Verzicht auf alles Fremde völlig verschließen solle.
Das ist niemals die Meinung der Dresdner Bildhauer und
der anderen Künstler gewesen. Aber die höchste Blüthe
einer fremden Kunst darf uns nicht nöthgen, sie unserem
Volke auf Kosten und zum Schaden dss eigenen Schafferis
vorzuführen! Das thun weder die Engländer, noch die
Franzosen, und sie fahren gut dabei.
Ihre Kunstgelehrten schreiben auch Bücher über andere
Kunst sicherlich! Ihre Sammlungen kaufen auch gelegent-
lich — wenn auch selten und meist aus Anlaß persönlicher
Beziehungen — ein deutsches Werk, von der Propaganda
fürs Ausländische, wie sie bei uns in allen Ehren Regel
geworden ist, kann bei ihnen aber gar keine Rede sein.
wer diese nur versuchen wollte, auch mit der Be-
gründung einer Blüthe der deutschen Kunst, der würde
durch einen Sturm der Entrüstung hinweggesegt werden.
Die deutsche Musik wird von den Franzosen in ihrer Größe
sicherlich nicht angefochten, es haben sich aber schon lange
gewichtige Stimmen hören lassen, die in Bezug auf die
Wagnerei mit aller Entschiedenheit den nationalen Stand-
punkt betont haben, und kein Mensch in Deutschland wird
ihnen das verdenken. Denn ein Volk kämpft für seine
Existenz, wenn es sür seine geistigen Güter, für seine Be-
sonderheiten in Kunst und Wissenschaft kämpft, gerade so
gut, als wenn es auf den Schlachtfeldern kämpft. Es
könnte sich ruhig jede fremde Regierung gefallen lassen,
wenn es nicht richtig empfände, daß es unter ihr langsam
aufgeben müßte, was seine Stärke ausmacht. Und ebenso
auf hem Gebiete der Kunst: Läßt es zu, daß im eigenen
Lande Fremdes zur perrschaft kommt, so gräbt es sich
langsam und sicher selbst den Boden ab. In der Theorie
besteht über diese Dinge eigentlich keine Meinungsverschieden-
heit. In der Praxis sehen wir die berufenen Kunstxolitiker,
die Kunstgelehrten, nicht nur in Dresden, sondern fast aller-
orten, in vollkommenem Widerspruch mit den Künstlern
über die Frage, wo das „Genug" in Perbeiführung des
Ausländischen liegt. Sagen die Kunstgelehrten, es ist unsere
Pflicht, den Künstlern des eigenen Landes gute und neu-
artige Dinge in den Sammlungen vorzuführen, so
antworten die Künstler: durch derartige Bestrebungen der
Kunstgelehrten — ihr Ansehen in vollen Ehren — ist noch
niemals eine Kunstblüthe herbeigesührt, noch ein sinkendes
Kunstschaffen hochgehalten worden, wären gute Vorbilder
im Stande, eine Kunst zu heben, so hätte in Dresden oder
in änderet! Großstädten, die Galerien voll der herrlichsten
Werke haben, niemals ein Tiefstand der Malerei herrschen
 
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