Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

DOI issue:
Nummer 12
DOI article:
Galland, Georg: Wilhelm Lode über die moderne Kunst
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0210

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
(80

4- Die Aunst-Halle

Nr. (2

es noch so gute Eigenschaften daneben haben. Es
ist gut, daß hier das Wort „Schönheit", das von
den Herren lange Zeit ängstlich gemieden wurde,
wieder einmal frei und offen gesprochen wird.
Aber die Kritik des Autors hält auch den
„modernen" Bildhauern und Architekten, die heute
auf der Höhe zu stehen sich einbilden, ein gehöriges
Sündenregister vor. Gerade in der Plastik spielt
das Material eine erhebliche Nolle. Dessen eigen-
thümliche Schönheiten bleiben häufig ungenutzt- die
Werke verrathen in der Behandlung völlige Unkennt-
niß des Materials; das Skizziren in Thon, worauf
sich vielfach die bildnerische Thätigkeit beschränke,
führe zu einem Verkennen der Grundbedingungen
der plastischen Kunst; in Marmor oder Bronze werde
die Thonbehandlung oft nachgeahmt.
Diesen Sünden gegen das Material und die
Technik auf der einen Seite, wird auf der Seite der
„Alten" die schablonenhafte Arbeit bei den Denk-
malsaufgaben angereiht. Bode spricht von einer
heutigen „Monumentenwuth". Za, muß denn fedes
dieser Monumente unbedingt ein Kunstwerk sein?
Solchen Ehrgeiz können sich doch wohl die meisten
Kassen unserer Kriegervereine nicht erlauben. Freilich
hat der Autor auch wiederum nur zu recht, wenn er be-
hauptet, daß selbst bei reich ausgestatteten Schöpfungen
solcher Art oftmals nicht mehr als eine koulissenhafte
Dekorationswirkung herauskomme. Hier erstrebe die
moderne Richtung zwar vor Allem individuelle
Wahrheit, selbst unter Verleugnung von formaler
Schönheit, guten Proportionen, Beseelung; das
erscheine „veraltet". Was dabei manchmal entstehe,
zeigen z. B. Rodins Monumente: Neben dessen
„Bürgern von Talais" seien Donatellos triefäugige
Propheten am Tampanile gezierte Modepuppen;
sein Viktor Hugo gebe ein Monstrum von einer
Porträtstatue. „Mit diesem krassen Naturalismus,
der nur die Form in ihrer malerischen Erscheinung
unter dem Einfluß von Luft und Licht gelten läßt,
aber jede Berechnung der Monumentalität oder des
architektonischen Aufbaues verleugnet und ihr Hohn
spricht, verbindet sich ein gesuchtes Streben nach
Symbolismus und allegorischen Bezügen in den ver-
zwickten Figuren und Gruppen, für deren Enträthse-
lung ein gewöhnlicher Sterblicher den Schlüssel nur
selten finden wird. . . Sollte die Plastik in dieser
völlig unplastischen Richtung auf dem rechten Wege
sein? Die Begriffe von der Kunst müßten sich voll-
ständig ändern, wenn wir diese Frage bejahend be-
antworten wollten. Unsere Modernsten sind freilich
schon an der Arbeit, diese neue Kunst auch theoretisch
zu konstruiren, ihr eine eigene Aestthetik auf den Leib
zu schreiben, die mit der alten Kunst und ihrer Be-
rechtigung gründlich aufräumt."
Zn der Architektur, lesen wir weiter, macht
sich gleichfalls seit einiger Zeit eine neue Strömung
sehr bemerkbar, die in der Verleugnung des Bis-

herigen, in der Aberkennung jedes werthes der
historische Stile, von denen allenfalls noch romanische
Reminiszenzen bei diesen Baukünstlern Gnade finden,
sich ostentativ gefällt. Kolossalität, Massigkeit und
Formlosigkeit bilden das Eigenthümliche dieser
modernen Bauten, vornehmlich von Völkerdenkmälern,
Gedenkthürmen, Feuersäulen. Bisher galten für die
Architektur der Einklang der Formen mit dem Zweck
des Baues, die sprechende Ornamentik als Ausdruck
der statischen Bedeutung der einzelnen Glieder und
die glücklichen Verhältnisse derselben unter einander
und zum Ganzen als die Merkmale eines architekto-
nischen Kunstwerkes. Zetzt verschmähen jene Geister
die ewigen statischen Gesetze, greifen mit Vorliebe zu
den primitivsten Formen der Anfangszeit zurück,
thürmen kolossale Mauernlassen pyramidenmäßig auf-
einander, bilden schräge Wandungen der Thüren und
Fenster, die spärlich und klein wie die Augen in
einem vorsintfluthlichen Ungethüm sitzen. Ein solches
Bauwerk erinnert bald an die Riesenbauten der
ältesten Völker, bald an Dolomitenberge und andere
Naturgebilde. Dieses Spielen mit dem primitiven
wirkt durch die theatralische Znszenirung des Ganzen
besonders unangenehm; man glaubt sich zwischen
die Koulissen moderner Opernstücke versetzt. Die
Harmonie der Disharmonie, so sagt der Autor, sei
das Programm dieser Zukunftsarchitekten, die auch
unter denen, welche noch mit alten Formen arbeiten,
schon einen bedenklichen Anhang besitzen; das ver-
räth die wüste Art, wie jene Formen verwendet und
vermengt werden.
Dabei berührt Bode auch den nationalen Stand-
punkt. Die theatralisch gestaltenden Architekten, die
ihre teutonischen oder altnordisch-romanischen Kolosse
mit Drachenköpfen, thierisch-menschlicher Phantastik
u. dgl. verbrämen, bilden sich nicht nur ein, daß sie
ail der Spitze der Moderne marschieren, sondern
halten ihr Werk vor Allem für die langersehnte
„nationale Kunst." Sie vergessen, daß das
Nationale nur das unbewußte Lrgebniß der schöpfe-
rischen Thätigkeit eines Volkes sein kann. National
werden wir ganz von selbst gestalten: wenn wir aus
reinem künstlerischen Bedürfniß und aus den ge-
gebenen Bedingungen des Materials und der Kunfl
heraus zu schaffen streben. Unsere wahre Kunst wird
stets eine nationale Kunfl sein. Vorläufig sei die,
wie unser Autor meint, nur ein „scheckiges, theatralisches
Mäntelchen", eine durch Redensarten, durch Nach-
ahmung oder Anmaßung gewonnene „Kunst".
G. G.
(Lin zweiter Artikel folgt.)
X
 
Annotationen