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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 12
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Wirth, Robert: Zur Thier-Aesthetik: von Robert Wirth, Plauen i. D.
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0211

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Nr. s2 ——Die Aunst-Halle M

Lur cbier-Mztbetik.
Voii Robert Wirth, flauen i. V.

(Schluß.)
ls das häßlichste Säugethier erscheint uns,
wenigstens in den anthropomorphen oder
menschenähnlichen Arten, der Asse, die „miß-
lungene Nachahmung der Menschenform", die Fratze,
eine auf den Menschen gemünzte Malice. Die Häßlichkeit
hat ihren Grund in dem Uebertritt oder dem Heraus-
treten des einen Wesens in die Lebenssphäre des ver-
wandten Wesens, in diesem Falle in die des Menschen. So
überall: Der affenähnliche Mensch, der menschenähn-
liche Affe, der weibische Mann, das Mannweib, das
greisenhafte Rind, der kindische Alte sind Entgleisungen,
natürlich und ästhetisch. Fassen wir die Affen als
Rarrikaturen, so können wir aus ihrem Aussehen sehr
wohl Romik herauslesen, denn die Spitze der Rarri-
katur ist die Romik. Redet man nämlich von Häßlich-
keit in der Natur, so kann man mit dem gleichen
Rechte auch von Romik in ihr reden, und die Natur
erscheint von diesem Gesichtspunkte aus als die Rarri-
katurenzeichnerin vorzugsweise; läuft doch beinahe
jeder Mensch mit leisen Spuren davon herum,
weshalb es auch möglich erscheint, ihn mit ein paar
Strichen zeichnerisch zu karrikiren, ohne von seiner
Aehnlichkeit wesentlich abzuweichen. Ebenso eignet
sich daher das Thier zur Rarrikirung ins Menschliche
vorzüglich; Muster auf diesem Gebiete des Thier-
humors, ist bekanntlich der Leipziger Zeicheninspektor
Fedor Flinzer. Auch die bekannten Gesichtsrunzeln
junger Menschenaffen sind, wie die gewisser Hunde-
rassen, als humorvoller Roatrast mit dem jugendlichen
Wesen des Geschöpfes aufzufassen. Sonst erscheint
uns Menschen das Thier, wie man sagt, seriös, es
lacht nicht, wiewohl man von letzterer Gebehrde Spuren
beim Hunde, namentlich bei der Begrüßung seines
Herrn, in den: freundlichen Zähneweisen finden kann.
Bekümmerter Ausdruck, feuchter, melancholischer Blick
wird dagegen häufig beobachtet. Der Hund greint,
sagen die Leute, und jüngst ging über das Weinen
der Thiers infolge innerer Bewegungen sogar ein
Artikel durch die Zeitungen, während ein wirklicher
Thränenfluß bei ihnen doch nur von krankhaften
Rörperzuständen herrühren kann. Auch das bekannte
Seufzen der Rreatur im Römerbriefe hat inan zu
dem augenfälligen Ernste der Thiere in Beziehung
gesetzt. Raum brauche ich hier an Darwin zu er-
innern, der in seinem Werke über den Ausdruck der
Gemüthsbewegungen auch seelisch das Thier dem
Menschen nahe gerückt hat. Für den Thierporträtisten
bildet selbstverständlich die Art der thierischen Miene
eilten Hauptreiz des Studiums, doch hat sich derselbe
wohl zu hüten, durch zu große Intimität und — bei
Ausschluß des Römischen — Ueberführung des Aus-

drucks ins Menschliche fesseln zu wollen: werden doch
so wie so schon Thierbilder, namentlich des Jungviehs
und der Thierfamilie, für die Mehrzahl der Beschauer
die Veranlassung, mehr auf den sachlich anziehenden
Inhalt der Arbeit, als auf den künstlerischen Gehalt
zu achten. Ebenso darf der Rünstler in der darge-
stellten Beziehung des Thieres zum Menschen nicht zu
sentimental werden. So bezeichnet Franz Tourtens
ein Bild mit „Ammen" und meint damit zwei Ziegen,
die von einer Frau mit einem Rinde auf dem Arm
gemolken werden sollen — eine menschliche Amme
oder gar Mutter kann ein solches Bild selbst bei
hoher künstlerischer Güte desselben doch nur mit ge-
mischten Gefühlen betrachten. Gar nicht dagegen
störte es die Alten, die lupa der römischen Mars-
zwillinge oder die Amalthea des Zeus, eine gedachte
Ziege auf Rreta, so bezeichnet zu finden, die Thiere
waren hier durch religiöse Vorstellungen geweiht.
Wenn ferner Franz von Lenbach die Miß B. malt,
indem sie eine Ratze an ihre Wange drückt, so kann man
leicht hierin eine Empfindelei finden, abgesehen davon,
daß die Ratze im Volke gern mit dem weiblichen
Wesen in Beziehnng gesetzt wird, zu dessen Ungunsten.
A. Neven du Mont läßt die Ratze wenigstens auf
dem Schooße der Miß T. sitzen. Natürlich läßt sich
die Ratze in anderen Fällen künstlerisch vortrefflich
verwerthen, auch da sie das Hexenthier ist vorzugsweise.
Es ist unnöthig, dies hier näher zu erörtern. Glück-
licher ist F. A. von Raulbach, da er seine Frau auch
mit einem Hausthier auf dem Arme, die Gesichter
genähert, malt, nämlich mit einem Teckel: das Gesicht
der Dame lächelt, ernst blickt daneben der Dachs —
ein gefälliger Gegensatz! Freilich kann man in allen
solchen Fällen mit jenem Fremden, der einst im alten
Nom die Damen ihre Schooßhunde tragen sah, fragen:
„Haben denn dieRömerinnen keine Rinder?" Uebrigens
wird jetzt auch die Ratze „porträtirt", ich erinnere an
„pussy" (so!) von M. Stocks. Welche Seltsamkeiten
neuerdings gesuchte Beziehungen der Thiere in der
Runst zeitigen, beweist das Gemälde von Thomas
Theodor Heine, betitelt: Frühlingserwachen (Berliner
Sezession (900), da ein kraftvoller, bekränzter Stier
von zwei überschlanken Liniendamen auf blumiger
Wiese geführt wird. Man denkt an die Entführung
der Europa durch Vater Zeus (aber es sind ja zwei
Damen!), oder an ein Plakat für Liebigs Fleischextrakt
oder soll der Stier den holden Frühling bedeuten,
oder sollen die bekannten Frühlingsgefühle gekenn-
zeichnet werden? Irgendwelche prickeleien, wollte
sagen Pikanterien, werden hier doch servirt.
Das Hausschwein wurde früher nicht für sich
gemalt, in erster Linie wegen seiner Häßlichkeit; wohl
aber der Eber. Vor einigen Jahren malte Herr
v. Heyden in seiner „Ruhe im Saugarten" ein halbes
Dutzend bei einander liegender Borstenthiere „zu
scheußlichem Rlumpen geballt" — wirklich zu viel
Mastfletzch auf einmal. Ueber das auch auf diesem
 
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