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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 18
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Neue Offenbarungen in der Kunst: eine kleine Blüthenlese
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0321

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Nr. s8

DisAunst-^alle -r-

279

von der „N. Fr. pr." kürzlich abgedruckten Vortrag,
der im dortigen „Wissenschaftlichen Klub" gehalten
wurde, nachzuspüren, was hinter einer Gruppe von
„Modernen" stecke, die sich als Ingenien von beson-
derer Gattung neuerdings in die öffentliche Meinung
einzuschmuggeln wußten. Also scheint auch an der
Donau die Reaktion gegen die „Modernitätsmode"
ernst zu werden; der Verfasser meint damit übrigens
den Kultus der Ueberspanntheit, den seit Jahren
„in der Malerei das Häuflein der Schwindsuchts-
maler oder praeraffaeliten treiben, in der Literatur
die Dekadenten, Symbolisten und Neuromantiker, in
der Musik die Zukunftsmusiker, in der Philosophie
die, welche den Bankerott der Wissenschaft ver-
künden"' — die Alle uns einzureden versuchen, daß,
weil in den: Wesen und Schaffen des echten Genies
Manches schwerverständlich und dunkel erscheine, alles
Dunkle, Absuröe und Geschmacklose auch unbedingt
genial sein müsse, ^.ckmiror nbsurckum gelte
als der einzig wahre Grundsatz derer, welche schlecht-
weg als „modern" gelten wollen und denen es anch
wirklich gelungen ist, „ein paar zynische, Fälscher
von Maß und Gewicht, ein paar Irreführer der
öffentlichen Meinung für sich zu interessiren." Der
Verfasser des Aussatzes findet sehr harte Worte
gegen diese „Verwüster der deutschen Geisteskultur,
die Hysteriker und Gaukler der Moderne". Nicht
die Mehrheit, die sich endlich gegen den jahre-
langen schnöden Mißbrauch der öffentlichen Meinung
entrüstet erhob, sei eine Verschwörung der Mediocren
und des Mobs gegen souveränes Künstlerthum,
sondern es müsse einmal vor aller Welt festgestellt
werden, daß es nur eine Verschwörung mittelmäßiger
Köpfe gegeben habe, und die verursachten eben jene
Modernen, indem sie den gesunden Kunstgeschmack
vergewaltigten. Wer mit Verehrung und Dankbar-
keit zu den wahrhaft großen Dichtern, Musikern
und Künstlern unseres Volkes aufblickt, müsse von Zorn
über die Schädlinge, über das jahrelange Irreführen
der Nation ergriffen sein.
Der Verfasser richtet die Frage: was seid Ihr
wahrhaft Modernen eigentlich für Menschen und
wie stellt Ihr Luch unsere Zeitstimmung vor, deren
künstlerischen Ausdruck Zu schaffen Ihr Luch vor-
allen Anderen berechtigt hält? Aus der verschleierten
Antwort, die man erhalte, lasse sich etwa Folgendes
über und wider die Herren sagen: „wir sind nervös,
zerfahren, dekadent, enttäuscht, blasirt, voll Sehn-
sucht nach einer Sehnsucht, nach neuen Idealen, die
das Leben des Lebens werth erscheinen lassen, trutzig
selbstbewußt, kritisch gegen alle überlieferten Satzungen,
pochend auf unser Recht, uns auszuleben, und so dürfen
unsere Werke nicht ruhig, gelassen und weise sein,
sie dürfen nicht in einer festen Weltanschauung
wurzeln, nicht durchtränkt sein von Lebensfreudigkeit,
nicht die nothwendige Selbstbescheidung des winzigen
Individuums im Weltganzen, nicht die Anerkennung

irgend einer der gewordenen Lebensformen verrathen,
sondern müssen gähren, verwirren und Fragen stellen.
Nur solche Werke sind modern, alles Klare, Deut-
liche, Sichere ist alter Kohl, tausendmal überwundene
Philisterweisheit für die Vielzuvielen, nicht das
interessante Thaos, aus dem die neue Kunst der
neuen Menschheit hervorgehen kann. — wie aber,
wenn heute Liner, Hunderte, Tausende kämen, die
da sagten: wir sind gar nicht nervös, gar nicht zer-
fahren, gar nicht sehnsuchtsvoll; wir wissen ganz
genau, was wir im Leben zu thun und zu hoffen
haben; wir prüfen die Vorurtheile, verwerfen
aber durchaus nicht jede bewährte Lebensform, wir
sind ruhig und gelassen — wären solche Menschen
keine Zeitgenossen, hätten die kein Recht auf ihre
Kunst? — Weiter: Die Werke der Modernen sind
subjektiv im Extrem. Ganz verfeinerte Künstler-
schildern ganz sublime Menschen, ätherische Seelen
ohne Schwere, ohne Körperlichkeit. Die Gesetze des
Raumes und der Zeit existiren nicht mehr. Auch
die künstlerische Form ist kein Lrforderniß mehr des
künstlerischen Sichselbergebens. Vers, Reim, Strophe,
Melodie, Linie und Gestalt, Gliederung und Kompo-
sition sind Kennzeichen altväterischen Kunstschaffens.
Die Werke der Moderne sind ganz Willkür, dem
Verstände inkommensurable Eingebungen der genialen
Persönlichkeit. Je willkürlicher und aparter, desto
genialer ist natürlich die Persönlichkeit. Die Außen-
welt interessirt nicht mehr, die Innenwelt ist um so
interessanter geworden.
Suchen wir nach dem gemeinsamen Zug in
diesem Kunstschaffen, so finden wir den Trieb, nicht
mehr das ausgetragene Kind, sondern den Lmbryo
in die Welt zu setzen, das Kunstwerk im ersten
Keimen nach der Konzeption, noch ehe es feste Ge-
stalt, Gliederung und eigenes Leben empfangen.
Ls wäre leicht, diesen Trieb auf perverse und hysterische
Zustände zurückzuführen, aber er findet seine Er-
klärung mehr noch in einer Anwandlung von Hoch-
muth, der sich der Künstler umsomehr bemächtigt
hat, je mehr ihr wirkliches Köanen zurückgegangen
ist. Ls dünkt ihnen mehr des persönlichen an einem
Werke, das noch nicht alle Normalstadien der Ent-
wicklung durchgemacht hat, das noch mehr eine an-
genehme Blähung des Bewußtseins darstellt, als
einen Akt der Ausscheidung des Reifen und Selbst-
ständiggewordenen. Die Konzession an den Empfänger
— den Mob — soll nicht mehr gemacht werden,
daß inan ihm das Produkt sorgsamer Arbeit und
planvoller Gliederung präsentirt. Die Außenwelt
mit dem Ich zu durchdringen und zu verschmelzen,
sie dann geklärt uud geordnet wiederzugeben, das
war einstmals Kunstbrauch; heute giebt man den
ersten Reaktionszustand des Ichs auf die Reize der
Außenwelt und glaubt damit wahrhaft persönliche
Kunst zu geben. Ls ist ein fortwährendes Horchen
auf die Geräusche im eigenen werthen Ich, das als
 
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