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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 18
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Neue Offenbarungen in der Kunst: eine kleine Blüthenlese
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0322

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280 — ? Die Aun st-Halle — Nr. s8

interessantes Künstlerthum erscheint. Freilich, je tiefer
in die eigenen Eingeweide der Künstler dringt, desto
mehr findet er Vorgänge, von denen nur er etwas
weiß und merkt, desto subjektiver, unkontrolirter und
selbstherrlicher kann er sein. Mit der Unterordnung
unter eine fest gegliederte Form nimmt er schon
etwas Fremdes, nicht ausschließlich ihm Gehöriges
an, und damit nähert er sich schon der Gewöhnlich-
keit. Das aber muß um jeden Preis vermieden
werden. Ein Künstler ist eigentlich nur der, den
außer ihm selbst kein Anderer ganz begreift. . .
Wir können uns nicht versagen, unsern Lesern
noch einige weitere Sätze aus dem Vortrag mit-
zutheilen:
Das Modernste ist das absolute Seibersein. . .
Einst gaben die Künstler das Veste und Reinste
ihres Wesens, weil sie glaubten, der Menschheit
Würde sei in ihre Hand gegeben. Heute machen
die, welche sich „modern" nennen, sich dadurch inter-
essant, daß sie die niedrigsten und krankhaftesten
Regungen ihres angefaulteil Ichs als Kunst prä-
fentiren.
Die Genies betrachteten sich einst als höchster
Ausdruck der Volksindividualität im Dienste des
Volkes. Man denke nur an Göthe's Wort: Warum
sucht' ich den Weg so sehnsuchtsvoll, weuu ich ihn
nicht den Brüdern zeigen soll. Das Genie als
etwas dem Volksganzen Fremdes, ihm feindlich
Entgegengesetztes ist eine Erfindung der reaktionärsten
Weltanschauung.
Hinter der leichtverachtenden künstlerischen Subjek-
tivität steht mit der großen Schaufel .das absolute
Dunkelmännerthum, der volle Verzicht auf das Licht
des Denkens.
Was ist die Bilanz des Jahrzehnts der künstle-
rischen Geltung der Moderne? Man fasse etwa
Wien und Gesterreich ins Auge, die ehe-
mals „asiatische" Provinz, in der Gluck und Mozart
und Beethoven, Schubert und Brahms gelebt, das
Wien der Grillparzer, Lenau, Bauernfeld, Anzen-
gruber, Makart und Schindler. Was hat es seit
der gebenedeiten neuen Aera hervorgebracht, das
seineil Ruhm über die Erde hätte verbreiten können?
Ein zum Lachen, wenn nicht zum Aerger reizendes
Bild eines begabten, aber irregeleiteten Künstlers,
für das eine goldene Medaille in Paris erlangt
werden konnte, ein paar flotte Skizzen aus der Lebe-
welt, einigen Aberwitz mit Gedankenstrichen, der voll
seiner eigenen Parodie nicht zu unterscheiden ist,
voila tout.... Nein, wahrlich, die Adoptirung
merkantiler Methoden für die künstlerische Agitation
ist der Kunst recht schlecht angeschlagen; sie hat
Leben in die Kunst gebracht und das Kunsttreiben
der öffentlichen Aufmerksamkeit näher gerückt, aber
von all dem neuen Kunstinteresse hat nur die turbulente
Impotenz den Nutzen gezogen, und das Vertrauen
der Bevölkerung zur Verläßigkeit der Kunstkritik

ist auf Jahrzehnte hinaus zerstört worden. Die
Bilanz des Jahrzehnts ist eine erschreckende. Ein
paar ehrliche Fanatiker der exklusiven Ekstasen, im
Uebrigen Gaukler, Geckeu und Gimpel, das sind die
Truppen der Moderne, Schund, oder wie man in
Wien sagt, G'schnas, das sind ihre Leistungen. Ein
Segantini hat die Moderne nicht gebraucht, aber die
Moderne braucht die Segantinis, um sich an
ihre Rockschöße anzuhängen. Die ganze Gründung
ist ein Humbug, von einigen Faiseuren und Verlegern
für sich und die Ihrigen inszenirt, eine große Grimasse
der Zeit, die man nicht anschauen kann, ohne zu
lachen oder mit einem kräftigen Fluch sich abzuwenden,
ein pariser Jux, verspätet in die Provinz gelangt
und dort so ernst genommen wie die kühne Hand-
bewegung der Dame cls alle? IVluximö.
Eine Nation bringt nicht ihr Bestes hervor
damit es wie werthloser Plunder in die Ecke ge-
schleudert werde, wenn ein Häuflein von Gernegroßen
sich entschließt, eine neue Aera zu inszeniren. Eine
Nation muß ihre Traditionen wahren, das Neue
am Alten messen und an das Alte auch organisch
anknüpfen. Dazu aber muß das lebendige Alte
auch lebeudig erhalten bleiben, wie in Frankreich,
wo nicht über einen Donnav ein Möllere vergessen
werden kann, wo der ersten Bühne des Landes die
Aufgabe zufällt, den Gewinn der Jahrhunderte nicht
von Tagesmoden verschütten zu lassen. Vorlauten
Kliquen aber muß die Gesellschaft die Wege aus
dem Tempel hinaus weisen, denn die Kunst gedeiht
nicht im modernen Kartell- oder Syndikatsbetrieb.
Man frage Leo Tolstoi, dessen „Auferstehung" die
literarische Ehre des Jahrzehnts gerettet, ob er sich
für einen Künstler der Moderne halten und irgend
einer Gruppe anschließen lassen möchte, man frage
Björnson, der ein Jahrzehnt gerade von der
turbulenten Moderne zurückgedrängt war, oder man
hätte Gottfried Keller und Arnold Böcklin fragen
sollen, wie sie wohl gelacht hätten, die kernigen
Alten, über die putzigen Großstädter, die da glauben,
daß sie mit ihren engbrüstigen Skizzchen oder kecken
Grimassen mehr als eine wurmstichige, widerstands-
unfähige Großstadtschicht erobern können.
-i-
Der „Tag" kolportirte eine Aeußerung von
Reinhold Begas, dem großen Berliner Statuarius,
zu dessen 70. Geburtstage ' sich eben die Kunstkreise
rüsten, — über die „Sezession". Der Meister widmet
„den künstlerischen Produkten der äußersten Linken"
ein pathologisches Interesse. Die seien lediglich ge-
schaffen, um dem erkrankten Organe heutiger Brillen-
träger den Kunstgenuß zu ermöglichen.
„Um den ungewöhnlich großen Anforderungen
zu genügen, die in Deutschland an das Wissen in
allen Fächern gestellt werden, ist unsere Jugend ge-
zwungen, um alle Examina bestehen zu können, die
Nächte zu Hilfe nehmen, wodurch das edelste aller
 
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