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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 19
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Dworaczek, Wilhelm: Wiener Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0340

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296

Die Aun st-Halle

Nr. fft

oder Haydn zu Hülfe nimmt. Sein Inneres war
wie ein Saiteninstrument; von roher Hand berührt,
schrie es schrill auf, doch in harmonischen Akkorden
erklang es von verwandter Stimmung getroffen.
Darum ging ihm wohl der Maßstab für ein objektives
Kunsturtheil ab, und das Wort: „Was ist Wahr-
heit?" ist Reinem mehr aus der Seele gesprochen
gewesen als Herman Grimm. Was in seinem Innern
einen verwandten Klang auslöste, galt ihm auch
objektiv als beachtenswert^. So konnte der Ausleger
Homers und Göthes wohl auch einer Johanna
Ambrosius seine Leder leihen, konnte, mit seinen Augen
gesehen, auch das weuiger Bedeutende seinen Werth
und seinen Platz erhalten in dem großen Zusammen-
hänge des Geschehens. In dieser Macht der Em-
pfindung, die er durch seine Schriften auf seine
Zeitgenossen übertrug, liegt Herman Grimms Einfluß
und Bedeutung.
Ein anderes, nicht geringeres Verdienst hat er
als Lehrer sich erworben. Seit nahezu dreißig
Jahren hat er an der Berliner Universität Kunst-
geschichte vorgetragen — in seinem Sinne, und Homer,
Dante und Raffael, Michelangelo, Shakespeare und
Göthe zogen an den Blicken seiner Zuhörer vorüber.
Die Resultate der philologischen und kunstkritischen
Kleinarbeit ganz bei Seite lassend, erzog er seine
Schüler zur Ehrfurcht vor dem wahrhaft Großen der
Kunst und der Geschichte. Sein Vortrag war schlicht
und schmucklos, aber die innere Bewegung sprach
lauter und eindringlicher als seine Worte. In seinem
Munde erstand wie plastisch ein Kunstwerk, mochte
es der Hamlet Shakespeares oder eine Dürersebe
Passion sein. So hat er Semester für Semester
Hunderte und Tausende junger Männer, nicht nur
Lachstudenten, sondern Angehörige aller Fakultäten
der ästhetischen Weltanschauung gewonnen, zur Ver-
tiefung und Ehrfurcht vor dem Idealen erzogen und
einen Samen ausgestreut, der vielleicht noch einmal
hundertfältige Frucht tragen wird.
M. A. Reich.
X
Wiener ILuysk.
II. Die Ausstellung der „Sezession".
/as Schlagwort der großen Ausstellung der „Sezession"
hieß diesmal „Oefterreichische Kunst". Auf dieses
Programm hin wurde der Hagenbund gegründet, eine
Reihe angesehener, meist jüngerer Talente, welche aus der
Künstlergenossenschaft austraten, um speziell die pflege
der Neimathkunst auf ihre Lahne zu schreiben. Ehe die
junge Künstlerschaar noch dazu kam, ihre erste Ausstellung
zu verwirklichen, änderte die „Sezession", deren Haupt-
gewicht bisher auf der Vermittlung bedeutsamer fremder
Kunst gelegen, flugs ihr Programm und veranstaltete eine
Ausstellung österreichischer Kunst. Diese Vorwegnahme
eines künstlerisch gewiß sehr anerkennenswerthen Pro-
gramms hat einen sehr bedauerlichen Beigeschmack eines
Geschäftsmanövers und muß die Aufmerksamkeit von
Neuem etwas eingehender auf das Streben dieser Vereinigung
lenken. Da ist nun bei genauer Beachtung vieles faul
im Staate Dänemark. Und dies nicht erst seit heute.
Die Lernerstehenden mochten eine Zeit lang von den

großen Worten und den bedeutsamen Gesten getäuscht
werden, wer die Augen offen hielt und den Aposteln
der neuen Kunst beim Malen scharf auf die Linger blickte,
der wurde sehr bald gewahr, daß den künstlerischen
Idealen eine sehr regsame geschäftliche Betriebsamkeit
zur Seite stände und daß die Reklame, so alt sie und ihre
Wirkungen auch sein mögen, von diesen stürmischen
Neuerern nach keiner Richtung hin verschmäht werde.
Line Uebergangsxeriode der Kunst, in welcher die
Begriffe eines klaren, künstlerischen Bewußtseins fehlen,
in welcher sich aus noch unbestimmbaren Sehnsüchten neue
werthe loszuringen suchen, ist die günstigste Zeit für
Halbheit und Oberflächlichkeit, für Größenwahn und
Streberei. Bei uns in Wien hat das recht unerquickliche
Lormen angenommen. Aus den künstlerischen Gegen-
sätzen wuchs allmählich ein wirthschaftlicher Kampf heraus,
wie es denn überhaupt eine sehr traurige Thatsache ist,
daß bei den meisten menschlichen Kämpfen die Lahne des
Ideals vorangetragen wird, wenn es sich um rein
materielle Besitzfragen handelt. Sind wir auch gegen die
großzügigen Erbärmlichkeiten des politischen Lebens
machtlos, so sollten wir doch in der Kunst — der einzig
möglichen Verkörperung eines altruistischen Weltge-
dankens — bedacht sein, zwischen dem idealen Kunststreben
und der klugen Geschäftsstreberei eine möglichst reinliche
Scheidung zu erzielen.
Darum muß auch der neue Geschäftskniff der
„Sezession", der den Hagenbund zweifellos schädigt, ent-
sprechend zurückgewiesen werden. Ls wäre doch einmal
an der Zeit, wieder zu ernstem und vor Allem be-
scheidenem Kunstschaffen zurückzukehren, wir sind lange
nicht so groß, als übelberathende Lreunde uns einreden
möchten. — Sollte die Ausstellung der „Sezession" wirklich
ein Bild von unserer österreichischen Kunst geben? Ich
glaube dies nicht, wenn sie auch im großen Ganzen
einen recht günstigen Eindruck hervorruft. Den Llou der
Ausstellung bildet „Die Medizin" von Gustav Klimt, dem
Präsidenten der Sezession. Die Lntwicklungslinie des
Herrn Klimt ist ein seltsam verschlungenes Ornament.
Seine Anfänge zeigten ein geschmackvolles und feines
dekoratives Talent. Großen Aufschwung in der Kom-
position vermochte er nicht zu nehmen. Man schätzte ihn
als eine echte Begabung und anerkannte seine etwas
konventionelle, aber sichere Zeichnung und seinen feinen
Larbensinn. Plötzlich, als die Sezessionsbewegung in
Wien um sich griff, sah man Herrn Klimt an ihrer
Spitze. Inzwischen waren Lernand Khnopff und andere
Künstler hier gewesen und hatten entscheidenden Einfluß
auf das Schaffen Klimts ausgeübt. Lr ging plötzlich
ganz in ihrer Nachahmung auf, so sehr, daß Khnopff ein-
mal die Bemerkung gemacht haben chll, er hielte Klimts
Werke ohne die seinen (K.s) für unmöglich. Das wäre
an und für sich nicht so zu tadeln. Die größten Be-
gabungen haben sich aus Vorbildern emxorgerungen und
sind durch mancherlei Wandlungen zum Ausdruck ihrer
Individualität emxorgewachsen. Nun aber begann in
Wien ein Tanz um Gustav Klimt, welchen ein wiener
Kunstkritiker kaltblütig für das bedeutendste Malergenie
seit Hans Makart erklärte. Die Reaktion blieb selbst-
verständlich nicht aus. Je kühner Klimt in leinen
Werken wurde, desto energischerer Widerspruch machte sich
gegen dieselben geltend. Der Skandal, welchen sein für
 
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