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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 19
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Imhof, Franz: Berliner Ausstellungen: die Große Kunstausstellung 1901, (II)
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0344

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300

Die A un st-Halle

Nr. B

theilen nicht die Meinung, daß der Untertitel unseres
Blattes: „Grgan für die Interessen aller Künstler" uns
verpflichtet, die That jedes Einzelnen zu unterstreichen.
Ls interessirt wohl mehr, größere Gesichtspunkte für die
Würdigung des Ganzen zu finden. Und da ist zu melden,
daß die Abneigung gegen den konsequenten Naturalismus
im wachsen ist und diese Abneigung eine nicht geringe
Zahl von Malern wieder auf das lange Zeit mißachtete
poetische Gebiet geführt hat, selbst solche die für die
jüngste Evolution der sog. Neuromantik absolut un-
empfänglich blieben. Geschichte, Bibel, Legende, Märchen,
Allegorie, selbst das schlichte' Alltagsleben in irgendwie
beschönigter Auffassung boten Stoffe und Anregungen in
Hülle und Fülle.
Die Kreuzzugspredigt des Peter von Amiens, eine
im Vordersaal aufgestellte Kolossalleinwand des Belgiers
E. Vanaise, ist freilich, trotz der Kraft des Kolorits, ein
Anachronismus, erinnern doch solche Tableaur an die
Werke eines Gallait und Julius Schrader. In der
Leidenschaft des Gefühlsausdrucks steht jener Schöpfung
des Belgiers das Gemälde von Uirsny-Hirschl „Die
Seelen am Acheron", die den göttlichen Führer Hermes
um Rückkehr ins Leben anflehen, nicht nach, während
Reiffenstein's pompöses „Gastmahl Heliogabals" ein
ziemlich roh hingestrichenes Nuditätenkabinet, geeignet
für ein Panoptikum, vorstellt. Künstlerisch ernsthafter ist
L. Mark's (Budapest) „Sirenen-Nest" zu nehmen, obwohl
es koloristisch durchaus nicht befriedigt. Der Münchener H.
Knopf, derBerliner Müll er-Münster bieten — derErstere
in der Nadelprobe einer jungen Hexe, der Letztere in
„Ziehenden Landsknechten" — zwei malerisch bemerkens-
werthe Proben des geschichtlichen Sittenstückes, das auf
den Bildern Anderer (F. Simm, V. Schwert, E. Wendling,
I. Lhrentraut, M. Geisser) mehr der kostümlichen als
der künstlerischen Reize wegen fesselt.
Einen, wie mir scheint, durchaus gelungenen Versuch
hat man dieses Mal durch Vereinigung aller biblischen
und ähnlich gestimmten Schilderungen in einem abseits
gelegenen Saale unternommen. So wird man den
Frommen in Stadt und Land manches Aergerniß durch
eine bedenkliche Nachbarschaft jener Bilder ersparen.
Aber leider ist der fromme Maler nicht immer der beste,
und das Heiligenbild nicht immer ein heiliges Werk der
Kunst. F- Brütts famos gemalte Christnacht mit aller-
lei niedlichen Lngelein ist so süß empsunden, so auf einen
kindlichen Märchenton gestimmt, wie nur je diese Szene.
Line weiß gekleidete Madonna in einer Renaissancehalle
von E. van Hove ist sehr sauber durchgearbeitet. Wrage's
Heilige Familie im schummerigen Zwielichte ist voll
Andachtstimmnng. Aber das eigentlich moderne Bibelbild
bietet hier E. Brunkal, indem er nach dem bekannten
Kanon Uhdes eine sonntäglich schwarz gekleidete Ge-
meinde am Seeufer in Gegenwart der weißen Vision
Christi, der dem Aeltesten die Hand reicht, vorführt. In
demselben Raume hängt z. B. auch Fahrenkrogs
pathetische Verbildlichung „Intuition", ein Kindlein mit
göttlich leuchtendem Nimbus, das von einem bärtigen
Manne kerzengerade hoch in den Lüften gehalten wird.
Uebersinnliches in die schlichte Wirklichkeit hineinzu-
setzen, ist schon lange vor dem „Symbolismus" jüngsten
Datums beliebt worden. Auch hier ist Manches dieser
Art vorhanden. In dem Gemälde von A- Mohrbutter

ist die Muse der Musik ein vom Rücken gesehenes nacktes
Mädchen, das dem Cello eines träumenden Jünglings
Töne entlockt. R. Lichstaedts „Beethoven und die Muse"
wirkt im Ausdruck übertrieben, in der Farbengebung
unruhig. A. Schwarz' Laute spielender Engel am Bett-
chen eines Kindes, Hannemanns Krankenbesuch und
Anderes gehören zu den üblichen rührsamen Szenen,
gegen die im Interesse des Durchschnittsbesuchers nichts
einzuwenden ist. Die aufwandreichste Arbeit dieser Grupps
ist die große Leinwand von F. Klein-Chevalier: Der
Genius führt das Glück in das Haus des Wohlthäters.
Hier ist der symbolistische Vorgang, der Flug der Blumen
streuenden Fortuna unter Führung eines geflügelten
Weibes, so aufdringlich in den Vordergrund gerückt, daß
die Hauptsache, das Haus (oder genauer der Garten) des
Wohlthäters bezw. seiner Suppe spendenden Gattin, allzu
sehr in den Hintergrund gerieth. Hieran seien ange-
schlossen die Märchenschilderungen „Das tapfere Schneider-
lein" von G. Herrfurth, „Waldmärchen" von Märker,
„Der getreue Eckehard" von Georg Schuster-Woldau,
„Unschuld und Sünde" von C. Priem, die auf ihrem
Fischschwanz aufrecht stehende „Melusine" mit ihrem
gepanzerten Ritter von L. Kips und „Schön Rothtraut"
von Hermann Seeger, von denen der letztgenannte
Künstler sich als der poesievollfie und koloristisch fein-
fühligste ausweist.
Line dieses Mal inehr als sonst auffallende Gruppe
von Bildern ist die der halb- oder manchmal nur viertel-
idealen Darstellungen von weiblichen Einzelgestalten. Sie
tauchen in der Reihe der Säle bald als Muse oder
Nymphe, bald in irgend einer aparten historischen oder
allegorischen Verkleidung, bald und zumeist als suns pllrase
„Akt" bezeichnete Nudität auf. Der Ausdruck dieser
Modelldamen ist erstaunt, lächelnd, lüstern oder dumm.
Warum A. Au bl et, Paris, diesen überschlanken, gegen
einen Baum gelehnten leuchtenden Frauenleib „Herbst"
nennt, erscheint nicht völlig verständlich; er ist formal
feiner empfunden und berückender in der Wirkung, als die
z. Thl. langweiligen Akte von Claudie, Kurt Agthe
u. a. Künstlern. F. M. Bredt giebt in seiner „Heiligen
Velene" ein prächtig gekleidetes thronendes Weib in streng
frontaler Haltung, M. Pi et sch mann eine ähnlich arran-
girte „Eudoxia" im englisch-präraffaelischen Kleide,
Hamdy-Bey ein mittelalterliches Edelfräulein als „Genesis",
zwischen Tafeln, Rollen und Büchern aufrecht sitzend,
Koberstein eine „Salome" in Begleitung eines Negers,
Kaspar Ritter, neben einer vom Rücken gesehenen
„Eva", die den Apfel pflückt, eine stolz blickende „Carmen".
Von den sonstigen, bescheidener betitelten, aber auch
künstlerisch niedrig zu bewerthenden Linzelfiguren von
K. Kiesel, Zickendraht, N. Sichel, Lieck, I. Engel, C.
Hochhaus, H. Holtzbecher u. s. w. gebe ich dem ebenso
sanften wie glatt gemalten Zitronenmädchen von H.
Clementz den Vorzug; um der Urheber wegen dürfen
die hierher gehörigen Bilder von P. Thumann „Nymphen-
bad" und F. possart „Unschuld" nicht übergangen werden.
Auch „Die Diebin" von A. Fabräs, von der vorjährigen
Pariser Weltausstellung wohlbekannt, eine im Halseisen
an eine weiße Wand befestigte junge Bäuerin, soll als
lebensgroße, wundervoll gemalte Linzelfigur an dieser
Stelle Erwähnung finden. Franz Imhof.
(Weitere Artikel folgen.)
 
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