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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 10.1930

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Heft 7 (Juli 1930)
DOI Artikel:
Meinhardt, K.: Die Kunsttheorie Konrad Fiedlers, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.28000#0184

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17!!

>,e>i i»»sz/' Aümchem schon, dem diese Einsicht wurde,
i)»l sie vo» einer Llebetschöhiiiili des Denliens z» sei-
ner Ilnieischnhiiiiji verleilel, Die Worlblldnnji »uchte
lhin wle eine Arl Selbstbetrnu, dle sinnllche Äorstel-
iimnSwell dem Denlie» iiejieiüiber vlel wirklichlreits-
»esrilligler erschelnen. Ein solcher Atensch hat den
eslen Boden einer jiegebenen Äußenwelt, elnes ab-
oiiiien Seins der Dlnge vsrlassen. Er siehk das Da-
ein der Welt mitgebunden an die Täkiakelt selner
Srgane. Dabei blelbk!er zuineist stehen, oie Umwelt
bleibl hinsichtllch ihres slisnlichen Daseins flir Ihn
dieselbe, ob er sie unabhanglg oder gebunden an die
Tüligkelt seiner Slnndswerkzeuge sleht. Sobald er
die Sinne öffnel, !sl es ihr?r gewlsz. Wie früher dle
Äuszenwell, so sehk er jeht seine sinnliche Borstel-
liingswell dem Denkeis alsiObjekt gegenüber und
diese irrige Aussassung öffnek weiteren ürrtümern
Tlir und Tor. Es besleht weiter nichts als eine tal-
achliche Z»saiiu»engel)öriglreit von Denken und Bor-
lelleu sür iinser Bewuhlsei», nicht nur eine psychische,
onder» auch eine physische. Bon einem Ankerord-
iiiingsverhälliüs kann gar kelne Nede sein. Diese
Elnsichl gibl sich nur dem ganz, der die uralte Tren-
niing von Leib unü Gessk aufzugeben imstande !st, eine
Trennung, dle nichk einmal gedanklich durchführbar
isl. Da wir also in den Morten keine Berkrelungen
von Dinge» oder Borsiellungen hnben, so können wir
auch immer nur Worke denke». Wle die Borstel-
iiuigen nur auf linnllchen Wegen in unser Bewuhk-
sein gelangen, so köNnen sie nuch nur auf Grund
siiuüicher Borgänge dort ejüstieren. Sie können also
»ichl als eln serlig Borhnndenes dort einkreken und
wieder verschwinden, vielmehr befinden sie sich in
elnem ewigen Werdeis und Bergehen, Vilden und
sich Buslöse». So ist!auch der sichere Boden einer
seslen Borslellungswels, auf den der Mensch sich zu
rellen suchle, nnchdei» ihm die Illusion einer gege-
benen Auszenwell genönunen wurde, niäzts anderes
ais eine blosze Annahme. Ilnfer ganzer Wirklich-
kellsbesil; erslreckk sich nlchk über dle unmikkelbnren
Borgänge hinnus, die ln jedem Augenblick in und a»
uns slallsinde». Ansere gauZe Welt enkskeht und ver-
gehl i» jedem neuen, einzesnen Augenblick. So kön-
nen wir nuch nicht sagen, üasz wir nük nndern i» der
gieichen Welt leben, vieliiiehr lebt jeder in selner
eigenen und die ist in jedenr Momenk eine neue. Dazu
iionunl, dasz das Sein z. B. eineS Gegenstandes in
iinserem Bewujzksein durchs keinen einheitlichen Enl-
slehnngsprozesz erzeugk wird. Gemäsz unserer man-
lügsalligen siniilichen Empfänglichkeit zerfällt es in
viele Slossgebiele, denen esn verschiedenes Wirklich-
keilsbewuszlseln enksprichk.' Ein gemeinsames gleich-
arüges Wirklichkeiksmalerjal ist nlchl nachweisbar,
iiiuner nur spezialisierle Fdrmen, dle sich vvm Bien-
schen »ie zur Einheit snsse» lnsfen. Zu der stosslichen
Äusieilung kvuu»! die Bielsalk der Eiikivicklungs-
sladien in jedem einzelneN W!rkliä)keitsbewuszksein
lhinsichllichi Deutlichkeik, s Bestimmtheik, Klarheit).
Denn die Bollslänüigkeit dtzs sinnlichen Befihes wird
uns n»r vorgeläuscht, dnrch die Beigung der Sinne
sich rasch einnnder abzulösen.

Dasz der Biensch nirgenhs einen fesken Boden be-
sigi, aus dem er slehen köiufle, dasz sein Wirklichkeits-
niaierial nichl »ur slüchlig.isoudern zumeist völlig un-
enlwlckeil isl, dieser nacklen Wahrheit ins Auge zu
sehen, bedars es jehr viel Biul und Selbskändigkeit.
Eisl wer aus dem Puiüile siand, dars hosfen, zu einei»

neuen Positivismus zu gelangen. Bei näherer Anler-
suchung zeigt es sich, dasz auch bei einem einzelnen
Sinne von keinem vollsländlgen Sinnesbesih gesprv-
chen werden kann. Für diefe Untersuchung ist üer
Gesichkssinn der gegebene. Seine Wahrnehmunge»
kommen forkgeseht andern Sinnen zuguke oder wer-
den von ihnen überprüft, (ohne dasz der Mensch be-
merkt, dasz er Gesehenes nur durch Sehen vrüsen
kann — sichkbare und tastbare Form z. B. sind zwel
völlig verschledene — dleser Wlderslnn kommk von
der irrigen Auffassung, als ob die Sinne nur Werk-
zeuge zur Erfassung von schlechthin Gegebenem wä-
ren). Andrerseiks bleibe» ihm seine Gesichtswahr-
nehmungen werklos, wenn er fie nicht zum Boh-
makerial für Gefühl und Vegrisf macht. Diese Um-
werkung schaltek das Forlbestehen von Gesichkssinnes-
wahrnehmungen aber ebenso aus, wie die einsehende
Tätigkeik anderer Sinne. Erst wenn die Seherleb-
nisse von diesen zwei Bindungen gelöst werden, in die
fie das kägliche Leben nolwendig einspannen musz,
dann erst bleiben sie rein. Wer das zum erslenmnl
versucht, wird nichk wenig gegen die Gewohnheit an-
ukämpfen haben. Gelingk eS ihm dann, so wird er
ich recht unficher fühlen in eineni nur fichlbaren
Beich, der fefke Boden fehlt ihm. An die Skelle der
handgreiflichen Erde isk der feinske Skoff getreke»,
den uns unsere Augen zeigen. Alles wird ihm rälsel-
hafter vorkommen, macht er den Bersuch, welker vor-
zudringen, so kommk er in die Gefahr,, in dumpfes
Brüten zu verfallen, schlleszk er die Augen, so findet
er die ehemalS so reiche Welt in kümmerlicher Gestalk
in seiner Erinnerung wleder. Aus diesem Zustand
kann nur eüie Täligkeik helfen, durch die wieder sichk-
bare Gebilde entslehen. Allerdings wird er sich ehr-
lich fragen inüssen, inwieweik ihn die Aakur befähigt
hat, auf diefer neuen Bnhn der Enkwicklung eines
Welkbewusztfeins vorzudiingen. Was die Aakur den
niederen Sinneii tTast-, Geruch-, Geschmacksüin) ver-
sagt hak, das hak ste den höheren Sinnen — hier dem
Gesichtsfin» — geschenkk. fEine Tasteinpfindung z. V.
ist von dem Gegenftand, an dem sie enkstand, unlös-
bar. Man müszte einen genau gleichen Gegenskand
herstellen, würde an ihm die gleiche Tllstempfindung
haben, von dem sie abermals nlcht zu krennen ist.)
Änders ist es nüt den Gesichkswnhrnehmiingen, die
können wir loslösen, ohne dem Gegenstand, an dem
f!e entstanden, verhafket zu feln. Ihrer ewigen Fluchl
liönnen wir uns erwehren durch ein Mikutgeschenk.
2ndem der Mensch schon die einfachske Umriszliiüe
zeichnet, hak er der bisherigen Sinnestäkigkeit gegen-
über ekwas völlig Aeues gekan, er beginnk die Fluchl
der Erscheinungen zum Stehen zu zwingen. Hier hat
Fiedler fene» Pnnkk gesunden, aus dem ihm jede
wellergehende künsllerische Täligkeil bis zu jenei
komplizierlen Arbeil, der die groszen Aleisterwerke
ihre Entstehung verdanken, verständllch wird. Nichl
Naturnachahmiing ist das Tun des bildenden Kllnftlers,
sondern ein Erliennenwollen der sonst uneriiannk
bleibenden fichkbaren Welk. Der Trieb zur
k ü n s t l e r i s ch e n Gestaltung ist e i n Lr-
kenntnistrieb, gleich vornehm u n d
gleich notwendig wie der w i f s e n s ch a f l -
liche. Sie sind die zwei Aefte am Baunie der Er-
kenntnis. „Wenn der Forscher den Menschen die
Welt als erkannke oder durch seine Miklel zu erken-
nende zeigt, fo sieht der schaffende Künfller alle die
wesenklichen Äeiche, die durch die wisfenschaflliche
Tätigkeik unerkannt bleiben und auch ewlg im Dun-
 
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