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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 10.1930

DOI Heft:
Heft 12 (Dezember 1930)
DOI Artikel:
Kellermann, Elisabeth: Gesichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.28000#0334

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Gestchter

Bon Elisabeth Kellermann, Ztzehoe in Holslein

Nur Tisre, Kinder, Kranke und Liebende wohnen
in ihren Gssichtern.i Die Anderen sind verreist, schla-
fen oder spielen Vorstech. Mit wem?: mit sich selbst.
Manchmal begegneft sie sich in einem Spiegel, — die
Belden, das Ich unh seine Maske. Es geschieht, datz
ein grotzes Grauen! aus! dem Spiegelbild starrt, das
fadenscheinige 2ch packt und mik ihm davon rennt,

rennt — rennt-: Aber es gibt Wände, Mau-

ern, dork, wo die Gedanken bewusztlos werden vor
Erlchöpfung. Es gibk auch Erbarmen — oh nein, —
»ichk unker den Menschen! — solche alttestamen-
karische Tugend könnte die Maske in die Gefahr
der Selbstaufgabe brinüen, ärger noch, unker das
Lächeln der Leute.! Es gibt dennoch Erbarmen. Zn
der Tierseele. 2ch!gla»be, für Tlere sind unsere
6ände Gesichker. Per fühlende Mensch weitz: ein
Tier ist nicht sluii^iil! Bom Tiere strömt Trost, zar-
ker als Menschenwprle.- Ein Tier lellk unsere Tage,
unser Brot, unser Gefäugnis. Es hat Zeit, uns zu
beobachlen. Ansere! lieben Anverwandken haben oft
nichk den „richkigen-Blsck" für uns, denn wir selbst
haben das Dogma unserer Maske über sie verhängt.
So koiiiink es, datz dis Wahlverwandlschaft besser
Bescheld weitz uiii j Schönheik und Schlachten, Tag
und Tiefe unseres! Herzens als die eigene Sippe.
Das Tier kann zrNunssrer Wahlverwandtsckaft ge-
hören. Wer freuk sich ain melsken über unsere Heim-
kehr? Wer hat nichk schon geweint, nach innen,
melne ich (denn die Mäske ist ja regendicht, selbst-
verständllch —) geweiyt als plöhlich ein warmer
Tiermund sich leise in sSine innere Handfläche schob.
„Du", sagke der Tirrakejn. Sonst nichts.

Als ich inir eininql iij einem fremden Lande eine
neue Gesundheit kqufeN mulzte, hakte ich dort nur
zwei Freunde: eine Blaumeise und ein Eichhörnchen.
Aeide hüpflen damgls käglich in ineine Hände und
blitzken ineine Müdigkelk an: „munter, munter! auch
dieseS wird voriibergehn!"

!! l

Also !eine Selkenheit! Es gehört
ehei). Glück, liberhnupl eines z»
i ies zu lieben. ll»d selbsl eins zu
- Dn glbt es nur e i n Milkel:
Schfnerzen!

Ein Gesicht!

Ein Angesichk!

Zeik dazu, eines z»
lresse». Üingabe, e

bekoinmen?--

Das grosze Los der

ilst es nicht etwas Feitzes um die werdende Znnen-
schönheit eines Menschenantlihes? Dieses Hämmern
des Schicksals zu hörens sieh den knappen, gekonn-
ten Schwung eineS MusideS, bas Ziel-Wissen eines
Auges, das ewige Lichtchinter dem Hochalkar einer
Stlrn . . . Aber dys „niiserorö" aus dem Orgel-
spiel der — Aunzeln, —!wec hört das? — Bielleicht
dle Token, wenn sie durch das dämmer-dunkle Kir-
chenschlff unserer Träuine gleiten. Blelleicht sind es
gar nicht unsere Tränen, aus denen wir im Früh-
iicht erwachen . . . > 2n ! nordischen Ländern erzählt
der Bolksglaube !von > Salzwasserspuren in der
Wikwenkaminer, wenn der Mann zum Opfer des
Meeres wurde. M»n glaubk an die unsichtbare
Heimkehr. s! j

Das Leben wäre kahl ohne Llauben, kahl wie
Kirchen ohne Kerzen, kahl wie Ehen ohne Kinder—,
diese Ehen, In deren Kalender von allem Bnfang an
die rote Sonntagszahl nichk zugelassen ist ... die
heilige roke Sieben mlk dem Spruch darunter:

„Herr, lehre uns bedenken, datz wlr

sterben müssen, auf datz wir klug werden."

Am Sonnkag kominen die Kinder zu den alken
Leuken. Dann duflek der Kuchen auf Grotzmukkers
Tisch. Aus rundein Kindergesichk slrahlt nichls, gar
nichts anderes als das eine Wort „Kuchen". Nakttr-
lich kann es ebenso guk „Karussel" oder sonskwie
heiszen, es ist nur so der Brauch, datz es eininal
„Kuchen" heitzt. Aun — er ist schnell aufgegessen. —

!ln den Gesichkern der Kranken ist alles nainenlos,
das Elend und das bischen Abendsonne von fremden
Fenstern. Die nainenlose Ilngeduld vor der Abreise
wohnt in dlesen Gesichkern: „Uin wieviel Uhr? ... ?"
Der Tod küinmert sich nichk um kindliche Einrich-
lungen wie Ilhren — — so elwas wünscht inan sich
nur in seinem ersken Zahrzehnt zuin üiahrmarkk, eine
„richtige" Uhr »>ik einer langen blanken Kelke dran!
Die Kekte bleibt uns, wenn auch in dunklen Ber-
wandlungen, dle Uhr gehk verloren wie die falschen
Freunde. — Aber der Tod isl barmherzig wie das
Tier. 2m Augenblick unserer gröszken Erdenfurcht
rust er uns auch den Aegenbogen. Ls gibt Kranken-
ge ichker, vor denen werden wir sanlt wie vor der
siebenfarbene» Brücke. Die Seeie schauk schon aus
nach dem verheijzenen Hiinmelszeichen, sie warket an
den offenen Fenstern, weik sind die Borhänge zurück-
gezogen. -

Solche Angesichke gleichen alken Landschaftsbildern,
in denen das Schönsle die nusgelöste, lichke Ferne
ist, — alles ist durchsichkig, feierlich, klar, wenig Erde
und viel Hiinmel. Oder es wetkerleuchtet aus Kind-
heikskagen das Bildnis irgend eines Ahnherrn durch
unser Bewuszlseln, vergilbk und silbern, in lächelnder
Gelassenheik. Wie hiesz er doch? Der Name ist weg-
gewaschen vom Skrom der Erlebnisse, doch das Ve-
sichl, daS Gesichl ! eS wohnk »och »>il »nler
unlerein Duch. llnser Gedächlnis bleibl eine räksel-
hasle Einrlchlung eineS rälselhaslen LrsinderS. Dinge,
Geschehnisse, Gesichler, die wir in den Wellrauin
verstoszen müchken, nur fort aus der Qual unseres
Gedankens, sie bleiben in nnserein Bluke und ande-
res, an dem wir wissentlich keinen Ankeil haben,
keine Schuld ausfinden, zeichnel unsre Stirn. üa —
es springt uns an, es ist eines Tages da, dieses ein-
zige Menschsnangesichk. Mik seinem guken oder
bösen Blick verhängt es das Banngeheimnis über
unser Herz. Flucht ist sinnlos. Ob Hinterindien oder
Hinkerpominern —, eine Fahrkarte im Koffer ist
keine Fahrkarle in der Seele. Aun bleibk nur:

Erfüllung.

Nicht Glückserfüllung. Leiderfüllung! Nun beginnt
das grojze Gemälde des — Vesichkes. Wird es eln
Meisterwerk? Die Glücksgüker dieser Welt sind
ungleich verkeilt. Nicht jeder Skerbliche wird von
 
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