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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 10.1930

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Heft 10 (Oktober 1930)
DOI Artikel:
Parnitzke, Erich: W. Pfleiderer: "Die Geburt des Bildes"
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Die "Große Sinnende": Plastik von Lehmbruck
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https://doi.org/10.11588/diglit.28000#0276

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202

lich geiiieislert hiikke. Leoimido vergcisz iiichk, als er
der „iieuerfuiideiieii Form des Schaueiis" Erwüh-
iiuiig tak sdah durch verworrene und unbestininite
Dinge — sleckige Mauern, Asche im Feuer, Wol-
lien, Schlainin, Skeinfchichten usw. — der Geist an-
geregt werde, Bilder zu sehen), hinzuzufügen, dalz
inan daher nicht jlernen kbnne, eine Form zu voll-
enden. Was heijzk! densi das? Doch nichts anderes, als
dah eben ein zeugender Funlren nökig bleibk, der
daS Bohmakerial der Sinne und der gegenskäiidlichen
Phankasie befruchket nm Sinne wirlrlicher Ausprä-
gung! !j s

Die Borgeschichte d?r Anlässe, Erregungen usw. mag
noch so iiinstrlkkeiti sei», worauf es niilioiniiit, das lst
doch dieser Zeuggngssilit. Es ist so, wie mit dein
Denken und der Sprache. Alle AusdruckSgerichtek-
heit, alle innere Esreguiig, nlles Sich-Gebärden
gehk enkweder in das enge Tor der Sprache ein,
und befreik sich i in iund an dieser Veschränliung,
oder wir reden ehen siicht mehr von Sprachforniung,
sondern von Miinik usw. Der Anfang beiin Blld
ist stels das „Tuh am Werk". Dnruni ist zweifellos
die blohe Gelegenheiti zuni Arbeiken, d. h. das Bor-
handensein greifbarer Akiktel, von so besonderer
Vedeukung. sAur! di? Sprachwerlrzeuge hnben wir
iininer bei »nsf.' Aber die Mittel sind nicht das
Fvriiizeugende selber. So wenig wir einen Gedanlien
haben, bevor wir ihn in Morke fassen liönnen, so
wenig haben wir! Vilder vorher „feriig im Kopfe",
vielmehr ist der „Anblick" das „Ergebnis", d. h. der
Ablnuf der Arbeit, den vom erften A n s a h an

(den in Sonderfällen die Ankur uns abnehmen knnn)
das Auge behorchk und konkrolliert, gleicherinaszen
wie das Ohr den sprachlichen Ablauf des objekliven
Denkens kontrolliert (das sonst Skanimeln, Schreien
usw. bliebe). Wie uns selber der Einsah ansieht,
wie er fiir uns selber zum Gesichtssinneserlebnis
wird, das ist bestimmend fiir den einheitlichen Ablnus
ües Bermirklichungsvorgnngs. Was wir „Im Kops"
hnben, das sind die Möglichkeilen des bildiierischen
Borstellenkönnens, üns sind die For m e n des Bor-
skellens, sind die „Grundrisse" unserer jeweiligen
Wlrklichkeiksvorstellung. P. sind diese objekkiven
Bedingtheiken nicht aufgegangen, er hat Vritsch
grundsählich »lijzversknnden, weil er ihn miszverskehe»
wollte. Als der liebe Golk das Pferd erschasfen
hatte — nachdem die Menschen bislang nur Bögel
kannken — fragien einige nur: 2a, wo hat es denn
die Federn? <Bliimner.) — Keineswegs sollen die
originalen „Federn" In der „Sludie" uiilerschähi wer-
den. Es gibk schon solche im Bild und in prägnanten
Meisungen ziim erziehlichen Berhalten.

Ansähe gibls (Essayi): es fehlt ein gesicherkes Gerüsl
der Anschnuung und der Äegriffe, die daraus her-
vorgegangen sein könnten, Die Federn bleiben ein-
zelne Einfälle, es bleibt der Schlminer einer beachl-
lichen Hingabe an die Sache, es bleibt, wie ansa»gs
gefagk, flir die „breile Front" viel Anziehendes, das
mitziehen kann. Einen Ouellenwert aber hat die
Skudie nur insofern, als sie — indirekt — lehrl, zu
Quellen (auch den lilerarischen) zurückzufinden.

Die „Große Sinnende"

Plaskik von Lehmbruck*

(Bgl. dazu die Abbildungen Seite 253 und 257.)

! i

Lehmbruck ist der moderne Plastiker des Expres-
sioniSinils: er gibk Berkörperung von Gelskigem, nichk
mehr blohe Aachhildung der Aakur. Lehmbruck stellt
nichl üaiidlungen dai^, erzählt nicht, sondern strömt
sein innersles Eiiipfi»den in seine Plastiken aus.
DeShalb sind seine Werke äujzerllch ruhig und ein-
fach, aber innerlich ?rregl. Bor allem die „grojze
Sinnende" ist auS seinem liefsken Wesen heraus
geschassen. Diese Gestalt ist reine Lyrik. Der Aküd-
chenkörper in seinem schlanken, machkvollen Empor-
streben, in seiner iibernaklirlichen Grösze ist erfüllt
von Sehnsucht nach Erkeniiknls des Ileberirdischen.
Wie hätle Lehmbruck jdieses Slreben nach Metaphy-
sischem in einen gewöhnlichen Körper bannen kön-
nen? Lr bildet de» Leib wie er ihn erlebk: nicht will-
kürlich, sondern nach ieigenen, festen Gesehen: Steil
aufragend, in u»natiirlichen Berhälknissen die ein-

* SlnMili cl»cr Schiilcrhi dcs L>l'erll>zei»»s (v I) Wiesbadeii.
Die Schiilerliiiieii hnlteii zuvar cine Siiisstelliiiig bciiicht uiiter
dcr sZiihriiiig niiserer Miiilssaeuviiiii Fr. S. Walther. Nach eini-
aen Tage» slellte die Deigichlehreri» Nilisahlheme» z«r Wahl,
darimler a»ch „Besuch dcr !c»«staiissteUii»g". Da sie selbst die
Biisstellttiig »och »iilit gelehe» hatle, koiiiile sie auch die Schuler-
iiiiie» »icht beeittsliisse». Ss»e Beihe vo» Sch»lcrii»ie» wählte»
sich eiiizcliic jk»>isiiverse vo» Nlarc, jkokolchka.BIacke. Iwei schrie-
beii iiber die „Siiiiieilde" vo» Vehmbriick. Fch meiiiei hicr habe»
wir ci» gliirlliches Beispiel des »»gliiillichc» jrapitels „ü»er-
verbiiidiiiig" vor »us. Der stlulsah beweist jedeusalls, dast dic Bcr-
sasseriii das Bildwerk „Die Siiiiieiide" mit stthleude» Siiiiie»
erlasit hal. Die Schislert»i hat n»ch dic hier gezeigte» Fotos
a«lgc»oi»»ie». > i D- Schrisll.

zelnen Teile zueinander, vor allem die Veine mäch-
t!g grosz. 5m ersken Augenblick empfand ich öie
eigenarligen Proporlionen der Geslalt aiS abstojzend:
als ich mich mehr in sie verliefke, erkannke ich, wie
stark organisch der Aufbau dieses Körpers ist. Die
Zarmonie von Lehmbrucks Schaffen liegk darin, dajz
alle Körperteile dieselbe Empfindung, diese Los-
lösung vom 5rdischen, Konkrelen almen. Nichl »ur
der Kopf trägk den sinnenden, wirklichkeilenkrücklen
Zug. Die ganze Gestalt drückt Berschlossenheil aus,
Vcheu, die Gedanken allzugreifbar zu offenbaren.
Der fest an den Allcken gepretzke linke Arm, das
ganz unnatürliche, skraff dnrchgedrückke linke Knie,
das enge Zusammenstehen der beiden Beine, der
kräfkig aufstehende linke Fnjz, alles erzeugt dieses
Gefühl der Berhaltenhell. Das schene Zurückbeben
und sich Abschlieben gibk der Geskalk ekwas Be-
herrschtes, Slraffes. Zedoch zugleich strömt sie An-
mut und Zarlheit ans. Diese unbewujzk hingebungs-
volle Weichheit liegt in der leichten Aeigung deS
KopfeS, in der seinen Schlankheit des Hnlses, in
dem ein wenig gebeuglen rechken Bein. Sanfk hängt
der rechke Arm herab: er scheink gleichsam z» slie-
sien. Die Hand mit den weichen Fingern hak in ihrer
Bewegung etwaS elegischeS, wehmüliges.ün demKops
sind gewissermajzen alle Empsindungen, die der Kör-
per widerfpiegelt, zusammengefajzt. Ein reines, schma-
les Gesichk mit sanfk flach abfallenden Wangen. Eine
 
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