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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

DOI issue:
1./2. Maiheft
DOI article:
Junius, Wilhelm: Ein neuentdecktes Relief des Meisters H. W. von Chemnitz
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0397

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stehen verdankt: Peter Breuer von Zwickau und der
Meister H. W. von Chemnitz gehören zu den bedeutend-
sten Meistern dieser Gebiete, und insbesondere das
Oeuvre des letzteren hat durch eingehende stilverglei-
chende Untersuchungen in den letzten Jahren manch
bemerkenswerten Zuwachs erhalten.

Heute sei auf ein noch unbekanntes Steinrelief hin-
gewiesen, das Dr. Karl Berling im Besitze des Fürsten
Schönburg-Waldenburg entdeckte: ein leider schon sehr
verwittertes Sandsteinrelief (139 : 86 cm) mit der Dar-
stellung der Erhebung der Magdalena in die
L ü f t e. Kobergers „Heiligenleben“ (1488), die legenda
aurea und andere ikonographische Quellen erzählen von
ihr, daß sie nach ihrem sündhaften Leben in Alexandria
sich zur Buße in die Thebaische Wüste zurückgezogen
habe. Dort seien ihr, als ihr die Kleider vom Leibe
fielen, lange Hare zum Schutze des Körpers gewachsen,
und sieben Engel hätten sie zum Himmel getragen. Ist
schon an und für sich die Darstellung dieses Mirakels
eine ikonographische Seltenheit in der obersächsischen
Plastik (der Höckendorfer Altar des Jörg Maler von
Dippoldiswalde zeigt im Mittelschrein ebenfalls eine
Magdalena im Haarkleid als Schnitzfigur), so erinnert
man sich bei der Waldenburger Darstellung sogleich an
Riemenschneiders Münnerstadter Altar (1490—1492) im
Bayrischen Nationalmuseum.2) Hier ist unzweifelhaft
das Vorbild für das etwa 30 Jahre später entstandene
Waldenburger Relief der Erhebung Magdalenas zu
suchen. Wer unter den sächsischen Plastikern um 1520
käme nun als Verfertiger des Waldenburger Reiiefs in
Frage? Doch nur der Zwickauer Peter Breuer oder der
Chemnitzer Monogrammist H. W. Bei beiden auf
Tilmann Riemenschneider zu verweisen erübrigt sich,
denn wo wären selbst an den geringwertigsten ihrer
Werke nicht unverkennbar entscheidende stilistische
Beziehungen zu Würzburg zu verspüren. H. W. wie
auch Breuer sind ohne eine mittelbare oder indirekte
Abhängigkeit von der weinfrohen Mainstadt Würzburg,
dem „Dunstkreis“ Riemenschneiders nicht künstlerisch
zu beheimaten, wobei ich unter mittelbar eine etwa ähn-
liche Stellung verstehe, wie sie Hans Backoffen-Mainz
zu dem Hallenser Backoffen-Schüler, oder Hans von
Heilbronn zu Meister Tilmann einnehmen. Angesichts
der starken Verwitterung (die Gesichtszüge der Heiligen
sind nahezu unkenntlich, die sieben Engelsköpfchen
fehlen) ist es der prüfenden Sonde der Stilkritik nicht
möglich, tief einzudringen und den Befund der topo-
graphisch-anatomischen Situation durch eingehende
Vergleiche mit den bekannten und charakteristischen
Stilmerkmalen jener erwähnten erzgebirgischen Meister
zu einer gänzlich zweifelsfreien Diagnose auszuwerten.

Das wichtigste, ja wohl das einzige Kriterium, das
im vorliegenden Fall für den Meister H. W. spricht, ist
die flockige Zottelhaar-Behandlung bei Magdalena, wie
sie sich u. a. bei den Löwen und Hunden der Freiberger

=) Vergl. Justus Bier: Tilmann Riemenschneider (Würzburg
1925) S. 42.

Diestelkanzel (aucli Tulpenkauzel) genannt, am Grab-
stein des Ritters Dietrich von Harras in der Ebersdorfer
Stiftskirche, beim Dornenkronenflechter der Geißelsäule
in der Chemnitzer Schloßkirche, dem Taufstein der
Annaberger Annenkirche, den Ebersdorfer Pulthaltern,
der Annaberger „Schönen Tür“ und anderen Werken
des Chemnitzer Monogrammisten H. W. findet. Aber
dieses Argument für die Zuschreibung an ihn ist deshalb

Meister H. W. von Chemnitz: Erhebung Magdalenas
Die Photographie wurde vom Fürsten Schönburg - Waldenburg
zur Verfügung gestellt

so gewichtig, weil außer diesem Chemnitzer Meister kein
anderer sächsischer oder thüringischer Plastiker diese
Art der Haarbehandlung zeigt.

Gegenüber der Donatello’schen Büßenden Magda-
lena im härenen Gewand weist die Waldenburger Dar-
stellung noch das typisch spätgotische Standmotiv
insofern auf, als die gen Himmel fahrende Heilige mit
verkreuzten Beinen auf den Flügeln des Konsolengels

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