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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 11 - Nr. 20 (13. Januar - 24. Januar)
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gen Nachlab n. Taris. (Seheimmittel-
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Volkszeiiung

(SeschSst»fiunoen 8—g Uhr. Sprech»
stunden derRedaktion: II—12 Uhr.
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Tel.-Ädr.: Volkszeitung Heidelberg.
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berg. (Seschäftsstelle: Schröderstr.R.
Tel.: Expedition 2«7» u. Redak. 237».

lcgkL-ZkiiWg kiir Hie mrUMeBklMemng 8er WWezitte ßeiLMekg, WiesW, Sinsheim. Wingen. EberSaH. MosSO, BnKen. Adelsheim. BorSerg. rauberbWMeim». Wertheim
5. Jahrgang Heidelberg, Samstag, den 13. Januar 1923 Nr. 11

M Mim des WIM.
Deutsche Protestnoten.

* Heidelberg, 13. Januar.
Die französische Gewaltpolitik findet bei alle»
sriedenssreuiwlichen Strömungen der Welt schärfste
Zurückweisung. Frankreich gerät in immer stärkere
Isolierung, die letzten Endes Deutschland zu-
gute kommen must, wenn es durch eine mastvolle Po-
litik kluger Besonnenheit seine Bereitschaft zur Ver-
st-indicmna 'dartut. Gewaltpolitik findet auf die Dau-
er in der Welt keinen Anklang. Deutschland mußte
dieic co.nuu.uug einst crlevcn. Und setzt wird die
Zeit kommen, in der sie Frankreich durchkosten wird.
Tie Welt läßt sich ans die Dauer nicht durch Redens-
arten bluffen. Am besten sehen wir dies aus fol-
gendem Artikel der „Neuen Züricher Zei-
tung" der in scharfer Weise mit Poincarö abrcch-
net.
Das grobe Schweizer Organ schreibt:
Was sich gegenwärtig unter französischer Aegide
in den Rbeinlanden abspielt, muß als schlimmster
Jill »fall tu die Kriegspsychose, als Neuauflage rück-
sichtsloser Gewaltpolitik bezeichnet iverdcn.
Da Helsen alle Beteuerungen des Gegenteils, alle Be-
mäntelungen mit rechtlichen Argumenten nichts.
Poincars und die Pariser Presse mögen tausend-
mal den 8 18 der Anlage ll des Versailler Nepara-
tionskavitels anrufen — sic werden die nichtfranzö-
sikche Welt niemals von der Ueberzeugung abbrin-
gen können, datz der Einmarsch in das Ruhrgebiet,
die militärische Besetzung weiterer deutscher Gebiete
vier Jahre nach dem Waffenstillstand, einen Affront
gegen die Friedenssellnsuchl der Völker und einen
Gewaltstreich gegen Deutschland bedeutet, zu
dcm noch andere als nur wirtschaftlich finanzielle
Beweggründe den Anstoß gegeben haben. Jedenfalls
siebt Frankreich bei seiner Aktion im öffentlichen Ur-
teil isolierter da, als man es in Paris wahr-
l-aben will: die gesamte angelsächsisch« Welt hat sich
abgewandt und außer dem verbündeten Belgien ist
ans weiter Wnr niemand z« sehen, der Helfershelfer
bei diesem Unternehmen sein möchte. Italien Hai
Wohl, seit Mussolini dirigiert, mit größerer Schärfe
seine Reparatwusanfprüchc betont, aber die Nubr-
besetzung macht cs sakrisch nicht mit.
Es «st erschütternd zu sehen, ivie Wenig die Welt
seit iStl gelernt bat. Nationale Hypertrophie treibt
ivie damals ihr gefährliches Spiel und greift zu Mit-
teln, die im Urteil des Unparteiischen eine Mißach-
tung des gesunden Menschenverstandes bedeuten.
Und doch sträubt man sich gegen den Gedanken, daß
das französische Volk zur Erlangung der ihm ge
schuldeten deuifchcn Gelder keinem andern Wog zu-
gänglich gewesen wäre, wenn man es anders ge-
führt bätte; aber seit einem Jahr — in diesen Tagen
Mm sich der Sturz Briands und der Rcgierungs-
auirirt Poincares — bat inan ihm systematisch den
Glauben an den schlechten Willen Deutschlands ein-
geimpft. zu einer Zeit schon, als Männer wie Wirth
und Ratbenau redlich bemüht wäret«, dein deutschen
Volke die Pflicht zur Erfüllung klar zu machen. Der
Taktik Poincares ist es gelungen, diese Politik zur
Erfolglosigkeit zu verdamnken: die leistungsfähige
deutsche Industrie verbohrte sich angesichts der fran-
zösischen Intransigenz zusehends in passive Re-
sistenz und der deutsche Arbeiter verlor seinerseits
den Glauben an die ErfüllungS-mögltchkcit, da hinter
den finanziellen Forderungen Poincarös imurer
deutlicher der Pferdefuß des politisch n Beherr-
schungswillens hervorschaute. Mag die
ReiKsregierung hundert Verfehlungen und Unter-
lassungen begangen haben — allein schuld an der
heutigen, durch internationale Bankiers und Sach-
verständige festgestelltcn Kredit- und LeistuugSun-
Migkeit Deutschlands ist sie nicht. Man hat von
Parts aus keinen Finger gerührt, um die Ersüllungs-
Politik dem deutschen Volke schmackhaft zu machen.
Verblendung oder — Absicht? Die Genugtuung,
die in der französischen Presse ob der Befreiung von
der englischen Fessel und ob der dadurch endlich ge-
wonnenen Akttonsfreiheit zum Ausdruck
kommt, tönt verräterisch.
Uber die juristische Berechtigung zu einer Son-
deraktiou zerbricht man sich heute in Parts den Kopf
nicht mehr. Nachdem die Reparattonskoimnission —
gegen die Stimme Englands und bei Enthaltung
Amertias — den „schuldhaften Verzug" Deutschlands
in den Holz- und Kohlenlieferungen festgestellt hat,
zieh, Poincarö den berühmten 8 13 hervor, der in
seiner Unklarheit und Mehrdeutigkeit ein Paradig-
ma für die vortreffliche Redaktion des Versailler
Vertrages abgibt:
„Die Maßnahmen, zu Veneu die alliierte» und
assoziierten Regierungen, falls Deutschland vorsätz-
lich seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, berech-
tig« sind und die Deutschland sich verpflichtet, nicht
als feindselig« Handlung zu betrachen, können sein:
wirtschaftliche und finanzielle Sperr- und Bergel-
mngömnßrcgeln, überhaupt solche Maßnahmen, wel-
che die genannten Regierungen als durch die Um-
stände geboten erachten."
Bekanntlich steht Deutschland auf dem Stand-
punkt, daß sich ans diesem Artikel weder ein Recht
Zu territorialen Sanktionen noch zu einer Sonder-
Micm einer einzelnen Macht ab!eiten lasse. Das

erstere scheint weniger bestreitbar als das zweite, Sa
der Ausdruck „Gouvernements respectiis" kam» in
„einzelne Negierung" umgetanst werden kann. Wer
ans diese Spitzfindigkeiten kommt es heute gar weht
mehr an. Denn Frankreich hat die Macht, vorzu-
rücken, und Deutschland hat nicht die Macht, zu Wi-
derstehen. Also wird die Ruhr besetzt, 8 18 hin oder
her. Das ist das traurige Ergebnis einer langen
Hoffnung auf -den Recütsfriedcn.
Der Blick wendet sich sorgenvoll in die Zukunft:
wohin führt die Ruhrbesetzung, wo und wann
endet sie? Soll Essen, das Hirn des deutschen Berg-
baus, besetzt bleiben, bis der letzte deutsche Pfennig
bezahlt ist? Mehr als je ist von heute an Frack-
reich für die Geschicke Deutschlands, die der Welt,
seinen Nachbarn vorab, nicht gleichgültig sind, m i t-
verantw örtlich. Möge es füll dieser Verant-
wortung bewußt bleiben und keine Katastrophe her-
ausbcschwörcnl
Die deutsche Protestnote.
Berlin, 12. Jam Die deutsche Regie-
run g bat den« hiesigen französischen und belgischen
Botschafter heute folgende A n l wort aus die Noti-
fikation der Ruhrbcsetzimg übermittelt:
Herr Botschafter! Die französische Regierung bat
ebenso wie die belgische Regierung eine Aktion
gegen das Ruhrgebiet beschlossen, die sie als Ent-
sendung einer Kontrollkommission von
Ingenieuren-und Beamten bezeichnet. Diese Korn-
mission soll, von Truppen begleitet, die
Tätigkeit des deutschen Koblensyndtkats überwachen,
die genaue Durchführung der Programme der Re-
parationskommission sichcrstellen und alle für die
Bezahlung der Reparationen notwendigen Maßnah-
men treffen.
Zu diesem Zweck soll sie mit d i k t a t o r t s ch e »
Befugnisse» ausgestattet werden, st« soll volle
Befeüls und Strasgewalr über das Per
soual der deutschen Verwaltung mW die Vertreter
von Industrie und Handel in den besetzten Gebieten
erhalten, auch soll sie befugt sein, bon den Verwal-
tungsstellen, den Handelskammern, den Arbeitgeber-
uud Arbeitnehm-crberbändcn sowie von den Kauf-
leuten jede A uskunf t zu verlangen und die Bu-
reaus, Bergwerke, Fabrikeu, Bahnhöfe und andere
Anlagen zu durchsuchen.
Nach den der deutschen Regierung voll den ört-
lichen Behörden zugegangenen Meldungen hat i>7e
Durchführung der Aktion inzwischen begon-
nen. Französische und belgische Truppen in be-
deutender Stärke sind in Volker kriegsmäßiger Aus-
rüstung in das Rubrgebiet eingezogen.
Die französische Regierung gründet ihre Aktion
aus die Feststellungen der ReParationskomrutssion
über den Stand der deutschen Holz- und Kohlen-
lieserungen und beruft sich dabei aus die Paragra-
phen 17, 18 der Anlage 2 zu Teil 8 des Versailler
Vertrags. Zugleich erklärt sie, datz sie für den
Augenblick nicht an eitle militärische Ope-
ration oder an eine Besetzung mit Politischem
Charakter denke. Sie glaubt Hinz »fügen zu sollen,
daß sie auf den guten Wille nd-erdeutschen
Regierung zähle, die das größte Interesse habe,
die Arbeit der Kommission und die Unterbringung
der Truppen zu erleichtern. Die deutsche Regierung
muß den Schleier zerreißen, den die fran-
zösische Regierung mit dieser Darstellung über den
tvahren Charakter ihres Vorgehens zu werfen sucht.
Die deutsche Regierung erklärt, datz die Beschlüsse
der Reparationskommission und die angeführten
Vertragsbestimmungen
keinerlei Rechtsgrundlage
für die Aktion im Ruhrgebiet enthält, daß diese
Aktion vielmehr eine
Verletzung des Völkerrechts
und des Vertrags von Versailles darstellt.
Nach den ausdrücklichen Feststellungen der Re-
parattonskommission in ihrer Note vom 21. März
1922 würde eine Verfehlung bei den Holz- und
Kohlenlieferungen nichts anderes als di« Forde-
rung von Barzahlungen rechtfertigen, so
datz die Anordnung anderweitiger Maßnahmen auf
Grund der Paragraphen 17 und 18 in diesem Falle
ausgeschlossen ist.
Selbst bei rechtmäßiger Anwendung der Para-
graphen 17 und 18 würden aber nur wtrtschaft-
liche und finanzielle Maßnahmen oder nur
solche Maßnahmen, die ihnen dem Wese» und der
Bedeutung nach gleichzustellen sind, gegen Deutsch-
land getroffen werden dürfen. Das könnten nur
Maßnahmen sein, welche die Alliierten in ihrem
eigenen Hoheitsgebiet durchführen, nicht dagegen
Maßnahmen, wie sie der gegenwärtige Einbruch
von Truppen und Beamten in das Ruhrgebiet, die
denkbar schwerste Verletzung der deut-
schen Hohcttsrechte bedeuten. Endlich kön-
nen nach dem Vertrag etwa zulässige Maßnahmen
gegen Deutschland nur von den an den Reparationen
beteiligten alliierten Mächte gemeinsam, nicht
von einzelnen Mächten auf eigene Faust getroffen
werden,

Vergeblich versucht die französische Regierung die
Schwere dieses Vertragsbruches dadurch zu ver-
hüllen, daß sie der Aktion eine friedliche Be-
nennung gibt. Die Tatsache, daß eine Armee in
kriegsmäßiger Zusammensetzung u nd
Bewaffnung die Grenzer« des unbesetzten deutschen
Gebietes Überschreitet, kennzeichnet das französische
Vorgehen als eine militärische Aktion.
Hieran wird nichts geändert durch die Erklärung,
daß Frankreich keine militärische Aktion oder Be-
setzung mit politischem Charakter beabsichtige, eine
Erklärung, die übrigens nicht unbedingt, sondern
nur für den gegenwärtigen Augenblick aus-
gesprochen wird.
Die dculsche Regierung stellt fest, daß die franzö-
sische Regierung als einzigen sachlichen Anlaß für
diesen Vertragsbruch die Tatsache heranzuziehen
vermag, daß Deutschland für das Jahr 1922 mit ver-
hältnismäßig geringen M e n g e n bei der Lie-
ferung von Holz und Kohle im Rückstand
geblieben ist.
Nach den ungeheuren Leistungen die Deutschland
in Erfüllung der Waffenstillslaudsabkomiueu ui«d
des Vertrags von Versailles unier äußerster
Anspannung und bis zur Erschöpfung
seiner Leistungsfähigkeit vier Jahre lang bewirkt,
genüge» diese geringsttgigeir Rückstände der fran-
zösischen Negierung, um mit starkem militärischem
Aufgebot in deutsches Gebiet einzudrin -
gen und die Hand auf den wichtigsten Besitz der
deutschen Wirtschaft zu legen.
Die deutsche Regierung erhebt gegen die Gewalt,
die hiermit einen« ivehrlose» Volk angetan wird,
vor der ganzen Welt feierlich
Protest.
Sie kann sich gegen diese Geival« nichtwehre n,
sie ist aber ni ch t g ew t l l 1, sich den« Fricdensbruch
zu fügen oder gar, wie ibr angesonnen wird, bei
der Durchführung der srauzösischen Absichten mit-
z »wirken. Sie weist diese Zumutung zurück.
Die Verantwortung für alle entstehenden Fotgen
fällt allein auf die Regierunge n, die den Ein-
marsch vollzogen haben. Diese Fotgen haben sich
bereits in einer weiteren Entwertung der
Mark und einer sprunghaften Steigerung aller
Preise in Deutschland gezeigt. Die künftigen
wirtschaftlichen und politischen Folgen sind un-
üb e r s e h b a r.
Solange der vertragswidrige Zustand, geschaffen
durch den gewaltsamen Eingriff in das Zentrum der
deutschen Wirtschaft, au dauert, und seine tat-
sächlichen Folgen nicht beseitigt sind, ist Deutsch-
land nicht in der Lage, Leistungenan die-
jenigen Mächte zubewirken, die jene Zustände
herbei geführt haben.
Weitere deutsche Protestnoten.
London, 12. Ja». Der deutsche Botschafter
in London, Sthamer, hat gestern abend den«
Foreign Office eine Protestnote gegen die Be-
setzung der Ruhr durch die französischen Truppen
überreicht. Er teilte gleichzeitig mit, daß ein ähn-
licher Protest in Paris, Brüssel und Rom überreicht
worden fei.
Washtngton, 12. Jan. Der deutsche Bot-
schafter Dr. Wtedfeldt wird heute dem Staats-
sekretär Hughes eine Protestnote über die Be-
setzung der Rtihr durch Frankreich überreichen.
Protest des Internationalen
Gewerlschaftsbundes.
Amsterdam, 12. Jan. Der Verwaltungsrat
des Internationalen Gewerkschafts-
bundes hat beschlossen, einen Prote st der Ar-
beiterschaft der Welk gegen jede Politik, die
sich auf Gewaltmittel stützt, herbelzusühren. Der
internationale Gewerkschastsbund fordert die Mit-
gliedschaften aus allen Teilen der Welt aus, unge-
säumt zu verlangen, daß die Reparations-
frage durch einen Schiedsspruch des Völker-
bundes, nicht aber durch die Anwendung von
Mitteln entschieden wird, die nur zu einem völligen
Zusammenbruch Europas führen könnte««.
Brüssel, 12. Jan. Der Generalrat der
sozialistischen Partei Belgiens nahm mit allen gegen
drei Stimmen eine Tagesordnung an, worin er die
Notwendigkeit der Reparationen anerkennt, aber sein
Bedauert« ausspricht, datz die Frage nicht dem
Völkerbund unterbreitet worden sei. Die Tages-
ordnung protestiert gegen die Politik des
Zwanges, wie sie in der Ruhrbesetzung in die Er-
scheinung trat und erklärt, das; diese Politik keine
fruchtbaren Ergebnisse zeitigen könne.
Die Stellung der Mächte.
London, 12. Jan. Die „Times" berichtet
über die gestrige Sitzung des britischen Kabi-
netts, die britische Politik bleibe unverändert.
Diese Politik habe sich gegen die französische Aktion
stets ablehnend verhalten, jedoch nicht aus Sym-
pathie «ntt den Deutschen, sondern weil man der
Ansicht sei, daß der augenblicklsche französische Plan
vom geschäftsmäßigen Standpunkte aus gesehen
unpraktisch und in politischer Beziehung viel-
leicht gefährlich sei. Sollte Frankreich in der Lage
sein, bares Geld und die übrigen Reparationen, die
es von Deutschland wolle, durch die Methoden zu

erlangen, die es jetzt anwende, so würde England
ungesäumt seinen Irrtum eingestehem Da dies die
Ansicht Englands set, so tue es sein Bestes, um da-
sür zu sorgen, daß seine Absonderung von Frank-
reich zu kei «er lei Reibungen führe, sei es
im Rheinland« oder sonstwo.
Washington, 12. Jan. Nach Zeitnngsmel«
düngen ans Amerika ist der Eindruck, den dje sran-
zösische Ruhrbesetzung in den Vereinigten Staaten
hervorgerufen hat, ein äußerst schlechter.
Nom, 11. Jan. Durch die italienische Presse,
die von der Regierung Mussolini' inspiriert ist,
ist in den letzten Tagen ein Projekt gegangen
das auf eine Einigung des kontinentalen
Europas mit Einschluß Deutschlands hin«
ansging, wobei die Voraussetzung ausgestellt wurde,
daß Deutschland Zahlung von mehreren Milliarden
leisten müsse. Wie milgeteilt wird, ist dieses Projekt
durch die Nuhrbesctznng erledigt.
London, 13. Jan. In englischen Regienings-
kreisen versichert man. daß die e n g l t s ch c Re g i e -
rnng aus den formellen Protest der deutschen Re-
gierung gegen die Aktion im Ruhrgebiet nicht
antworten wird.
Meldungen aus Esten.
Essen, 12. Jan. Die Nacht ist ruhig und
ohne Störung verlaufen. Eine Aenderung im Bilde
der Stadt bringen die französischen Uniformen, die
inan an den Hanptplätzen sicht. Der Bahnhofsvor-
platz und die Hanpteingänge zum Bahnhof sind noch
immer gesperrt. Französische Soldaten und deutsche
Schutzpolizei sichren gemeinsam die Sperrmaßnah-
men durch, wobei sie, soweit sich das eben machen
läßt, voneinander möglichst weirig Notiz nehme».
In Essen sind etwa vier- bis fünftausend Mann
nntergebracht, die zum großen Teil in den Stutzen»
bczirkcn der Stadt Quartier bezogen haben.
Essen, 12. Jan. Di« vom französischen kom«
mandiercndcn General für deute angesetzte Be-
spie e ch u n g mit den Vertreten« der Eis e u - u n d
Kohlenindustrie hat heute vormittag statt ge-
funden. An Stelle der amtlich eingeladenen Berg«
Werksdirekloren von Stlnnes, Thyssen nnd Krupp
waren Vertreter erschienen. Der französisch«
General gab zwei Verordnungen bekannt, nnd zwar
1. die Vollmacht der Kontrottkommisswn und
2. die Kontrolln« atznahi!« e n der Koblenkorw
nrisston. In diesen Verordnungen wurde der Tat-
sache nicht Rechnung getragen, daß das Kohlen-
syndikat sich nicht mrbr in Essen befindet. Der fran-
zösische General erklärte, die Zechen unterständet
nicht mehr den Weisungen Berliner Stellen, sondern-
den Behörden des besetzten Gebietes.
Köln, 12. Jan. Nach vorliegenden Nachrichten
haben nach kurzer Unterbrechung seit gestern mittag
Truppentransporte aus der Gegend von
Ludwigshafen und Trier wieder eingesetzt.
Bisher wickelt sich der Verkehr glatt ab, doch Haber«
im Bezirk Köln einige Güterzüge infolge der Trnp«
pentransporte ausfallen müssen.
Essen, 13. Jan. Von den in Essen weilenden
sranzösischen Journalisten wird erklärt, daß die Be-
setzung des Ruhrgebiets bis zur Linie Lünen nnd
Schwerte sich ausdehnen werde. Es könne
schon in den nächsten Stunden damit gerechnet wer-
den, daß Buer und Recklinghausen, d. b. die staat-
lichen Kohlenzechen besetzt würden.
Essen, «3. Jan. (Letztes Telegr.) Bis gestern
nachmittag lagen 5» Prozent der rheinisch-westfäli-
schen Stcinkohlengruben im nenbesetztrn französisch-
belgischen Gebiet.
Essen, 13. Jam Die Generalbetriebsverwal«
tuns der Re ich setsenbah »verwalt uirg, de«
die Kohlenverteilung untersteht, ist von Essen nach
Elberfeld verlegt worden.
Bochnnt, 13. Jam Im Augenblick der Be-
setzung wird die Exportabtetlung des ZementfyndikatS
ihren Sitz von hier nach Bren«en verlegen. Ebenso
wird dcm Beispiel der Ainnwniakverkaussveretns.«
gnng folgend auck) der Benzvlverband sein Burca«
verlegen und zwar vermutlich nach Hann over ob al
Beblin.
Bochum, IS. Jan. Die vier an der Arbeits-
gemeinschaft beteiligten Bergarbeiterverbände er-
lassen einen Aufruf an die Bergarbeiter
des Ruhrgebiets, in dem gesagt wird, daß die Be-
setzuirg des Ruhrgebiets, eine Stätte friedlicher Ar-
beit, einen schwere,« Rechtsbruch dnrstrlle
und nicht geeignet sei, der iiucrnationalcn Wirt-
schuft und der internatioimlcn Verständigung zu die-
nen. Der Ausruf mahnt dann zur RuheundBe-
sonn e n l, c i t. Bor allem sollen die Arbeiter Pro-
vokationen jeder Art zurückweisem

Der Einfall ins Memelgebiet.
Der „Soziale Parlamentsdienst" schreibt »nsk
Der Gewalttat in« Westen schließt sich würdig ein
Gew alt st re ich im Osten an. An demselben
Tage, an dem die französischen Truppen ins Ruhr-
gebiet einsielen, haben die Litauer das wehrlose
Memelgebtet überfallen. Sie rücken aus
drei Richtungen aus Memel selbst vor. Heyde-
krug ist bereits in ihrer Hand. Vor der deutschen
Stadt Tilsit sind sie in unmittelbare Berührung
mit deutschem Boden geraten. Die französischen
Schutztrupprn — das Memelgebiet steht heute ja
unter einen, französischen Protektorat — haben sich
angeblich vor der S^adt Me- el - «scl-.«nzt. Wi-
derstand haben sie bisher nicht geleistet. Dagegen
 
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