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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 81 - Nr. 90 (7. April - 18. April)
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Heidelberg, Samstag, den 14. April 1923

Nr. 87

5. Jahrgang

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«tpsrvreiL: Monatlich einschUehl. ZMW GWk UW »k,«iM«N»nden8-SUHk. Sprech,
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Das Gebot der Stunde

10 Jahren durch internationale Anleihen aufzu-
bringep, der zweite in Jahreszahkungen ungeteilt te
nach Bemessung deS englischen Satzes. Was die S»>
ri« L angeht, die 82 Milliarden beträgt, deren
AugenbUSswert gering ist, da diese Bons weder ein
festes Emisstonsdatum tragen noch Zinsen dafür
vorgesehen sind, so würde dieser Teil Frankreich
das Mittel geben, seine ausländischen Schulden zu
bezahlen. Dieses Arrangement würde auch Italien
Genugtuung geben. Es würde für Frankreich auch
eine gewisse Summe von Bons übrig bleiben, die
dazu verwendet werden könnten, gegen dauernde
Konzessionen gewisser Kohlengruben ausge-
glichen zu werden. Diese Bons der Serie L wären
nicht einfache Papiere, sondern würden durch gewisse
Einnahmequellen des Reiches garantiert werden.

rung hat das Prinzip der rassischen Reinheit bei den
Indern erfahren, di« trotz ihrer unermeßlichen
Menschenzahl fast das ohnmächtigste, getretenste aller
Völker geblieben sind. Dort ist die Scheidung der
Blutstännne so streng durchgeführt, daß bis in die
neueste Zeit — denn die junge indische Demokratie
reißt auf der Bahn zur Einheit und Freiheit ihres
Volkes das Kastensystem mit Wucht nieder — der
Mensch von niederer Abkunft den hohen Mairn, den
zweimal Geborenen, schon durch seinen AnbliS un-
rein macht und deshalb auf der Straße auf hundert
Schritte auSweichen muß. Ganz so weit sind wir
noch nicht. Zwar, was die echtesten Völkischen Vor-
haben, kamt man nicht wissen, aber wenigstens von
den Deutschnationalen ist anzunehmen, daß die Bra-
minen sich durch' den Anblick der Juden, dietndie
Parteikafse zahlen und der anderen Juden, die
für die Parteiprcfse schreiben, nicht wesentlich ver-
unreinigt fühlen.
Welche Möglichkeiten zeigen sich? Der Zustand,
in dem Deutschland und Europa jetzt leben, kann
nicht allzulange andauern. Er mutz besser
oder noch viel schlimmer werden. Bessert er
sich, kommen wir einem europäischen Zusammen-
leben, also zu einem gerechten Arbeitsaus-
lau sch, allmählich wieder näher, ohne daß sich der
deutsche Nationalismus dagegen auflehnt, dann wer-
den seine Aussichten schwächer. Vergrößert sich jedoch
der äußere Druck, so könnte uns seine gewalt-
same Auflehnung vollends vernichten,
aber gewiß könnte sie nicht helfen. Denn auch
unter einer reinrassigen Diktatur mutz der Deutsche
hungern, falls er sich nicht durch gerechten
Arbeitsaustausch Lebensmittel von außen
beschaffen kann. Viele wissen dies noch nicht und in
unserer Zeit ist kein Wahnsinn unmöglich. In jedem
Falle wird sich nun Wohl bald Herausstellen, ob die
Bewegung politische Kraft besitzt, sei es auch nur
zum Zerstören.

Siner internationalen
das Urteil über die deutsche

Entscheidung von Deutschland anerkannt wird. Die
Frage der Garantien könnte im Notfall bei eigenen
deutschen Angaben in ähnlichem Sinn« von der
Reichsregierung angeregt werden. Was die Si-
cherhettsfrage anlangt, mutz sich dir Reichs-
regierung klar aus den Boden deS Versailler Ver-
trags stellen. Sie kann ferner beruhigt in alle Maß-
nahmen einwilligen, die die Territorialität
des Deutschen Reiches nicht antasten, andererseits
für Frankreich als Sicherheit gelten können. Wenn
nicht alle Zeichen trügen, befindet sich die eng-
lische Regierung übrigens in dieser Frage in we-
sentlicher Ueberetnstimmung mit weiten deutschen
Volkskreisen. DaS besonders zu betonen würde
Nichts schaden.
Der Sinn einer aktiven Politik ist im Augenblick,
daß überhaupt ein Vorschlag gemacht
wird, der in der Welt den Eindruck der deutschen
Verständigungsbereitschaft, des deutschen Friedens-
willens, erweckt und demjenigen, der ebenfalls den
Frieden will, die Möglichkeit gibt, diesen Vorschlag
als Basis zu Verhandlungen zu betrachten. Es
dürfte sich dann zeigen, ob Frankreich eS wagen
Wird, einen derartigen Vorschlag abzulehne».

Verstärkter Druck im Ruhrgebiet.
Paris, 13. April. Die belgischen Minister
Theunis und Jaspar sind kurz nach 1 Uhr
mittags hier eiugetrofsen. Die Konferenz am Quai
d'Orsay begann um 3.25 Uhr. Um 7 Uhr abends
war die Sitzung beendet. Der Presse wurde folgen-
des Kommunique übermittelt: Die belgische und die
französische Regierung, in gleicher Weise entschlossen,
ihre Aktion im Ruhrgebiet fortzusetzen, bis Deutsch-
land sich entschließt, unmittelbare Vorschläge für die
Bezahlung der Reparationen zu machen, haben eine
ganze Reihe neuer Maßnahmen ins Auge gefaßt, um
ihren Druck zu verstärken und ihn so lange fortzu-
setzeir, wie es nötig sein wird. Sie haben außerdem
eine Anzahl von Beschlüssen getroffen, nm di« Ab-
fuhr von Kohle und Koks zu beschleunigen, um den
Eingang der Kohlenstcuer flchcrzustellen und um den
Betrieb der Eisenbahnregie immer mehr zu ver-
besseru.'.Sie werden morgen vormittag wieder zu-
sanrmentreten, um nmneittlich die Fragen der Buch-
führung der interalliierten Dienststellen, der Ver-
wendung deS Ertrages der Pfänder, der Geldstrafen
und der Kapital beschlagnahme sowie der Sachliefe-
rungen usw. zu prüfen.
Der Katholizismus als politische
Internationale.
Wien, 13. April. (Frkf. Ztg.) Don Sturz», de,
Sekretär der Katholischen VolkSpartei Italiens»
kommt unmittelbar nach dem Turiner Kongreß nach
Wien, um hier mit den Führern der Chriftlichsozialen
Partei wegen Schaffung einer großen katholischen
Jnternationtlc als Gegengcwichl gegen die sozialisti-
sche Internationale zu verhandeln. Es ist zunächst
an ein Zusammenarbeiten der Popolari, des deut-
schen Zentrums und der Chriftlichsozialen Partei
Oesterreichs gedacht.

Die internationale Lage.
Vor der belgisch-französischen
Konferenz.
Paris, 13. April. Der nunmehr zusammen-
tretenden belgisch-französischen Konferenz soll nach
Mitteilungen Sauerweins ein neuer franzö-
sischer Reparationsplan vorgelegt werden.
Das Wesentliche bei der Aufstellung des neuen Pro-
jektes fei, daß die Bons und 8 in zwetTetl«
geteilt werden. Der ein« hiervon von etwa 5 0

Berlin, 13. April. ! klipp und klar sagen, wie es sich die Lösung der
Die gründliche Aussprache innerhalb der so zI al-»i-ir- uni-n-ne
d emo kr at tischen R eichsta gjsfra ktlio n
Wer die äußere politische Lage, die am gestrigen
Donnerstag stattfand, hat gezeigt, daß diese vom
ersten Lis zum letzten Mann einmütig im Interesse

Berliner Kritik am
Mierendorff-Prozetz.
* Heidelberg, 1t. April.
Zum Heidelberger Straskammerurteil über Mie-
rendorff und Genossen liegen zwei wettere Presse-
stimmen aus Berlin vor, die das Urteil in einer für
den politischen Ruf Badens sehr wenig schmeichel-
haften Weise besprechen.
Die „Voss. Zt g." bringt aus der Feder Emil
Ludwigs einen längeren Leitartikel mit dem
Titel „Physik, Politik und Republik",
worin nach einer eingehenden Darstellung der Vor-
gänge vom 27. Juni 1S22 der Verfasser fortfährt:
10. April 1923. Das badische Zentrum, dein
der Justizminister angehört, macht Rechts schwenkt,
man erzwingt einen Prozeß, den inan heute mehr
als je Venneiden mntzte. Gegen wen? Gegen den
Gelehrten, -um ihn zur Verantwortung zu zie-
hen, weil er die Staatsordnung verhöhnte? Dein
hat damals der Senat nur einen „öffentlichen Ver-
weis" erteilt. Daim war cs vergeben.
Jetzt gilt es, die acht Gewerkschaftler, di«
man gefaßt hat, und namentlich den Studenten,
der durch seine freiwillige Zeugenaussage vom näch-
sten Tage überhaupt erst in den Mittelgrund trat,
dafür zu bestrafen, daß sie im Sinne der vater-
lärrdischen Totenfeier für die Republik und für die
Verspotter des Reiches einen trotzigen Bcantten zur
Befolgung der Staatsgesctze gezwungen
haben, gemeinsam mit der Polizei, wofür der Rektor
dem Studenten anderntags seinen Dank aus-
sprach. Heute? „Haus- und Landfriedensbruch
88 124, 125 Strafgesetzbuch."
Lenard, der moralisch Angeklagte, damals
bleich und bebend, tritt heute als Triumphator auf.
Neun Monate hat sein damals gefällter Stolz ge-
braucht, um wieder zur Welt zu kommen. Mieren-
dorfs ist zu vier, die Arbeiter sind zu drei bis fünf
Monaten Gefängnis verurteilt worden.
So das Urteil. Darnach ist erwiesen, daß man
als Staatsbeamter Rathenaus Schatten am
Tage seiner Beisetzung mißachten darf, ohne mehr
als einen Verweis zu riskieren; daß man indes als
Student und Arbeiter nicht in eine vom
Staate verbotene provokatorische Vorlesung cindrin-
gen darf, um ihren Schluß zu erzwingen, auch wen«?
der Polizist im Namen des Rektors und Ministers
dasselbe tut. Bewiesen ist, daß in einem Augen-
blicke, wo der Burgfriede höchste Zurückhaltung
forderte, die Reaktion mit Richard HI. ruft:
„Ins FeldI Weil wir in Waffen stehen:
Wo nicht zu fechten mit auswärtigen Feinden,
Zur Dämpfung vor Rebellen hier im Haus."
Die Verhandlung sand zu derselben Stundij
statt, wo in Essen die Opfer des Karsamsz
tagS bcigefetzt wurden. Um 11 Uhr cOiob sich de?
Vorsitzende: „Zum Gedächtnis der Opfer in Essest
setzen Wir die Sitzung auf zehn Minuten aus." Abe?
noch läutete die Glocke von Heiliggeist über de?
Stadt, als die Verhandlung weiter ging . . .
Der „Vorwärts" schreibt: Der Professor
Lenard aber, der sowohl aus die Republik und
die Anordnungen ihrer Regierung mit souveräner
Verachtung heravblickt, ist immer noch Lehrer
der akademischen Jugend I Wirklich, es ist Herr-
lichumdierepubltkantschsJustiz bestelltl

gegenwärtigen Krise vorstcllt.
j Sicherlich weiden an einer Schätzung unserer
^Leistungsfähigkeit von deutscher Seite nicht
nur von Frankreich, sondern auch von anderen Län-
»I.r» »uu« .ry.r» »» Peru Zweifel gehegt wrden. Die deutsche Regierung
des Volkes den psychologischen Augenblick für ge- müßte sich deshalb gleichzeitig Von vornherein bereit
kommen hält, in dem die Reichsregierung die Pflicht Erklären, daß falls Zweifel an der Richtigkeit seiner
hat, die Initiative zu V e r h a ndlun g en-Schätzung bestehen, »n «r-»«
zu ergreifen, ohne zuvor auch nur im geringsten die Kommtssion
passive Abwehr auszugeben. Ein großer Teil der Leistungsfähigkeit überlassen bleiben soll und diese
Fraktion bezeichnete die bisher geführte Politik als' """
schon seit Wochen zu wenig aktiv, während ein
anderer, der größere, sie doch für die richtige
hielt. In diesem Sinne werden auch die von der
Fraktion zur Debatte über den auswärtigen Etat
als Redner bestimmten Genossen Hermann Mül-
ler urrd Breitscheidt sprechen.
Leider besteht innerhalb der Reichskanzlei nicht
der gute Wille, in der Tat zu einer aktiven Politik
zu schreiten, wie dies im Interesse der deutschen Be-
völkerung, insbesondere aber aus Fürsorge für un-
ser« an der Ruhr kämpfenden Brüder, ganz ent-
schieden gefordert werden mutz.
Die Sozialdemokratie denkt nicht daran, den bür-
gerlichen Partei«» Material zu einer neuen
Dolchstotzlegendse zu geben: aber sie wird
dennoch als Fraktion das tun, was ihr die Ver-
nunft gebietet. Sie wird, falls die Regierung
nicht aktiver werden will, die Verantwortung
für das Kommende ablehnen, ohne dabst die
Mbwehrrrsolg« zu gefährde».
Deutschland mutz die Initiative zstr Einlei-
tung von Verhandlungen ergreifen und der Welt

Wenn viele Diktator sein wollen und bloß ein Posten
dieser Art zu vergeben ist, so kann unter den Anwär-
tern keine große Freundschaft herrschen.
Sieht man von diesen beiden Tendenzen ab, dem
von den Fremden beleidigten, ehrlichen, aber un-
politisch gewendeten Nasionalempfinden, und den
- mancherlei dunklen Bestrebungen, die in der Haupt-
sache für sich selber sorgen wollen, so bleibt als
Kern einer Bewegung, welche Staat und Gesell-
schaft umgestalten zu können behauptet, ein w trr e r
> Komplex von Primitiven Meinungen und Jw-
- stinkten, die wahrscheinlich lebhaft von ihrer sittlichen
. Berechtigung durchdrungen sind. Sie sind nicht oder
nicht in erster Linie durch den fremden Druck er-
zeugt, sondern entstammen älteren seelischen
Schichten. Es quellen trübe Ströme hervor, die
immer da waren, die man aber in der Zeit der
äußeren Fülle übersehen konnte. Vor allem ist
weiten Bezirken des deutschen Bürgertums höherer
und niederer Lage die Idee der gesetzlichen Gleich-
heit und was daraus hervorgeht, nicht vertraut,
nicht verständlich und selbst verhaßt. Dieses
Bürgertum hatte nicht wie das englische und das
französische die Krone und den Adel besiegt, sondern
sich der von diesen beiden geschaffenen Staatsord-
nung angepaßt. Es war eine wirtschaftliche und
eine kulturelle Macht, aber keine politische. Die paar
Jahre seit dem Zusammenbruch des alten Systems
Haven noch nicht ausgereicht, um das, was schließ-
lich einmal kommen mutzte, begreiflich zu machen.
Wie es scheint, ivill die jetzt dirigierende extrem
völkische Richtung, die Wohl von den Herren Hitler
und Wulle repräsentiert wir-, vtelweiterrück-
wärts gehen als nur bis 1914. Sie will nicht
bloß die Republik beseitigen, sondern, soweit
man die Phrasen verstehen kann, die Volksver-
tretung, die Kapitalwirtschaft, die großen
Städte; am Ende auch die Buchdruckerkunst. Wie
sich mit diesem Botokudentum die Gönner des Na-
tionalismus in den „geistigen" Schichten, die
Richter, Universitätsprofessoren, Gymnasiallehrer
auseinandersetzen, ist ihre Sache. Der deutsche
Studierte hat sein besonderes Talent, die Wirk-
lichkeit mitzzuverstehen, hinlänglich oft bewiesen.
Alles, was den Leuten an der modernen Welt nicht
zusagt, drängt sich für sie in eine Vokabel zusammen:
Jude, und man hat den Eindruck, daß der Anti-
semitismus der einzige feste Punkt im nationalisti-
schen Programm ist. Zweifellos wird man zunächst
eine ungeheure Karthothck begründen, in der die
rassisch« Zusammensetzung eines jeglichen
Deutschen bis ins vierzehnte Jahrhundert zurück
leicht einzusehen ist. Wie unproduktiv, geistlos und
kraftlos ist das alles! Immer, wo sich bei Völkern M tlltarden Goldmark wäre in den nächsten
die Frage nach der Abstammung und Blutmischung
in den Vordergrund schob, fing der Niedergang an.
Als sich die alten Germanen mit Ungestüm
auf di« Länder des Südens und Westens warfen,
waren sie rassisch ganz und gar nicht exklusiv, sie
nahmen die Weiber, die ihnen gerade gefielen, und
aus Ihren vielen Sünden wider das Blut entspran-
gen neu« Völker. Kein eroberndes Volk, von den
Römern bis zu den Russen, hat sich um die Rasse
viel gekümmert, denn wenn man ein Weltreich bauen
will, mutz man die willigen Kräfte nehmen, wo sie
sich finden. Der Imperialismus darf nie-
mals nationalistisch sein und der Rassen-
fanatismus gedeiht bet Völkern, die mürrisch in
einer Ecke sitzen müssen, während andere das Leben
haben. Die riesigste, wahrhaft phantastische Steige-

M W ÜkS MUMMS.
In der „Franks. Ztg." veröffentlicht
Dr. B. Guttmann folgende inter-
essante Betrachtung:
I» vulkanischen Zeiten, wie wir sie durchleben,
nutzen sich die Ideen zehn- oder zwanzigmal so
schnell ab wie in den für uns entschwundenen Pe-
rioden eines normalen politischen Daseins. Theo-
rien und Programme, di« sonst Jahrzehnte ausge-
halten hätten, werden in dem nicht erlöschenden
Weltbrande, dem wir als stumpf Gewordene nur
noch mühsam folgen können, in drei, fünf Jahren
zu Schlacken ausgebrannt. Wer glaubt heut« noch,
daß der Bolschewismus imstande sein werde,
der Menschheit seinen Willen aufzuzwingen? Erst
gestern jedoch beherrschte, je weiter nach Westen bin,
desto mehr, Staatsmänner und Kapitalisten das
bleiche Grauen vor der proletarischen Woge, die un-
vidcrstehlich heranzustürmen schien. Ursache dieser
Ernüchterung ist nicht eigentlich ein Mißerfolg
oer Bolschewisten, dem« sie halten sich ja in Moskau
nicht bloß persönlich schon recht lange, sondern haben
viel Klugheit und Tatkraft bewiesen und ihre Ent-
wicklung spricht dafür, daß sie es lernen, mit den
Tatsachen zu paktieren. AVer dies ist es gerade,
was sie als revolutionäre Weltpartei nicht vertragen
können. Di« furchtbare Not von vielen Millionen
zwingt sie fortwährend zu Maßnahmen, die vielleicht
nur als zeitweilige Aushilfen gedacht waren, schließ-
lich aber zusanrmen einen recht opportunistischen Bau
ergeben. Die Aufgabe deS TageS erwürgt das große
Problein, ein Fall, der sich in der Geschichte beständig
wiederholt . . . Heute bewegt sich in Deutschland,
überhaupt Wohl tu der nichtrusstschen Welt, die Kurve
-.es Kommunismus ziemlich gleichlaufend der von
Arbeitsmarkt und Preisen. Wenn die Verhältnisse
Noch gespannter werden, können wir neue Hunger-
revolten erleben. Brotlose Menschen würden hinter
roten Fahnen marschieren und sich für Konnnunisten
halt«,,. Vielleicht wird wieder Blut vergossen —
der Sache kann das nichts helfen. Revolutionen
macht nicht der leere Magen, sondern der mit
Ideen u nd Be geisterung gefüllte Kopf. Als
Partei neben anderen Parteien wird der Kommu-
nismus wohl noch lange bestehen, als chiliastische
Triebkraft ist er bereits verworfen. Wie verhält es
sich nrit dem anderen Ungetüm, das uns bedroht,
dem radikalen Nationalismus?
Die Anzeichen sind da, daß diese Bewegung sich
ü Deutschland jetzt dem Punkt« nähert, wo sie ent-
vedrr mit aller Kraft die Verwirklichung
. -vier Schlagworte versuchen mutz oder aber anEin -
l! nß zu verlieren beginnt. Die Gruppen, erst
Zerstreut und von einander gesondert, haben sich
immer mehr zufammeugeschlossen, sie bilden jetzt
-ine Art Einheit, offenbar ist auch eine oberste Füh-
lung da. Der Grad der Straffheit und Zuverlässig-
rit in diesem Heerbann ist nicht zu beurteilen; aber
wahrscheinlich läßt sich die Organisation, wenn auch
tur ein Schein von Anerkennung des bestehenden
Staates gewahrt bleiben soll, nicht mehr viel
-bei ter treiben. Die Tatsachen, welche die
preußische Regierung aufgedeckt hat, sprechen dafür,
daß ein großer Schlag geplant ist. ES ist also eine
Gefahr vorhanden, und sie ist groß genug, um alle
Wachsamkeit des Staates herauszufordern.
Ein« Gefahr natürlich nur für Deutschland,
welches durch eine gewaltsame Erhebung in Stücke
Gerissen werden kann. Für den siegreichen
Westen ist der deutsche Nationalismus gar keine
Gefahr, sondern imr eine Gelegenheit und ein
Vorwand, den Druck zu steigern. Alles das ist
wnnenklar.
Auch starke Abneigung gegen den völkischen Chau-
hinismus, seine Torheit und seine Brutalität darf
wicht ungerecht machen. Recht viel« ehrenwerte, unter
vo rum len Verhältnissen leidlich einsichtsvolle Leute
Wüsten ja in Deutschland jetzt bei der Reizung, die
Anem so elementar menschlichen Gefühl, wie es das
Volksempfinden ist, fortwährend von außen her an-
getan wird, in schäumende W u t verfallen. Da alle
welischcn Kräfte dringend zur Selbstbehauptung cr-
wrdcrt werden und man genötigt ist, die stärksten
^rundi'nstinkte auszmufen, so ist es nicht wunder-
er, daß bei diesen Vielen der Wille zu ihrem Volks-
mur in einen Fanatismus umschlägt, der in letzter
^nie doch nur schwächt, weil er die Vernunft be-
nebelt. Di« zweite Abteilung der Nationa-
lsten ist weniger ehrenwert. Ersichtlich ist unter
wneu eine große Anzahl, die in irgend einer Verech-
wt„g von der Bewegung profitieren wollen.
Strömung ist da, sie ist kräftig, und man will
ainit fahren. Alle Feinde der Demokra-
ie, alle, die die Arbeiterschaft in Unfreiheit und
Achtlosigkeit bringen möchten, sind geborene
Dünner des Nationalismus, weil sie in
wn mit Recht die stärkste Kraft der politischen und
hiialeu Reaktion wittern. Dazu kommen die Par-
'ularisten und Anhänger der abgesetzten D y -
. astien, die in dem allgemeinen Geschrei gegen
w Republik ihren selbstsüchtigen Absichten zu nützen
wfen, dazu kominen politische Intriganten, die
'was werden möchten, und Militärs, für deren
s^.rrschfucht der Krieg, den sie verloren haben, zu
>h geendet hat, und die sich nach neuer Gelegenheit
ui Befehlen umsehen. Unter diesen Leuten gibt
den^E' Wiche, die vor nichts zurückschrecken wür-
- aber die Egoisten hemmen sich auch gegenseitig.
 
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