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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 61 - Nr. 70 (13. März - 23. März)
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rms-Zkllung für die mrkMe Möllerung der MlsSkzktte SeidelSerg. Wlesloch, KNHelm. Kpvlngkv. EberSO. MsSarS. Vuihen. MelZhekA. DMerg. raMMMelin o. WeMelm

E». Jahrgang

Heidelberg, Mittwoch, den 21. März 1923

Nr. 68

L'v>a»vrK,.Mo»-ttt»rInschNetll. E-.H EÄ S«s»!isi,stunden»--SNHr. Tpreq,
^°?kllot,n M! 1^».—. Nn,kiyc>» LDr z^U WW MW Kunden der R»r>-Itton: II—12 Ntz^
'°r«'e: Die oinlvalttqe PeltNeile Wf WM MM WW MW DN UW UZ» MW MS MW MD fi°n>ch-->Io>>ionarwiubeSir.ÄS?7.
Ls' deren Nanni <Si mm breit, MM EW RW1 MM MAt WA W'M UM WA WA Tel.-Äür..-Loik»,eiiungAcidcIderg.
. ReNamcauieiacnl7Imm WA. WM MWl WA WM» ^WU T,u<l u. L-erlag der Unicrdadiichc«
. Bei Wiederh^iun» Wj W-WU Vcriaasnuball G. m. b. H., Hcidel-
«'nNochlaßn Darif. Kchcimmittel» d MWr n»SM M MM« «WiM M^VWWLM ^WW MsD^ bcrg.Gejch-flsftclle: Schrüberiir.S»
^"zeigen finden leine Aufnahme. ^Wr U MM ^W- Tel.iErpedinonüNitu.Redak.SV».

Die Auswandererstaiistik, Vie interessante Aus-
chilisse über die Tendenzen im deutschen Wirt-
chafisleben geben könn'e, ist leider für die Auswer-
"»g recht unvoll st ändig. Insbesondere feu-
die unbedingt notwendigen Angaben darüber,
eichen Berussschichten dir ausgewanderien Deul-
' sb e n entstammen, da man doch kaum das Verhält-
's von 2:1 bei der gesamten Auswandererzisfer, in
°"r Deutsche und Durchwandcrer zueinander stehen,
aus die nur für die gesamte Ziffer angegebenen
""bien über die Berufsgliederung übertragen kann.
dr, '""re insbesondere sehr interessant, fcstzustellen,
' icviel von den 12 500 landwirtschaftlichen
"swandcrern aus Deutschland entfallen. Bckanni-
foi aus ernährungspolitischen Gründen und tn-
Ab Wegfalls der allgemeinen Wehrpflicht der
iug vom Lande in Deutschland ganz erheblich
k r"6üegangen. Diese Entwicklung war von bevöl-
y.'""Kspolikischen Gesichtspunkten aus sehr zu be-
a r, ^^eil die Hoffnung bot, datz die Land-
derp sierfrage, die zu einem immer dringen-
de, " Problem geworden ist, und die insbesondere
ei, , ry die Einführung der Arbeilszeitgesetzgebung
Bleu weitere Verschärfung erfahren hat, aus diese
Klei i s b Milderung erfahren konnte, wenn-
das,/'' wir uns naturgemäß der Tatsache bewußt sind,
lieb- g " umfassende innere Kolonisation eine wirk-
kei, .fbvilse nicht zu denken ist. Bei der Wichtig-
eip,. i i?wgc sollte bald festgcstellt werden, ob
sche "i an die Stelle der Landflucht in die dcut-
^aki?,!^"swwsnwt eine Tendenz zur Auswanderung
' Ncbcrscc getreten ist.
'erm^Walls scheint die Steigerung der Answan-,
detsx "-die fcstznstellcn ist und die bemcrkenswerter-
ä'emlich gleichmäßig auf die osteuropäischen

All MMOkMgSslW.
Zu der in letzter Zeit immer stär-
kere Bedeutung gewinnenden zuneh-
mende» Auswanderung bringt die
„Voss. Zeitung" interessante Dar-
legungen ihres Hamburger Mitarbei-
ters:
Der menschenfreundliche Elemenceau hat das lie-
benswürdige Wort geprägt, es feien 20 Millionen
Deutsche zu viel auf der Welt; entweder sie müßten
auswandern oder — —. Die wirtschaftlichen Fol-
gen des Versailler Vertrages haben es mit sich ge-
bracht, das; trotz der scheinbaren Hochkonjunktur in
Deutschland immer mehr Deutsche die Augen
Nach einer neuen Heimat richten müssen, weil sie
keine Eristenzmöglichkeit mehr innerhalb der Gren-
on ihres Vaterlandes sehen. So wächst der
Drang nach dem Uebersee und damit die
Zahl der Auswanderung. Die hamburgische Sta-i-
Kik für das Jahr 1922 erzählt uns darüber einige be-
merkenswerte Einzelheiten.
Die Gesamtzahl der Auswanderer und Reisen-
den, die im Jahre 1922 über Hamburg zur See ins
Busland befördert worden sind, bc.rug 89 958, un-
ler diesen befanden sich 29 584 D e u t s ch e, während
öl 774 Personen ihren letzten Aufenthalt vor der
Abreise im Deutschen Reich gehabt haben. Beson-
ders interessant ist die Verteilung der Auswanderer
"us dieBerussabtetiungen und die S ellun-
ken im Beruf. Hiernach wanderten im vergangenen
Bahre 3099 Selbständige, 67 939 Unselbständige und
*8 329 Angehörige aus. Von den Auswanderern
waren 12 528 in der Landwirtschaft, 17 622 in Ge-
werbe und Industrie, 19 985 im Handel und Verkehr,
bl7l im häuslichen Dienst und 5974 im öffentlichen
Dienst und in freien Bernsen tätig; 24 678 sind als
Beniner, nachreiscnde Angehörige, Berufslose und
dergleichen bezeichnet. Eine der Uebersichtcn behan-
delt di« Staatsangehörigkeit der Auswanderer in
Verbindung mit ihrem Reiseziel. Als Länder der
Staatsangehörigkeit sind, da nur wenig Raum zur
Verfügung stand, außer dem Deutschen Reiche nur
die wichtigeren, östlich und südöstlich davon gelege-
nen Staaten einzeln ausgrsübrt.
Die größten Auswandercrzahlen entfallen uuier
diese» Staaten auf die Tschechoslowalei (6226-, aus
Österreich (5535), aus Rumänien (3551) und auf
Polen (3090). Erst hiernach kommt Rußland (2870),
d"s vor dem Kriege regelmäßig am stärksten an der
Auswanderung beteiligt war. Als Reiseziel kom-
men noch immer in den meisten Fällen die Ver-
dutzten Staaten von Amerika mit 58 237
Personen in Bei rächt; in weitem Abstande folgen
Prastlien mit 8339 und Argentinien mit
,9l1. Den Schluß der Veröffentlichung bildet eine
l'ebersicht Uber die Gesamtzahlen der AusgewanLer-
w», die hier nach Kajütpassagieren (Reisenden) und
^Peinlichen Auswanderern (Zwischendeckern), wie-
der mit besonderer Hervorhebung der Deutschen, ge-
tvennt werden, für die Jadrc von 1904 bis 1907
zeigt sich «in allmähliches Wachsen der Auswandc-
*U"g von 132 712 aus 189 810, im Jahre 1908 folgt
jäher Absturz auf 78 878 und in den nächsten
wahren wieder mit einer geringfügigeren Unlerbre-
M'ng (im Jahre 1911) eine Steigerung bis aus
- t> 097 im letzten Jühr vor dem Kriege. Für das
^ahr 1914 sagen hie letzten fünf Monate fort; wäh-
'uiv des Krieges fand keine Auswanderung
Mur, und erst im Lause des Jahres 1920 wurden die
Zuschreibungen wieder ausgenommen. Die Zu-
ru h ni e der Auswanderung tm Jahre 1922 betrug
Gegenüber dem Vorjahr über 50 Proz.

Länder verteilt ist — die hohe Ziffer in der Tsche-
choslowakei findet ihre Erklärung in der dort seit
einem Jahre herrschenden Wirtschaftskrise — anzu-
kündigen, daß wir für die weitere Zukunft zweifellos
auch mit einer zunehmenden Auswanderung aus
Deutschland zu rechnen haben werden. Diese Aus-
wanderung wird jetzt gehemmt durch die auf der
Ausnutzung der Valutadifferenzcn beruhende gün-
stige Jndustriebeschäftigung. Sie wird in dem Mo-
ment einen starken Antrieb erfahren, wo die
deutsche Industrie gezwungen wird, mit dem bis-
herigen System der niedrigsten Arbeitslöhne zu bre-
chen, und wo sie deshalb notgedrungenermaßen zu
Betrieb seinjchränlu »gen schreiten muß.
*
Skeptischer als die „Voss. Ztg." steht der „So-
zialdemokratische Parlamcnlsdienst" der Auswande-
rungsfrage gegenüber, in dem er uns zur Auswan-
derungsfrage schreibt:
Immer noch glauben viele deutsche Arbeiter,
durch die Auswanderung in fremde Länder ihve

Lage verbessern und der Not des Heimatlandes ent-
weichen zu können. Namenlose Enttäu-
schung, Verlust der letzten Barmittel und Sach-
werte sind zumeist das Ende solcher hoffnungsvoll
angetretenen Reise. Insbesondere ist jetzt Brast-
lienda sLand, dem sich das Gros der Auswande-
rer zuwendet. Ein Bericht des Sozial. Arbei-
tervereins in Porto Alegre (Brasilien),
der uns übermittelt wurde, besagt, daß nur in zwei
Staaten von staatswegen kolonisiert wird. In allen
anderen Staaten erhallen die ankommenden Ein-
wanderer absolut keine Unterstützung. Sie
sind auf sich selbst oder aus die Mildtätigkeit dritter
Personen angewiesen. Es ist für sie vollständig un-
möglich, auf diese Weise ihr Leben fristen zu kön-
nen. Auch in Brasilien haben sich die Verhältnisse
ganz bedeutend verschlechtert. Es sollte sich daher
jeder, der die Absicht hat, ausznwandcrn, sehr ein-
gehend nach den Verhältnissen des Staates unter-
richten, in dem er ein« neue Heimat zu finden hofft.

Jes Men en MÄalMw.
Bayern schützt Gewalttaten.

München, 20. März. Im Anschluß an neuer-
liche Gewalttätigkeiten der National-
joztalisten in Ingolstadt und Jmmenstadt fand
heute tm Ausschuß des bayerischen Landtags eine
Aussprache über die Nationalsozialisten statt.
Ein Resultat kam jedoch nicht zustande, da, wie nach-
stehend ersichtlich, die, bayerische Regierung eS nach
wie vor bei der Duldung der National-
sozialisten beläßt.
Im Einzelnen erklärte der bayerische Innenmi-
nister Dr. Schw e y e r auf den sozialdemokratischen
Antrag aus Auflösungder nationalsozialistischen
Sturmtrupps: Die bayerische Regierung betrachte
die neuerlichen Formen des politischen Kampfes mii
ernster Besorgnis. Es sei bekannt, daß die Sturm-
abteilungen der Nationalsozialisten den
Versammlungsschutz in einer geradezu brutalen
Weise und sebr häufig mit bedeuklicheN Mitteln
handhaben, die freie Meinungsäußerung des Geg-
ners nicht selben mit Gewalt unterdrücken und viel-
fach einen unerhörten Versammlungs-
terror austtben. Wiederholt seien die National-
sozialisiert mit dein Strafgesetzbuch in Kon-
flikt gekommen; gegenüber solchen Gesetzwidrigkeiten
müßten alle polizeilichen und gerichtlichen Mittel
rücksichtslos eingesetzt werden. Die Ex-
peditionen geschlossener, zum Teil sogar bewaffneter
Gruppen, deren Auftreten manchmal an Landfrie-
densbruch grenze, müßten mit allem Nachdruck hint-
angehalken oder wenigstens unschädlich ge-
macht werden. Das habe, gegebenenfalls durch
Verhaftung der Führer und Entwaffnung der
Beteiligten zu geschehen. Der Antrag auf Auflösung
aller bestehenden, Sturmabteilungen sei durchaus
begreiflich. Die Staatsregicrung sei sich auch
darüber klar, das; das wirtschaftliche und politische
Programm und die ganzen Bestrebungen der Natio-
nalsozialisten in mehr als einer Richtung nicht zu
unterschätzende Gefahren gegen Staat und
Ordnung im Staat mit sich brächten. Einzelne
Führer Hüften in unzweideutiger Weise den staat-
lichen Maßnahmen getrotzt und der Regierung offe-
nen Kamps angesagt. Die Regierung sei verpflichtet,
alle Machtmittel, auch Gegenmaßnahmen bereitzu-
stellen, um gegen bedrohliche Uebergriffe etnzuschret-
ten und jede Gefahr im Keime zu ersticken. Trotz-
dem bestünden gegen die Auflösung der Sturm-
trupps und Sturmabteilungen überhaupt nlchtun -
erhebliche Bedenken. Die Auslösung von
Vereinigungen, soweit sie gesetzlich nicht vorgesehen
sei, könne auch polizeilich nicht durchgeführt werden
und man könne die Sturmabteilungen der National-
sozialisten ebensowenig wie die Sicherheitsabteilun-
gen der Sozialdemokratie ohne weiteres als eine
Verbindung im Sinne des allgemeinen Strafgesetz-
buches betrachten. Beim Oberreichsanwatt sei zur
Zeit ein Verfahren anhängig, das Gelegenheit
gcben werde, die Bedeutung der Sturmabteilungen
nach der rechtlichen Seit« zu untersuchen. Einer
Anzeige der Polizetdirek'ton München gegen die na-
tionalsozialistischen Sturmabteilungen sei von der
Staatsanwaltschaft keine Folge gegeben worden, da
der Tatbestand des 8 128 des Strafgesetzbuches nicht
als gegeben auzuschen sei. Dem Verbot der Natio-
nalsozialistischen Arbeiterpartei gegenüber stehe die
bayerische Regierung auch heute noch aus dem Stand-
punkt, daß es nicht ihre Aufgabe sein könne,
eine politische Bewegung als solche zu
bekämpfen, das; vielmehr diese Ausgabe der auf-
klärenden Arbeit in Wort und Schrift Vorbehalten
werden müsse. Die En scheidung des Staatsge-
richishoses besitze Rechtswirksamkeit nur für den
der Entscheidung zugrunde liegenden konkreten Tat-
bestand und könne nicht die Bedeutung einer allge-
mein bindenden Verwaltungsanweisung beanspru-
chen.
Während der Debatte stellte die Demokratische
Fraktion, wie die die Aussprache veranlassenden
Sozialdemokrat», den Antrag, alle Sturmabteilun-
gen uff., die zu gewaltsamen inneren Kämpfen be-

stimmt sind, aufzulösen, und ferner die Ausübung
der Versammlungsfreiheit unverzüglich stcherzustellen.
I» der Debatte verteidigte der Redner der deutsch-
nationalen Mittelpartei, Hilpert, die national-
sozialistischen Sturmtrupps und lehnte alle Anträge
ab. Der demokratische Abg. Dirr wies darauf hin,
daß die nationalsozialistischen Sturmtrupps offenbar
Attentate planten. Abg. Timm (Soz.) fragte die
Regierung, ob ihr bekannt fei, daß neuerdings
Trupps aus dem Ruhrgebiet nach München beordert
seien, die schon heilte in München eintreffen und ihre
verhafteten Kameraden befreien sollten. Minister
Schweyer antwortete, davon sei der Regierung
nichts bekannt. Gegen die Nationalsozialisten schwebe
eine große Reihe von Strafverfahren.
In der Abstimmung wurde der sozialdemo-
kratische und demokratische Antrag auf Auflösung der
Sturmabteilungen der Nationalsozialisten, Sicherung
gegen Neubildung, sowie Sicherstellung der Ver-
sammlungsfreiheit abgelehnt.
Der Münchener Terror.
München, 20. März. Ein« Abordnung des
Verbandes der israelitischen Kultusgemeinden Bay-
erns Hai sich zum bayerischen Ministerpräsidenten v.
Knilltng begeben, um Vorstellungen wegen der
Nationalsozialisten zu erheben. Sie wiesen aus die
Leben und Eigentum bedrohenden Terrorakte der
Nationalsozialisten hin und erklärten, das; ein Man-
gel an Rechtsschutz gegenüber der Aufreizung der
Volksleidenschasten eines ganzen Bevölkerungsteilcs
bestehe. Der Ministerpräsident sprach der Abord-
nung sein Wohlwollen aus — wie es praktisch damit
stehl, zeigen die Erklärungen Dr. Schweyers im bay-
rischen Landtag.
»
Die Hitler-Garde will nach Baden
marschieren.
8 Der in München erscheinende „Völkische Beob-
achter", das Sprechorgan des Hitler und seiner ur-
teilslosen Anhänger, äußert sich zu dem bekannten
Fall Steinen im Wiesental ebenfalls und was er
da an Drohungen ausspeiht, ist so grotesk und von
Politischem Fanatismus ersüllt, daß man auch im
öffentlichen Leben Badens davon Notiz nehmen mutz.
Zunächst wird Dr. Winter als Parteige-
nosse gefeiert und dann eine Notig der „Karlsr.
Zeit«.- zum Anlaß genommen, ganz kräftig auf Ba-
den loszuziehen. In dieser Notiz war gesagt, daß
sich der traurige Vorfall in Steinen, bei welchem Dr.
Winter ums Leben kam, nur um deswillen ereignen
konnte, West man dort verbotene nationalsozialistische
Versammlungen abgehalten hat. Darüber regt sich
der „Völkische Beobachter" furchtbar aus und er sagt:
„Ja wäre nur irgendein Novembergauner oder
sonstiger Verbrecher oder gar ein galizischer Jude
das Opfer gewesen, dann hätten die Herren sich in
spaltenlangen Ergüssen über die „Verrohung der
Sitten'" durch die „reaktionären Mörderbanden"
aufgehalten. Die Judenpress« der ganzen Welt
hätte verlangt, daß der Fall sofort d«r Erledigung
zugeführt werden müsse."
In dieser Tonart spricht der „Völkische Beobach
ter" zu seinen Lesern. Kein Wunder, daß Hitler in
München jeden Tag der bayerischen Regierung —
bildlich gesprochen — ins Gesicht spuck,. Zum
Schluß versteigt sich das völkische Hetzblatt aber zu
solgender Drohung, die der Mit- und Nachwelt er-
halten bleibe» mutz:
„Wir Nationalsozialisten vergessen nichts, und
wenn wir einstens unseren Besreiungszug anire-
ten, werden wir den Weg nach Baden finden und
wir werden aufräumen mit der dortigen offiziel-
len und inoffiziellen Tscheka in einer Weise, daß
die ehrlich-deutsche Bevölkerung ihr Wohlgefallen
daran haben wird."
Also die Hitler-Garde will nach Baden marschie-
ren und mit den Gegnern der Deutschvölkischen
schwer ausräumen! Tas kann ja luftig Werdern
jedenfalls geht es bei dieser nationalsozialistischen

Strasexpedition nicht ohne blutige Köpfe ab. Aber
Scherz beiseite! Ist es nicht unerhört, daß eine
Tageszeitung sich in solch anmaßender und provo-
zierender Weife über politische Vorkommnisse in Ba-
den aussprichi und sich sogar zu tätlichen Drohungen
versteigt!? Wo bleibt da das nach der Ermordung
von Rathenau geschaffene Gesetz zum Schutze de«
deutschen Republik? Hat man in München kein«
Empfindung dafür, daß auf diese Weise die Repu-
blik systematisch unterhöhlt und die Slaalsautorititt
gröblich mißachtet wird?! Anscheinend nicht, denn
bis heute — der Artikel des „Völkischen Beobachters"
erscheint am 14. März, also vor 3 Tagen — ist von
einem eingeleiteten Strafverfahren gegen das Hitler-
blatt nichts bekannt geworden. Kommen dann Fäll«
vor, wie der tn Steinen, dann muß dem „Völkischen
Beobachter" ein guter Teil Schuld zugemessen wer-
den. Wir brauchen uns auch nicht zu Wundern,
wenn tm Ausland, auch tm neutralen, die Auf-
fassung herrscht, als ob wir am Beginn eines fasst«
stischen Staatsstreiches stünden. Erst vor kurzem wat
in den „Basier Nachrichten", von einem süddeutschen
Politiker herrührend, zu lesen:
„>Die zum mindesten ideelle Verbindung der
Nationalsozialisten mit den Mörderorganisationen
einerseits, mit Ludendor ff andererseits, steht
autzer allem Zweifel. Durch den Uebertritt fast
aller „vaterländischen" Verbände zu den durch die
„geheiligte" Person Ludcndorffs nun durchaus
gesellschaftlich gewordenen Fasztsmus hat diese«
breiteren Boden gewonnen und ist tief in die Ret-
hen der Beamten und leider auch Gymnasiallehrer
und Jugenderzieher aller Ari vorgedrungen. Die
fas; ist siche Generalorganisation scheint nunmehr
ganz in den Händen Ludcndorffs zu liegen, dessen
Münchener Villa sich zu einem vcrftabeln Großen
Hauptquartier entwickelt bat."
Wenn das Ausland die deutschen Verhältnisse s»
einschätzl, ist di« kühle Zurückhaltung, die man ange-
sichts der Ruhrbesctzung durch die Franzosen Deutsch-
land gegenüber übt, einigermaßen verständlich,
wenn auch keinesfalls zu billigen. Die Hitler, Lü-
tzendorfs usw. erschweren somit ein baldige-
Eicde des Ruchreinbruches der Franzosen und brin-
gen Deutschland auch tn die größte innerpolitsichs
Gefahr. Wie lange läßt sich das die deutsch« Re-
publik noch gefallen?
Die Hitlers! in Kegelklubs.
Vom Oberland wird uns geschrieben: Uisier alle»
möglichen Formen versuchen die Nationalsozialisten
auch in Batzen etnzudringen. Die Arbeiterschaft hat
deshalb allen Anlaß, den Vorgängen hinter de»
Kulissen größte Aufmerksamkeit zu schenken. Da di«
nationalsozialistischen Organisationen und Vereine,
gleichgültig, welchen Namen sie führen, tn Baden
verboten sind, so müssen, wenn sich nationalsozia-
listische Zusammenkünfte bemerkbar machen, sofort
der Gendarmerie Mitteilungen gemacht werden.
Wie die Dinge vor sich gehen, zeigen folgend«
Vorkommnisse: In einem Inserat im „Triberger
Boten" werden die Leser des „Völkischen Beobach-
ters" in Triberg zu einer Versammlung zwecks
Gründung einer Lesegemeinschaft eingeladcn: zwei-
fellos eine nationalsozialistische Zusammenkunft.
Weitere Versuche zur Ausbreitung der nationalsozia-
listischen Bewegung werden im Seekreis festgestellt.
So sollen sich neben Meldungen aus Konstanz, unse-
rem Singener Parteiblaft zufolge, in den letzten Ta-
gen in Mainwangen (Amt Stockach) ehemalige Offi-
ziere in diesem Sinne betätigt haben: ein Fingerzeig
für den Amtmann von Stockach. Im Baden benach-
barten Schweningen wiederum wird unserem dorti-
gen Parteiorgan zufolge unter dem Deckmantel eines
Kegelklubs versucht, die nationalsozialistische Bewe-
gung zu organisieren. Jedenfalls ist festzustellen, daß
ganz besonders auf dem Schwarzwald mit allen
Mitteln versucht wird, festen Fuß zu fassen. Die
Aufmachung zeigt, daß finanzkräftige Kreise hinter
der Bewegung stehen. Diese sind, der Siruk ur des
Schwarzwalds nach, jedenfalls nur in den Kreise»
der dortigen Uhrentndustrtellenzu suchen.

Die Lage im Reich.
Ueber 7 Billionen Fehlbetrag.
Der tÄe-sa mi fehlste trag des Reichshaushaltes be»
trägt für 1922 7,1 Billionen Mark. Noch im Herbst
war er auf 843,2 Milliarden veranschlagt, er ist also
nm 6,2 Billionen gestiegen.
Als sächsischer Ministerpräsident
wird von der sozialdemokratischen Irak ion des stich»
st chen Landtags Justizminister Dr. Zsigner vor-
ge'chlagen.
Geheimbündler.
In Gleiwitz wurde der deutschnaiionale Stadt»
verordnet. Rektor Günther und sein Sohn, über
ff? man verdächtig» s Selbstschntzmateriai gesunden
halte, verhaftet.

Der Reichstag wird sich am Freitag vertagen und
erst am 11. April wieder zusammentreten.
Die Versuche der Deutschvölkischcn Freiheitspartei,
chwu vielgeliebten Leutnant Roßbach wieder frei
;u bekommen, sind vorläufig gescheNcri. Das Ma>
tcrial gegen ihn häuft sich immer weiter an.
 
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