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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 81 - Nr. 90 (7. April - 18. April)
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TLm-Zellung für die vmMlge TeMernW der AmMzirle ßeidelberg. WieslsH. 6Nheim, Wiüges. EderbaS. MsbO. VOen. Adelshem, Norberg. TauberU-MWin u. Wertheim

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5. Jahrgang Heidelberg, Mittwoch, den 11. April 1923 Nr. 84

Sm badischer JNstizflmrdal.
Der Prozeß gegen Mierendorff und Genoffen. — Gefängnisstrafen für Beschützer der
Republik. — Den Frondeur kann man nicht fassen.

xr. Heidelberg, 11. April.
Feierliches Geläute im ganzen deutschen Reiche
kündete am gestrigen Tage die Leidensdrangsalc des
deutschen Volkes. Dreizehn Männer aus der Klasse
des arbeitenden Volkes wurden zu Grabe getragen
als Opser der Arbeiterklasse ans Vaterland. Sie
starben für die deutsche Einheit, die zu retten
die deutsche Republik zu ihrer obersten Ausgabe ge-
macht hat. Schutz der Republik, Stärkung des deut-
schen Einheitsgedankens war die Devise aller deut-
'chen Staa'smänner, die seit dem 9. November 1918
eich bemühten, die bankerotte Erbschaft des hoben-
Zollernschen Deutschlands zu liquidieren. Dem Ziel
des Neuaufbaues des Deutschen Reiches war vor
allem die Arbeit des vor bald einen: Jahre ermor-
deten Reichsaußenministers Rathenau gewidmet.
Und mau sah sichtlich dieser Tätigkeit Erfolg beschie-
den. Kein Wunder, datz deshalb das deutsche Volk
in seinen weitesten Schichten von ungeheurer Er-
regung ersaht wurde, als wahnwitzige deutschvölki-
kche Mörderhände diesem bedeutendsten Staatsmann
»es modernen Deutschland gewaltsam ein Ende be-
reisten. Ebensowohl aber auch zu begreifen, datz es
Ungeheure Entrüstung auslösen mutzte, wenn sich in
Provokation des republikanischen Gedankens völki-
cke Unverfrorenheit vermatz, dem trauernden deut-
schen Volke geradezu ins Gesicht zu schlagen. Diese
Kaflacbe bat sich jedoch in Heidelberg beim Verhal-
len des Geh. Rats Prof. Dr. Lenard in marlan-
kester Weise gezeigt. Aus diesem Gesichtspunkte her-
aus sind die Vorgänge vom 27. Juni 1922 begreiflich
verständlich und stellen letzten Endes nich's anderes
dar als eine impulsiv entstandene Maßnahme zum
Schutze der Republik.
Was sich daher gestern vor der Heidelberger
Strafkammer abspielre, mutz als ein J-tstiz-Zkandal
bezeichnet werden, wie er skandalöser kaum denkbar
ist. Neun aufrechte mannhaste Männer, treue An-
hänger der Republik, mutzten auf der Anklagebank
Platz nehmen, weil sie an dem sturmbewcgten Tage
Vach dem Rathenaumord für die Inkarnation des
Nationalen Gedankens, für die Republik eintraten
Und sie gegen das provokatorische Auftreten eines
deutschvölkischen, engstirnigen Fanatikers verteidig-
ten. Republikaner aus der Anklagebank, weil sie die
Republik verteidigten: eS klingt absurd und doch ist
es bittere Wahrheit. Die Anklage lautete auf Land-
friedensbruch. Worin bestand er?
Es war am Tage der Beisetzung des ermordeten
ReichsministerZ Rathenau. am 27. Juni 1922. Gleich
den Rcichsbchörden erließ Vas badische Ministerium
des Innern eine Verordnung, datz als Zeichen der
Trauer über die ruchlose Tat alle Behörden um
1 Uhr zu schlicken haben. Selbstverständlich mutzte
uuch die Universität Heidelberg diesem Erlaß nach-
kommen. Und sie tat es. Der Rektor der Universität
Heidelberg gab die Verordnung weiter. Der deursch-
bölkisch gesinnte Magyar Geh. Rat Prof. Dr. Lenard,
ä«ö Pretzburg gebürtig, der Direktor des Physikali-
schen Jnst'tuts, hielt es jedoch nicht für notwendig,
i"ch dieser Aufforderung zu fügen. Ja, selbst die Po-
ktZsi fand verschlossene Türen, als sie ihn zur Er-
hitzung' der behördlichen Verordnungen mahnen
Wollte. In bewußter Provokation hielt Prof. Lenard
kein Praftikum ab und unterließ, die Fahne auf
Halbmast zu flaggen, was nicht, nur vorgeschrieben
war, sondern selbstverständliche Pietät hätte gebieten
Wüsten. Da es sich um eine nationaleTrauer-
kundgebung handefte, war es für Jedermann,
der es ehrlich mit der Republik meitzte, Gewissens-
k'flicht, allen Uebertrctungen der Regierungsverord-
aungen enigegenzutre'eu. Auf gütliche Weise ver-
suchte» nun die Gewerkschaften und später die Ange-
klagten Herrn Geh. Rat Lenard zu bewegen, sein
^nsti'ut zu schließen. Vergebens! Der sich vor dem
Institut anstauenden Menschenmenge wurde als Ant-
wort ein Wasserergutz durch fünf Hydranten gegeben.
"Die beste Probe für die Feuerlöscheinrichtung des
oNstiiu's", wie sich Lenard ausdrückre. In wilder
Erregung stürmte die gereizte Menge ins Haus,
größtes Unheil konnte angerichtet werden. Was
Uten die Angeklagten? Sie gaben sich größte Mühe,
We Masten zu beruhigen, um größeren Schaden zu
^richten, ja, sie bemühten sich selbst Noch in lebhafter
^cise um den Schutz der im Institut Befindlichen.
Sicherheit halber nahm man Lenard in Schutz-
haft und brachte ihn auf Drängen der Menge in das
»ewerkschastshaus und später in das Gefängnis,
7Us -em er dann nachts 2 Uhr entlassen wurde, wo-
wit die Sache für ihn erledigt war.
. Die damalige Situation wird am besten beleuchtet
Urch die Tatsache, datz Oberstaatsanwalt Sebold
°m Balkon des Gewerkschaftshauses eine Ansprache
n das Volk hielt und dabei versicherte, daß man
Lenard für sein Verhalten zur Rechenschaft
^oen werde: ein wertvolles Signum dieser Rebe
s Oberstaatsanwaltes, der damals selbst das
erhalten Lenards so skandalös sand, daß er sich
w beruhigenden Wortführer der demonstrie-

renden Menge machte, aus der man dann die heuti-
gen Angeklagten hcraussuchte. Allerdings; die Dinge
haben sich gewandelt. Mierendorsf und Genossen
sitzen auf der Anklagebank und als in der Gerichts-
verhandlung eine Andeutung aus den Oberstaats-
anwalt fällt, erklärt der Vorsitzende, daß dies nicht
zur Sache gehöre.
Welches war nun die Stellungnahme der hoch-
wohllöblichen Justizverwaltung zu diesem Vorgang?
Hat sie den wackeren Männern, die in Unterstützung
der Polizei der Verordnung der Regierung bezüg-
lich der Trauerkuudgebung zur Durchsührung ver-
helfen wollten, vielleicht — in einem anderen Lande
wäre dies geschehen — ihre Anerkennung ausge-
sprochen und Herrn Prof. Lenard als nichtgebürtigen
Deutschen ermahnt, sich so zu verhalten, wie cs sich
für einen Landessremden geziemt, selbst wenn er
noch so große wissenschaftliche Verdienste sich errun-
gen? Keine Rede davon. Die hochwohllöbliche bad.
Justizverwaltung bzw. Herr Generalstacftsanwalt
Schlimm beantragte, daß Anklage erhoben wird ge-
gen diejenigen Personen, die gegenüber dem anti-
republikanischen Lenard die Durchführung der Re-
gierungsverordnung forderten.
Was die gestrige Verhandlung zutage förderte,
war nun eine Bestätigung des rühmlichen Zeugnisses
der republikanischen Gesinnung und gutherzigen
Auftretens der Angeklagten. Nichts, aber auch gar
nichts von Bedeutung konnte den Angeklagten be-
wiesen werden. Sie taten nichts anderes, als was
in einem anderen wahrhaft republikanischen Lande
Lob verdient hä'te, nämlich in Unterstützung der
Polizei den Regierungsverordnungen zur Durchsüh-
rung zu verhelfen. Dem Staatsanwalt Haas —
charakteristisch für den Geist der Justizverwaltung ist
eS, daß Slaa'sauwalt Haas meinte, daL Nichtew-
fügen Prof. Lenards in die Trauerkundgebung sei
nicht schlimm — der statt des Oberstaatsanwaltes
die Anklage begründete, war es deshalb bei der gan-
zen Sache nicht Wohl. Er unterließ cs deshalb auch,
das Strafmaß zu fixieren, indem er Freiheitsstrafen
beantragte, deren Dauer er dem Gerichte überlassen
wollte. So sehr auch der Staatsanwalt den Begriff
der Gewalttätigkeit — tatsächlich lag diese Gewalt-'
tätigtest in der Richtung der Rcgierungssorderung —
unterstrich, so sehr mutzte man nach dem ganzen Ver-
lauf der Dinge Freispruch erwarten. Umsomehr war
man zu dieser Hoffnung berechtigt, als das geradezu
lächerliche Auftreten des Geh. Rats Lenard als
Zeuge sich zu einer Komödie auswuchs. Das Ver-
halten deS Gerichtshofes gegenüber diesem Zeugen
war mehr als eine Rücksichtnahme, so datz der Ver-
teidiger Marum sich erlauben mußte zu sagen, datz
es hier keine Rücksicht gebe, sondern einer wie der
andere behandelt werden müsse. Regt« sich der hohe
Gerichtshof über diese Bemerkung des Verteidigers
auf, so mußte er schließlich später doch noch die Ge-
duld verlieren, als sich Herr Lenard gar zu gespreizt
gab. Die wissenschaftlichen Verdienste des Herrn Le-
nard ftn Ehren; er hat sich am gestrigen Tage als
ein kleiner, sehr kleiner Mensch erwiesen. Es scheint,
daß die Natur hier ein merkwürdiges Zwittergebilde
erschuf: dem Plus an wissenschaftlichen Spezialfähig-
keiten steht ein ungeheures Minus an sonstigen
Eigenschaften gegenüber. Das Auftreten des Herrn
Lenard zeigte, welch ungeheure Gefahr dem Staat
droht, wenn solche Männer den Geist der Jugend
beeinflussen. Wie weit der Machtdünkel des Herrn
Lenard geht, zeigte sich darin, datz er am 27. Juiri
selbst die Polizei nicht in sein Institut ließ, als sie
ihn an seine Pflicht erinnern wollte. Es ist deshalb
unbegreiflich, wenn der S'aatsanwalt ausführte,
datz das, was sich die Angeklagten anmatzten, nur der
Staat aussühren dürfe. Denn die Angeklagten taten
ia nichts anderes, als die Autorftät des Staates zu
unterstützen. Die Verteidigung durch die Rechts-
anwälte Marum und Pfeiffenberger stellte daher in
den Vordergrund, datz die Angeklagten es waren, di»
der Autorität des Staates beisprangen, die von
Herrn Lenard in Probokatorischer Weise bei Seite
geschoben war.
Umso ungeheuerlicher das Urteil, das auf drei
der Beklagten auf vier, drei und fünf Monate Ge-
fängnis lautet. Die Entrüstung, die das Urteil im
Gerichtssaal auslöste, Pflanzte sich sofort in der gan-
zen Stadt weiter. Es liegt hier ein Justizskandal
vor, der nicht nur einen Schandfleck für die badische
Jnstizverwalung bedeutet, sondern auch dem repu-
blikanischen Gedanken eine starke Bresche schlägt.
Wenn es in der Begründung des Urteils beitzt, datz
die Angeklagten durch Gewalttätigkeiten Prof. Le-
nard zu Dingen veranlaßten, die er freiwillig nicht
tun wollte und wenn weiter gesagt wird, datz sie
die Studenten aus dem Institut Vertrieben, so haben
sie nur das getan, was in der Nich'ung der staat-
lichen Verordnung lag. Deutsche Republikaner wer-
den also bestrafst weil sie n-chts anderes taten, als
durch Einsetzung ihrer Person die Maßnahmen der
deutschen Republik helfen dnrchzuführen. Der Fron-

deur Prof. Lenard geht jedoch frei aus; hocherhobe-
nen Hauptes kann er sich weiterhin über Verordnun-
gen der badischen Regierung lustig machen.
Die badische Justiz hat sich mit diesem Urteil in
die Reihe anlirepublikanischer Gerichtsurteile ande-
rer Länder gestellt. Diese Anschauung herrscht nicht
nur in Baden, sondern wird auch durch andere deut-
sche Länder dringen. Bereits schreibt die „Franks.
Ztg.": Das Urteil ist in der Tat geeignet, in wei-
ten Kreisen neue Empörung über die Recht-
sprechung der deutschen Gerichte zu erwecken. So
schafft der gestrige Tag eine ungeheure Erregung im
republikanisch gesinnten Teil des deutschen Volkes,
deren Bedeutung wir morgen in einem weiteren
Artikel würdigen werden.
*
Sitzungsbericht.
—ei. Heidelberg, 10. April.
-Um ZL10 Uhr wurde, wie wir bereits gestern
meldeten, in die Verhandlung eingetreten. Nach
Verlesung des Erössnungsprolokolls, aus dem zu
entnehmen war, datz die Angeklagten an der Zusam-
menrottung einer Menschenmenge am 27. Juni, am
Tage der Beisetzung des Ministers Rathenau
vor dem physikalischen Institut beteiligt gewesen
sein sollen. Bei dieser Zusammenrottung kamen
dann die bekannten Vorgänge im Institut vor, für
die sie verantwortlich gensacht werden. Nach die-
ser Verlesung wurde in
die Vernehmung der ArrgrNagter»
eingetreten.
Als erster wird der Angeklagte Mieren-
dorff vernommen. Er schilderte die Vorgänge am
Nachmittag des 27. Juni in sehr eingehender Weise.
Er betonte zunächst, daß er unschuldig auf der An-
klagebank sitze. Ich begab mich, so führte Mie-
rendorsf an?, am Nmhmi tag des 27. Juni nach
dem physikalischen Institut, um nachzufehen, ob
Geh. Rai Lenard lese. Ich lat dies in der Vor-
aussetzung, da ich wußte, das; Geh. Rat Lenard
auch den 1. Mai, der ein gesetzlicher Feiertag ist,
nicht einhielt, sondern Vorlesung hielt. Am Lage
vorher habe ich bereits mit dem Rektor der Univer-
sität in dieser Angelegenheit verhandelt. Ich hielt
mich hierzu verpflichtet, da ich als Angehöriger des
republikanischen Studentenbundes die Ehre der Re-
publik zu wahren halte. Ich versuchte nun, da das
Institut durch daS Verhallen des Geh. Na:
Lenard in großer Gefahr war, den Rektor telepho-
nisch hiervon zu verständigen. Es gelang mir dies
zunächst nicht. Ich begab mich hierauf in das Ge-
werkschaftshaus, wo ich telephonische Verbindung
mit dem Rektor bekam. Es lag mir vor allem da-
ran, nachdem die Gewerkschaften erklärt haben, datz
die Arbeitsruhe gehalten 'würde, den Rektor auf die
Gefahr aufmerksam zu machen. Der Rektor gab mir
zur Antwort:
„Das ist nicht so schlimm!"
Als ich ihm die große Gefahr näher detaillierte, er-
klärte er, er könne in der Sache nichts tun. Ich
machte nun Herrn Gruber, von dessen Bureau
aus ich telephonierte, auf die ganze Sachlage auf-
merksam. Es wurde beschlossen, eine Depinalion
nach dem Institut zu senden. Als wir dorthin
gelaugten
fanden wir das Tor verschlossen.
Mr Asta-Vorsitzende Student Röser wurde
von der Hausmeisterin in das Tor gelassen. Ich
bat um eine Unterredung mit Geh. Rat Lenard,
doch wurde Mr diese nicht gewährt. Inzwischen ist
auch der Polizeikom. Hautz am Tore angelangt,
der ebenfalls durch Läuten versuchte. Einlatz zu be-
kommen. Plötzlich tauchten im 3. Stock Leute mit
Weißen Mänteln auf und man sah die Schlutzstücke
von Schläuchen. Verschiedene junge Leute kletter-
ten auf das Tor und die Mauer. Ich versuchte sie
von ihrem Vorhaben csüzulassen, was auch gelang.
Der Schutzmann suchte sich durch Winken verständ-
lich zu »nachen, aber
das Tor blieb geschlossen.
Ich hoffte, datz wenigstens dem Vertreter der
Staatsgewalt das Tor geöffnet werde, als dieS
nicht geschah, wurde die inzwischen angewachseue
Menge erregt, da sie glaubte, man Wolle den Ver-
treter der Republik verachten. Es wurde gespritzt
und die Menge faßte dies als Provokation aus und
ging zum Sturm über. Plötzlich wurde noch mil
Steinen geworfen, die nach meiner Ansicht
von oben kamen.
Ich trat nach dem Schutzmann in das Haus. Das
Wasser kam vom zweiten Stock die Treppe herunter,
im Gang lag ein ohnmächtiger Student. Ich sah
wie Geh. Rat Lenard kopflos umherirrt« und bot
ihm persönlichen Schutz an. Er flüchtete vor der
Menge und schlug eine Glastüre hinter sich zu, wo-
rauf diese eingesclMgen wurde. Es schwirrten aller-
hand Gerüchte umher. Man sprach von elektrischen
Entladungen und von vorhandenen Maschinenge-
wehren im Institut. Ich machte dem Schutzmann
den Vorschlag Geh. Rat Lenard in Schutzhaft zu
nehmen, leider Gottes ging der Schutzmann darauf
nicht ein. Ich machte ferner di« Arbeiter darauf
aufmerksam, datz die
Studenten unschukdig sind, sie werden terrorisier«.

Räumung des Hauses zu erzwingen. Diese Inder»
sitionen waren mit persönlicher Gefahr verbunden.
Die Leute fragten mich, was Röser für eine Stel-
lung einnehme. Darauf gab ich zur Antwort, datz
ich diesen Mann nicht kenne. Ich lat dies um ihn
vor jeder Gefahr zu schützen, obwohl Röser
deutsch-völkisch gesonnen ist, also «in politischer
Gegner, aber auch noch ein persönlicher Feind von
mir ist. Zum Schluß will ich noch erwähnen, datz
die Arbeiter ruhig und gefaßt waren.
Der angeklagte Black sagt aus: Mir und eini-
ge» Kollegen wurde voll den Geweikschasten der
Auftrag zuteil, nachzufehen, ob auch überall die Ar-
beitsruhe durchgcführt werde. Bei Mappes irr
Neuenheim kam ein besserer Herr zu uns, der an-
gab, datz im physikalischen Institut gearbeitet werde.
Die Lumpen da droben arbeiten,
sagte er. Wir begaben uns hieraus nach dem Insti-
tut. Der Hausmeister ließ uns auf unser Läuten
ein. Wir fragten, ob sie die republikanische ReichS-
versassung nicht-anerkennen und ob sie keine Verfü-
gung über die Arbeitsruhe erhalten chättem Geb.
Nm Lenard antwortete: „Ich schere mich daran
nicht, gehen Sie fort, sonst werde ich von meinem
Hausiecht Gebrauch machen. Wir gingen hierauf
wieder auf die Straße, wo inzwischen durch daS
Gedränge das Tor aufging. Ich ging, als ich sah,
datz vas Wasser die Treppe herabflotz, in den zwei-
ten Stock und stellte das Wasser ab. ebenso im drit-
ten Stock. Die Studenten haben die Hydranten
aufgemacht und sind davongesprungeu. Ich habe
Wei er nichts als das Wasser abgestellt.
Der angeklagte Kratzert betonte ebenfalls, datz
sie von den Gewerkschaften beauftragt waren, überall
Mr Rrche und Ordnung zu sorgen.
Die Weisung lautet«: „Daß nur nichts vorkommt."
Ein Herr erzählte ihm, daß im physikalischen Insti-
tut Praktikum gehalten werde und die Flagge dort
nicht Halbmast geflaggt sei. Auch erzählte der Herr,
daß die Studenten am 1. Mai gespritzt haben. Hier-
aus oegad sich der Angeklagte ebenfalls nach dem
Institut, um mit den Herren anständig zu reden.
Dort ist zunächst Prof. Becker gekommen, der er-
klärte, er sei nicht die maßgebende Persönlichkeit,
maßgebend sei Geh. Rat Lenard. Nach 5 Minu-
ten ist Geh. Rat Lenard erschienen, der auf den
gebo enen Gruß nicht gedankt hat, sondern sofort
betonte, daß er
Kräfte zur Verfügung habe, die der Masse sehr
unangenehm werden könnten.
Auf diese Drohung Yin machte ich Geh. Rat
Lenard darauf auflnerksam, daß er die Konse-
quenz zu tragen habe. Wie das Tor aufgemacht
worden ist, kann ich nicht sagen. Als die Steine in
der Lust flogen, bin ich zur Deckung in das Haus
geflüchtet. Ich kam dazu, wie einer Geh. Rat
Lenard unter der Kur hatte, ich habe ihn weg-
gezogen. Ein Student lag aus dem Boden, worauf
ich sagte: „Man mutz ihm Helsen."
Jeder hat kommandiert. In einem Zimmer be-
fand sich ein Haufen Studenten und Pro°. B e ck e r/
welche mich baten, ich solle sie in Schutzhaft neh-
men. Was . ich ablehncn mußte, da ich hierzu nicht
berechtig; war. Ich warnte vor jeder Demolierung,
da die Arbeiter letzten Endes bezahlen müssen.
Der angeklagte Ehrle, der ebenfalls Mitglied
der Kommission war, hat den Studenten Ernst
aufgehoben. Der angeklagte Mohr, auch Mitglied
der Kommission kam in das Institut als die Sach»
vorbei war. Er wollte bei Heuser in Nencnlieim
einen Schlüssel holen, um die Schläuche abzuschrau-
ben. Der angeklagte Hopp hielt eine Menge voit
50 Personen ab, die durch ein Seftentor in das In-
stitut eindringen wollte. Plötzlich hörte er im Haupt»
gebäude Spektakel, worauf er sich dorthin begab. Er
versuchte auf Geh. Nm Lenard einzuwirken.
Dieser gab ihm
konsuse Antworte».
Bei der eingefchlagenen Türe sagte er: „datz keines
hineingeht, damit keine Dummheit passiert, was
verbiftet werden mutz. Er riet auch einige Herren
in Schutzhaft zu nehmen, darniar nichts passiere. F t
seine Tätigkeit würde er beute wegen Hausfriedens»
bruch verklagt. Angeklagter Seilmann warn
die Menge, daS verschlossene Tor zu zertrümmern.
Zobeley ist über das Tor gestiegen und versucht!
es auJumachen. Ehe das Tor offen war, ergossen
sich die
Wasserstrahlen aus 5 Hydranten auf die Menge.
Er flüchtete sich in den Eingang. Hier sah er Getz
Rat Lenard umzingelt und er rief der Mengt
zu: „An dem alten Mann dürst ihr euch nickt verc
greisen." Er sprach dann auf Lenard ein, der
aber kurz antwortete: „Er kann machen was ei
will."
Angeklagter Zobcley schilderte nochmals de«,
ganzen Hergang. Er sah den Kollegen Mieren«,
dorsf verhandeln, während dieser Zeit versuchtes
einige junge Leute über das Tor zu klettern. Dit
Menge war sehr erregt, da man im Institut nock
»ich; einmal die Polizeigewalt respektierte. Um das
Einschlagen des Tors zu verhüten, stieg er an§
eigener Initiative über das Tor und bat es geöff«
net. Während des Ocffnens erscholl der Rus:
„Eben schießen sie!"

DieS machte Geh. Rat Lenard. Man fragte nach
ihm, ich erklärte Lenard sei verhaftet, vm die

Di« Studenten hatten die Strahlrohre aus de§
Fenstern gehängt, wodurch das Gerückt entstand. J^
sti-gte mick an das c^inganastm >«"d --''iickt- dst

Masse, nicht cinzudringen. Der Hnusu.cister mackll
dann auf Anordnung Licht und ich sah eine Anza-1
 
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