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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 81 - Nr. 90 (7. April - 18. April)
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c>. Jahrgang

Heidelberg, Dienstag, den 1V. April 1923

Nr. 83

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Was tut die Reichsregierung?
Berlin, 10. April.
Unser Berliner O-Vertrerer telegraphiert uns:
Aus den letzten Veröffentlichungen der englischen
und französischen Presse geht klar hervor, das; die
Annäherung zwischen Frankreich und England, deren
Vcrhäi'nis aus Anlaß der Ruhraktion stark gelockert
war, sehr beträchtlich ist. Trotzdem gibt es in
Deutschland immer noch Kreise, die diese Annähe-
rung hinwegleugnen wollen. Zweifellos muß der
Schritt Loucheurs in London als erstes Zeichen der
französischen Geneigtheit zur Beendigung der
Nuhraktion betrachtet werden. Betrachtet man das
Ergebnis von London, wie eS von der englischen
Negierung in nachstehendem Reute-rkommunique urn-
schrieben und der französischen Presse kommentiert
wird, dann ergibt sich eine wesentliche Uebereinstim-
wung darüber, daß bei der kommenden Lösung der
Neparakionsfrage auf die Zahlung der BondS der
Serie L verzichtet werden soll, so daß die Gesamt-
leistung Deutschlands in bar 50 Goldmilliarden be-
sagen würde. Ferner scheint sicher zu sein, daß sich
>n der Auffassung niaßgcbender Teile Frankreichs
auch in bezug aus di« SicherheitSsrage in kurzer Zeit
ein starker Wandel vollzogen hat. Während die fran-
zösische Regierungspresse noch bis vor kurzem ans
Sicherheitsgründe» die Bildung einer westdeutschen
Republik, unabhängig vom Deutschen Reiche, sor-
öene, bat Loucheur diese Auffassung dahin revidiert,
das; eine rheinische Republik geschaffen werden soll,
iedoch als integraler Bestandteil des Deutschen Rei-
ches. Dieses kurz umrissene Ergebnis, zu der deut-
schen Auffassung in Vergleich gestellt, ergibt zwar
doch Meinungsverschiedenheiten, es stellt jedoch
lUeichzeitig an die deutsche Regierung die Noiwendig-
Wtt, einzubaken, um im Ernst den ersten tatkräftigen
Beweis ihrer Verständigungsbereitschaft zu liefern.
Dam't ist nicht gesagt, daß Herr Cuno sofort alles
vreisgeben soll und Deutschland ohne weiteres auf
die passive Resistenz im Ruhrgebiet verzichten muß.
Unter besonderer Betonung der Fortführung unseres
Ahwebrkampfcs, solange man uns dazu zwingt, iann
aber mit dem Hinweis aus das Ergebnis von Lon-
don der Welt jetzt gezeigt werden, wie Deutschland
sich die Lösung der schwierigen Fragen denkt.
Schon aus innerpolitischen Gründen halten wir
Anen derartigen Schritt für notwendig. In allen
Entschließungen, die unsere Arbeiter an der Ruhr
befaßt haben,-wurde von der Regierung verlangt,
den Kamps nur bis zum unbedingt Notwendigen
durch,zuführen. Nutzt die Regierung die gegcnwär-
lige Situation nicht aus, in der die deutsche Arbeiter-
schaft eine Verständigungsmöglichkeit steht, dann ist
nicht ausgeschlossen, daß die Abwchrfront an der
Ruhr langsam zu wanken beginnt. Herr Cuno und
Herr v. Rosenberg handeln deshalb nur imInter -
.esse des deutschenVolkes, wenn sie sich der
Auffassung der übrigen Kabinettsmstglicder anschlie-
-üm und jetzt einen Schritt tun, der unseren Kämp-
fern an der Ruhr neuen Mut gibt und der Welt den
Beweis liefert, datz Deutschland im Ernst den Frie-
den will.
Ein englisches Eommnnique.
London, 8. April. Reuter meldet: Der Besuch,
den Loucheur in England abgestattet hat und bet
dem er Unterredungen mit Bonar Law, Lloyd
George und anderen hervorragenden Persönlich-
keiten hatte, hat in politischen Kreisen zu verschiede-
nen Mutmaßungen Anlaß gegeben. Man glaubt all-
üemein, daß trotz der gegenteiligen Erklärungen
Loucheur als finanzieller Vertreter der französischen
Negierung gehandelt bat und daß die ihm anver-
kraute Ausgabe darin bestand, die Frage derRepa -
Nationen und der en g l i sch - fr a n z ö s i s che n
Beziehungen zu erörtern. Diese Auffassung
kvird durch den gestrigen Besuch Loucheurs beim
Präsidenten Mtllerand bestätigt.
Es verlautet, daß die britischen Staatsmänner
Loucheur davon verständigt Haven, daß Grotzbrilan-
wen jederzeit bereit sei, die Erörterungen,
die infolge der Ruhrbesetzung aufgeschoben sei, wje-
der zu eröffnen. Es wurde betont, daß Grotz-
dritannien die Organisation eines von Deutschland
dbzutrennenden Rheinland-Staates, in wel-
Htr Form auch immer, nicht dulden könne.
Die Hauptsache ist, daß sich aus Loucheurs Besuch
ergeben hat, baß er sich bereit erklärt hat, einer
umme zuzustimmen, die sich der (im Januar
don den Franzosen abgelehnten) im britischen
^eparationsplan genannten Summe an-
däherj In Erwiderung dieses Zugeständnisses
ivird Großbritannien, wie man glaubt, wahrschein-
iich irgend einer Form von Neutralität des
d e i n l a n d e s, die aber keine Loslösung
sich bringt, zustimmcn, damit Frankreich gegen
Angriff geschützt ist.

urs Rückkehr
Vor einem Kompromiß.
London, 9. April. Die .Franks. Ztg." meldet
aus London: In Konsequenz von Loucheurs Besuch
werden Aeußerungcn der französischen Re-
gierung erwartet und weiterhin neue Verhand-
lungen der Alliierten untereinander zur
Wiederherstellung einer gemeinsamen Fron'.
Der vorherrschende Eindruck kst allerdings der, das;
diese Verhandlungen in Anbetracht der Pariser
Rhein-Politik sehr schwierig sein werden. Ob-
gleich, wie allgemein versichert wird, Bonar Law
Loucheur gegenüber die englische Abneigung auch
gegen eine verschleierte Verstümmelung
Deutschlands ausgedrückt hat, scheint London doch
irgend ein Kompromiß über das Nheingebiet für
möglich zu halten.
Für die deutsche Politik ist äußerst beach-
tenswert die in einer Pariser Korrespondenz der
„Times" ausgedrückte Auffassung, datz sich der deut-
sche Widerstand nicht mehr fortsetzen lassen werde,
wenn die Herstellung eines französisch-englischen Ein-
vernehmens in Sachen der Reparationen gelinge.
Zweifellos wird eine solche Verständigung das Ziel
der Alliierten Diplomatie in den nächsten Wochen
sein.
Bonar Law zurückhaltend.
London, 9. April. Bonar Law, der heute
im Parlament Anfragen über Loucheurs Reise be-
antwortete, beobachtete dabei große Zurückhal-
tung und bezeichnete die Reise Loucheurs al» gänz-
lich inoffiziell. Die Unterhaltung sei nur allgemeiner
Art gewesen.
Die Forderung Amerikas.
Newyork, 10. April. (Letztes Telegr.) Rach
einer Meldung aus Washington werden von den
amerikanischen Agenten der zur Regelung der
Kriegsansprüclu! eingesetzten gemischten Kommission
12 319 amerikanische Ansprüche gegen Deutschland
im Gesamtbetrag« von 1 187 736 967 Dollar vorgelegt
werden.
Offenburg.
Die Wirkung der Besetzung.
Karlsruhes. April. Ueber die Wirkung der
Besetzung Offenburgs wird der „Franks. Ztg." ge-
schrieben: Seit etwa zwei Wochen fahren die Fran-
zosen aus Offenburg, das als Eisenbahnknotenpunkt
ein großes Kohlenlager besitzt, diese der Reichsbahn
gehörenden Kohlen, etwa 50 000 Tonnen, ab.
Lecher haben sich auch d e u t s cü e A r b e i 1 e r bereit
gefunden, hierbei zu helfen; sie erhalten für diesen
Hcifersdienst 800 Mark fist die Verladung von 20
Zentnern. Man kann diese Bezahlung nicht gerade
üppig nennen, aber sie entspricht Wohl dem Wert der
Gesinnung derer, die sie erhalten. Desgleichen be-
ginnen d'e Franzosen die AusvesiermtgswerkstäUen
des Bezirks und die dazu gehörigen Magazine aus -
zu räum en. Der Wegnahme des Putzmaterials,
des Oels und des Kleinwerkzeugs folgt nun das
Verladen der großen Maschinen. Gros; ist diewtrt -
schaftlicheSchwächungdes gesamten Landes
durch die widerrechtliche Besetzung der Ortenau und
der Rheinhäsen Mannheim und Karlsruhe. Seit
Jahrhunderten ist Offenburg, das jetzt etwa 16 000
Einwohner zählt, ein Schnittpunkt wichtiger Straßen
und der wirMaslicbe Mittelpunkt der fruchtbaren
Ortenau. Schwer ist auch die Zweiteilung des schma-
len langgestreckten badische» Landes durch die Unter-
bindung des direkten Verkehrs vom Norden nach
Süden zu ertragen. So stockt der Warenabsatz er-
hebliche und die Arbeflsbeschränkungen nehmen zu.
Verbot der Nrr^rhUfe.
Osfenburg, 9. April. Durch Bekanntmachung
des Befehlshabers der Stadt Offenburg wird den
in den besetzten Gebieten befindlichen Ruhrhilfs-
Ans schlissen oder gleichen Organisa'ionen ihre
Tätigkeit untersagt, da die Geldmittel die Beur-
ruhigungSpropaganda unterstützen würden. Alle
hierfür gesammelten Geldbeiträge werden beschlag-
nahmt. Jede Person, die gegen diese Vorschrift
Widerstand leistet, wird durch Militärgericht ver-
urteilt.
Mannheim.
Mannheim, 9. April. Zu der Holzbc-
schlagnahme im Mannheimer Hasen wird noch
berichtet, datz am Montag vormitzag bei der Mann-
heimer Firma Allstadt und Mayer Franzosen er-
schienen und die Holzvorräte als beschlagnahmt er-
klär'en. Die verlangte Unterschrift unter das Be-
schlagnahmeprotokoll wurde von den Ftrmeninhabern
verweigert.
Ruhr.
Zur Lage.
Waltrop, 9. April. Auf der Zeche Waltrop
wurde von den Franzosen der Direktor Siinn und
andere Beamlen verhaftet, weil diese sich geweigert
hatten, die außer Betrieb gesetzten Koksgewin-
nungsa »lagen wieder instand zu setzen, um
den Franzosen den Abtransport von Koks zu ermög-
lichen. Die Belegschaft fuhr aus. Da die Besatzung

sich bedroht fühlte, feuertesie mehrere Schüsse ab,
die zum Glück ihr Ziel verfehlten und kein Unheil
anrichteten. Darauf trat die Belegschaft in
einen Abwehrstreik, währenddessen selbst die
Notstandsarbeiten nicht ausgeführt werden. Infolge
der schwierigen Arbeitsverhältnisfe, die auf Waltrop
herrsche», besteht die Gefahr, daß dis Zeche ein zwei-
tes Mal ersäuft, wenn-die Franzosen nicht bald
abziehen. In der Grube befinden sich noch 40
Pferde, die dann elendig zugrunde gehen müssen.
Buer, 9. April. An der Stelle, an der der
Rhein-Herne-Kanal bei Henrichenburg über
hie Emscher führt, wurde am Sonntag morgen gegen
5 Uhr von unbekannter Seite die Hernc-
chcückc gesprengt. Die Wassermassen des Ka-
nals stürzten mit wildem Toben in die Emscher.
Mehrere Holzbrücken, die dem gewaltigen Wasser-
druck nicht standhalten konnten, wurden hinweg-
geschwemmt. Der Herner Hafen und weile
Strecken des Kanals waren in wenigen Stunden fast
völlig wasserlos.
Essen, S. April. Im Dortmund-Ems-
Kanal ist ein Kahn gesprengt und dadurch der
Verkehr gesperrt worden.
Den Eisenbahner« hat der Reichspräsident seinen
Dank für ihre vaterländische Tätigkeit im Ruhrkamps
ausgesprochen und erklärt: ES wird eine Ehrenpflicht
des ganzen Reiches sein, nach bestell Kräften alle
Schäden wieder zu heilen, die fremdes Unrecht zu-
gefügt hat.
Legationsrat Aechltn von der Presseabteiluug der
ReichSregierung, der am 31. März wenige Stunden
nach der Blutzat im Kruppwerk von den Franzosen
in Düsseldorf verhaftet wurde, ist letzten SamStag
mit einem Ausweisungsbefehl aus dem Gefängnis
entlassen worden.
Unterrichtsminister a. D. Genosse Harnisch wurde
zum Regierungspräsidenten für den unbesetzten Teil
des Regierungsbezirks Frankfurt a. M. ernamrt. Für
den besetzten Teil des Regierungsbezirks bleibt die
Regierung in Wiesbaden. Die Maßnahme ist ge-
troffen worden, weil die Besatzungsbehörde dem
neuernannten Regierungspräsidenten den Eintritt
in Wiesbaden verwehrt.
' Der Oberbürgermeister Jarres in Duisburg ist
am Sonntag aus französischer Haft in Aachen ent-
lassen und ausgewiesen worden.
Ueber Castrop ist von der französischen Besatzung
wegen Einstellung der Gaszufuhr infolge Streiks
der verschärfte Belagerungszustand verhängt worden.
In der Nähr von Hörde wurde'einer Pariser
Meldung zufolge gestern ein Deutscher, der einer
Aufforderung eines französischen Postens nicht Folge
leistete, von diesem erschossen.
Lloyd George beschätzigt sich in der von ihm er-
scheinenden Artikelserie mit dem Problem des Völ-
kerbundes, dessen Ausbau er rege vertritt. Vor allem
verlangt er, datz der Völkerbund ein wahrhaftes
Friedensinstrument wird und sich um die Regelung
der Reparationsfrage bemüht.

WanL r rlde ge^en Gemalt ol ?.
Auf dem Kongretz der belgischen Ar-
beiterpartei vom 1. bis 3. April in Brüssel
hielt Genosse Vandervelde eine grotzangelegte
Rede, aus der wir das Wichtigste nach dem ausführ-
lichen Bericht des Brüsseler „Peuple" wiedergebcn.
Was Frankreich will, ist schwer zu ersehen.
Aber selbst wenn Frankreich nicht Weitz, was cs will,
so will es das ganz energisch! Als die Alliierten
nicht wußten, welche Haltung sie cinnehmcn sollen, ist
Frankreich in das Ruhrgebiet einmarichicrt und hat
Belgien mitgezogen. Ich will hier nicht
untersuchen, ob die Ruhrbesetzung dem Buchstaben
des Vertrags von Versailles entspricht. Aber was
ich v-haupte, ist, datz der Einmarsch in das Ruhr-
gebiet, der durch einige Verfehlungen bei den Liefe-
rungen von Kohle und Holz bestimmt worden ist, ein
Akt des Zwanges und der Vergewalti-
gung war, gegen den die Arbeiter aller Länder
protestieren. Das wirtschaftliche Er-
gebnis der Besetzung ist verhängnisvoll. Die
Zeitungen verkünden uns, datz täglich 3000 Tonnen
nach Frankreich und Belgien geschickt werden. Vor-
der Besetzung erhielten wir 35 000 Tonnen täglich.
Man hofft zwar, datz die Koblenlieferungen sich er-
höhen werden, aber während wir sie vor der Be-
setzung gratis bekamen, müssen wir heute dort
75 000 biS 100 000 Mann unterhalten. Das ist eine
unsinnige Poli'ik, die unS zum R u i n und zur
Arbeitslosigkeit führt. Wrr müssen gegen
diese Politik protestieren, weil sie den Frieden und
unsere wirtschaftliche Lage bedroht.
Parlamentarische Vertreter Belgiens, Frank-
reichs, Italiens und Englands haben die deutsche
Sozialdemokratie gefragt, ob sie sich die Erklärungen
ihrer Führer zu e-gen macht. Wir haben von
Deutschland eine Antwort in der Form eines kon-
kreten und bestimmten Reparations-
planes bekommen, der dem in Frankfurt ausge-
arbeiteten Plan sehr nahe kommt. Sie kennen den
o zjai i sti s ch en P l an: Die deutsche Schuld mutz
auf eine vernünftige Zahl herabgesetzt, eine Anleihe
ermöglicht werden. Die B e s a tzu n g s p o l i t t k,
die das Beste wegnimmt, was Deutschland uns zahlt,
und die die Völker, die deren Ops-- sind, leiden
macht, muß aufhören.

Sobald wir das sagen, antworten diejenigen, die
morgen diese Politik freiwillig oder unfreiwillig
machen werden, entweder selbst oder durch ihre Zei-
tungen, datz wir uns desVerrats schuldig machen.
Lassen ivir sie reden! Wir befinden uns in guter
Gesellschaft. Man schmäht Blum in Frankreich,
Hilferding und Breitschetd in Deutschland.
Man kann sie ermorden lassen, wie sie Jauräs
ermorden Netzen, aber sie können nicht verhindern,
datz die Idee der Völkerverständigung Fortschritte
macht. (Beifall.) In unseren industriellen Bezirken
gibt es viele Genossen, die sich der deutschen
Besetzung erinnern, der erduldeien Leiden, der
erschossenen Männer und Frauen, der niedergebrann-
ten Volkshäuser. Sie sagen zu uns: „Wir könnest
das nicht vergessen." Wir sollen nicht vergessen.
Aber auf gesüblsmätzige Erinnerung:» kann nian
nichts begründen. Und wir sollen uns der Leiden
Belgiens erinnern, indem wir sagen: Das darf
nicht wieder sein. (Beifall.) Reparationen
müssen geleistet werden. Man muh Deutschland
stündig daran erinnern, datz es uns gegenüber eine
Schuld hat. Das sozialistische Deutschland er-
kennt diese Schuld an. Aber die Reparationen sind>
nur möglich durch eine internationale Verständi-
gung. Was gegenwärtig mit brutaler Deutlichkeit
zum Ausdruck kommt, ist die Unfähigkeit de»
Regierungen, das Problem zu lösen und auS
dieser Unfähigkeit ist die Politik der Gewalt gehörest
worden, dir diese Unfähigkeit noch erhöhen wird/
Um das Problem der Wiedergutmachungen zu lösens
und den Frieden zu sichern, müssen die Arbeite«
sich verständigen und in den verschiedenen Ländern
die Reg rerungs macht ergreifen.

Die Lage im Reich.
Eine Mordtat der Münchener Fein*
Im neuesten Heft der „Glocke" gibt Al steil
WilmS-SckÄverin eine interessante Aufklärung det
von dem Münchener Putschisten an ihrem Spiess
gesellen Karl Bauer begangenen Meuchelmordes,
der jetzt auch in Vie Pu tkcemnerverbaftung hinein^
spielt. Er schreibt.
„Vor ein paar Tagen wurde nahe der bayrischen
Bischofsstadt Freising, die nur wenige Kilome cl
unterhalb Münchens an der Isar liegt, ans dc«
erdigen, aufgewühlten Wassern dieses Flusses ditk
Leiche eines jungen Mannes geborgen, dessei
Schädel eine tödliche Schntzverletzung o-ufwies.
Ein Selbstmörder? Nein, -ein neues Opfer dct
völkischen Feme. Der Tote wurve agnos«
ziert als der Student der Rechte Karl Bauc<
aus Wismar in Mecklenburg, erst 22 Jahre a'tz
aber der Polizei aus mehrfachen Anlässen wohl'
bekannt. Bauer wurde seit Wngercr Zeit vom
Nei-chs-ger-icht in Leipzig steckbrieflich verfolgt wet
gen Begünstigung der Rathcnau Mörder. Er
hatte Fischer und Kern nach dw Tat au? ibwz
Flucht durch Mecklenburg taMLMg' nnterWtzt,
ihnen Unterkunft, Geld und Fahrräder zur Fotz«
fetzun-g ihrer Wucht verschafft. Er -war - deÖha ?
vom Reichsanwalt in Anklagezustand versetzt, Hw k
sich -aber dem Gericht nicht gestellt. An seinem U <
glück, denn das Leipziger Gericht Ware gnädig I
mit ihm Verfahren als das geheiwe Tribunal, da»
jetzt sein Urteil fällte und vollstrecken ließ.
AVer warum dieses Tsdesnrleil gegen cinck
Mann, der sich nm die „völkische Dache" doch „ver>
dssent" gemacht hatte? Das ist nicht leicht zu vc'<
stc-hen. Dieses Urteil war weniger ein-e Sstaii
als eine Vorsichtsmaßregel. Man crinner-e sich aß
di« vergifteten Pralinen, die während der Beo
Handlung über den Nathenau Mord dem An-gellacr
len Günther zugcsaudt wurden. Bon wem, ist niet
Urals ermittelt worden. Bei Günther wie bei Bau «
handelt- es sich um MiAäufer der Bewegung, ni- 1
» n Eingeweihte hohen Grades, nicht um alte Eln«
Hardt-Leute. Gegen diese Mitlänfer besteht ab 1
immer ein gewisses Mißtrauen, sie werden, stlbj
wenn sie bet „großen Schlägen" dabei gewesen sind
doch nicht für voll genommen."
Wilms schildert dann ausführlich den Werde
gang des aus kleinen Verhältnissen hervorgcüan
genen Ermordeten, der einer ganzen Reihe deutsch
völkischer Verbände angehörte, sich in München a »
Rathenau-Mann aufspielte und sich endlich dcmj
Oberteutnant Roßbach als künftiger Scheiden-,anm
Mörder anbot. Roßbach, der deni schwatzhaftes
Burschen nicht traute, winkte ab.
„Aber Bauer hatte das Maul schon zu voll ge-
nommen und sich auf Vorschuß als Dcheideman!»
Mörder feiern lassen; und so kam die Geschichte V:t
Polizei zu Ohren. Bauer wurde eines Tages it
München verhaftet, seine Attsntatspläne wurd t
ihm -aus den Kopf zugesagt. Im Verhör gesteh! tl
alles, gibt seine Absicht, Scheidemann errnordcn n
wollen, ohne weiteres zu, behauptet aber, daß es
diese Absicht auf das Verbot Roßbachs hin autgeg«'
ben habe. Das genügt, die Absicht ist nicht strafbar
Bauer wird wieder frcigelassen. Er taucht wicdb,
in seiner alten Gesellschaft unter. Aber Vas Ne ich S
gericht fahndet nach ihm. Durch seinen Attentats«
plan und sein Verhalten der Münchener Pottze.
gegenüber hat er sich bei den- Gcheinibünvlern ver
dächtig gemacht. Nicht in dem Sinne, daß viel,
seiner Gesinnung nicht traut. Er hat aber bei die
scr Gcle.gcuhcit gezcigt, daß er nicht schweig^
kann. Und das ist ebenso schlimm; Vom Baue«
Weitz zu viel. Er ist einer der Leute, die zuletzt
 
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