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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 81 - Nr. 90 (7. April - 18. April)
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TMs-Aimg für die mrkMige Möllerung der Amtsbezirke Melbers. Wiesloch. 6Meini. Evvlngen. Verbuch. Mösbuch. Buchen. Melsbeim. Norberg. TauberbWoMiill u. Werthew

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Nr. 81

Dahrgmrg

"rift: Die einspaltige Petitzeile
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,kr.2A_—. Rctlamcan,eigen <74mm
reit)Mk. SiX>.-. BeiWiederhalum
tnNachlatz».Tarif. Gcheimmittel-
^rcigen finden leine Aufnahme.

SrschSftrftundenS—KUHr. Sprccv-
s-unde« der Redaktion: li—lL Uhr.
fl-vitichcaionto Karlsruhe Nr.LLZ77.
Tel.-Aor.: Volkszeitung Heidelberg.
Truck u. Verlag der Unterbadischen
Veriaasaniiall E. «>. b. H., Heidel-
berg. Weschäfl-stebe: Schri>derstr.3S.
Tel.: Expedition LS7L n. Redak. A>73.

Heidelberg, Samstag, den 7. April 1923

t^tugzpreis: Monatlich ei«,chliehl. W8
^.eaoerlohn Mk. itM».-. An,eigen- WH MM ^W» HWI
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d - 7-7.77W AtttUL

* Heidelberg, 7. April.
Die „Vergnügungsreise" Loucheurs nach London
scheint eine starke politische Bedeuumg zu haben. Es
Seigt sich, daß allerorten Neigung besteht, zu einer
Verständigung zu gelangen. Ueber das Wie gehen
jedoch die Ansichten noch sehr weit auseinander.
Frankreich ist anscheinend geneigt, Deutschland in
finanzieller Hinsicht gewisse Konzessionen zu machen.
Anderseits erhöbt es zu seiner militärischen Siche-
rung Forderungen, die einen starken Eingriff in die
deutsche Staatsauwrität bedeuie». Es must nun
Aufgabe der Neichsrcgierung sein, durch eine ge-
schickte aktive Politik die Situation für das
Deutsche Reich so günstig als nur möglich zu gestal-
ten. Die Tatsache, dast sich die beiden mastgebenden
alliierten Regierungen über einen Teil der Lösung
des Reparationsproblems einig sind, sollte die deut-
sche Regierung zu besonderer Aufmerksamkeit veran-
lassen. Die Reichsregierung hat allen Anlast, den
Beschluß, der am gestrigen Freitag in Dortmund
stattgefundenen Konferenz der Freien Gewerkschaften
der besetzten Gebiete, die sich einmütig auf den vas -
sivenWiderstand festlegte, zu beherzigen: „Die
Konferenz erwartet, dast die Reichsregierung jede sich
bietende Gelegenheit benutzt, um den Abwehrkamps
Zu einem günstigen Abschluß zu bringen."
Kombinationen.
Par' s, 6. April. Wenn auch die Londoner
Reise Loucheurs ganz privaten Charakter
rügt — er bezeichne!« sie als „V e r g uü gu n g s -
reise" —, so steht ihre politische Bedeutung doch
.est. Ueber das von ihm in den Besprechungen mit
de» führenden
kursieren die verschiedensten Versionen, die aber mehr
oder weniger auf Kombinationen beruhen
dürften. Die wahrscheinlichste ist die, daß Louchcur,
der — wie der jüngst von der „Humanste" veröffent-
lichte Brief des nationalistischen' Abgeordneten Pro-
bost de Launay zeigt — selbst in sehr weit rechts-
stehenden Kreise» als der Mann gilt, der allein »inen
Ausweg aus dem Ruhrabcnteuer zu finden
imstande ist, das Bedürfnis empfunden hat, die
Strömungen der' englischen Politik aus eigenem
Augenschein kennen zu lernen und die Grenzlinien
zu sondieren, innerhalb deren Frankreich sür seine
mit dem Ruhrabeuteuer verfolgten Ziele eventuell
ms englische Unterstützung rechnen kann.
Der Finanzplan Loncheurs.
London, 6. April. In einer Unterreduirg mit
dem Finanzkorrespondcnten des „Daily Tele-
graph" inParis hat Loucheur kürzlich einen
Plan für die Bezahlung der deutschen Schuld ent-
wickelt. Er erklärte, seiner Ansicht nach würde dieser
Plan die Liquidierung der deutschen Schuld er-
leichtern, den deutschen Finanzen TtabtlitSi
derleihen und den deutschen Handel ermutigen. Zu
allererst müsse Deutschland den moralischen Mut
aufbringen, eine drastische Finanzoperation dnrch-
zuführen, die in der Abschaffung der bis-
bcrigenWährung bestünde, und die 100 Mark
auf den nominellen Wert von beispielsweise ein oder
zwei Centimes hcrabsctzte, und dann müsse ein
Neues, gesundes Geldsystem das alte ergän-
zen und die neue Währung in Goldparität festgesetzt
werden. Mit dem gesunden Gelde könne man be-
ginnen zu verhandeln. Es werde für das Deutsche
Reich notwendig sein, grundsätzlich eine Politik ge-
sunder Finanzen einzuführen. Sodann müßte die
Einfuhrauf das unbedingtNotwendige
beschränkt werden, damit die kommerzielle Wage zu-
gunsten der Ausfuhr ausschlage und so die sinan-
zwlle Lage stärke. Weiterhin könnte eine Reihe
jährlicher Anleihen ausgegeben werden, die
durch die Einnahmen aus den Eisenbahnen, den
Kanälen und den Zöllen oder auf andere geeignete
Weise zu garantieren wären. Eine Kommission oder
Körperschaft von Sachverständigen würde von
den Alliierten erna .nt werden, um die Durchführung
des Plaues und die finanziellen und wirtschaftlichen
Reformen zuüberwachen. Die alliierte Finanz-
beratung des Reiches würde alsdann Deutschland
helfen, sich finanziell wieder aufzurichten und seine
Schulde» zu bezahlen, ohne dadurch ruiniert zu wer-
den. Deutschland könne, wenn seine, Loucheurs,
Vorschläge angenommen würden, etwa 150 Mil-
. j i on e u P f u n d j ä h r l i ch zahlen, ohne zugrunde
gerichtet oder auch nnr.ttbermäßig belastet zu "wer-
den. Zum Schluß betonte Louchcur nochmals die
Unbedingte. Botweudigtcit, die augenblickliche Wäh-

rung abzuschassen, bevor man irgend eine der von
ihm vorgeschlagenen Operationen vornehme. Zuerst
müsse gesundes Geld da sein; dann würde die
Grundlage vorhanden sein, auf der man bauen
könne.
Englische Kommentare.
London, 6. April. Die Komrnentdre der
Blätter und privater Beobachter gehen dahin,
daß die gemäßigteren Ansichten Loucheurs, der
seinerzeit mit Lloyd George in Chequers den be-
kannten Reparationsplan aufgestellt hat und der als
Gegner der Ruhr-Aktion bekannt ist, sür Frank-
reich allmählich wieder etwas größere Bedeu-
tung gewönnen. Wie weit die Spekulationen dabei
gehen, ist aus dem Kommentar des „Manchester
Guardian" ersichtlich, dessen Londoner Korrespondent
erklärt, es gebe Leute, welche glaubten, daß der im
Block Poincares bemerkbare Ritz rasch den Zusam-
menbruch des ganzen Gebildes herbeiführen werde,
und daß für diesen Fall Louchcur der natür-
liche Nachfolger wäre; andere glaubten, daß
Poincare sein Kabinett umbilden werde und
Loucbeur schon entsprechende Zeichen gegeben
habe. Poincare habe überdies auch mit Herri ot
ein Arrangement zusammengeslickt und es sei gegen-
wärtig in der französischen Politik schlechterdings
nichts unmöglich. — Der diplomatische Be-
richterstatter der „Westminster Gazette", der den Be-
such Loucheurs auf eine mögliche Neuorientie-
rung der französischen Politik und auf den Wunsch
Frankreichs zurückführt, von neuem mit England
bei der Regelung des Ruhrproblems zusammenzu-
wirken, betont, daß die deutsche Regierung den
Argwohn habe, daß der Plan Loucheurs nichts als
eine Falle sei, um das Rheinland unter
französischer Kontrolle zu halten, und die
daher von einer Neutralisierung oder Jnlernationa-
oder einer Ueberwachung
durch den Völkerbund (der als unter französischem
Einfluß stehend angesehen werde) nichts wissen
wolle.
Poincares Pläne.
Paris, 6. April. Der „Matin" versichert, daß
das vom „Daily Telegraph" veröffentlichte Pro-
gramm im großen und ganzen keineswegs im Ge-
gensatz zu den Auffassungen des Ministerpräsidenten
stehe. Weiter teilt der „Matin", der Herrn Poin-
care nahesteht, mit, daß die Reduktion der deutschen
Schuld aus 50 Milliarden von den französischen Ex-
perten tatsächlich angenommen ivorden sei unter der
Bedingung, daß der Anteil Frankreichs in Höhe von
26 Milliarden unter allen Umständen gewährleistet
werde, und daß auch die Räumung des Rheinlandes
ins Auge gefaßt sei unter der Voraussetzung, daß
Frankreich die erforderliche Garantie für seine Si-
cherheit erhalte, d. h. daß ein völlig entmilitarisierter,
«inen Teil des Ruhrgebiets umfassender Rheinstaat
unter der Kontrolle einer internationalen Polizei
geschaffen werde und daß die Brückenköpfe bis zu
der im Friedensvertrag vorgesehenen Dauer in der
Hand der französischen Truppen bleiben.
Tie französische Strömungen.
Paris, 6. April. Ueber die Strömungen in
der französischen Politik berichtet der Pariser L. St.-
Vertreter der „Frkf. Ztg.": Wichtig ist die Fest-
stellung, daß Louchcur die Urheberschaft des Artikels
im „Daily Telegraph" keineswegs ableugnet. Von
grober Bedeuttmg ist weiterhin, daß zum mindesten
Herr Poincare von der Reise Loucheurs gewußt und
sie gebilligt hat. Auch bei dieser Gelegenheit zeigt
sich von neuem, daß innerhalb der französische» Re-
gierung über die Ziele und die Fortführung der
Ruhraktion die tiefgehendsten Meinungsverschieden-
heiten bestehen, oder richttger gesagt, daß in Paris
die Ruhrpolitik nicht von einer, sondern zum minde-
sten von drei Stellen aus geleitet wird, nämlich vom
Quai d'Orsay, wo Herr Poincare ausschlaggebend»
ist, vom Elysee, dessen Sonderpolitik im Kabinett
durch die beiden Anhänger der schärfsten Richtung,
Machnot und Le Trocquer, vertreten wird, und
durch das Comtte des Forges (Schwerindustrie).

Mannheim.
Mannheim, 6. April. Die Franzosen spie-
len sich in den Räumen der Firma Benz als
unumschränkte Herren auf. Sie durchsuchen die Be-
amten bei jedem Verlachen der Betriebsräume, die
Firma kann ihre Korrespondenz nicht mehr auf
die Büros kommen lassen, die Lohnzahlung ist be-
schwert usw. Die Firma Beug hat infolge dieser
Belästigungen beschlossen, auch ihre Beamten aus
den Büros zurückzuziehen. Wie weiter berichtet
wird, ist die große Dieselmotormaschine
von den Franzosen von allen Seiten photographiert
worden, offenbar in der Absicht, in irgend einem
Punkte eine Bestätigung der Spionage zu finden,
aus Grund deren die Besetzung des Werkes erfolgte.

Aus dem besetzten pfälzischen Gebiet sind gestern 60
pfälzische Eisenbahnbeamte mit ihren Familien
ausgewiesen worden.
Karlsruhe.
Karlsruhe, 6. April. Der Postschaffner
Wilhelm Becht hold von Knielingen (bei Karls-
ruhe), der während der Besetzung Knielingcns durch
die Franzosen verhaftet und nach Landau gebracht
worden war, ist von dem französischen Kriegsgericht
fre i g e s pr o ch en worden. Postschaffner Bech-
thold war seinerzeit verhaftet worden, weil er den
französischen Wünschen auf Ueverlassung des Tele-
phons nicht entsprochen hatte.
Darmstadt.
Darmstadt, 6. April. Die Zuckerfabrik
Groß-Gerau wurde vor einigen Tagen von
den Franzosen besetzt. Der Zweck der Besetzung
soll die Beschlagnahme von ZuckerrLLensamen sein.
Drei Milliarden geraubt.
Darmstadt, 5. April. Auf der Rheinbrücke
bet Worms wurden gestern aus einen; von Mann-
heim kommenden Auw 3 Milliarden Reichsbank-
gelder von den Franzosen wcggcnolnvmen.
Ruhr.
Mülheim (Ruhr), 7. April. Gestern wurde
das Gebäude der Druckerei Marks, welche Reichs-
banknoten herstellt, besetzt. Durckplatten und Noten-
papier wurde beschlagnahmt. Der Geschäftsleiter
wurde verhaftet.
Die Beerdigung ^der Essener Opfer
Essen, K. April. Die Beerdigung der getönten
Kruppschen Arbeiter ist bis Anfang nächster Woche
verschoben worden, da die Leichen erst noch ein-
gehend ärztlich untersucht werden sollen. Sie findet
nunmehr amDienstag vormittag um S Uhr statt.
Essen,«. April. Aus das Schreiben des Esse-
ner Oberbürgermei st ers teilte General I a c--
quesmot mit: In Beantwortung Ihres Brieses
vom 2. April beehre ich mich, Ihnen davon Kenntnis
zu geben, daß die angestellte Untersuchung den Be-
weis erbracht hat, daß Ihre Auskünfte irrig waren
oder daß die Tatsachen mit Willen entstellt worden
sind. Die ganze Verantwortung fällt auf die Di-
rektoren der Kruppschen Fabrik. Die Strafmaß-
nahmen, die Sie fordern, sind also schon im Gange,
da ja eine gewisse Anzahl dieser Direktoren bereits
verhaftet worden ist. Ich widersetze mich daher
der öffentlichen Bestattung der am 31.
März gefallenen Arbeiter nicht unter der Bedingung,
daß die Ordnung nicht gestört wird.

Der Reichspräsident empfing den Betriebs-
rat der Kruppwerke zu Besprechungen über die Esse-
ner Vorgänge und die dadurch geschaffene tzage.
Am Tage vorher hatte der Reichspräsident auch
Krupp von Bohlen-Halbach zu einer Aus-
sprache empfangen.
Auf den Protest des auSgewiesrneu Düsseldorfer
Regierungspräsidenten Grützner gegen das Vorgehen
der Franzosen aus den Kruppschen Werken am Oster-
samstag, den er dem General Denvrgnes zur
Weitergabe an. General Degoutte übermittelt hatte,
hat heute General Denvignes geantwortet, General
Degoutte könne von dem Schreiben Grützners keine
Kenntnis nehmen, da Grützner seit dem 18. Fe-
bruar bei ihm nicht mehr als Bevollmächtigter gelte;'
er schicke ihm daher das Protestschreiben wieder
zurück.
Der Prozeß gegen die Kruppdirektoren wird ver-
mutlich am heutigen Samstag vor dem französischen
Kriegsgericht in Bredeneh stattfinden.
Die Ruhrarbefterschaft wird solche Kaufleute
boykottieren, welche dem strikten Verkaufsverbot an
Franzosen zuwiderhandeln.
Der französische Arbeitsmtnister Le Troquer hat
ch Düsseldorf eine Konferenz mit General Degoutte
ilnd Oberkommisfar Ttrard.

Die Lags im Reich.
Pech!
Der antisemitische „Hammer" vom 15. März
bringt einen begeisterten Artikel über „Englands
Hitler". Nachdem der „Hammer" die judeuhetze-
rische Rede wiedergegeben hat, die der Engländer
Beamish auf dem neulichen deutschen national-
sozialistischen Parteitag — in England selbst ist be-
kanntlich für solches Gelichter kein Platz — gehalten
hat, fügt er hinzu:
Beamish's Worte wurden begeistert ausgenom-
men. Er ist eine hohe, kraftvolle Erscheinung und
macht den Eindruck unbeugsamer Entschlossenheit.
Aus dem Arbefterstande hervorgegangen, wird er
zweifellos sein Versprechen wahr machen, eine eng-
lische nationalsozialistische Partei zu gründen —
wenn nicht ein unvorhergesehener oder auch vor-
her zu sehender Zufall seinem Leben ein Ende
macht.
Der „unvorhergesehene" — wenn auch vorüer-
zusehende! — Zusäll. ist inzwischen promptest einge-
treten. Er bat zwar nicht dem Leben, aber — vicl-

Londoner Politikern verfolgte Z i e l ilisterung des Rüeinlandes

leicht — der nationalsozialistischen Führerlaufbahn
des Herrn Beamish ein Ende gemacht. Er ist näm-
lich als gemeiner, kürzlich aus dem Zuchthaus
entlassener Schwindler entlarvt worden!
Ölet.
dlon »sei (es riecht nicht), dieser alle Spruch gilt
anscheinend in hohem Matze sür die Nattonalsozia-
liste». Die „M ünchener Po st" schreibt: Bayern
ist längst zum Eldorado für die internationalen Mo-
narchisten und politischen Reaktionäre geworden. Wir
Sozialdemokraten sind grundsätzlich keine Gegner des
Gastrechtes. Wir forderten immer nur, daß man
dieses Gastrecht unparteiisch gewähre, nicht Republi-
kaner oder Kommunisten wegen ihrer politischen
Einstellung ausweist, während nian Monarchisten
schalten und walten läßt. Die Nachsicht der Behör-
den gegen ausländische M n^n archisten geht
anscheinend so weit, daß man Wieder einmal nicht
merk!, was vorgeht.
Wir fragen deshalb: Ist es richtig, daß mo-
narchistische russische Emigranten in
Bayern sür ihre politischen Zwecke sehr viel
Geld flattern lassen? Ist es richtig, daß na -
tionalistische Kreise Empfänger solcher
Mittel sind? In welchem Verhältnis steht
die Pan-Bank zu dieser Angelegenheit?
Nikkis gelernt und nichts vergessen
Daß die alte militaristische Ueberhcbung noch
lebt, zeigte sich bei einer Bismarck-Gedenk-
feier, die von den reaktionären militärischen Ver-
bänden (Deutscher Offiziersbund, Verband der Re-
gimentsvcreinigungen, Verband „nattonalgestnnter"
Soldaten) vor kurzem im Münchener Hofbräuhause
veranstaltet wurde und bei der u. a. ein frühe-
rer Major namens Fehn seine „nationale"
Weisheit verzapfte. Er leistete sich dabei ganz im
Stile des Deserteurs Wilhelm in dessen großmäulig-
sten Zeiten den unverschämten Ausspruch: „Die
Sozialdemokraten rechne ichnichtzude»
Deutschen."
Man sieht, daß die reaktionäre Sippschaft nicht-
gelernt und nichts vergessen hat, und,
während wirst von „Einheitsfront" gepredigt
wird, beute noch von demselben frechen Dünkel be-
sessen ist, wie in den vergangenen Zeiten ihrer sür
immer entschwundenen Herrlichkeit.
Die Edelsten der Nation.
Patriotismus ist sehr schön, wenn dieandere»
ihn bezahlen. Diesen Wahlspruch der Prozent-
patrioten bestätigt wieder einmal folgende Meldung
aus Wien: Die gräfliche Familie Henckel von
Donnersmarck, die auch in Oesterreich begütert
iss, hat, wie man vom zuständigen Gericht in Klagen-
furi erfährt, die polnische Staatsangehö-
rigkeit erworben. Erst für Oesterreich, dann für
Polen — wie's trifft!
Bayerisck e;.
München, 6. April. In Verbindung mit dem
Mord an dem rechtsradikalen Baur scheint sich eine
geheimnisvolle Weiterentwicklung anbahne» zu
wollen. Reben dem linksstehenden Schriftsteller v.
Puttkamer wurde dessen rechtsstehender'Bruder
und dessen Verlobte verhaftet, ohne daß der Oesfent-
lichkeit bisher Rede und Antwort Uber die Gründe
dieser Verhaftung gestanden worden ist. Man ver-
mutet einen zweiten Fechenbachprozeß. Der rechts-
stehende Puttkamer wurde verhaftet, weil er in dem
Verdacht steht, der Mörder des vor wenigen Tagen
to: aufgesundenen Geheimbündlers Baur zu sein.
Sein Bruder und dessen Verlobte wurden jedoch le-
diglich deshalb der Freiheit beraubt, weil sie Ange-
hörige Puttkamers waren. Dieser Skandal findet
seine Begründung lediglich darin, daß Puttkamer
linksstehender Schriftsteller war.
Weiter wurde in München ein 25jähriger Kauf-
mann Edmund Heines verhaftet.
Regensburg, 6. April. Hier kam cs zu
einem schweren Zusammenstoß zwischen Nationalso-
zialisten und Sozialisten. Der Vizewachtmeister und
Angehöriger der nationalsozialistischen Partei,
Senne, erstach den Wagenschreiber Albe« Stöckel
von der Betricbswer?stätte Regensburg. Die Ge-
werkschaftsvorstände, der Betriebsrat und die sozial-
demokratische Partei nahmen sofort dazu Stellung.'

Der bayerische Ministerpräsident von Knilltng
reiste im Flugzeug nach Wien.
Der frühere Vertreter des Wiederaufbau-Mini-
steriums bei der Kriegslastcn-Komniission in Pari-,
Herr Alfred Wolf, ist am 1. Avril aus de n
S-aats.dienst ausgeschieden. Wolf hatte sich vri
dem Kriege als Mitglied des elsässischen Landtags
bekannt gemackst und bemühte sich vor allem um daz
Wiesbadener Abkommen.

Kurze Meldungen.
Der Expräsident des braunschweigischen Land-
tags, August M erges, wurde verhaftet, der Grund
ist unbekannt.
Die ersten amerikanischen Kohlen sind vorgcster!«
in Hamburg eingetroffen.
Die schottischen Häfen verweigern den deiuschcl
Schissen den Einlaß zum Verkauf ihxcr Waren ai-^
dem dortigen Markt.
 
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