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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 71 - Nr. 80 (24. März - 6. April)
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Tam-Zekkung für Vie umMge MMkermg ver AnMezkrke Seldewerg. Wleölsch. ewheim, EWimm. NerW, MZSM. DOen. Belstzelm. Dorbers, TMeMWsWm u. Werlhefm

5. Jahrgang

Heidelberg, Mittwoch, den 4. April 1923

Nr. 78


Eli! SkNiMM kkSkkSl

für

Gefängnis bestraft. Ullmcr versprach Ler fran-
zösischen Behörde, in ihre Dienste zu treten, worauf
er auf freien Fuß gesetzt wurde. Er arbeitet jetzt
bei den Franzosen und ist mit Kohlenladen
beschäftigt.
Die Meldung wirkt im ersten Augenblick auf
Menschen mit normalem moralischem Empfinden
überraschend und befremdend. Bei genauerer Ueber-
legung und bei Berücksichtigung der Erfahrungen der
letzten Zeit mutz man aber doch zugebcn, datz die
Franzosen nur ihrer Denkungsweise entsprechend ge-
handelt haben. Das Urteil des Polizeigcrichtes hat
ihnen gezeigt, datz der Verurteilte würdig und
berufen ist, in den Dienst Frankreichs zu treten.
Gerade die Verurteilung wegen Diebstahls befähigt
Ihn in ganz besonderem Matze, bei der Wcgschäfsung
der der Reichseisenbahn gehörenden Dienstkohlen im
Auftrag Frankreichs mitzuwirken.

de
ne
rer Vorsicht:
„Herr Notzbach, der jetzt endlich dingfest ge-
machte Verschwörer, konnte noch vor kurzer 'Zeit da-
mit krebsen gehen, datz er vom Reichskanzler Cuno

?';«S»vreI«: Monatlich elnschNetzl.
^eioeriohn Mk.ES.—. An^iaen-
tarife; Die einspaltige Petitzeile
deren Raum M mm breit)
u.ttRl.—. Reliamca»zeigen(71n-m
>reii)Dn gW.—, BeiWicderhotun-
«enNachlabn.Taris. Eeheimmincj-
Ureigen finden leine Ausnahme,

Die Haltung Englands.
London, 3. April. In England beurteilt man
die Anssichien auf eine baldige Lösung der Ruhr-
ftage pessimistisch. Bemerkenswert ist nach
einer Meldung des Londoner Korrespondenten der
„Franks. Ztg.", datz auf liberaler Seite die Neigung,
durch Neutralisierung der Rheinland«: die politische
Lösung des deutsch-französischen Kampfes zu erleich-
tern, zur Zeit entschieden zurückgegangcn ist. Als
Grund ist anzunehmen, datz dieses auch die Veran-
assung war, warum die Rede Lloyd Georges kürz-
lich unterblieb. Massgeblich ist dabei sowohl der
deutsche Widerstand gegen derartige Lösungen, als
auch die deutsche Wahrnehmung, datz selbst liberalste
französische Kreise die verschleierte Absicht einer Po-
litischen Unterwerfung der Nhcinlande hegen. Auch
Louchcur dürfte hier die Erfahrung machen, datz die
englische Politik bei aller Sympathie für Frankreich
solche Ziele strikt ablehnt. Der Pariser Korrespon-
dent der „Times" bezweifelt darum, datz.eine eng-
lisch französische Einigung über die Frage der Sichg>
heil zur Zeit möglich ist.

Nette Besetzungen.
Elberfeld, 4. April. (Letztes Telegr.) Im
Bergischen Land sind Rün-derorh und Gymborn im
Lause des gestrigen Tages von Kavallerie besetzt
worden. Gummersbach und Gierolshausen sind von
der Besetzung freigeblieben.
Ein Zusammenstoß in Hagen.
Hagen, 4. April. Vor einem von Herdecke kom-
menden, in der Richtung nach Haspe fahrenden fran-
zösischen Auto sammelte sich in der Kölnischen Slratze
in Hagen eine grosse Menschenmenge, die die Fran-
zosen zum Aussteigen zwangen. Die Franzosen
schlugen mit Kolben um sich. Die Polizei schritt ein
und nahm die Franzosen in Schutzhaft. Ein grosses
Polizeiaufgebot räumte dann den Vahnhofsplatz.
Gegen 7 Uhr nachmittags wurden die Franzosen,
deren Lastkraftwagen nicht mehr fahrbar war, mit
einem Kraftwagen von der Schutzpolizei in das be-
setzte Gebiet befördert.

Die deutsche Protestnote gegen das Blutbad in
Essen wird am Mittwoch überreicht.
Regierungspräsident Gen. Grützner in Elberfeld
. hat dem General Degoutte ein scharfes Protest-
schreiben gegen das Blutbad in Essen gesandt, worin
er seinem tiefsten Abscheu über das Wüten der ihm
, unterstellten Soldateska, besonders deren Offiziere,
ausdrückt.
Der dcutschnationale Abgeordnete Staatssekretär
a. D. Wallraf ist von den Franzosen ausgcwicsen
worden.
Aus den besetzten hessischen Gebietsteilen wurden
Von den Franzosen elf neue Ausweitungen verfügt.
Unter den Ausweisungen befindet sich nach einer tele-
graphischen Mitteilung des Soz. Parl.-Tienstes ein
Strassenkehrer aus Mainz, der Vater von neun un-
mündigen Kindern ist.
Der bayerische Lmrdtagsabg. Gen. Körner-Lud-
wigshafen, welcher vor einigen Tagen verhaftet
wurde, ist nach Mainz überführt worden. Die Ver-
handlung des französischen Kriegsgerichts gegen ihn
soll Ende dieser Woche stattfinden.
Mannheim.
Aus Mannheim wird der L.U. geschrieben:
Die Besetzung des Neckarstadtbahnhofes scheint zur
wetteren Abschnürung des Güterverkehrs erso'g; zu
sein. Der Personenverkehr geht bisher ungehindert
weiter. Aus den Gehweg des Neckarsiavlbahnhofes
wurde ein Posten gestellt und zwischen den Sitzbän-
ken Stacheldraht gezogen. Die schikanöse Absperrung
bringt grosse Verkehrsstörungen mit üch.
Auch der auf der Seite des Bahnhofs Ncckarstadl
gelegene Teil der Fricdrichsbrückc ist abgesperrt wor-
den. Die Franzosen erklären, es handle sich um eine
Sanktion, weil in der Nacht zum Samstag mehrere
Fensterscheiben an dem Bahnhof eingcworfen wur-
den. Die teilweise Sperrung der Fricdrichsbrücke
verursacht vor allem bei der Ankunft der Arbeiter-
züge empfindliche Verkehrsstörungen. In den Per-
sonen-, Güter- und Postverkeür ist auf dem hessischen
Bahnhof noch kein Eingriff erfolgt. Beim Motoren-
werk Mannheim der Firma Benz forderten die Fran-
zosen dir Herausgabe von Zeichnungen. Die Direk-
tion lehnte die Forderung ab. Eine neue grosse
Schiffsmaschinc ist photographiert worden. Vor zwei
Jahren ist übrigens der Firma Benz erlaubt wor-
den, Dieselmotoren für Handelszwecke weiterzu-
baney. Die Besetzung der Benzwcrke soll auf eine
Denunziation znrückzuführen sein. Infolge Still-
legung der elektrischen Kraftanlage liegen die Räume
nachts im Dunkeln. Die Arbeiterschaft ist am Diens-
tag früh vor dem Werk erschienen, da aber die Räume
besetzt und militärisch bewacht sind, gingeirchic Ar-
beiter wieder nach Hause. Es sind ungefähr 200
Mann mit drei Maschinengewehren im Werk. Das
evangelische Waisenhaus wurde wieder geräumt, die
Humboldtfchule ist nicht belegt gewesen.
Am ersten Osterfciertag erschienen drei französische
Unteroffiziere in Uniform im Fricdricbspark, wurden
aber alsbald von zwei Schutzleuten wieder entfernt.
Die Stadtverwaltung wird beim badischen
Staatsministerium dagegen vorstellig werden, damit
dieses bei der Reichsregierung die nötigen Schritte
veranlaßt, um den Einkauf französischer Soldaten in
deutschen Geschäften Mannheims zu verhindern.
Ludwigshafen.
Der Sekretär des Allgemeinen (Freien) Deutschen
Eisenbahnerverbandes in Ludwigshafen, Baum,
ist von den Franzosen verhaftet und nach Landau
gebracht worden. Der Grund der Verhaftung ist
nicht bekannt.
Offenburg.
Die von den Franzosen ausgewiesenen 20 Fami-
lien der Polizeibeamtcn, Frauen und Kinder, konn-
ten die Stadt rechtzeitig verlassen, da genügend Mö-
belwagen zur Verfügung standen, um ihre Habe
mitnehmen zu können.
Ein würdiger Helfer Frankreichs.
Aus Offenburg wird uns geschrieben:
Dor verheiratete Küfer und Taglöhner Gott-
lieb Ullmer, wohnhaft in Offenburg, Kaserne,
Bau 14, wurde vor einiger Zeit vom französischen
Polizcigericht wegen D i cb sta h ls mit einem Jahr i

Die Ruhrfrage.
Zum Essener Blutbad.
Essen, 3. April. Der Betriebsrat dar Firma
Krupp A.-G. in Essen veröffentlicht eine Darstellung
der Bctriebsratsmitglieder, die Augenzeugen
der Vorkommnisse am Samstag waren, die die letz-
ten Berichte über das Blutbad bestätigen. Der
Betriebsrat erhebt gegen das Kommando, das dieses
Blutbad angerichtet hat, den Vorwurf, durch beharr-
liches Ablehnen aller Verständigungsversuche die
Lage he rausbeschworen zu haben, die bis
zum Augenblick 11 Arbeitern das L.ben getoste« und
viele andere schwer beschädigt hat. Der Betriebsrat
appelliert an das Solidaritätsgcfühl der
internationalen Arbeiterschaft, nichts zu un-
terlassen, um das Ruhrgebiet von dem Druck des
französischen Militärs zu befreien. Der Zusammen-
stoß sranzösischeu Militärs und friedlich demonstrie-
render Arbeiter ist, so heißt es in der Erklärung,
geeignet, eine Haßatmosphäre zu schaffen. Wir
Protestieren gegen die V e r h a f tu n g der Lei-
ter der Fabrik. Als Vertreter der Arbeitnehmer
eines Werkes, das bis zum Ausbruch des Weltkrie-
ges vornehmlich als Waffenschmiede galt, heute aber
der friedlichen Arbeit dient, erklären wir, daß sich
die ganze Belegschaft zur srtcdlichenVerstän-
digung der Völker bekennt.
Proteststreik bei Krupp.
Essen, 3.'April. Die Arbettnehmerschaft der
Firma Krupp ist heute vormittag 10 Uhr in einen
24 stündigen Proteststreik getreten.
Der Betriebsrat erläßt hierzu folgende Kund-
gebung: Noch einmal wendet sich die Kruppsche
Arba mehmcrschaft an das Weltgewissen, um
durch einen 24stündigrn Proteststreik ihren Abscheu
gegen yas Blutbad kund zu tun, das der französische
Militarismus am Samstag unter der Kruppschen
Belegschaft angcrichtet hat. In gleicher Weise pro-
testieren w.r gegen dir Verhaftung einiger
Leiter des Werkes.
Essen, 3. April. Der Oberbefehlshaber der
französischen Besatzungstruppen, General De-
goutte, hat eine Untersuchung wegen- der
blutigen Vorfälle, die sich am Karsamstag in den
Kruppwerken abgespielt haben, eingeleitet. Der
französische Offizier, der den Befehl
zum Schießen aus die Arbeiter gegeben hat,
wurde nach Düsseldorf befohlen; auch haben
französische Aerzte die im Kruppschen Kran-
kenhause liegenden Opfer des Vorfalles untersucht.
Der französische Befehlshaber in Essen hat seinen
Soldaten verboten, sich am Tage der Beerdigung
dor erschossenen deutschen Arbeiter auf der Straße
zu zeigen. Sollten sich Soldaten zur Zeit des
Trauerzuges auf einem Dienstwege befinden, so
haben sie, sobald sich der Trauerzug nähert, eine
Nebenstraße aufzusuchen.
Die Beerdigung der Essener Opfer
Essen, 4. April. (Letztes Telegr.) Di» Beerdi-
gung der Essener Opfer, deren Zahl sich inzwischen
auf 13 erhöht hat, wird voraussichtlich erst Ende der
Woche erfolgen. Es ist beabsichtigt, die Opfer in
einem gemeinsamen Grabe auf dem während des
Krieges in Essen angelegten Ehrenfriedhof beizu-
setzen. Die Kruppschen Werke, auf denen heute vor-
mittag nach Beendigung des 24stündigen Protest-
streiks die Arbeit wieder ausgenommen wird, werden
an dein Tage der Beerdigung abermals slilliegen.
Frankreich findet keinen Nnklqng.
Aus Berlin wird uns telegraphiert: Die fran-
zösischen Rechtfertigungsversuche über das Essener
Blutbad finden in der ausländischen Presse keinen
Anklang. So beton, der „Daily Chronicle", datz
kein einziger französischer Soldat cine Verletzung
davongetragen habe. Das beweise, wie wenig Ge-
walt von deutscher Seite «»gewendet wurde. Die
Essener Metzelei rühre von einem Nervenansall der
französischen Soldaten her.

Die Lage im Reich.
Bayern gegen eine geordnete Justiz.
Auf die kürzliche Mitteilung des „Vorwärts"
über einen Eingriff der bayerischen Re-
tz i e r u n g in das Untersuchungsverfahren gegen die
Organisation E hat das Reichsjustizministe-
rium -eine Erwiderung verbreitet, die die Angaben
des „Vorwärts" im wesentlichen bestätigt. Die
bayerische Regierung hat danach tatsächlich beim
Reichsjustizminister in der Richtung interve-
niert, datz „weite Kreise in Bayern es lieber
sehen würden, wenn die (vom Untersuchungsrichter
beim Reichsgericht) in Aussicht genommene Verneh-
mung durch bäuerische Gerichte vorgenommcn
würde". Der Erfolg dieser Jntervemion war, das;
die von dem Untersuchungsrichter bereits angesetzten
Bernehmungstermtne zunächst aufgeho -
b e n wurden.
Von der allgemeinen Bedeutung abgesehen, ist
dieser Vorgang umso bedauerlicher, als erst dieser
Tage ein rechtsradikaler Student namens Bauer
— man befürchtete von ihm Enthüllungen — einem
geheimnisvollen Verbrechen als Todesopfer
vorfiel.
Reichswehr u. Nationalsozialismus
Nach dem „Berk. Tagebl." richtete der General
Secckt einen Erlatzan die Reichswehr, worin cs
heisst: „Von sogenannter nationalsozialtsti-
scher Seite werden zur Zeit, wie ein Einzelsall
zeigt, Versuche gemacht, Reichswehr angehö-
rige für die politischen Ziele einer Partei zu ge-
winnen. Diese Bestrebungen gehen auf eine Ver-
leitung der Offiziere und Mannschaften zum Un-
gehorsam gegen dirBefehle ihrer Vorgesetzten
hinaus und enthalten den verbrecherischen
Versuch, die Disziplin unter ihnen zu erschüttern.
In dem Erlatz wird' dann weiter angeordnet, daß,
sobald derartige Bestrebungen sichtbar werden, Sceckt
persönlich Meldung darüber zu machen ist."
Die völkische Fehme.
München, 3. April. Die Münchener amtliche
Korrespondenz Hoffmann meldet: .
Am-27. März 1923 wurde in der Nähe von
Freising eine männliche Leiche aus der Isar
geborgen, die eine Kopfverletzung auswies und
etwa 14 Tage im Wasser gelegen sein moch'e.
Durch Beamte der Polizcidtrektion München
wurde scsigestellt, datz vor Tote mit dem lcd'gcn
Studenten Aaul Baur, geboren am 21. März
1901 in Wiesmar, personengleicb ist, der am 5. Fe-
bruar 1923 wegen eines von ihm geplanten An-
schlages auf Oberbürgermeister Scheide-
mann ans München und Bayern ausgcwicsen
wurde und gegen den inzwischen wegen Begünsti-
gung der Rathenau Mörder und wegen Geheim-
bündelei von verschiedenen Gerichten Haftbefehle
erlassen wurden. Die gerichtliche Leichenöffnung
ergabt datz Baur sehr wahrscheinlich einem Ver-
brechen zum Opfer gefallen ist. Umfassende Er-
hebungen durch die Staalsanwaltschafi und die
Polizeidirektiou sind eingeleitet. Für die Ermitte-
lung des oder der Täter ist eine Belohnung bis zu
200 000 Mark ausgesetzt. ,
Angesichts dieser Meldung ist es interessant, daß
bei Bekanntwerden des Bauerschcn Attmtatsplancs
auf Scheidemann die Münchener Polizei crklärie:
Der Mann mußte, da ihm nichts Strafbares nach-
zuweifen war, wieder freigelassen werden; und jetzt
ist dieser sclbq Mensch einem Verbrechen zum Opfer
gefallen, d. h. er ist von Leuten, die aus irgendwel-
chen Gründen offenbar befürchteten, er werde „Plau-
dern", nach „berühmten Mustern beseitigt worden.
cLs dürfte dabei wohl weniger dieses rechtzeitig wie-
der aufgcgebene Scheidcmann-Attentai, als die jetzt
von der Polizei selbst sestgcstcllte Verbindung des
Burschen mit anderen politischen Mordtaien c.ine
3tz>lle gespielt haben.
Cunos Berater.
In der „Berliner Volkszeitung" lesen wir folgen-
aus der „Republikanischen Presse" übernomme-
Mahnung an die Spitzen des Staates zu größe-

Unter dem Titel: „Warum ich ins
andere Lager überging?" veröffentlicht
General Freiherr v. Schön-
aich folgende Bemerkungen:
Zwei Hauptgrundsätze der Taktik und der Stra-
tegie gab es von a-lt^rs her, den Durchbruch durch
die feindliche Front und die Umfassung eines oder
beider Flügel. Canae, Leuchen, Sedan u. Tannen-
berg sind die klassischen Beispiele der Flügelschlach-
ten. Weil die Flügolschlachr bei Ausnutzung der Be-
weglichkeit und genügeirdcm Raum den größeren Er-
folg verhieß, galt sie stets als die feinere Kunst. In
den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege gewann
die Durchbruchsschlacht besonders in Frankreich im-
mer mehr Anhänger. Verimttlich deswegen, weil
Man erkannte, datz ein Zukunftskrieg mit seinen Mas-
senaufgeboten sehr bald zur Anlehnung beider F.'ü-
gel an das Meer und an Schweizer Gebiet führen
MO sie. Zum wirklichen Durchbruch der Front, mit
einem großen Stoß ins Leere, ist es aber im ganzen
Weltkriege auch nicht gekommen. Tiefengliederung,
Oute Bahnverbindungen hinter der Front uird recht-
zeitige Zurücknahme der Nachbarsront, verbund-n
Mit gewalttgcr Vermehrung der Maschinengewehre,
haben aus dem Durchbruch immer wieder ein fron-
tales Abrie.goln gemacht.
Masscnheere uird gesteigerte Kriegstechnik haben
die KriegÄchrcn von Jahrtausenden über den Hau-
sen geworfen oder höchstens aus Nebenkriegsschau-
bkätze'verwiesen. Wer nicht ganz mit Blindheit ge-
schlagen ist, muß erkennen, daß die enge Verstrickung
der Weltwirtschaft, eine Fobge der gewaltig g-estci-
licrtcn technischen Arbeitsteilung, heute jeden Krieg
!>>r joden der Beteiligten zum wirtschaftlichen Selbst-
mord gestattet. Wenn auch dazu noch kommt, datz
die Flüga'schlacht am Raum, die Durchbruchsschlacht
ou der gesttigerton Kriegsttechnik scheitert, daß also
Mur noch ein blindwütiges Anrciuren gegen tot-
spciende Manern übrig bleibt, dann gehört eigentlich
' '-br wenig Geist und Mtz dazu, zu versuchen, ob es
nicht gelingt, Meinun-gsverschicstenheiten zwischen
den Völkern ebenso zu schlichten wie es zwischen den
Eiuzelmen-schen sowie den Menschengruvpcn und
sonstigen VerwattungLeucheiten üblich ist. . '
Es rings« also zwei Weltanschauungen miteinan-
der, die der KriegSsrmrde -und die der Kriegsgegner.
-Die alte>, Offiziere, die den Kriegsdienst -als Le-
densb^rnf erwählt hatten, sind die werbenden Führer
der KriogSttennde. Das ist begreiflich und ihr gutes
Recht. Sie haben scheinbar die Lehren -der sechs-
tausnidjährigen Geschichte für sich, weil bisher er-
hebliche Interessengegensätze zwischen Menschen und
WenschengruPPcn stets durch Gewalt amsgefochtsn
borden sind, Machst also stets vor Recht gegangen ist.
Much die Lehre Darwins vom .Kampf ums Dasein
dsUten sie in dem Sinne, daß der Krieg eine biolo-
gische Notwendigkeit sei.
. Zweifellos ist es ihnen gelungen, durch diese Be-
meis-fsthrung einen großen Teil der gebildeten In
hend Mnäclsit auf ihre Seite zu bringen. Dieser Er-
^sg ist ihnen durch dm Fricdensvertrag von Ver-
sailles noch besonders leicht gemacht werden.
Ich selbst bin in das andere Lager übergegangm,
weil ich Folgendes als wahr erkannt zu haben
glaube:
1. Die Verstrickung der Weltwirtsctmst und die
öestoigerie Kriegstechnik macht den Krieg unter allen
ttnrständen auch für die Sieger unrentabel.
2. Die Darwinsche Lehre wird von den Kri-sgs-
keunben falsch ausgologt: Kampf ums Dasein sit
aicht der Kampf der Arigenossen untereinander, son-
öorn der Kampf mit -den Leb-ensbedingungen der
ttcuiwölt. Die Tüchtigsten sind nicht die, die ihre
Arigenossen am besten zu töten verstehen, sondern
vtejenigen, die die Feinde ihrer Arigenossen, z. B.
-aaiUHeitskeime, am besten zu bekämpfen, und die
oren Ar'gcnossen die besten Lebensbcdiuguwgen, z.
w durch Hcbnng der wirtschaftlichen Kräfte, zu schas-
un verstehen.
3. Die Lehren der Geschichte sprechen bei ge-
m-uercr Prüfung gegen den Krieg. Ans reiner
.Buslust ist in den sechstausend Jahren nicht ge
«Mhst worden, sondern um irgendwelcher Vorteile
->llen. Mit dem Augenblick, wo die Nach'-eile des
Sieges größer werden als die Vorteile, ist die ganze
.schickste eine einzige Kette von Ziisammenballun-
e« immer größer werdender Interessengruppen,
t« heutige Weltwirtschaft macht einen Weltvölker-
Zur nächsten natürlichen Entwicklungsstufe.
Für diese Gedanken zu kämpfen, halte ich nicht
'r ebenso für mein gutes Recht, sondern sogar für
w-e vaterländische und menschliche Pflicht.
,i '^ibiß ist es fraglich, ob cs in unserer Zeit ge-
wird,' maßgebende F reise der Völker
M ? trotzen Ideale zu gewinnen. Wer ihnen aber
^'"w'iätzilich huldigt, sollte gerade deshalb um so
dip rer dafür ci-ntreten. Gerade in jetziger Zeit, wo
^obdcwsckaftcn wieder -besonders hoch gehen, ist
n ' bov sogenannten Realpolitikern ein kühl mah-
n Wort durchaus nützlich, auch wenn es nichi
rake populär ist.
r,.t Welche Weltanschauung die bessere ist, das kam:
ttw Zukunft lehren. Siegelt wird diejenige, die
nicht nur im flüchtigen Ran sch der Lei
^itz Lochern fest und dauernd zu gewannen

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