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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 11 - Nr. 20 (13. Januar - 24. Januar)
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Heidelberg, Mittwoch, den 17. Januar 1923

MW-

«»«uarprrir: Monatlich ttxschNetzr
TrLgeriohn Mk. tim-, Anzeigen.
Wrise: Die einipaltige Petit,eil»
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kreit)Mk.I5N.-. Bei Wiederholun-
-kn Nachlaß n. Taris. Gcdcimmittel»
-«zeigen finden keine Ausnahme

SeschäftrstundenS—SUHr. Sprech
stunden derRedaktion: II—IS Uhr.
Postscheckkonto KarlsruheNr.SLS77<
Tcl.-Slbr.:Volkszeitung Heidelberg
Druck u. Verlag der Unterbadischer
Berlaasanstalt G. m. b. H., Heidel»
berg. Gcschästsst cllc: Schröderstr.M.
Tel.: Expedition SVS u. Redak.Mlg,

Nr. 14

reges-Zelrurlg für die lverUWeVevSlkerung der Amtrbezitte Melbers, Wiesloch, Sinsheim, Cooingea, Eberbach, Mosbach, Bachen, Adelsheim. Borberg, raaüerbischolshelw n. Wertheim
Jahrgang


Zer MllZm NWU
v. Berlin, 16. Januar.
Als Frucht seiner Studien Hut Nit 1 t, der frü-
here italienische Ministerpräsident in der Frantsur-
ter SoziätälÄdruckerei ein neues Werl (F. Nltti.
Der Niedergang Europas. Die Woge zum Wieder-
twsbau.) erscheinen lassen, gleich seinem ersten
TSerk strotzend von politischen und wirtschaftlichen
Wahrheiten, und wieder Wie jenes, ein Buch von
epochaler Bedeutung.
Halte der frühere italienische Premier in seinem
ersten Werl mit klaren und deutlichen Strichen die
Zustände gezeichnet, in Die Der harte Diklatsricde der
Sieger-Politiker Europa gestoßen, so schildert er in
feiner neuen Arbeit, wie auf Grund dieser unbarm-,
herzigen und unvernünftigen Ententepolitik der Po-
litische, wirtschaftliche und moralische Niedergang
dcr europäischen Staaten aus der ganzen Linie ein-
gesetzt hat. An Hand von reichhaltigem Beobach-
»ungs- und Tatsachenmaterial nagelt der Verfasser
die häufig aller Politischen Weisheit gänzlich baren
Tinge fest, um zum Schluß die einzig gangbaren
Wege zum Wiederaufbau zu weisen.
Nitti siebt im Vertrag von Versailles nichts wei-
ter, als ein besonders von französischer Seite rigoros
angewendetes Mittel zur erbarmungslosen Fortseh
SNng des Krieges gegen Deutschland. Die wirt-
schaftliche Zerrüttung und Erdrückung Deutschlands,
-die Besatzungsfchmach am Rhein, das Durcheinan-
der i'N Ostdeutschland, die Saarsrage, die französische
Kohlenpoliitik, die Schande der Wertriobenen Repa-
raiionSbesehle und wie alle die Dinge beißen, mit
denen insbesondere Frankreich Deutschland schika-
niert, sie alle werden in Nittis Buch gebührend ge-
würdigt. Sohr gut weist es die durch die rücksichts-
losen Kohlenförderungen für Deutschland geschaf-
fenen trostlosen Verhältnisse nach, und zugleich
dann auch, daß insbesondere die plutokratischen
Strömungen in Frankreich, wie diese nicht zuletzt in
der Eisenindustrie rnaßgeberD sind, bei dcr Aus-
powerung des niedergetretenen Deutschland den
Ausschlag geben. „Man mutz schon," so schreibt
Nitlt, „bis zu -den Zeiten dcr völlig degenerierten
Feudalwirtschaft zurückkehreu, um Erscheinungen zu
finden, die an Brutalität und Zynismus den Taten
des neuen privaten wie internationalen Raubgeistes
ähneln, die nach Dem Kriege systematisch betrieben
werden. Es ist, als ob alle Aasgeier des interna-
tionalen Kapitalismus nach Deutschland gekommen
wären, nm das unterlegene Volk auszupliindern."
Nitti gibt am Schluffe seines Buches eine sehr
dankenswerte Uebersicht Wer die gegenwärtigen
europäischen Heere und Rüstungen. Die über-
raschendsten Dinge erfährt man da. Trotz aller Ab-
rüstungsrcden gewahrt man. das; ein Rüstungsfieber
eingesetzt hat, gegen das der frühere Rüstnngswahn-
sinn fast ein Kinderspiel war.
Was das Nittifche Buch besonders wertvoll
macht, ist, daß es mit klugen und unbeschönigenden
Worten die heutige politische Situation in dem in
jeder Hinsicht bal-kantsterteu Europa zeichnet, daß es
reiches und entschieden Bedeutung besitzendes wirt-
schaftliches TTatsachenma'crtal bringt, daß es auf
die destruktiven Tendenzen des neuen im Entente-
lager (auch in der Leinen Entente) sich breitmachen-
den Militarismus verweist, der geeignet ist, den
Niedergang Europas noch mehr zu beschleunigen,
und datz es schließlich die notwendigen Wege znm
Wiederaufbau zeigt.
Hier gibt Ntttt besonders der Hoffnung aus
Amerika starken Ausdruck. Bon Amerika Mein ver-
spricht er sich durchgreifendes. Amerika dürfe den
Ländern, Die fanatisch dem Rüstungsgedanken huldi-
gen, keine Anleihen geben.
Run sind wir in bezug aus Amerika allerdings«
keine besonders fro-hgestimmten Optimisten, aber
auch Der frühere italienische Premierminister erhofft
von der amerikanischen Industrie für die mitteleuro-
päischen Lande keine rechte Hülfe, dagegen steht er
in dem amerikanischen Landwirt, -em Vieh- und Ge-
treideprvduzentsn, den Mann, der bald anfangen
wird einzusehen, Datz seine gesunde Existenz ohne
eine gesunde Kaufkraft Europas ernstlich entwertet
und bedroht wird. Denn die Politik der Sieger-
staaten hat nicht nur Die Kaufkraft -er wirtschaftlich
unterjochten Länder vernichtet, auch die Kaufkraft
in den EntentelänDeru ging infolge der Verzah-
nung, des Jneinand ergreifens Der allgemeinen euro-
päischen Dinge zurück. Und da die große englische
und amerikanische Presse gegenwärtig das neue Buch
Nittis in ihren Spälten abdruckt, so ist eine ernstere
Wik-kung der Fricdensarbeit des ftalienischen- Staats-
mannes immerhin möglich. Jedenfalls kann man in
all den vom Versailler-, vom Trianon- und vom Se-
vreSfrieden, von Reparationskomnnisstonen und En-
tenteagenten heimgefuchtrn Ländern nur wünschen,
datz div Prophctenstimme Nittis gehört und damit
der Durch die diversen Enlente-Kapitälniagimten ge-
speisten Moral dcr Unvernunft und des Zynismus
in absehbarer Zeit ein EnDe bereitet werde.

Memel.
Königsberg, 16. Jan. Wir aus Memel ge-
meldet wird, treffen ständig militärische Ver -
ärkungen aus Litauen für die Freischärler
tu. Deren Zahl, anfänglich 3000, ist gegenwärtig
ins etwa 7000 angewachsew

Killt MW« SkS MW.

scheit Regierung habe ich denk Gefühl tiefster

Karlsruhe, 16. Jan. Die heute nachmittag cher -diplomatischen Beziehungen. Namens der badi-
stattgefundene Landtagssitzung wurde ctuge- s Z " ,z _ "F. ", - - ----
leitet durch eine eindrucksvolle Kundgebung ge-
gen die Ruhrbesetzung.

Präsident Wit 1 eman n hob einleitend daraus
ab, Witz Frankreich und Belgien gegen göttliches un-
menschliches Recht ihre Hand auf das Herz des
Deutschen Wirtschaftslebens gelegt haben. Wissen
wir heute noch nicht, welche Folgen dieser Schritt
haben wivd, so wissen wir Doch gewiß, datz schwere
Leiden über Deutschland kommen werden.
Wir werden Dieses Leid mit Würde und Ernst
zu tragen wissen. Den schwer betroffenen Brüdern
und Schwestern im R uh rg e b i e t ist unser Mit-
gefühl gewitz. Wir stehen in Deutscher Treue zu
ihnen unD wir wollen ihnen helfen^ soweit das
uns möglich ist.
Staatspräsident Nemmele:
Namens Der Staatsregirrung habe ich zu dem,
was sich seit Dem 11. d. M. im Ruhrgebiet abgespielt
hat, einige Erklärungen äbzugeben. Der Einmarsch
der französischen und belgischen Truppen ins Ruhr-
gebiet wird mit der Behauptung begründet, Datz
Deutschland mit den Lieferungen von Holz und
Kohlen in Verzug geraten sei. Die ganze Welt ist
Zeuge dafür, welche A nstrengnnge n das deut-
sche Volk unternommen hat, um Ditz Reparations-
verpflichtungen zu erfüllen. Die Besetzung Des
Ruhrgebietes bedeutet die Enthebung der deutschen
Verwaltung im rheinisch-westfälischen Gebiet, aus-
geführt mit Kriegsmittoln gegen ein friedliches Volk,
Die Badische Regierung hat sich Der Kundgebung des
Reichstags an g e s ch l o s s e n. Sie unterstützte die
Reichsvogierung in der Politik Der Erfüllung. Die
Entwicklung zur Vernunft, die sich im Auslände an-
bahnte, scheint dem militarPischen Frankreich un-
üeguem -geworden zu sein; der geringe Ausfall
der Lieferungen war Der Borwand zum Vor-
marsch in eilt friedliches deutsches Gebiet. Die
französische Politik ist dieselbe, wie sie Das Frank-
reich des zweiten Kaiserreichs getrieben. Die Aus-
sichian aus einen endlichen AuSgletzb Ser Bezichpu.»
gen der Völker zueinander siud zers 'orden. Die
deutsche Regierung hat Durch eine g ze auswärtige
Macht ein Angebot auf einen Friede nspakt für
ein Menschenalter an Frankreich überreichen lassen.
Die betreffende auswärtige Macht hat eine Antwort
von Frankreich erhalten, die in Der Art gehalten
war, datz es jener Macht unmöglich war, Diele
Antwort an Dentschand zu übermitteln. (Lebhafte
Bewegung im ganzen Hause.)
Die badische Regierung billigt die Maßnah-
men der Reichsregierung zur Mw ehr; sie billigt
auch die Ablehnung Des Gedankens des Abbruchs

Trauer über Die Störung des Friedens Ausdruck
zu geben. Die Bevölkerung des Ruhrgebietes hat
hohe Beweise eines Bekenntnisses zum Deutsch-
tum abgelegt, sie wird ihrem Deutschen Namen keine
Schande machen. Möge sich auch im Lande -das
Volk so verhallten,, Datz es zu der dein Volke ange-
tane Schmach nicht auch noeo die Schande hinnöh-
nren «Nitz. Mögen Alle über Die eigenen Interessen
hinaus an die Interessen der Republik denken.
Das Haus nahm diese frei vorgetragenen Aus-
führungen des Staatspräsidenten mit allseitigem
Bravo auf.
Präsident Wittemann verlas hierauf folgende
von allen Parteien, mit Ausnahme der Kommuni-
sten unterschriebenen
Entschließung
Der Badische Landtag billigt den entschie-
denen Widerspruch des Badischen Staatsmini-
stert ums gegen die militärische Besetzung und
wirtschaftlichen Vergewaltigung des wichtigsten
deutschen Industriegebietes an der Ruhr, die eine
frevelhafte Verletzung selbst des Versailler Frie-
densvertrages darstellt. Der Landtag weiß das
ganze badische Volk hierbei eins mit sich in
dem Schmerz und in der Empörung über diese
Gewaltpolitik. Unheilvolle Folgen wird die von
Frankreich u. Belgien getroffene Maßnahme wie
für die besetzten rheinisch westfälischen Lande so
für das ganze deutsche Volk haben. Wehrlos wie
wir sind, müssen wir uns heute dcr Gewalt beu-
gen. Alles, was geschehen kann, um dem rechts-
widrigen Zustand ein Ende zu machen und die
Not zu lindern, werden wir nach besten Kräften
unterstützen. Wir fühlen uns in Schicksalsgemein-
schaft verbunden mit den deutschen Volksge-
nossen im besetzten Gebiete und stehen
in unwandelbarer Treue zu ihnen. Dir große Not
der Zeit verlangt ein starkes deutsches Geschlecht,
das auch in Ket.cn sich frei weiß, und dem die
Einheit des Reichrs höchstes Gebot ist. Dieser
vatcxlitndikchrn Pflicht wollen wir mit allen Mit-
teln in Ehren und Würde dienen, in opferbereiter
Liebe zum brutschen Volk und Reicht
Dis Euschlitzßum wurde mit allen gegen die
Stimmen dcr Kommunisten angenommen.
Der Abg. Bott gab namens Der kommunistischen
Fraktion eine Erklärung ab, in der er ebenfalls ge-
gen Den Einbruch der französischen Truppen pro-
testierte, den Protest der französischen Kommu-
nisten gegen diese Tat begrüßt und im übrigen eine
Arveiterregierung für Deutschland fordert,
die -en Vertrag von Versailles zerreiße und die
Schuldigen in Deutschland zur Rechenschaft zieht.

M MN MWSW«.
Düsseldorf, 16. Jan. Von der französischen
Bcsatzungsbehörde waren heute von neuem Ver-
treter der Zechen zu einer Konferenz ge-
laden, auf der alle großen deutschen Bergwerke ver-
treten waren. Von französischer Seite nahmen u. a.
der Kohlcnkommissar Eoste und die Generäle Si-
mon und Devignes teil. Datz jetzt die Milt-
tärvehSrden die Regelung der Kohlensrage in
die Hand genommen haben, ging daraus hervor, daß
General Devignrs allein das Wort führte. Er
verlas einen neuen Befehl und betonte, daß
dies derletzte sei. Falls die Bergwerke diesen Be-
fehl nicht befolgten, würden siegrotzesUnglück
über ihr Land bringen. Die Lieferung von Repa -
rattonskohle mutz unbedingt sofort
wieder ausgenommen werden; andernfalls
würden die in der Versammlung vertretenen Gesell-
schaften sich schweren Sanktionen aussctzen.
Essen, 16. Jan. Für den Umfang des bis-
hcrigcn militärischen Aufgebots der Franzosen ist
bczeichitcnD, datz der kommandierende General In
Breden ev soeben den -rutschen Behörden die
bevorstehende Ankunft eines Armeekorps-
Kommandos ankündtgte, die das dreifache des
bisher hier nntergebrachten Kommandos umsatzt.
Bochum, 16. Jan. Divistonsgeneral Boirr-
gon machte durch Maueranschlag bekannt, datz die
Truppen gegen jede feindselige Handlung ohne
Warnung vorgeben würden, auch wenn sie
sich durch Singen, Ausruse usw. dokumentiere.
Düsseldorf, 16. Inn. Die Pariser Bericht-
erstatter melden folgendes: Wenn die deutschen In-
dustriellen nicht nachgeben, so werde» wahr-
scheinlich im Laufe des heutigen TageS neue
Pfänder gegen sie ergriffen werden.
Neue Verfehlungsfeststellungen.
Parts, 16. Jan. Ueber den französisch-belgi-
schen Antrag an die Reparationskommission, neue
absichtliche Verfehlungen in ihrer heuti-
gen Sitzung festzustellen, teilt der „Petit Par'.sien"
folgendes mit:
Potncarö richtete am vergangenen Sonntag
einen Brief an Barthou und lenkte seine Auf-
merksamkeit auf vier Arten von Verfehlungen, deren
sich Deutschland neuerdings schuldig gemacht habe:

1. das absichtliche Einstellen der Lieferun-
gen von Kohle an Frankreich und Bel-
gien seit einigen Tagen, 2. die Einstellung der
Lieferungen von Vieh an dieselben Länder, 3. die
Verfehlungen in bezug auf die Lieferungen von
Pflastersteinen und 4. die Verfehlungen hin-
sichtlich der Ausführung Der großen öffentlichen
Arbeiten.
Da diese beiden letzten Punkte eine Prüfung
durch S ach v. er st ä ud t ge notwendig machen, hat
man sie provisorisch beiseite gelassen, Barthou
bat sich jedoch gestern mit seinem belgischen Kollegen
iiber den Text eines Gebet mbriefes geeinigt,
durch den sie die Neparatiouskommission mit dcr
Verfehlung befassen, die Deutschland seit Dem Ein-
dringen in das Ruhrgebiet begangen hat.
Die Besetzung Dortmunds.
Dortmund, 16. Jan. Heute mittag 1 Uhr
wurde Dortmund auch von Süden her durch
Kavallerte und Panzerwagen besetzt. Ein
weiteres Detachement französischer Kavallerie
ist nach Dortmund abgerückt.
Die Haltung Englands.
London, 16. Jan. Der gestrige Kaviuettörat
beschäftigte sich mit der französischen Ruhr-
besetzung und »ahm die Berichte des Schatz-
sekretärs Baldwin über seine Verhandlungen be-
züglich der Schuldenfrage in Washington zur
Kenntnis. Baldwins Bericht soll sehr günstig lau-
ten. Bezüglich der Nuhrbesetzung wird die englische
Regierung fortfahren, der Aktion Frankreichs gegen-
über wohlwollende Neutralität einzu-
nehmen. Nur für den Fall, daß die Franzosen die
Besetzung weit über den ursprünglichen Plan hin-
aus ausdchnrn sollten, würde die englische Regie-
rung die Lage einer neuen Prüfung unter-
ziehen. In der Sitzung wurde fcstgestcllt, daß ver
deutsche Widerstand so in Erscheinung ge-
treten ist, wie er von englischer Seite bereits auf der
Pariser Konferenz vorausgcsagt wurde. Trotzdem
ist man entschlossen, vorläufig auf SeitenFrank-
reichs zu bleiben.
London, 16. Jan. Die „Times" kritisieren
das französische Vorrücken sehr scharf und sagen,
das ganz'e Wirtschaftssystem Deutschlands
sei durch die Besetzung des Nttbrgebietes stark er-
schüttert. . Die Franzosen hätten das ganze R i -

stko des Friedens übernommen, nicht nur in
Europa, sondern in der ganzen Welt.
Die übrige englische Presse zeigt sichnichtmehr
so wohlwollend Deutschland gegenüber als
zuerst, sondern schickt sich an, Frankreich -ingewis -
ses Recht zu seinem Vorgehen zuzusprechen. Be-
sonders die „Pall Mall Gazette" und der
„Event ngStandard" betonen, daß Frankreich
volles Recht hätte, so zu handeln, wie es bis jetzt
getan hätte.
Mussolini für eine Vereinbarung.
Nom, 16. Jan. Mussolini sprach im Mi-
nisterrat über dis äußere Lage und die Besetzung
des Rnhrreviers. Italien habe Frankreich
empsohlen, den militärischen Charak-
ter der Ruhibesetzung möglichst einzuschrän-
k e n und sich der A nb a h nu n g e tn c s Ab kom -
mens bezüglich des Ruhrgebiets nicht zu wider-
setzen. Mussolini meinte, es würde ein schlimmer
Fehler sein, wenn Deutschland eine Möglichkeit
der Verständigung zurückwtese. Die Zeit bis Ende
Januar erscheine hinreichend, um die Lage zu schlich-
ten. Eine Annäherung Frankreichs an den ttalicni-
schen Plan sei wahrscheinlich.
Die Folgen des Einmarsches.
Im Reichs Wirtschafts rat erklärte Reichs-
wirtschaftsminister Dr. Becker: Wir werden uns
darauf rinstellsn müssen, datz Einschränkungen
in der Zuteilung deutscher Kohle unabweis-
bar sein werden und datz wir unsere Betriebe
schon heute danach ein stellen und unter Um-
ständen abstelleir. Wir werden auch mit einer star -
kcn Teuerung unserer Lebenshaltung für die
nächste Zeit zu rechnen haben. Wir müssen mit Ar -
vettslosiglett, mit Einstellung und Ein-
schränkungen der Betriebe rechnen und uns bereits
versehen.

Kurze Meldungen.
Die Beschlagnahme der Kohle, die Deutschland
auf Reparationskonto schuldet, ist um 24 Stunden
verschoben worden.
Die'englische Arbeiterpartei hat gegen die fran-
zösische Ruhraktion Protest erhoben.
Die Reichsregierung und die preußische Regie-
rung haben infolge der dortigen Teuerung ihre»
Beamten, Arbeitern und Angestellten im Ein-
marschgebiet zur Linderung dcr geschaffenen
Not eine Zulage zu ihren Bezügen, Vergütungen
und Löhnen bewilligt, deren Auszahlung alsbald
erfolgt.
Der französische Kammerausschutz hat die Immu-
nität des Kommunisten Cachin aufgehoben.
Der französische Marschall.Petarn ist im Ruhr-
gebiet eingetroffen.
Der kommunistische Abg. Hagenmcister, der an
den Münchener Revotutionsereignisseu im Frphjahr
1919 besonders miiwirkte, ist während «der Straf-
verbüßung gestorben.
Dcr bekannte Arbeiterführer Albert Thomas, der
Direktor des Internationalen Geworkschastsbundes,
wurde gestern in Washington vom Präsidenten
Harbins enrpfaugcn.
Dcr Reichstag wird nächste Woche mit der Etats-
beratung beginnen. Von der Sozialdemokratie stud
als Redner vorgefeben die Genossen Wels und
Eris Pi en.

Reichstag.
Berlin, 16. Januar.
Die Genehmigung zur Strafverfolgung
der kommunistischen Abgeordneten Höllcin, Remmele,
Köhnen, Frölich und der Sozialdemokraten Moses
und Zubeil wegen der Vorgänge im Sitzungssaal
des Reichstags am Tage der Ermordung Ra-
th e n a u s wird nicht erteilt.
Der Auslieferungsvcrtrag mit der Tschechoslo-
wakei wird in dritter Lesung genehmigt.
Der Gesetzentwurf über die Erklärung der allge-
meinen Verbindlichkeit von Tarifverträgen
wird gleichfalls angenommen, desgleichen die Vor-
lage zur Aeuderung des Weingesetzes, die
nähere Bcstimumngen über den Gebrauch von geo-
graphischen Bezeichnungen für Ge-
tränke bringt.
Es folgt dann die erste Beratung der Vorlage
zur Aeuderung des Gesetzes über Maßnahmen gegen
die wirtschaftliche Not der Presse.
Abg. Fischer-Berlin (Soz.) erklärt, daß bei
dem weiteren Steigen der Papierpreise die Zeit
nicht mehr fern sei, wo es nicht mehr möglich
sein werde, eine Zeitung aufrecht zu er-
halten. In dieser Zeit ist die Presse von allen
Seiten bedroht. Ein W a g g o n P a p t e r, dcr vor
dcm Kriege vielleicht tausend Mark kostete, ist
hcute nicht mehr unter 5,7 Millionen Mark zu haben.
Ter Redner begründet dann einen Antrag Müller-
Franken (Soz.), der einen Gesetzentwurf für die
Beschaffung von Papicrholz für Zei-
ttiugsdruckpapier fordert. Danach sollen zur Versor-
gung der Tagesprcsse mit Maschinenplatten und
holzhaltigem Druckpapier vom l. April an allmonat-
lich 90 009 Raummeter Papiercholz sichergcstellt wer-
den. Die staatliche Holzmengc soll auf Ne Länder
entsprechend den mit 41 bis lOOjäbrigcn Sicvicn und
 
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