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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 61 - Nr. 70 (13. März - 23. März)
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5. Jahrgang

Heidelberg, Mittwoch, den 14. März 1923

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Nr. 62

Ns iit Mm M HM?
(Zum 40. Todestag von Karl Marx.)
Von Eduard Bernste irr.
Das Wirken auch der größten Lehrer der Völker
w dem Einfluß der Zeit unterworfen. Vi:
>°r bahnbrechende Gedanken werden erst völlig der-
standen und boberzigi, wenn sie selbst nicht mehr nn-
den LcLvenden weilen, alle aber wirken zu ver-
schiedenen Zeiten nach Art und Grad verschieden
auf die Völker oder Volkselemente ein, denen ihr
schaffen galt. In dem Matze, als sich die allge-
meine Erkenntnis erweitert und verliest, die Ver-
hältnisse sich ändern und neue Probleme entwickeln,
ändern sich auch die Anforderungen an die Lehrer
Sie wachsen mit der Zeit, die Werke der Verstorbe-
nen aber bleiben, was sie waren. -'
Es ist daher kein Unrecht gegen Marx, wenn wir
'ms hie Frage zu beantworten suchen, was er uns
Neuie, vierzig Jahre nach seinem Tode, als wir-
kender Geist noch ist. Wir handeln damit vielmehr
dumraus in feinem Geiste. Denn nicmand wutzte
besser als er. daß jode Zett, jede Entwicklungsphase
'hre eigenen Prodlwnc erzeugt und hat es grund-
sätzlich abgelehnt, wie er es einmal ironisch ans-
driickt. „Rezepte für «ne Garküche der Zutun st"
bbuisass:,,. Er und sein treuer Arbcitsgenosse
Friedrich Engels haben sich wnderhoit wegwerfend
nach meiner Ansicht sogar übertrieben wegwer-
iend — über die TLeorie der sogenannten ewigen
Wahrheiten ausgesprochen.
Allerdings gibt eS auf dem Gebiet der Sozial-
ivissensa-asten, das für das Wirken von Marr haupt-
sächlich in Betracht kommt, keine vom Wandel der
Zeiicn Unberührbaren Wahrheiten, die mehr besä-
ten als Gemeinpläylichkoiten von der Natur des
Einmaleins und dcrgl. Aber es gilt doch dabei zu
unterscheiden. Sätze, die sich aus die allgemeinen
Bedingungen und Formen der Entwicklung der Ge-
sellschaften beziehen, sind anders zu b-werten, als
v'che. die sich mit Vorgängen und Aufgaben einer
bestimmten, begrenztem Zeitperiode und bestimmten,
chr angehörigen ZoitverhMnissen beziehen. So hat
sich, um ein Beispiel herauszugreisen, das neu«
bingtz vielfach behandelt worden ist, Marx mit grö-
lnic n Verständnis ats die Mehrzahl der fozi-atisti-
ü- n Theoretiker feiner Epoche für die Gewerk-
'' asisbewcgttng interessiert und ihre Notwendigkeit
chtcrkamu. Aber eine auch nur einigermaßen za
läng!icke Würdigung ihrer sozialen Bedeutung
"' s Funktion findet man bei ihm nicht und konnte
" auch nichi liefern, da sie im Ganzen noch viel zu
"neniwiüoil war, um ihm ausreichendes Tätsachen-
'>'.a crml dasiir darzuLietcn. Er kannte die Geiverk-
läursten erst als siampforgane der Arbeiterklasse für
btagcn der Lohnhöhe u. der Arbeitszeit; als Organe
> die Ausbildung des Ardeitcrrechts hatten sie sich
och nichi betätigt, und an ibre Funküon a.s mi:-
^stimmender Faktor in der Regulierung der Pro-
^üklion dachte noch kein Mensch. Daher findet man
<nf viele fragen, welche die Gewerkschaftsbewegung
'enie beschäftigen, bei Marx noch kein Wort. Eben-
awenig vernimmt man bei Marx von den Ausgaben
wd hex Politik der Vertreter der Arbeiter in den
- ^mrindcverlrctuugen und nur erst flüchtige Bc
.lleitungen inbezu-g auf deren Aufgalen und Poiiiil
» den Parlamenten der Staaten und Länder. Auch
äic Konfumgeeossknschaften der Arbeiter in ihrer
äou-igen entwickelten Gestalt und ihre großen Zen-
ikolru waren zur Zeit, wo Marx schrieb, uubckann»,
ll'ttd dainit auch die Steigernngsmöglicheit ihrer so -
naluolitischcn Leistungen, desgleichen die Einrtch-
üengei, der Arbeiterverstcherung, die Arbeitcrsekre-
urtate und die Schöpfungen der Arbeiter für Psle-
und Hebung der Kultur. In der Arbeitcrschutz-
Aesetzcwbung, für deren Förderung Marx durch sein
Spital so Großes getan hat, sind die Mehrzahl
'erner Anregungen verwirklicht, und in der
«roßen Politik siebt die Arbeiterschaft der Haupt-
«nder beute vor Fragen, die Marx so glücklich war
'o<b kaum zu ahnen.
Kurz, die politische und soziale Encwiüivng, die
in den vier Jahrzehnten vollzogen bat, feit
?°orx sgr immer die Feder aus der Hend legte, l at
o viel Aenderu ngcn mit sich gwrachl, daß
rancl>er der mitten im Kampfe stevcndcn Praktiker
rr Bewegung versucht ist anzunchmen, Marx habe
ns überhaupt nichts mehr von Bedeutung zu leh-
ikn' für unsere Zeit paffe. Auch das Wirt-
"»aslssclw,, gewähre ja ein anderes Bild als Marx
vor sich fgh und st lle uns andere Probleme. So
,, obre denn Marx heute als Letzrer und Ratgeber
Zu den großen Toben, aber doch zu den Toten.
Das ist aber eine durchaus irrige Folgerung.
Ham st? Zieht, kennt Marx nur halb und Weitz nur
b, worauf es für nufere Bewegung ankommt.
inbezug aus viele E t.«z e l fr a g r n
ist » ^^demokratischen Praxis heute übervoll
ein ""d soll nicht bestritten werden Es ist das
h^kmfümd, den wir, so sehr uns Einzelnes von
ga ' i^ar geworden ist, enttäuscht, im großen und
lest q? sicherlich nicht zu bedauern haben. Wir sind
w^.' iarx auf vielen Gebieten »es sozialen L.vens
dx» gekommen, und niemand würde sich
'«ohr freuen, als er. Aber mit den Fort-
Suni sich vollzogen haben, ist für die Newe-
dsi große Gefahr verbunden: in der Praxis
sen der Zersplitterung der Jnteres-
g,'. "l geistigem Gebiet die Gefahr der Vcren-
k« der Horizonte.

Um es an einem von mir gelogemlich gebrauch-
ten Bilde zu veranschaulichen: wir sind nicht mehr
auf dein Wege zu dem Gebirgsstock, über von wir
hinauskommen müssen, sondern sinh allmählich in
das von Tälern und Zwischenihöhen durchzogene Ge-
birge selbst Ängedrungen. Da perlten man denn
leicht den Mi« für das große Ganze. Was
wir aus der Ferne für ein solches in seinem großen
Zufaniiinenhauge amfahen, erscheint uns nun als eine
Vielheit von Einzelheiten, und wer in eines der
zwischen den Höhen gelegenen Täler herabgestiegcn
ist, dem ist der Horizont enge geworden, und er ist
in Gefahr, sich vom Ganzen abzntrennen.
Vor dieser Gefahr schützt uns Marx. Sei»
Werk, der Kerngehält seiner Schriften, ist der
Kontrast, der uns den richtigen Weg nicht ver-
lieren läßt. Seine Geschichtsauffassung,
richtiger Geschichtstheorie, die uns die Kräfte und
Tendenzen der Entwicklung der Gesellschaften blotz-
legt, seine Analyse der kapitalistischen Produk-
tionsweise und der auf ihr beruhenden und sie zu-
spitzenden Gesellschaft des großen Verkehrs und der
freien Konkurrenz, seine Feststellung des mit Not-
wendigkeit sich vollziehenden fortgesetzten WachSlumS
der Klaffe der Arbeiter und Angestellten in vieler
Gesellschaft, und seine Darlegung der aus diesem
Wachstum sich im Angesicht jener Zuspitzung crhe-

London, 13. März. Die englischen Kommen-
tare über die französisch-belgischen Besprechun-
gen in B r ü s s e l sind zurückhaltend. Der „Daily
Telegraph" betont in einer Meldung aus Brüs-
sel, daß die erstmalige offizielle Anspielung auf eine
Räum ung des Ruhrgebietes einen wichtigen
Schritt auf dem Weg zur Beilegung des fran-
zösisch-deutschen Disputes bilde. Achnlich änßert sich
der „M a » chcste r Guard i an" und der „Daily
Herald". Wohl die gesamte Presse ninrmt an, daß
die Berliner Regierung und die deutsche Industrie
ke »ne prinzipiellcn Hinderntsse für den
Versuch eines Ausgleichs bieten werden. Besonders
deutlich wird dies in Berlirrer Berichten des
„Daily Telegraph und der „Westminster
Gazette" ausgedrückt. Letztere gibt anscheinend
autorative Informationen aus Berlin wieder.
Umso wichtiger ist es für den englischen Beob-
achter, daß nach englischer Meinung in Brüssel der
extremsten Pariser Richtung ein Dämpfer aufge-
setzt wurde. Anderseits ist hier niemand geneigt, die
Bedeutung dieses ersten Schrittes zu über-
schätzen. Vom englischen Standpunkt -aus ist es
befriedigend, daß nunmehr wenigstens die Ausfüh-
rung bestehender Kontrakte für den englischen
Handel garantiert ist, jedoch wird diese Konzession
nicht als ausreichend angesehen. Pertinax stellt im
„Daily Telegraph" fest, daß die geforderten admini-
strativen Aenderungen im Ruhrgebiet von belgischer
Seite ntchtbewilligt worden sind. Die „West-
minster Gazette" glaubt zu wissen, daß auch belgi-
schersetts keine Zustimmung zu dem Vorschlag der
Schaffung eines rheinischen Staates gegeben wurde.
Eine Unlerhausdebatte.
London, 13. März. Das Unterhaus be-
schäftigte sich beute zum fünften Male in der bis-
herigen Sitzungsperiode mit der R u h rb e s etz u ng.
Im Lause der Debatte -erklärte Unterstaatssekretär
Mac Neill, wenn die Regicxung sich auch des
furchtbaren Ernstes der Lage voll bewußt
sei und anerkenne, daß die Schwierigkeiten bis zu
einem gewissen Grade noch zugenommen hätten, so
sei sie doch ebenso ängstlich wie bisher darauf be-
dacht, die Freundschaft mit Frankreich wenn irgend
möglich aufrecht zu erhalten, und sie wünfche einen
endgültigen Bruch wenn irgend möglich zu vermei-
den. Die Regierung sei jetzt noch in derselben
L age, wie zu der Zeit, als Bonar Law seine letzte
Erklärung abgegeben habe, Simon, Fisher und As-
auith fordern die Regierung dringend auf, das
Rubrproblem dem Völkerbund zu unter-
breiten und betonten, daß die jüngste Entwicklung
den britischen Handel ernstlich behindert habe.
Das Ergebnis von Brüssel.
Paris, 13. März. (Prtv.-Tel. der „Frkf. Zig.")
Die gestern in Brüssel beschlossenen Maßnahmen zu
produktiverer Gestaltung der Besetzung zur Ausbeu-
tung insbesondere der Eisenbahnen und zum Ab-
transport der Kohle beseitigen den letzten Zweifel,
daß man sich darauf einrichtet, in Jahr und Tap
das Ruhrgebiet nicht zu verlassen. Un-
ter diesen Umständen kann die vorsichtige Haltung
des Brüsseler Kommuniqu-es nur als ein takti-
sches Manöver angesehen werden, dessen Wir-

benden geschichtliche« Aufgaben der Arbeiterklasse
und der Unerlässlichkeit für die Erfüllung dieser
Aufgaben gebotenen Zusammenschlusses der Arbeiter
und ihnen sozial Gleichgestellten zur polnischen Par-
tei — das alles ist nicht überlebt, sondern hat, cb-
wvhl Einzelheiten auch hier Berichtigung vertragen,
noch seine volle Bedeutung und überzeugende Be-
weiskraft. Ms Meister in der Darlegung ker gro-
ßen sozialen Zusammenhänge und der Notwendig-
keit des Zusammenhalts der Klasse iß Marr gerade
wegen der SPezia-ltsternngen der praktischen Bewe-
gung heute lebendiger als je, weil er unentbehr-
licher als je ist.
Und noch aus einem Grunde ist er uns ein Leh-
rer, den wir nicht entbehren könnm. Heute laufen
allerhand Schlagworte ans seinen Schriften und
werden ans Mitteln der Erhellung der Köpfe durch
simpliMch-dogmatische Auslegung zu Mitteln der
Erörterung des Denkens, der Verkleisterung dcr Ge-
hirne. Nur indem wir die Arbeiter anhalten,
Marx's Schriften selbst zu lesen, jKützen wir sie
nach Möglichkeit gegen diese Gefahr, die größte einer
Massenbewegung. Niemand hat dies klarer erkannt
als Marx, und zn den Haupttämvfen seines an
Kämpfen so reichen Lebens gehör! lein unab'äisiger
Kamps gegen das Denken in fossilen Begriffen.

knng einerseits auf England, die Vereinigten Staa-
ten und die Neutralen berechnet ist, anderseits ge-
wisse Widerstände der öffentlichen Meinung in-Bel-
gien zum Schweigen bringen soll.
In der Kohlenfrage scheint man dem „Echo
de Paris" zu einer neuen Taktik übergehen zu wol-
len. Man will zunächst an die Ausbeutung derjeni-
gen Gruben Herangehen, deren Aktienbesitz sich
zum großen Teil in französischen, belgischen oder
luxemburgischen Händen befindet. Zu gleicher Zeit
soll nach einem Plan des Marschall Foch die Ein-
heitsfront des Widerstandes der deutschen Industrie
durch individuelle Verhandlungen und durch Ge-
währung besonderer Vergünstigungen an di« „Gut-
willigen" unterhöhlt werden. In Sachen der
Eisenbahnen dagegen scheint es mich gestern
wieder zukeinerEintgung gekommen zu sein;
insbesondere für die Fragen der Finanzierung des
Betriebs, der Tarisgestaltung und der Rekrutierung
des Personals scheint man gestern keine Lösung ge-
funden zu Haven. Schließlich ist auch die von fran-
zösischer Seite gewünschte Schaffung eines ein-
heitlichen Oberbefehls auch gestern wieder
auf unüberwindlichen belgischen Widerstand gestoßen.
Paris, 13. März. Im amtlichen Kommunique
der Brüsseler Konferenz werden außer den bereits
bekanntgegebenen Feststellungen bezüglich der Forde-
rung sicherer Garantien noch weitere Programm-
punkte mitgeteilt, die progressiv erledigt'werden sol-
len. Weiterhin wurden geregelt die Fragen bezüg-
lich des Fnnktionierens der franco-belgischen Eisen-
bahnregie und die Frage der Ausfuhrlizenzen.
Außerdem kam eine Einigung zustande über die
Unterdrückungsmatznahmen und Sanktionen für den
Fall neuer Attentate gegen die Besatzungstruppen.
Pariser Gerüchte.
Paris, 13. März. Der Berliner Berichterstatter
des „Journal" berichtet über angebliche Ge-
gensätze im deutschen Kabinett. Dr.
Hermes, so schreibt er, ist mit dem Kabinett
Euno über die Art des Vorgehens in der Repa-
rattonsfrage gegenüber Frankrrich ntchteinig und
Euno selber befindet sich im Gegensatz zu dem Ge-
sichtspunkt des Ministers des Aeußcren von Ro-
senberg u. des Wirtschaflsministers Dr. Becker,
dessen Jusqu'au-Bouiismus diejenigen Kreise stark
beunruhige, die wissen, wie die wahre Lage des
deutschen Reiches ist. Infolgedessen spricht man in
hiesigen Kreisen von einer Umbildung des Kabinetts,
v. Rosenberg und Dr. Becker sollen ersetzt werden
durch Str es« mann und einen Sozialisten na-
mens Thesing.
Welche Bedeutung dieser Meldung zukomm!, geht
daraus hervor, daß dieser „Sozialist" Thesing eine
in der sozialdemokvcttischen Partei völlig unbekannte
Größe ist.
Paris, 14. März. Poincar« ist von Brüssel
wieder in Paris eingetrossen. Die Blätter betonen,
daß etwaige deutsche Vorschläge durch ernsthafte
Pfänder garantiert werden müßten, wenn sie die
staffel Welse Räumung des Ruhrgebiets -herbel-
flihren sollen.

Der Genevalrat der Belgischen Sozialdemokrati-
schen Partei Hai den Beschluß gefaßt, eine Kom-
mission von 8 Mtigttedcrn ins Rubrrevier
zu entsende», nm die dortige Lage zu unwrfuchen.

Ein lkMn UM zu BM.
Der deutscheGeschSftSträgerinPart»
ist angewiesen worden, der französischen Regierung
folgende Notezu überreichen:
Der kommandierende General des 32,
französischen Armeekommandos hat wegen der Tö-
tung von zwei französischen Milttärper-
sonen in Buer den Oberbürgermeister
als Geisel festnehmen lassen und dem Magistrat
amtlich bekanntgegeben, daß der Oberbürgermeister
ohne Urteil erschossen werden würde, saLS
weitere Gewaltakte an Franzosen vorkämen.
Er hat außerdem gegen die Stadtbcvölkerung
selbst die schärfsten Repressalie» ungeordnet, denen
bereits eine Reitze von Einwohnern zum Opfer
gefallen ist. Obwohl im Augenblick die amtlichen
Berichte über die Einzelheiten noch ausstchen,
kann schon jetzt festgcstcllt werden, daß mehrere
Personen erschossen oder verwundet wordenFnd, und
zwar solche, die von auswärts in die Stadt ka-
men und die Anordnungen des Generals nicht
kannte n.
Nach den Meldungen örtlicher deutscher Behörden
ist trotz ihrer Bemühungen die Tötung der beiden
französischen Militiirperfoncn bis zur Stuiwe noch
ntchi aufgeklärt. Es steht keineswegs fest,
daß Deutsche an der Tat überhaupt beteiligt
find, ebensowenig liegen Anhaltspunkte dafür vor,
daß den staatlichen oder städtischen Organen ein
Verschulden zur Last fiele.
Hiernach schon ist die Anordnung von Repres-
salien gegen die Bevölkerung als ein Akt grober
Willkür anzusehen. So stellt sich der französische Ge-
neral durch die Art, wie er diese Repressalien ohne
Rücksicht auf das Leben schuldloser Einwohner
durchführen läßt, außerhalb aller Schranken von
Recht und Gesetz.
Die Bevölkerung des Ruhrgebiets hat ge-
genüber der Besntzungsarn.ee bisher eine beispiellose
Selbstbeherrschung bewiesen. Sie hm trotz
wachsender Erbitterung über die zahlreiche« ungr-
sühuien Bluttaten französischer Soldaten, über die
fortgesetzten Mißhandlungen auf der Straße und
über die Vergewaltigung ganzer Städte die Ruhe
bewahrt und ihrerseits alles getan, um ernstere Zu-
sammenstöße zu vermeiden. Das ist umso bewun-
dernswerter, als die Verwaltung des Gebietes durch
seine Abschnürung r>v> ' übrigen Deutschland, sowie
durch dir Entführung der meisten leitenden Beamte,^
führerlos gemacht und die Unsicherheit durch Besei-
tigung der Schutzpolizei verschärft worde» ist.
Maßnahmen, wie sie jetzt von dem französischen
General entweder durchgeführt oder angedroht wer-
den, sind jedoch angetan, die Bevölkerung zur Ver-
zweiflung zu treiben und unabsehbares Unheil
herauszuöeschwören. Wenn der französischen Regie-
rung noch daran liegt, dieses Unglück zu verhüten,
so ist es ihre Pflicht, dem Vorgehen der mitirärtschen
Befehlshaber Einhalt zu gebieten.
Die Verantwortung für die Folgen fällt
sonst Mein aus sie, nicht aus die deuttche Regie-
rung, «och auf di« deutschen Behörden, noch auf die
deutsche Bevölkerung.
Buer, 13. März. Am Sonntag mittag wurden
der Kriminalbeamte Bnrchhoss aus Buer-Erle
und der Elektromonteur Wittershagen von den
Franzosen verhaftet. Bnrchhoss wurde aus Grund
einer Denunziation eines Großpolcn, der dem Be-
amten Rache geschworen hatte, von den Franzosen
sestgenommen. Er nannte als Alibizeugen den
Monteur Wittershagen, mit dem er zur Zeit der
Mordiar zusammcugewesen war. Beide wurden in
der Nacht im französischen Arresttokal schwermtsi-
tz andell. Es schein«, daß Burchhosf sich gegen
dies« unmenschliche Behandlung gewehrt vat. Gegen
9 Uhr abends führten die Franzosen ibn aus den
Platz hinter dem Rathaus. Die Bewohner der
umliegenden Häuser waren vorher aufgesordert wor-
den, die Fenster zu schließen. Auch war verboten,
Licht zu machen. Zwet Osstziere und zwei Soldaten!
schleppten Burchhosf unter fortwährenden Kotbeiv
flößen und Peitschen hieben aus den sreicll
Platz. Die Bewohner der Häuser hörten die lautest
Schretedes Bedauernswerten. Gleich
daraus fielen zwei Schüsse, dann wurde es still, und
die Franzosen entfernten sich hastig. Die Leiche weiss
grausige Verletzungen aus. Der Schädel ist durch
Kolbenschläge vollständig zertrümmerst
Eine Schubverletzung finde, sich in dcr Brust, eint
zweite vor der Stirn. Der Monteur Witters-
hagen wurde kurz nach diesem Vorfall auf de»
Lyzeumshof geschleppt und dori erschossen. Di<
Kugel durchschlug den Schädel, der vollständig zett
rissen Ist. Der Schutz mutz aus nächster Nähe abge«

England über die Brüsseler
Konferenz.
 
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