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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (5) — 1923 (Januar - April)

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Nr. 91 - Nr. 100 (19. April - 30. April)
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Heidelberg, Montag, den 23. April 1923

8. Jahrgang

Nr. 94

M 8 »7».^
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genNachlab n.Tarif. cSeheimmutel. d U UM MM WM MW berg. Geschäftsstelle: Schrödcrsrr.R.
an,eigen finden keine Ausnahme. V Tel.: ErpeditionMLu.Redak.zS7z.
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Lösungsversuche.
Englische VermiLtlungSbeVeiLschafr. — Was tut
Deutschland?

«- Heid elbera, 23. April.
Wie wir bereits am Samstag seftstellen konnten,
ist die Rede des englischen Aussenministers Lord
Curzon ein Ereignis von größter Bedeutung.
8>n Gegensatz zur bisherigen Zurückhaltung Groß-
vritanniens scheint England nun den Zeitpunkt für
gekommen zu halten, nach beiden Seiten hin als
ehrlicher Makler tätig zu sein. Für Deutschland
wird bet dieser Sachlage sehr viel davon abhängeu,
r>b es die deutsche Regierung endlich versteht, aus
der Weltsituation sowohl hinsichtlich der Reparatio-
nen wie der Friedenssicherungen die Konsequenzen
zu ziehen. Aufgabe dar deutschen Reichsregieruug
mutz es sein, unter Ablehnung solcher Forderungen,
die ein „Zerreißen des Reiches anbahnen sollen, den
Weg zum Frieden zu finden. So freudig die Ar-
beiterschaft und das gairze deutsche Volk bisher die
schwersten Opfer auf dem Altar des Vaterlandes
brachte und auch weiterhin bringen wird, sofern Ver-
utchlungswille sie dazu zwingt, so sehr mutz verlangt
werden, datz nichts ungeschehen bleibt, um zu einer
Acra der Ruhe und des Friedens zu kommen. Ein
der Forderung dor Stunde angepatztes deutsches
Angebot zu machen, ist daher die Pflicht der
Reichsregierung. In dieser Forderung nach Akti-
vität der Reichsregierung begegnen sich alle halb-
wegs verständigen Stimmen in Deutschland. Wir
wollen daher hoffen, datz die Reichsregierung end-
lich die Konsequenzen hieraus zieht und eine der
Zeit angemessene Politische Wirksamkeit entfaltet.
AllerortS zeigt sich in Deutschland ein reges Echo
der Curzonschen Rede. So erklärt die „F rankf.
Z I g.": In der trüben Zett, die wir durchleben, ist
die große Rede des britischen Staatssekretärs für das
Auswärt'ge ein erster schwacher Strahl der Hoff-
nung. Bei einem Diplomaten von Curzons Erfah-
rungen mutz man annehmen, datz er ein solches Un-
tcrnehnren nicht einlettet, ohne des Erfolges im ersten
Anfang sicher zu sein, daß er also auch bei Frankreich
Verhandlungsbereitschaft annehmen zu können
glaubt. Wenn die ganz schlauen Leute in der rechts-
stehenden Presse bereits tiefsinnige Warnungen ans-
stotzen. weil England als Agent Frankreichs Deutsch-
land offenbar in die Falle locken wolle, so braucht
man mit der bekannten Weisheit dieser Herrschaften
keine Zeit zu verlieren: Deutschland hat drei Monate
lang offiziell und inoffiziell in dar Presse und durch
parlamentarische Besuche die Engländer gebeten,
irgend etwas zu tun, und es wird, wenn sie endlich
etwas tun wollen, fetzt nicht den Stolzen markieren.
Die »Voss. Zig." schreibt: Nachdem der eng-
lische Außenminister vor aller Welt den Erfolg des
deutschen Widerstandes bezeugt hat, nachdem neuer-
dings wieder die deutsche Arbeiterschaft zu crkeniren
gegeben bat, daß sie den-Widorstand gegen das fran-
zösische Beginnen forlsetzl, ist eine Situation ge-
schaffen, die es ermöglicht, offen von der Notwendig-
keit eines deutschen Angebotes zu sprechen. Niemand
kamt es mehr wagen, aus dem Verlangen nach real-
politischen Erwägungen auf Seilen der Regierung
Von einem „Dolchstoß" zu sprechen.
Der für die Politik des Kabinetts Cuno stark be-
deutungsvolle Abg. Dr. Stresemann betonte in
einer Versammlung der Deutschen Liberalen Volks-
Partei: Die Rede Lord Curzons schafft eine neue Po-
litische Sachlage, die auch von der deutschen Regie-
rung entsprechend bewertet worden wird. Was Lord
Curzon ausführte über die Regelung der Rcpara-
ktonsfrage, bildet jedenfalls eine geeignete Grund-
lage für die Wetterführung der Diskussion.. Dagegen
gibt es für uns über ein Aufsehen des deutschen
Rhelirlandes keine Verständigung. Es gibt für uns
keine Nheinlandfrage. Das Rheinland ist deutsches
Land und soweit es innerhalb Deutschlands eine
andere Stellung als bisher erreichen will, gibt ihm
die Verfassung dazu das Recht. Will Lord Curzon
der ehrliche Agent zwischen Deutschland und Frank-
reich sein, dann muß er bet' seiner Stellungnahme
von der Tatsache ausgehen, datz die deutsche Souve-
ränität über das Rheinland, di« von feder Keulchen
Regierung und feder deutschen Partei als felbstver-
üändlich erachtete Voraussetzung feder Auseinander-
letzung über sine endgültige Regelung des Frie-
dens ist.
Die Rede Curzons.
London, 21. APM. In seiner gestrigen Ober-
dausrede führte Lord Curzon, der Staatssekretär
des-Auswärtigen, u. a. weiter aus:
Die leitende Erwägung der britischen Regierung
wi die ganze Zeit gewesen, datz die En < ente zwi-
schen Frankreich und Großbritannien und seinen
Rerbündeten nicht gebrochen werde. Die Re-
Veriing sei der tiefen lieberzeugung, datz die Entente

Hi« Grundlage der europäischen'Wiederherstel-
lung und des europäischen Friedens sei. Wenn sie
zusammenbreche, so gebe es keine Grenze für
das Chaos, das daraus entstehen winde. Es besteh«
kein Zweifel, daß
Deutschland eine Widerstandsfähigkeit
gezeigt habe, die seine Gegner und seine Freunde
überrasche. Die Ergebnisse der französisch-belgischen
Besetzung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt seien
zwar ernst, sie seien aber weniger u n m tttel -
bavverhängnisvoll gewesen, als von vielen
Leuten erwartet worden sei. Deutschland habe die
hartnäckige Bereitschaft gezeigt, Verluste und Ent-
behrungen zu erleiden. Die Lage sei zweifellos sehr
schwierig für Deutschland gewesen. Es sei ein ern-
ster Mangel an Vorräten von Rohstosfen eingetreten.
Es habe eine grobe Steigerung der Produktions-
kosten und eins Lähmung der Ausfuhr stattgefunden.
Dazu feien besonders die verblüffenden Schwankun-
gen in dem Wechselkurs der Mark gekommen und
obgleich die deutsche Regierung eitle anscheinend er-
folgreiche Anstrengung zu ihrer Stabilisierung unter-
nommen habe, sei ein weiteres verhängnisvolles
Fallen erfolgt. Wenn rnan die Lage nun vgm si narr
ziellen Standpunkt aus betrachte, so schein« sie
Höch st besorgniserregend zu sein. Trotzdem
sei während dieses Zeitraums das Aeutzerste, was
die deutsch« Regierung bisher bereit gewesen sei zu
tun, gewesen, das; sie die Vorschläge wieder-
holt habe, die von dem amerikanischen Staatssekre-
tär Ende des vorigen Jahres gemacht worden seien,
daß nämlich di« Frage der Zahlungsfähigkeit
Deutschlands an einen i n l e r n a ti o n a l e n A u s-
schuß von Geschäftsleuten und Sachverständigen
verwiesen werden solle, Curzon sagte, er sehe jedoch,
daß dieser Vorschlag, obgleich er versuchsweise von
der deutschen Regierung wieder vorgebracht wurde.
Von den Vereinigien Staaten nichtwicderauf-
genommen und von Parts sofort abgelehnt
worden sei. Deutschland habe auch vorgeschlagen,
für die künftige Sicherheit Frankreichs Vorkehrungen
zu treffen, indem Großbritannien, Frankreich, Jta-
lieir, Deutschland und Amerika, falls letzteres dazu
bereit sei, sich verpflichten sollten, während eines
Zeitraumes von 30 Jahren keinen Krieg zu
führen. Ob dieser Vorschlag nun genügende Vor-
teile habe, um seine Erörterung zu rechtfertigen oder
nicht, er biete keine unmittelbare Erleich-
terung für die augenblickliche Lage. Wir stich
Willens, zu einer Passenden Zeit in der Zukunft
Pläne oder Vorschläge zu erörtern. Dies kann aber
nicht durchgeführt werden auf Kosten einer Zerstücke-
lung Deutschlands oder dadurch, daß man eine neue
Wunde im Herzen Europas aufreißt.- Wenn Ga-
rantien gegeben werden sollen, so sollen es vor-
zugsweise Garantieen fein, die ihrer Natur nach
gegenseitig sind. Der Staatssekretär erklärte
dann, seine Information über die Ergebnisse der
Reichstagsdebatte in der letzten Woche ginge dahin,
datz die allgemeine Stimmung durchaus die Negie-
rungspolitik billige, die bisher in der Rnhrfrage
verfolgt worden sei und datz vollständige Einigkeit
zugunsten der Fortsetzung des p a s s > v en W id er -
ständes bestehe, ebenso, datz mau einig darüber
sei, datz die deutsche Regierung nach wie vorbereit
sein solle, ein Angebot auf der Grundlage der an-
scheinend der französischen Regierung voriges Jahr
unterbreiteten- aber niemals formell den Verbüiv-
deten mitgeteilten Planes zu machen, der die Aus-
gabe einer Reihe internationaler Anlei-
hen durch eine internationale Bankengruppe vor-
sah, unter gewissen Bedingungen bezüglich der Han-
delsgleichheit und der Zurückziehung der Besatzungs-
heere. Dies sei das Wesentliche der Vorschläge, die
bisher von der deutschen Regierung ausgegaugen
seien. Dies« sei klugerweise von der unmöglichen
Bedingung z urückgetreten, die sie angeb-
lich früher aufgestellt habe, datz die Räumung des
Ruhrgebietes den Verhandlungen vorausgehen
müsse. Aber wenn davon die Rede sei, datz das
Rheinland in Zukunft einem besonderen Re-
gime unterworfen werden solle, so erfolge leiden-
schaftliche Ablehnung, einen solchen Vor-
schlag auch nur zu erwägen, der mit der Souveräni-
tät Deutschlands unvereinbar sein würde oder
in territorialer oder politischer Beziehung diese Ge-
biete unter eine Kontrolle stellen würde. Zn dem
Vorschlag Buckmasters, datz die gesamte Frage dein
Völkerbund überwiesen werden solle, erklärte
Curzon, es sei mehr als wahrscheinlich, daß sie eine
Last für den Völkerbund bedeuten müsse, di« er zu
tragen nichtimstande sei. Es würde bedeuten,
die Lösung der Frage einer Körperschaft zu über-
weisen, in der bisher Deutschland und die Vereinig-
ten Staaten nicht vertreten feien, und von der
daher gesagt werden könne, datz sie einen partei-
ischen Charakter habe und was noch ernster sei, es
könnte bedeuten, daß Frankreich sich aus dem Völ-
kerbund zurückzögc, was die schließliche Auflösung
des Bundes selbst zur Folge haben könnte. Curzon
schloß: Ich glaube, wenn Deutschland irgendein A n -

gebot machen würde, welches von seiner Bereit-
schaft und seiner Absicht zeugt, sich Zahlerk und
Summen von ordnungsmäßig damit beauftragten
Autoritäten festsetzen zu lassen und gleichzeitig be-
sondere Garantie^ für fortlaufende Vollziehung der
Zahlungen abgeben würde, ein Fortschritt er-
reicht sein würde. Es liegt im allgemeinen Interesse,
daß solcher Schritt unternommen wird. Es mutz
dazu früher oder später kommen. Meiner Ansicht
nach ist es umso »besser, je früher er erfolgt. Dies
ist im wesentlichen der Ratschlag, den ich der deut-
schen Regierung nachdrücklich gegeben habe. Sobald
ein Schritt unternommen werde, werde England
seins Hilfe beiden Parteien gewähren.
Eine Rede Greys.
London, 22. April. Im Anschluß an Lord
Curzon erklärt« Lord Grey im Oberhaus u. a.:
Er glaube nicht, datz die Franzos«» je das deutsch«
Gebiet verlassen würden, bevor sie nicht allein Re-
gelung der Reparationsfrage, sondern auch Sicher-
heiten für die Zukunft hätten. Dies sei sehr natür-
lich und Wohl zu verstehen. Frankreich fühl« sich für
die Zukunft, wenn auch nicht für die Gegenwart, be-
unruhigt. Die Hilflosigkeit Deutschlands sei wahr
für den gegenwärtigen Augenblick, aber bei einem
Volk, das so tüchtig sei wie das deutsche, sei die
Frage der Sicherheit im Verlaufe von 10 bis 20
Jahrelk eine sehr Male für Frankreich. Die Ruhr-
politik Frankreichs gebe keine Sicherheit für di«
Zukunft. Sie sei vielmehr eine Saat für die Re-
vanche. Dies« Politik werde Deutschland späterhin
zu einer Vereinbarung mit Rußlaich treiben. Dies
inache in Wirklichkeit die Zukunft unsicher. Eine
wirkliche Sicherheit für die Zukunft besteht nur dann,
wenn Deutschland Mitglied des Völkerbundes wird,
nach einer klaren Vereinbarung mit Frankreich. Eine
beruhigende Lage für die Zukunft wird nur dann
geschaffen, wenn der Völkerbund eine starke Wirk-
lichkeit wird.
Das Echo.
London, 22. April. Die „Times" betonen,
datz Lord Curzon in seiner Rede «in „überaus gro-
ßes Verständnis für die Stellung Deutschlands und
Frankreichs bewiesen und darauf hingcwtesen habe,
Verhandlungen in Berlin zu fördern." — „Daily
Chroniclc" bezeichnet die Rede des Außenmini-
sters als eil« an Deutschland und Frankreich gerich-
tetes Verhandlungsangebot. Den Franzosen erklärte
der Außenminister: Wollt ihr nicht noch einmal die
keineswegs unabänderlichen Pläne Bonar Laws in
Erwägung ziehen, nachdem ihr den wirtschaft-
lichen Mißerfolg eures Vorgehens eingesehen
habt? An Deutschland richtet er die Aufforderung,
sich dessen bewußt zu werdetl, daß England unter
keinen Umständen die Entente preisgeben werde, so
datz es von Deutschlands Standpunkt aus unrich-
tig sei, auf eine dauernde Uneinigkeit der Alliierten
zu spekulieren, um mit der Vorlage eines neuen An-
gebotes zu warten.
Paris, 22. April. Zur Rede Lord Curzons
schreibt Perti nax im „Echo de Paris", die Ab-
sichten seien ausgezeichnet, aber in vielen Punkten
lege er sich keine Rechenschaft darüber ab, daß Frank-
reich Beschlüsse gefaßt bat, die es nicht fallen lassen
könne. Von einer Feststellung der Leistungsfähigkeit
Deutschlands durch eine internationale Kommission
könne keine Rede sein. — Hervä bezeichnet die
Rede des englischen Ministers in einem Leitartikel
des „Victoire" als eine wahre Dusche für Frank-
reich.
Die Haltung der Reichsregierung.
Berlin, 22. April. Wie das Wolffsche Bureau
meldet, betrachtet die Reichsregierung die Rede Lord
Curzons als eine wichtige politische Tatsache, die die
bisherige Situation nicht unwesentlich beeinflussen
könnte. Die Retchsregierung ist in Erwägungen
darüber eingetreten, welche Folgerungen sich hieraus
ergeben.
Frankfurt a. M., 21. April. Im Klub für
Handel und Industrie sprach gestern abend Reichs-
wirtschaftsminister Dr. Becker über den Ruhrabweür-
kampf. Dabei führte der Minister u. a. aus: lieber
den Ausgang des Kampfes lasse sich schwer vrophe-
zeihen. Solange die Front an der Ruhr steht wie
bisher, geben wir mit den besten Aussichten weiter.
Die kommunistischen Unruhen geben keinen Anlaß
zu Befürchtungen, da die Mehrheit de» deutschen
Arbeiter über genügend Vernunft verfügt, und sich
nicht durch kommunistische Schlagworte einfangen
läßt. Die Stabilität der Mark werden wir auch
Weiterhin aufrechterbalten. Der Kampf darf nicht
mit einem Diktat enden. Wir sind bereit, alle Wege
zu gehen, um den Nuhreinbruch abzubauen.
Englische Mahnungen.
Berltn, 22. April. Nach der „Evening News"
hat die englische Regierung abermals durch den
deutschen Botschafter in London sowohl wie durch
den englischen Botschafter in Berlin der deutschen
Regierung dringend den Rat erteilen las-
sen, daß sie sich zur Erfüllung der Reparationen
bereit erklären soll, wobei sie jedoch die Versiche-
rung unbedingt auch durch Garantien decken
müsse

Berlin, 22. April. Die „Deutsche Allgemeine
Zeitung" berichtet: Man glaubt in unterrichteten
englischen Kreisen, datz Lord Curzon den Zeit-
punkt für seine Rede mit Rücksicht auf gewisse diplo-
matische Schritts wählt« und als deren Ergebnis
ein neues deutsches Angebot an die Alliierten erwar-
tet wird.
Beginnende Einsicht.
Dis außenpolitische Debatte im Reichstag scheint
einige Früchte zu zeigen. In der „Kölnischen
Zeitung" (Nr. 271) befindet sich ein bemer-
kenswerter Artikel zum Abschluß der Debatte im
Reichstag. In ihm heißt cs u. a.:
„Der Abg. Dr. Breit scheid hat in einer
sehr maßvollen, den nationalen Belangen gerecht
werdenden Rede diese Forderung klipp und klar
aufgestellt. Die Regierung wird nicht umhin
können, trotz mancher Bedenken materieller und
psychologischer Art zu dieser Forderung nach ob-
jektiver und vorurteilsloser Prüfung Stellung
zu nehmen. Wir wollen unsererseits offen geste-
hen, daß die Frage des Angebots nach der
Reichstagsausfprache, vor allem nach den Reden
der beiden sozialdemokratischen Führer, ein ganz
anderes Gesicht bekommen hat. Vorher hätte man
ein deutsches Angebot im Ausland« zweifellos
als ein Ermatten des Passiven Widerstandes im
Ruhrgebiet auskgen können. Einer solchen Deu-
tung hat aber gerade die Sozialdemokratie mit
der allergrößten Schärfe und Deutlichkeit wider-
sprochen, sie hat sich im Gegenteil stark gemacht,
bet einer ablehnenden Haltung Frankreichs gegen-
über einem deutschen Angebot den Widerstand im
Ruhrgebiet bis auf das Aeutzersimögliche zu
steigern."
Ebenso entschieden, wie sich das volksparteiliche
Blatt jetzt der Forderung nach einein amtlichen An-
gebot anschltetzt, wendet ?s sich gegen die
Deutsch nationalen, deren Sprecher, Dr.
Helfserich, nur Gründe dagegen vorgebracht hatte,
die „mehr aus dem Reiche der Gefühle, als aus
rcalpolitischcn Erwägungen entsprungen sind". —
Bei aller Würdigung dieser Gefühle werden wir uns
immer die Prüfung der Frage vorlegen müssen, in-
wieweit ein besiegtes und verarmtes Volk sich den
Luxus der Rücksichtnahme auf Gefühle leisten kann,
falls nicht die nationale Ehre und Würde in Frage
kourmt."
Die sozialdemokratische Forderung nach aktivem
Vorgehen der Regierung hat damit eine Unter-
stützung erfahren, die uns gleich wertvoll dünkt,
Wie die Bestätigung der Richtigkeit, die damit di«
Haltung der Sozaldcmokraten erhalten Hat.
Ruhr.
Essen, 21. April. (Eig. Bericht.) Nebcrall
treten die Gewerkschaften zusammen, um neue
Lohnforderungen zu stellen. In der Pa-
pierindustrie sind 50 Prozent gefordert worden. Tie
Verhandlungen sind aber gescheitert. Im Bart-
gewerbe stehen die Verhandlungen vor ihrem Ab-
chlutz. Die Metallarbeiter haben Forderungen
nicht eingercicht, sondern nur um Verhandlungen
nachgesucht und die Höhe der Forderungen als frei-
bleibend erklärt. Dasselbe gilt für das Transport-
gewerbe. Für die chemische Industrie sind Verhand-
lungen nicht zugesagt, obwohl Forderungen eingc-
reicht wurden. Im Klcmpnergewerde werden 500
Mk. StundenlohnerHöhung gefordert. Im Interesse
des Abwchrkampfes sollte von den Regierungsstellen
alles getan werden, um die Lohnvervandluugen zum
Abschluß zu bringen. Ueberall ziehen die Preise an.
Die Gewerkschaften können sich dem Ansturm ihrer
Mitglieder kaum erwehren.
Offenburg.
Offenbar g, 21. April. Wenn auch Ortenverg
wieder geräumt ist, so habe» die Franzosen doch
einen Befehl erlassen, in denr mitgeteilt wird, datz
folgende Orte, obwohl sie nicht mit Truppen belegt
werden, zum besetzten Gebiet gehören: Alberiweiler,
Ortenberg, Ebersweier, Rammersweier, Kehl,
Weiersbach, Frcsscnbach, Orloffen und Petterweil.

Reichstag.
Berlin, 21. April. Die Sonnabend-Sitzung
des Reichstages dauerte nur 10 Minuten,^ dann
wurde sie wegen Beschlußunfähtgkeit d«S Hauses
vertagt.
So kurz die Sitzung war, so groß ist die Bloß-
stellung der bürgerlichen Fraktionen. Aus der Ta-
gesordnung stand die zweite Beratung des von der
bürgerlichen Arbcitsgcnrcinschast eingcbrachten An-
trags auf Einführung eines Paragraphen zum
Schutze vou Versammlungen in das
Strafgesetzbuch. Diese Forderung war für die bür-
gerlichen Parteien eine groß e A k tion. Sie ver-
langte» die Aufnahme eines entsprechenden Para-
graphen sofort nach der Ermordung Nathenaus in
das Gesetz zum Schutze der Republik. Als die So-
zialdemokraiie, die die schweren Gefahren eines
solchen Paragraphen angesichts der noch iminer be-
stechenden Klassenjustiz erkannte, dagegen Einspruch
erhob, brachten sie nach der Verabschiedung des
Schutzgesetzes einen neuen Antrag ein. Als abcr
heute der Antrag auf der Tagesordnung stand, zeigte
sich, daß die große Mehrheit der bürgerlichen
 
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