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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/​1914

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Die Werkstatt der Uunst.

Xiltz Heft s.


scher Kunst eingesetzt habe. In das Jahr syos fällt dann
die hochinteressante historische Ausstellung in der Berliner
Nationalgalerie, die eine reiche Sammlung von Gemälden
älterer deutscher Maler des ld- Jahrhunderts aus allen
deutschen Kunststädten vorführte. Diese Ausstellung brachte
allen, nicht zum geringsten den allzu modernen Kunst-
gelehrten, eine außerordentliche Ueberraschung. Die kurz
vorher verbreitete Behauptung, die ältere deutsche Kunst
sei gegenüber der französischen Kunst so minderwertig, daß
sie überhaupt keine Beachtung verdiene, hat sich als gänz-
lich falsch erwiesen, wenn aus Gründen der geschichtlichen
Entwicklung es diese Maler in der eigentlichen Technik
des Malens, die in Deutschland verloren gegangen war,
noch nicht aus die volle Höhe gebracht hatten, so waren
es doch echte Künstlernaturen, echte Künstlerseelen, die
genau ahnten, daß es sich in der Kunst darum handelt,
auf den Beschauer des Kunstwerkes einen möglichst starken,
möglichst seelischen Eindruck irgeudwelcher Art hervorzu-
bringen, daß also der deutsche Maler sowohl wie der deutsche
Laie von der Malerei geradeso wie von der Musik und
der Dichtkunst neben dem Können und über dem Können
ein Stückchen Seele verlangt, die einer anderen Seele
etwas zu sagen hat.
Das Wort von dem seelischen Gehalt des Kunstwerkes
hat in der Geschichte der deutschen Kunst böse Mißver-
ständnisse zur Folge gehabt, und solche Mißverständnisse
herrschen leider auch heute noch, nur in umgekehrtem Sinne.
Der Fehler der früheren deutschen Kunst, zu Beginn des
^9. Jahrhunderts, war der Hauptsache nach der, daß die
Künstler glaubten, durch eine gewisse, nach bestimmten Ge-
setzen der Komposition aufgebauten Schilderung bedeut-
samer Vorgänge oder Naturbilder ein Gesühl im Beschauer
zu erzeugen, das ihn aus dem Alltag zum Erhabenen führe;
in der Hauptsache komme es nicht so sehr darauf an, ob
dieses Bildwerk in der Form oder Farbe mit bedeutenderem
oder geringerem Geschick ausgeführt sei, sondern auf den
Inhalt, auf die Anmut der Köpfe, auf den Ausdruck der
Augen, auf die Geste, die eine Handlung andeutet; wie
das gestaltet sei, das sei das wesentliche. Das war natür-
lich ein großer Irrtum. Heute erklären unsere Kunst-
gelehrten und Museumsdirektoren für die Beurteilung eines
Bildes nur seine «Dualität maßgebend. Sie sagen: maß-
gebend ist nicht der Gegenstand, nicht irgendeine Emp-
findung, die im Bilde ausgedrückt wird und auf den Be-
schauer wirkt, sondern maßgebend ist nur das Malenkönnen
und sonst nichts. Das allein bestimmt den wert. Das
ist natürlich ebenso falsch und vielleicht in seiner Falsch-
heit unserer Kunstkultur gegenüber noch gefährlicher, denn
darin liegt die Ursache, daß die jüngere Malergeneration
geneigt ist, sich nicht nur von dem grob Gegenständlichen,
sondern überhaupt von einem geistigen oder Gemütsinhalt
des Bildes mehr und mehr abzuwenden und nur darauf
hinzuzielen, irgendein Problem der Farbe, des Lichts oder
dgl. zu lösen. Dieser Standpunkt, daß die Beschaffenheit
des Könnens der alleinige Maßstab für die Schätzung
eines Kunstwerkes sei, ist falsch, weil man keinen Laien
verpflichten kann, Kunstverständiger in dem Maße zu sein,
daß er die künstlerischen werte eines Bildes sicher zu wür-
digen vermöge. Das Publikum kann nur zu einem gewissen
Grade des Verständnisses erzogen werden, so daß es un-
gefähr erkennt, was eine wirklich schlechte und was eine
glänzende Arbeit ist. Die reichgegliederten Zwischenab-
stufungen hält das Publikum schwer auseinander. Ls hat
aber das Recht, von der Malerei dasselbe zu verlangen
wie von jeder Kunst: daß aus dem Kunstwerk ein un-
nennbarer, gar nicht zu erklärender Hauch des Naturlebens
kommt, der uns diese bemalte Leinwand vor unserer Vor-
stellung über den Begriff der Malerei hinaus zum wirklich
Lebendigen, zur Nachschöpfung, zur Neugestaltung einer
Naturerscheinung macht. Das ist der wert, den die Kunst
für uns hat: Die Seelenerfrischung, die Ablenkung unseres
Geistes vom Alltage, das Hinausheben, das Hinüberführen
in schönere, anmutigere, großartigere Gefilde, wenn die
Kunst sich darauf beschränkt, eine bloße Geschicklichkeit, ein

bloßes Können zu zeigen, dann hat sie bei weitem nicht
mehr die Bedeutung für die gesamte Kultur, die wir ihr
bisher, namentlich in Deutschland, zuerkannt haben, wir
Deutschen haben nicht und werden nie haben diesen feinen
Sinn für das formal Schöne, diese vornehmste Sinnen-
freude, wie sie nicht nur die Franzosen, sondern alle süd-
lichen Nationen haben. Ls ist eine Erfahrung, die man,
wenn man lange in der Praxis des Kunstlebens steht und
viel mit dem Publikum verkehrt, immer wieder macht: Ls
ist nicht immer Prüderie, nicht immer sittliche Engherzigkeit,
wenn ein großer Teil des deutschen Publikums z. L. vor Dar-
stellungen des Nackten achselzuckend und mürrisch steht und
sich fragt: wozu das? und nicht begreift, daß hier ein
sittliches Interesse an der Schönheit gefunden werden
kann. Lin großer Teil unserer gebildeten Deutschen sogar
steht verständnislos vor dem eigentlichen Schönheitswert
eines solchen Bildes und wittert darin immer eine mehr
oder weniger zulässige Schlüpfrigkeit. Auch das ist ein
Fehler der Deutschen, den sie sich abgewöhnen sollen. Aber
er steht im Zusammenhang mit der eigenartigen Rassen-
entwicklung und mit der Entwicklung aller unserer Sitten
und mit unserem ganzen Herkommen. Diese Rassenunterschiede
werden immer bleiben; es wird niemals eine internatio-
nale gleichartige Menschheit geben. Man kann wohl die
Menschheit einmal französisch, einmal englisch kleiden,
aber der innere Mensch behält doch die nationale Eigenart.
Ls ist also zu wünschen, daß die deutschen Künstler,
wenn sie auch mit vollem Recht ausfliegen ins Ausland,
ausfliegen z. B. nach einer ohne Zweifel für die Entwicklung
der Kunst fo bedeutungsvollen Stadt wie Paris, Sorge
tragen, daß sie sich nicht selbst belügen, daß sie ihre
Stammesangehörigkeit, ihre Rasse, die sie nie verlieren
können, nicht verleugnen, wenn sie nämlich ihre Stammes-
art verleugnen wollen, dann gehen sie doch nie ganz auf
in der Stammesart der anderen; sie werden höchstens Nach-
äffer und als solche sehr schnell erkannt.
Der Redner erinnerte weiter an die Entwicklung der
Kunst und sagte vom früheren Jugendstile: wer damals
— und das sollten sich namentlich junge Künstler merken —
es wagte, gegen manche dieser Absonderlichkeiten einer neuen
Kunst aufzutreten und zu sagen: das ist ja gar nicht mög-
lich, daß das Bestand hat, denn das ist innerlich unlogisch,
so hieß es: das ist ein Reaktionär, ein Philister, ein Ba-
nause, der das sagt, wer hat denn recht gehabt? wo
sind denn diese Dinge, von denen damals gesagt ward,
das sind die Meisterwerke neuer Genies? Die neuen Genies
sind verschwunden und ihre Werke auch. Durch einen
Irrtum ist man hindurchgegangen, man hat ihn einge-
sehen. Das war der natürliche Prozeß der neuesten Be-
wegung. Darum ist es auch Unsinn, wenn wir, sobald
auf irgendeinem Gebiete der Kunst etwas Neues auftaucht,
sofort „Halleluja" schreien. Dieses Halleluja braucht sich
ja gerade nicht in ein „Kreuziget ihn" zu verwandeln.
Man darf nicht der Banause und Philister sein und alles
Neue und Fremdartige verhöhnen. Man darf aber auch
nicht der Weltstadtnarr sein, der der Mode um jeden Preis
nachläuft. Hier hat vielmehr eine wirkliche Kritik die
schwere aber schöne Aufgabe, sich vor diesem fremdartigen
Neuen zu fragen: Ist hier unter allem Unfug, unter allem
Schein von Irrtum vielleicht noch ein guter Kern, der sich
siegreich herausschälen wird? Denn das kann sehr wohl
möglich sein, und diesen Kern soll man erkennen. Man
soll daher nie prophezeien, aber man soll neuen Dingen
gegenüber, wie in Handel und Wandel, so auch in der
Kunst vorsichtig sein, die Augen aufmachen und den Mund
zuhalten.
Es ist der Zweck meines Vortrages, davon und
darüber zu sprechen, wie die große Gefahr verhütet
werden kann, daß durch einen ungesunden geistigen Ein-
fluß mancher der derzeitigen deutschen Kunstgelehrten und
Museumsdirektoren die deutsche Kunst aus der ihr ge-
bührenden Rangstellung in der öffentlichen Achtung der
eignen Landsleute zurückgedrängt wird, daß sich im deut-
schen Publikum die Meinung festsetzt: Ja, die deutsche
 
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