Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.53853#0252
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Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Corinth, Lovis: Wir Künstler und die Lex Heintze
DOI Artikel:Volkmann: Ein Brief
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2H0
Die Werkstatt der Kunst.
XIII, heft ^8.
Redaktioneller Teil.
Mir liimitier un<l ciie Ler tzemt;«
von Lovis Corinth
n§c. Als vor einem Jahrzehnt oder länger die
Lex Heintze vom Zentrum geboren wurde, dachte
wohl kein Künstler daran, daß es noch ihm selbst
damit an Kops und Kragen gehen sollte und daß
diese Lex uns Malern oder Bildhauern wie ein
Damoklesschwert über den Häuptern schweben würde,
solange wir leben.
Zn München versuchten einige weitsehende
Männer, sich rechtzeitig diesem künstlich erschaffenen
Ungeheuer entgegenzustemmen; aber sie scheiterten
an der Gleichgültigkeit ihrer Kollegen, die genau
so dachten, wie die sranzösischen Edelleute vor der
großen Revolution: ,,^.pre8 nous le äölu^e!" So
wie wie jenen sollte es auch uns Künstlern gehen:
heute und vermutlich bis in alle Zukunft wird jeder
geistig arbeitende Mensch in Deutschland von der
Lex Heintze bedroht bleiben.
Mir ist aus den Tagen nach der Annahme des
famosen Gesetzes noch die Strophe (der beste Spott-
vers, der je gedichtet wurde) in Erinnerung ge-
blieben, mit der es vom „Kladderadatsch" begrüßt
wurde. Sie bildete den Schluß eines Gedichtes
über die bekannte Wirtin vom „Gasthaus an der
Lahn" und lautete:
„Mas hat sie denn, was weint' se?
Ihr Gasthaus an der Lahn geht ein.
Marum? Na ja, Lex Heintze!"
wer das las, mußte, unwillkürlich lächelnd, der
vielen Hunderte von Versen gedenken, die an deut-
schen Kneiptischen über die Frau Wirtin vom Gast-
haus an der Lahn erklungen sind.
Seitdem hat die Lex Heintze üppige Blüten ge-
trieben, und der Staatsanwalt und der Polizist sind
mit ihrer Hilfe die Behüter deutscher Kultur ge-
worden. Nichts ist ihnen und ihrer Sittenstrenge
heilig, weder der tote noch der lebende Künstler.
Feuerbach ist nicht vor ihnen sicher gewesen, und
auch ich habe schon unter ihnen zu leiden gehabt.
Gb das Kunstwerk, das ihr Mißfallen erregt hat,
einem staatlichen Museum oder gar dem Kaiser ge-
hört, ist ihnen gleichgültig. Insofern üben sie
wenigstens eine rühmliche Unparteilichkeit.
Bei einem derartigen Keuschheitsprozeß gegen
einen Buchhändler, der eine allzu nackte Nymphe
von Feuerbach ins Schaufenster gehängt hatte, war
ich als Sachverständiger zugegen. Der Buchhändler
war durch eine anonyme Denunziation bei dem
Staatsanwalt angezeigt worden, und die arme
Nymphe, an der auch der verderbteste nichts
Schlüpfriges entdecken konnte, wurde nun der
Gegenstand eines hochnotpeinlichen gerichtlichen Ver-
fahrens. Zu Ehren der Männer am Richtertisch
sei aber gesagt, daß sich alle zwar sehr respektvoll,
doch vollständig kalt und gleichgültig gegen das
lockende Mädchen verhielten. Leider trat nicht auch
ein Sachverständiger für die Lex auf. Das war
um so mehr zu beklagen, als man von ihm hätte
lernen können, gegen alles Kitzliche und Lüsterne
auf der Hut zu sein. Der Staatsanwalt beantragte
gegen den armen Sünder eine Geldstrafe von
5 Mk. Man sah es ihm ordentlich an — denn
auch ein Staatsanwalt ist immerhin ein gebildeter
Mann —, wie schwer es ihm wurde, gegen die
sittenlose Person vorzugehen. Er bauschte die Sache
ordentlich auf, um bei seinen Zuhörern einiges In-
teresse zu erwecken und sie zu überzeugen, Solon
und Lykurg seien die reinsten Waisenknaben gewesen
im vergleich zu dem Schöpfer des Paragraphen,
auf dessen Grund der Prozeß geführt wurde. Denn
dieser Paragraph schützt den Vater, daß er nicht
erröten muß vor seinen unmündigen Töchtern, wenn
er mit ihnen vor ein Schaufenster gerät, das mit
solch unzüchtigen Kunstwerken gefüllt ist. Das Er-
gebnis war, daß der Prozeß so lange verschoben
wurde, bis der Staatsanwalt einen künstlerischen
Sachverständigen gefunden hatte, der derselben An-
sicht wäre wie er. Ls spricht zum Lobe unseres
deutschen Vaterlandes, daß seitdem zwei Monate
vergangen sind, ohne daß der Staatsanwalt
einen solchen Sachverständigen finden konnte.
Und die Moral von der Geschicht'? Diese Zeilen
bezwecken nicht, die Lex Heintze zu vernichten; so
leicht, fürchte ich, schafft man sie nicht aus der Welt.
Und warum auch? Ist es nicht gut, daß der un-
erfahrene deutsche Michel vor allem Gefährlichen,
das ihn bedroht, behütet wird? Denn die Welt
ist doch so schlecht! Ich denke mit Wonne zurück
an meinen Lehrer für Literatur, der „Hermann und
Dorothea" verdonnerte, weil Goethe sich unterstanden
hat, zu sagen:
„Damit dir werde die Nacht zur besseren Hälfte
des Lebens!"
pfui!!
Der Lehrer hieß Professor Tholevius . . .
Ein Kriek
Professor Artur Volkmann, der bekannte Bildhauer,
sendet uns folgenden Brief, den wir, ohne uns mit seinem
Inhalt einverstanden zu erklären, gern wiedergeben, da er,
schon wegen der Persönlichkeit des Verfassers, Interesse er-
wecken dürfte. D. Red.
In Ihrem geschätzten Blatte erschien unlängst
eine Besprechung einer „öffentlichen Erklärung" der
hauptsächlichsten Münchner Künstlergruppen, die die
Forderung der „Iuryfreien" für Raum im Glas-
palast bekämpfte. Dabei mußte die Iuryfrage in
ihrem Kern berührt werden, und bei ihrer wichtig-
Die Werkstatt der Kunst.
XIII, heft ^8.
Redaktioneller Teil.
Mir liimitier un<l ciie Ler tzemt;«
von Lovis Corinth
n§c. Als vor einem Jahrzehnt oder länger die
Lex Heintze vom Zentrum geboren wurde, dachte
wohl kein Künstler daran, daß es noch ihm selbst
damit an Kops und Kragen gehen sollte und daß
diese Lex uns Malern oder Bildhauern wie ein
Damoklesschwert über den Häuptern schweben würde,
solange wir leben.
Zn München versuchten einige weitsehende
Männer, sich rechtzeitig diesem künstlich erschaffenen
Ungeheuer entgegenzustemmen; aber sie scheiterten
an der Gleichgültigkeit ihrer Kollegen, die genau
so dachten, wie die sranzösischen Edelleute vor der
großen Revolution: ,,^.pre8 nous le äölu^e!" So
wie wie jenen sollte es auch uns Künstlern gehen:
heute und vermutlich bis in alle Zukunft wird jeder
geistig arbeitende Mensch in Deutschland von der
Lex Heintze bedroht bleiben.
Mir ist aus den Tagen nach der Annahme des
famosen Gesetzes noch die Strophe (der beste Spott-
vers, der je gedichtet wurde) in Erinnerung ge-
blieben, mit der es vom „Kladderadatsch" begrüßt
wurde. Sie bildete den Schluß eines Gedichtes
über die bekannte Wirtin vom „Gasthaus an der
Lahn" und lautete:
„Mas hat sie denn, was weint' se?
Ihr Gasthaus an der Lahn geht ein.
Marum? Na ja, Lex Heintze!"
wer das las, mußte, unwillkürlich lächelnd, der
vielen Hunderte von Versen gedenken, die an deut-
schen Kneiptischen über die Frau Wirtin vom Gast-
haus an der Lahn erklungen sind.
Seitdem hat die Lex Heintze üppige Blüten ge-
trieben, und der Staatsanwalt und der Polizist sind
mit ihrer Hilfe die Behüter deutscher Kultur ge-
worden. Nichts ist ihnen und ihrer Sittenstrenge
heilig, weder der tote noch der lebende Künstler.
Feuerbach ist nicht vor ihnen sicher gewesen, und
auch ich habe schon unter ihnen zu leiden gehabt.
Gb das Kunstwerk, das ihr Mißfallen erregt hat,
einem staatlichen Museum oder gar dem Kaiser ge-
hört, ist ihnen gleichgültig. Insofern üben sie
wenigstens eine rühmliche Unparteilichkeit.
Bei einem derartigen Keuschheitsprozeß gegen
einen Buchhändler, der eine allzu nackte Nymphe
von Feuerbach ins Schaufenster gehängt hatte, war
ich als Sachverständiger zugegen. Der Buchhändler
war durch eine anonyme Denunziation bei dem
Staatsanwalt angezeigt worden, und die arme
Nymphe, an der auch der verderbteste nichts
Schlüpfriges entdecken konnte, wurde nun der
Gegenstand eines hochnotpeinlichen gerichtlichen Ver-
fahrens. Zu Ehren der Männer am Richtertisch
sei aber gesagt, daß sich alle zwar sehr respektvoll,
doch vollständig kalt und gleichgültig gegen das
lockende Mädchen verhielten. Leider trat nicht auch
ein Sachverständiger für die Lex auf. Das war
um so mehr zu beklagen, als man von ihm hätte
lernen können, gegen alles Kitzliche und Lüsterne
auf der Hut zu sein. Der Staatsanwalt beantragte
gegen den armen Sünder eine Geldstrafe von
5 Mk. Man sah es ihm ordentlich an — denn
auch ein Staatsanwalt ist immerhin ein gebildeter
Mann —, wie schwer es ihm wurde, gegen die
sittenlose Person vorzugehen. Er bauschte die Sache
ordentlich auf, um bei seinen Zuhörern einiges In-
teresse zu erwecken und sie zu überzeugen, Solon
und Lykurg seien die reinsten Waisenknaben gewesen
im vergleich zu dem Schöpfer des Paragraphen,
auf dessen Grund der Prozeß geführt wurde. Denn
dieser Paragraph schützt den Vater, daß er nicht
erröten muß vor seinen unmündigen Töchtern, wenn
er mit ihnen vor ein Schaufenster gerät, das mit
solch unzüchtigen Kunstwerken gefüllt ist. Das Er-
gebnis war, daß der Prozeß so lange verschoben
wurde, bis der Staatsanwalt einen künstlerischen
Sachverständigen gefunden hatte, der derselben An-
sicht wäre wie er. Ls spricht zum Lobe unseres
deutschen Vaterlandes, daß seitdem zwei Monate
vergangen sind, ohne daß der Staatsanwalt
einen solchen Sachverständigen finden konnte.
Und die Moral von der Geschicht'? Diese Zeilen
bezwecken nicht, die Lex Heintze zu vernichten; so
leicht, fürchte ich, schafft man sie nicht aus der Welt.
Und warum auch? Ist es nicht gut, daß der un-
erfahrene deutsche Michel vor allem Gefährlichen,
das ihn bedroht, behütet wird? Denn die Welt
ist doch so schlecht! Ich denke mit Wonne zurück
an meinen Lehrer für Literatur, der „Hermann und
Dorothea" verdonnerte, weil Goethe sich unterstanden
hat, zu sagen:
„Damit dir werde die Nacht zur besseren Hälfte
des Lebens!"
pfui!!
Der Lehrer hieß Professor Tholevius . . .
Ein Kriek
Professor Artur Volkmann, der bekannte Bildhauer,
sendet uns folgenden Brief, den wir, ohne uns mit seinem
Inhalt einverstanden zu erklären, gern wiedergeben, da er,
schon wegen der Persönlichkeit des Verfassers, Interesse er-
wecken dürfte. D. Red.
In Ihrem geschätzten Blatte erschien unlängst
eine Besprechung einer „öffentlichen Erklärung" der
hauptsächlichsten Münchner Künstlergruppen, die die
Forderung der „Iuryfreien" für Raum im Glas-
palast bekämpfte. Dabei mußte die Iuryfrage in
ihrem Kern berührt werden, und bei ihrer wichtig-