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Die Werkstatt der Kunst.
XIII, Heft 2§.
Gesuche um Ratserteilung werden unter Beifügung
von möglichst vollständigem Beweismaterial am besten
schriftlich entweder direkt bei dem Syndikus oder bei der
Schriftleitung der „Werkstatt der Kunst" eingereicht.
Auch die Abonnenten der „Werkstatt der Kunst" er-
halten diese kostenlose Auskunft, doch haben sie ihr Abonne-
ment nachzuweisen und sich schriftlich oder mündlich an
die Schriftleitung der „Werkstatt der Kunst" zu wenden.
Redaktioneller Teil.
Eingabe <l«s „Vereins kerliner Künstler
Die Abgeordnetenhausverhandlungen über die
unzüchtigen Künstlerkarten. Das Ergebnis der Ab-
geordnetenhausverhandlungen über die Beschlagnahme von
Künstlerkarten konnte die deutsche Künstlerschaft in keiner
weise befriedigen. Die Wiedergabe reiner künstlerischer
Darstellungen als Postkarten wird auch nach den Aeuße-
rungen des Justizministeriums in Zukunft vogelfrei sein.
Alle Eingaben der Akademie der Künste, des Vereins
Berliner Künstler, der Secession haben die Regierung nicht
zu einer klaren Aeußerung über die weitere Behandlung
dieser ärgerlichen Angelegenheit veranlassen können. Der
Paragraph, der zur Bekämpfung der Unsittlichkeit bestimmt
ist, hängt weit über den Schöpfern der Werke, die in
Galerien stehen, die der Kaiser kauft und deren Wieder-
gabe unzüchtig ist, wenn sie in einer anständigen photo-
graphischen Form auf einer Postkarte vorliegt. Alles, was
der Minister zugab, steht in dem Satz: „wenn ein Kunst-
werk in angemessener weise feilgehalten wird, dann wird
niemals dagegen eingeschritten." Aber dieses Zugeständnis
ist doch augenscheinlich nicht auf Postkartenwiedergaben zu
beziehen. Da will der Minister nicht anerkennen, „daß es
für den Künstler notwendig ist, daß seine Werke gerade in
der Form, wie es häufig geschieht, verbreitet werden",
wirtschaftlich notwendig ist es jedenfalls für viele unter
ihnen, und was wirklich Anstoß erregen könnte, die Art
der Feilhaltung in den Schaufenstern der Papiergeschäfte,
für diese können die Künstler nichts, nicht gegen sie wen-
den sich die von ihnen als Kränkungen empfundenen Ge-
richtsurteile. Nur zwei Stellen aus einem Urteil des Ber-
liner Landgerichts I seien dafür angeführt: „Die sämtlichen
bezeichneten Karten sind als objektiv unzüchtig anzufehen,
auf ihnen sind nämlich männliche und weibliche nackte
Körper durch photographische Wiedergabe bekannter Kunst-
werke dargestellt." Und weiter: „Lin großer Teil des
Publikums, besonders aber die Heranwachsende Jugend,
erblickt in den Abbildungen auf Postkarten vornehmlich
eine verführerische Darstellung des Nackten und hat darum
kein Verständnis dafür, daß in den (Originalen der abge-
bildeten Kunstwerke die künstlerische Idee das Unzüchtige
der Darstellung zurückdrängt." Das prachtvolle „Nämlich"
in dem einen Satze, das wertvolle Eingeständnis in dem
anderen, daß die Originale, die der Kaiser und die
Museen besitzen, das Unzüchtige in der Darstellung haben,
das dann durch die künstlerische Idee glücklicherweise zu-
rückgedrängt wird, sprechen beredt genug für sich selber.
Die Künstlerschaft wird nicht eher ruhen, als bis die Ge-
richtspraxis, die solche kunstfeindlichen Urteile zur Grund-
lage hat, sich nicht mehr so unglaublich vergreift, wie es
in diesem Winter andauernd geschehen ist.
Im Hinblick auf die im Abgeordnetenhaus zutage ge-
tretenen Ansichten des Ministers, dem übrigens der Rechts-
beirat des Vereins Berliner Künstler, Abgeordneter
Or. Kanzow sogleich entgegentrat, hat der Verein Berliner
Künstler folgende Eingabe beschlossen:
Seiner Exzellenz Herrn Iustizminister Or. Beseler
Berlin
wilhelmstraße 65.
Berlin'W, den 2H. Februar
Bellevuestraße.
Eurer Exzellenz
beehren wir uns in der Anlage eine Abschrift der an
Seine Exzellenz den Herrn Minister der geistlichen, Unter-
richts- und Medizinalangelegenheiten gerichteten Eingabe
des Vereins Berliner Künstler vom ^7. Januar d. I. und
des unterdessen vom Reichsgericht in unserem Sinne ge-
kennzeichneten Urteils des Landgerichts I zu Berlin ehr-
erbietigst zu überreichen.
Euere Exzellenz kennen nach dem stenographischen Be-
richt der Landtagsverhandlungen vom 5. Februar
dieses Urteil nicht und haben deshalb der Meinung Aus-
druck gegeben, daß die Gerichte die fraglichen Kunstwerke
selbst nicht als unzüchtig hinstellen, ferner, daß nur die
Wiedergabe in Postkartenform verboten werden solle, daß
andere Nachbildungen als auf Postkarten in einschlägigen
Geschäften und in Museen unbeanstandet feilgehalten wer-
den dürften, und daß die Künstlerschaft sich beruhigen
würde, „wenn sie dem zur Ausführung gebrachten Ge-
dankengange folgte und sich klar machte, um was es sich
handelt". Das entspricht alles nicht der Sachlage und den
Tatsachen. Das beigefügte Urteil erklärt unzweideutig auch
die edelsten Kunstwerke selbst für unzüchtig, wenn sie nackte
Menschen darstellen, und es werden fortgesetzt von den
Gerichten auch die auf technischer Höhe stehenden anderen
Vervielfältigungen verfolgt und als unzüchtig gebrandmarkt
oder zu brandmarken gesucht. Auch ist ihr Feilhalten so-
wohl in Kunsthandlungen wie sogar in Museen verboten.
Die Künstlerschaft hat deshalb nach der Verhandlung des
Abgeordnetenhauses vom 5. Februar eine gesteigerte
und wohl gerechtfertigte Beunruhigung ergriffen.
Euer Exzellenz sind gewiß des festen Willens, nur die
Verbreitung des wirklich Unzüchtigen in Wort und Bild
zu verhindern. Nach der auch von Euer Exzellenz ange-
führten bestehenden Freiheit der gerichtlichen Entscheidungen
kann aber das vorgehen der Gerichte nicht vorausgesehen
werden. Da es überhaupt möglich war, daß eine Urteils-
gründung zustande kam, wie z. B. die beiliegende des
Landgerichts I zu Berlin, so find Maßnahmen erforderlich,
die die Grundlage für derartige Entscheidungen entfernen,
damit nicht eine weitere Verzerrung der sittlichen Gefühle
des Volkes herbeigeführt wird, wenn die Herren Mit-
glieder des Abgeordnetenhauses die wirkliche Sachlage er-
fahren, werden auch sie der Künstlerschaft beipstichten.
wir haben kein Interesse daran, für alle jene auf
Kunst hergerichteten Nacktdarstellungen in Druck oder
„Bronze" ohne jeden Kunstwerk, noch auch für die ver-
breitung solcher künstlerischer Darstellungen einzutreten, die
— sei es aus lüsterner Veranlagung oder des Gelderwerbs
wegen — zur Erregung der Lüsternheit hergestellt sind.
Aber wir müssen Verwahrung dagegen einlegen, daß „im
Namen des Königs" Nachbildungen edler und reiner Kunst-
werke als unzüchtig erklärt werden oder gar die künstle-
rische Darstellung des nackten Menschen selbst als unzüchtig
hingestellt werden darf. Für die Künstler ist ihre Kunst
das Höchste, und die Künstlerschaft kann nicht dulden, daß
das Reinste und Edelste, was von Künstlern geschaffen ist,
mit dem Niedrigsten, was der Mensch kennt, auch nur von
ferne in Verbindung gebracht wird. Euer Exzellenz wer-
den uns sicher beipstichten, daß es im Gegensatz zu dem
eingeschlagenen Wege keine wirksamere Bekämpfung des
„Schmutzes im Bild" gibt, als die Verbreitung von guten
Nachbildungen edler und reiner Kunstwerke in jeder Form,
und gerade auch solcher, wie sie in letzter Zeit als un-
Die Werkstatt der Kunst.
XIII, Heft 2§.
Gesuche um Ratserteilung werden unter Beifügung
von möglichst vollständigem Beweismaterial am besten
schriftlich entweder direkt bei dem Syndikus oder bei der
Schriftleitung der „Werkstatt der Kunst" eingereicht.
Auch die Abonnenten der „Werkstatt der Kunst" er-
halten diese kostenlose Auskunft, doch haben sie ihr Abonne-
ment nachzuweisen und sich schriftlich oder mündlich an
die Schriftleitung der „Werkstatt der Kunst" zu wenden.
Redaktioneller Teil.
Eingabe <l«s „Vereins kerliner Künstler
Die Abgeordnetenhausverhandlungen über die
unzüchtigen Künstlerkarten. Das Ergebnis der Ab-
geordnetenhausverhandlungen über die Beschlagnahme von
Künstlerkarten konnte die deutsche Künstlerschaft in keiner
weise befriedigen. Die Wiedergabe reiner künstlerischer
Darstellungen als Postkarten wird auch nach den Aeuße-
rungen des Justizministeriums in Zukunft vogelfrei sein.
Alle Eingaben der Akademie der Künste, des Vereins
Berliner Künstler, der Secession haben die Regierung nicht
zu einer klaren Aeußerung über die weitere Behandlung
dieser ärgerlichen Angelegenheit veranlassen können. Der
Paragraph, der zur Bekämpfung der Unsittlichkeit bestimmt
ist, hängt weit über den Schöpfern der Werke, die in
Galerien stehen, die der Kaiser kauft und deren Wieder-
gabe unzüchtig ist, wenn sie in einer anständigen photo-
graphischen Form auf einer Postkarte vorliegt. Alles, was
der Minister zugab, steht in dem Satz: „wenn ein Kunst-
werk in angemessener weise feilgehalten wird, dann wird
niemals dagegen eingeschritten." Aber dieses Zugeständnis
ist doch augenscheinlich nicht auf Postkartenwiedergaben zu
beziehen. Da will der Minister nicht anerkennen, „daß es
für den Künstler notwendig ist, daß seine Werke gerade in
der Form, wie es häufig geschieht, verbreitet werden",
wirtschaftlich notwendig ist es jedenfalls für viele unter
ihnen, und was wirklich Anstoß erregen könnte, die Art
der Feilhaltung in den Schaufenstern der Papiergeschäfte,
für diese können die Künstler nichts, nicht gegen sie wen-
den sich die von ihnen als Kränkungen empfundenen Ge-
richtsurteile. Nur zwei Stellen aus einem Urteil des Ber-
liner Landgerichts I seien dafür angeführt: „Die sämtlichen
bezeichneten Karten sind als objektiv unzüchtig anzufehen,
auf ihnen sind nämlich männliche und weibliche nackte
Körper durch photographische Wiedergabe bekannter Kunst-
werke dargestellt." Und weiter: „Lin großer Teil des
Publikums, besonders aber die Heranwachsende Jugend,
erblickt in den Abbildungen auf Postkarten vornehmlich
eine verführerische Darstellung des Nackten und hat darum
kein Verständnis dafür, daß in den (Originalen der abge-
bildeten Kunstwerke die künstlerische Idee das Unzüchtige
der Darstellung zurückdrängt." Das prachtvolle „Nämlich"
in dem einen Satze, das wertvolle Eingeständnis in dem
anderen, daß die Originale, die der Kaiser und die
Museen besitzen, das Unzüchtige in der Darstellung haben,
das dann durch die künstlerische Idee glücklicherweise zu-
rückgedrängt wird, sprechen beredt genug für sich selber.
Die Künstlerschaft wird nicht eher ruhen, als bis die Ge-
richtspraxis, die solche kunstfeindlichen Urteile zur Grund-
lage hat, sich nicht mehr so unglaublich vergreift, wie es
in diesem Winter andauernd geschehen ist.
Im Hinblick auf die im Abgeordnetenhaus zutage ge-
tretenen Ansichten des Ministers, dem übrigens der Rechts-
beirat des Vereins Berliner Künstler, Abgeordneter
Or. Kanzow sogleich entgegentrat, hat der Verein Berliner
Künstler folgende Eingabe beschlossen:
Seiner Exzellenz Herrn Iustizminister Or. Beseler
Berlin
wilhelmstraße 65.
Berlin'W, den 2H. Februar
Bellevuestraße.
Eurer Exzellenz
beehren wir uns in der Anlage eine Abschrift der an
Seine Exzellenz den Herrn Minister der geistlichen, Unter-
richts- und Medizinalangelegenheiten gerichteten Eingabe
des Vereins Berliner Künstler vom ^7. Januar d. I. und
des unterdessen vom Reichsgericht in unserem Sinne ge-
kennzeichneten Urteils des Landgerichts I zu Berlin ehr-
erbietigst zu überreichen.
Euere Exzellenz kennen nach dem stenographischen Be-
richt der Landtagsverhandlungen vom 5. Februar
dieses Urteil nicht und haben deshalb der Meinung Aus-
druck gegeben, daß die Gerichte die fraglichen Kunstwerke
selbst nicht als unzüchtig hinstellen, ferner, daß nur die
Wiedergabe in Postkartenform verboten werden solle, daß
andere Nachbildungen als auf Postkarten in einschlägigen
Geschäften und in Museen unbeanstandet feilgehalten wer-
den dürften, und daß die Künstlerschaft sich beruhigen
würde, „wenn sie dem zur Ausführung gebrachten Ge-
dankengange folgte und sich klar machte, um was es sich
handelt". Das entspricht alles nicht der Sachlage und den
Tatsachen. Das beigefügte Urteil erklärt unzweideutig auch
die edelsten Kunstwerke selbst für unzüchtig, wenn sie nackte
Menschen darstellen, und es werden fortgesetzt von den
Gerichten auch die auf technischer Höhe stehenden anderen
Vervielfältigungen verfolgt und als unzüchtig gebrandmarkt
oder zu brandmarken gesucht. Auch ist ihr Feilhalten so-
wohl in Kunsthandlungen wie sogar in Museen verboten.
Die Künstlerschaft hat deshalb nach der Verhandlung des
Abgeordnetenhauses vom 5. Februar eine gesteigerte
und wohl gerechtfertigte Beunruhigung ergriffen.
Euer Exzellenz sind gewiß des festen Willens, nur die
Verbreitung des wirklich Unzüchtigen in Wort und Bild
zu verhindern. Nach der auch von Euer Exzellenz ange-
führten bestehenden Freiheit der gerichtlichen Entscheidungen
kann aber das vorgehen der Gerichte nicht vorausgesehen
werden. Da es überhaupt möglich war, daß eine Urteils-
gründung zustande kam, wie z. B. die beiliegende des
Landgerichts I zu Berlin, so find Maßnahmen erforderlich,
die die Grundlage für derartige Entscheidungen entfernen,
damit nicht eine weitere Verzerrung der sittlichen Gefühle
des Volkes herbeigeführt wird, wenn die Herren Mit-
glieder des Abgeordnetenhauses die wirkliche Sachlage er-
fahren, werden auch sie der Künstlerschaft beipstichten.
wir haben kein Interesse daran, für alle jene auf
Kunst hergerichteten Nacktdarstellungen in Druck oder
„Bronze" ohne jeden Kunstwerk, noch auch für die ver-
breitung solcher künstlerischer Darstellungen einzutreten, die
— sei es aus lüsterner Veranlagung oder des Gelderwerbs
wegen — zur Erregung der Lüsternheit hergestellt sind.
Aber wir müssen Verwahrung dagegen einlegen, daß „im
Namen des Königs" Nachbildungen edler und reiner Kunst-
werke als unzüchtig erklärt werden oder gar die künstle-
rische Darstellung des nackten Menschen selbst als unzüchtig
hingestellt werden darf. Für die Künstler ist ihre Kunst
das Höchste, und die Künstlerschaft kann nicht dulden, daß
das Reinste und Edelste, was von Künstlern geschaffen ist,
mit dem Niedrigsten, was der Mensch kennt, auch nur von
ferne in Verbindung gebracht wird. Euer Exzellenz wer-
den uns sicher beipstichten, daß es im Gegensatz zu dem
eingeschlagenen Wege keine wirksamere Bekämpfung des
„Schmutzes im Bild" gibt, als die Verbreitung von guten
Nachbildungen edler und reiner Kunstwerke in jeder Form,
und gerade auch solcher, wie sie in letzter Zeit als un-