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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/​1914

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Bode, Wilhelm: Die "Neue Kunst"
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https://doi.org/10.11588/diglit.53853#0056

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Die Werkstatt der Kunst.

XIII, heft

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pressionismus oder Neuimpressionismus, angewiderk
durch die dunkle Erkenntnis, daß die Kunst des l9.Jahr-
hunderts in ihren verschiedenen Phasen doch über
einen mehr oder weniger schwächlichen Anschluß an
die ältere Kunst kaum hinausgekommen ist, haben
diese jungen Künstler nach etwas ganz Neuem ge-
sucht und glauben, es jeder in seiner Weise gefunden
zu haben. In dieser „neuen Kunst" tritt das Streben
unserer demokratischen Zeit nach Abbruch der lästigen
Schranken von Religion und Moral, nach immer
stärkerer Nivellierung, nach Unterdrückung der Eigen-
art und selbständiger Eharaktere, das verschwinden
des Tualitätssinnes und dafür das Triumphieren
der Mittelmäßigkeit und der Roheit in besonders
starker abschreckender Weise zutage. Oie Ästhetik ist
aufs äußerste verpönt, die Forderung der Schönheit
für die Kunst wird für eine Lächerlichkeit erklärt,
man konstruiert eine „neue Schöne", die man im
häßlichen, im Gemeinen entdeckt haben will,- ja man
feiert sie als „neue Religion", deren höchster künstle-
rischer und sittlicher Ausdruck diese „neue Kunst" sein
soll. Gerade unter der Jugend unserer Kunsthistoriker
hat sie zahlreiche begeisterte Anhänger, die zum Teil
an der Spitze von Museen stehen, die mit reichen
Mitteln ausgestattet sind. Diese sehen ihre Aufgabe
in der Förderung der neuen Kunst durch Ankäufe
für ihre Sammlungen und vernachlässigen dadurch
die Sorge für die echte alte Kunst. Wo diese nebenbei
noch gepflegt werden muß, beschränkt man sich auf
„typische Stücke", d. h. auf die künstlerisch minder-
wertige Ware.
Nicht aus naivem Schöpfertrieb, aus tiefem
künstlerischen Orange, sondern aus einer Mischung
von psychologischen Grübeleien, empfindsamem Spin-
tisieren und Streben, a tout prix aufzufallen, ist die
„neue Kunst" geboren, ihre Paten sind Musen, die
mit den bildenden Künsten nichts zu tun haben. Was
hat die Kunst mit diesen Philosophemen zu tun?
Wie kann sie sich von der Natur abwenden wollen!
Wie kann eine Richtung in der Kunst sich für lebens-
fähig halten, die sich zum Ziel setzt, die Natur zu re-
formieren, die völlig unverständlich bleibt mit den
weitläufigsten, spitzfindigsten Erklärungen, die einen
eigenen Kodex zum Lesen ihrer Bilderschrift verlangt!
Sie mag für eine kleine Sekte gelehrter und bekehrter
Gläubiger eine Zeitlang den pikanten Unterhaltungs-
stoff bieten, für den einfachen Kunstfreund bleibt sie
unverständlich und abschreckend.
Zu allen Zeiten ist die Natur Vorbild und Vor-
wurf für die Kunst gewesen, und die künstlerische
Wiedergabe der Natur in stets neuen Abwandlun-
gen ist die Aufgabe der Kunst und wird es bleiben.
Selbst die ersten großen Stilisten des Mittelalters:
ein Ouccio, ein Giotto, ja die primitive Kunst der
Naturvölker, auf die sich die Neuen so gern berufen,
suchen die Natur nachzuahmen, sind stolz darauf,
daß sie ihre Vorgänger darin übertreffen. Oie Masken
der Wilden mit ihren verzerrten Zügen und grellen
Farben, die der Hautgout unserer blasierten Zeit sich

zum Vorbild nimmt, sind Ausgeburten einer naiven
Phantasie, mit denen die Feinde geschreckt, die Geister
gebannt werden sollen. Ein Zurückschrauben unserer
Kunst auf diese primitivsten Anfänge wäre nichts
als die Bankerotterklärung einer' jahrtausende alten
großartigen Entwicklung.
Werden die Unglückspropheten, die wirklich das
„Ende aller Kunst" in diesem modernsten Tohuwabohu
voraussagen, die auch in der Kunst des l9. Jahrhun-
derts nur ein mehr oder weniger schwaches Ausleben
der alten Kunst sehen, recht bekommen? Oder ist
diese „neue Kunst" nur eine Phase, eine sehr uner-
freuliche und hoffentlich nicht zu lange Phase der
Entwicklung, wie sie die moderne Kunst in rascher
Folge durchgemacht hat? Sie wird es sein, dafür
bürgt uns das Bedürfnis, ja der brennende Vurst
nach Kunst, der gerade unsere Zeit erfüllt. Daß die
Geschichte der Kunst das Bild eines allmählichen
Rückganges sei, ist sicher nicht richtig: so herrlich die
klassische Kunst ist, hat die gotische Kunst eine neue
Epoche von gleicher Kraft und noch tieferer Empfin-
dung gezeitigt, und die Renaissance hat in vielseitigster
Entwicklung durch Jahrhunderte den Höhepunkt der
Malerei heraufgeführt.
Wir dürfen daher auch für die Zukunft auf eine
neue Blüte der Kunst rechnen, freilich erst in weiter
Ferne - denn sie kann nur erwachsen aus einer Regene-
ration des ganzen Volkslebens, auf einem nationalen
(oder in Zukunft vielleicht internationalen) Auf-
schwung, von dem unsere Zeit unendlich weit entfernt
ist. Das Zeitalter der Entdeckungen und der Blüte
der Wissenschaften bieten keinen Boden für eine Blüte
der Künste.
Teitungssckau
Die „MünchenerNeuestenNachrichten" schreiben:
Der „Triumphzug" der bemalten Futuristen
von Moskau. Die Moskauer Futuristen haben ihren
vor kurzem kundgegebenen plan, mit bemalten Gesichtern
durch die Stadt zu ziehen, zum Hellen Gaudium der Mos-
kowiter tatsächlich ausgeführt. Einem Petersburger Blatte
geht über diese Großtat der verrückten Pinsler ein unter-
haltender Bericht zu:
Wellerlösende Wirkungen erwarten unsere Futuristen
von den „Gemälde"-Ausstellungen, mit denen sie in nächster
Zeit das rückständige Moskau zu beglücken gedenken; in-
zwischen aber sorgen sie für möglichst viel Reklame. In
dieser Hinsicht ist vor allem das „Haupt" der Moskauer
Futuristen, Herr Michail Larionow, eifrig bei der „Arbeit".
In diesen Tagen hat er einen besonders kostbaren Trumpf
ausgespielt: erschien er doch am hellichten Tage auf einer
der belebtesten Straßen Moskaus mit buntbemaltem Ge-
sichtl Schon vor einer Woche ließ er in die Welt posaunen,
er würde die „geistig morsche" Zarenstadt bald außerordent-
lich überraschen. Am letzten Sonntag geschah nun folgen-
des: Mit heulendem Getute fuhr ein Auto über die Große
Dmitrowka und hielt, noch heulender tutend, vor dem
Hauptsitz der Moskauer „Futuristen", dem sogenannten
„Künstlerischen Salon". Dort halten sich die hellsten Köpfe
des Moskauer Futurismus versammelt, und dort wurde
von der kundigen Hand der futuristischen „Künstlerin"
Gontscharowa das Antlitz des Herrn Larionow und noch
zweier anderer Futuristen bunt bemalt. Die grüne und
die gelbe Farbe herrschten vor; dazwischen gewahrte man
 
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