Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/1914
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Redaktioneller Teil
DOI Artikel:Scham, Heinrich: Heimatmuseen
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XIII, Heft 28.
Die Werkstatt der Kunst.
374
Redaktioneller Teil.
l)«im»tsmuke«n
von Or. Heinrich pudor
Im Jahre s9O5 veröffentlichte der Hamburger
Lichtwark in der Zeitschrift „Museumskunde" einen
kurzen Artikel „Das Nächstliegende", in dem er
Klage darüber führte, daß in den deutschen Kunst-
städten keine Galerien vorhanden wären, in denen
man die Entwicklung der Malerei der betreffenden
Stadt in den letzten hundert Jahren einigermaßen
gründlich studieren könne. Und Verfasser ist selbst
bereits in der Schrift „Die Kunst im Lichte der
Kunst" ((892) dafür eingetreten, daß die Museen
vor allem die heimatliche Kunst sammeln und dar-
stellen sollten derart, daß man Dürer in Nürnberg,
Bottinelli in Florenz, Tizian in Venedig, Rembrandt
in Amsterdam, Turner in London studiert. Der
Vorschlag wurde damals wenig beachtet. Heute sind
wir soweit, eben dieses Prinzip als richtig für das
gesamte Museumswesen anzusehen. Heimatsmuseen,
wir haben sogar schon einige Anfänge und ver-
suche solcher Heimatsmuseen aufzuweisen, wie das
Märkische Museum in Berlin; ein Berliner Schrift-
steller machte kürzlich auf die Lücken und auf die
Verbesserungsbedürftigkeit dieses Museums aufmerk-
sam und wollte zum Zwecke der Möglichkeit eines
gründlicheren Studiums der Heimatsgeschichte ein
photographisches Archivmuseum für die Kunstgeschichte
Berlins gegründet wissen. In ähnlicher Richtung
liegen die Dorfmuseen, die man hier und da ge-
gründet hat und für die das Sohnreysche Land
eifrig eingetreten ist. Im allgemeinen freilich ist
uns das Verständnis für die organische Auffassung
der Kunst und Kultur, für ihre Bodenständigkeit
und sozusagen Wurzelhastigkeit noch nicht in ge-
nügendem Maße aufgegangen, derart, daß wir,
wenn wir eine Kunst verstehen wollen, ihre Heimat-
liehen Wurzeln bloßlegen. Eher in der Literatur
haben wir eben dies von jeher getan. In der
bildenden Kunst schwärmten wir viel zu sehr für
Internationalismus und Kosmopolitik und hielten
die Betonung der lokalgeschichtlichen Bedingungen
für engherzig. Ls könnte aber wohl eine Zeit
kommen, zu der die organische Auffassung der Kunst
weit genug gediehen sein wird, daß wir darangehen
können, die Museumsbestände, soweit sie auf fremdem
Boden Gewachsenes beherbergen, auszutauschen,
derart, daß man den ganzen Dürer in einem Nürn-
berger Dürer-Museum, den ganzen Turner in einem
Londoner Turner-Museum (ein solches ist in der
Tat kürzlich in Anschluß an die Tate-Galerie in
London eröffnet worden) finden und studieren kann.
Man denke sich nach diesem Prinzip die oberitalie-
nischen Städte und Museen reorganisiert. Daß man
die ganze Brescianer Kunst in Brescia findet, den
ganzen Filippo, Lippi, perugino und Rafael in
Florenz. Es könnte dann denjenigen Galerien, die
die Originale austauschen müssen, jeweils eine gute
Kopie gegeben werden. Und soweit die Idee heute
noch undurchführbar ist, könnten umgekehrt die
Heimatsmuseen sich gute Kopien aller der Werke,
die sie nicht in den Originalen erhalten können,
Herstellen lassen. Und dieser Gedanke zum mindesten
ist heute spruchreif. Jede Stadt sollte ein Heimats-
museum anlegen, daß die Geschichte der heimatlichen
Kunst lückenlos mit Hilfe guter Kopien darstellt und
soweit die betreffende Stadt einen „ganz Großen"
hat, wie Menzel in Berlin, Thoma in Frankfurt,
Klinger in Leipzig, sollte sie ein eigenes Museum
für eben diesen Künstler einrichten; Ansätze hierzu
finden sich übrigens schon in einzelnen Städten, wie
das Wuertz-Museum in Brüssel, das Schadow-Museum
in Berlin, und auch auf anderen Gebieten der
Kunst, Literatur und Musik, wie beim Körner-Museum
in Dresden, beim Richard-Wagner-Museum in
Eisenach, beim Goethe-Museum in Weimar.
Diese Heimatsmuseen brauchen aber bei der
Kunst nicht Halt zu machen, sie sind in gleichem
Maße für das Kunstgewerbe zu fordern, wenn
wir heute ein städtisches Kunstgewerbemuseum be-
treten, begrüßen uns gewöhnlich an erster Stelle
chinesische Bronzen und buddhistische Tempelnach-
bildungen. Derlei gehört besser in ein Völkermuseum.
Lin Kunstgewerbemuseum sollte in erster Linie die
Entwicklung des Kunsthandwerker des Heimatsortes
zur Darstellung bringen, welche Unsummen haben
nicht die Museen auf den Weltausstellungen, be-
sonders in Paris, Chicago und St. Louis in die
Erwerbung von Arbeiten ausländischen Kunstgewerbes
gesteckt und noch dazu von Dingen, die, wie Ein-
sichtige unter ihnen zugestehen, heute reif fürs Lager
sind, wäre es nicht vernünftiger gewesen, diese
Gelder für den Erwerb heimischer Kunstaltertümer
zu verwenden? Hier ist auch der Punkt, von dem
aus die blühenden Fälscherkünste für die echte Kunst
dienstbar gemacht werden können, derart, daß von
in Privatbesitz oder in auswärtigem Besitz befind-
lichen Kunstgegenständen Kopien, Nachbildungen,
„Imitationen" angefertigt werden. Die heute grassie-
rende „Wut", die Dörfer und alten Stätten, z. B.
der Biedermeierkunst auszuspüren und auszurauben
und „echte Antiken" für den Handel oder fürs
Museum zu bekommen, ist von Nebel und ist kultur-
widrig, barbarisch und wirkt zersetzend und zerstörend,
nicht aufbauend. Es genügt vollkommen, wenn
man für Museumszwecke gute Kopien herstellt mit
Hilfe eben des hochentwickelten Fälscherkunsthand-
werkes. Das gilt ebenso von Möbeln und aller
Art Hausgerät, wie Goldschmiedearbeiten und selbst
Trachten (heimatliche Trachtenmuseen — eine wich-
tige Aufgabe für sich*)).
*) vgl. hierzu den Artikel des verf.: „Kostümmuseen"
Kölnische Zeitung vom 27. Februar t9lo.
Die Werkstatt der Kunst.
374
Redaktioneller Teil.
l)«im»tsmuke«n
von Or. Heinrich pudor
Im Jahre s9O5 veröffentlichte der Hamburger
Lichtwark in der Zeitschrift „Museumskunde" einen
kurzen Artikel „Das Nächstliegende", in dem er
Klage darüber führte, daß in den deutschen Kunst-
städten keine Galerien vorhanden wären, in denen
man die Entwicklung der Malerei der betreffenden
Stadt in den letzten hundert Jahren einigermaßen
gründlich studieren könne. Und Verfasser ist selbst
bereits in der Schrift „Die Kunst im Lichte der
Kunst" ((892) dafür eingetreten, daß die Museen
vor allem die heimatliche Kunst sammeln und dar-
stellen sollten derart, daß man Dürer in Nürnberg,
Bottinelli in Florenz, Tizian in Venedig, Rembrandt
in Amsterdam, Turner in London studiert. Der
Vorschlag wurde damals wenig beachtet. Heute sind
wir soweit, eben dieses Prinzip als richtig für das
gesamte Museumswesen anzusehen. Heimatsmuseen,
wir haben sogar schon einige Anfänge und ver-
suche solcher Heimatsmuseen aufzuweisen, wie das
Märkische Museum in Berlin; ein Berliner Schrift-
steller machte kürzlich auf die Lücken und auf die
Verbesserungsbedürftigkeit dieses Museums aufmerk-
sam und wollte zum Zwecke der Möglichkeit eines
gründlicheren Studiums der Heimatsgeschichte ein
photographisches Archivmuseum für die Kunstgeschichte
Berlins gegründet wissen. In ähnlicher Richtung
liegen die Dorfmuseen, die man hier und da ge-
gründet hat und für die das Sohnreysche Land
eifrig eingetreten ist. Im allgemeinen freilich ist
uns das Verständnis für die organische Auffassung
der Kunst und Kultur, für ihre Bodenständigkeit
und sozusagen Wurzelhastigkeit noch nicht in ge-
nügendem Maße aufgegangen, derart, daß wir,
wenn wir eine Kunst verstehen wollen, ihre Heimat-
liehen Wurzeln bloßlegen. Eher in der Literatur
haben wir eben dies von jeher getan. In der
bildenden Kunst schwärmten wir viel zu sehr für
Internationalismus und Kosmopolitik und hielten
die Betonung der lokalgeschichtlichen Bedingungen
für engherzig. Ls könnte aber wohl eine Zeit
kommen, zu der die organische Auffassung der Kunst
weit genug gediehen sein wird, daß wir darangehen
können, die Museumsbestände, soweit sie auf fremdem
Boden Gewachsenes beherbergen, auszutauschen,
derart, daß man den ganzen Dürer in einem Nürn-
berger Dürer-Museum, den ganzen Turner in einem
Londoner Turner-Museum (ein solches ist in der
Tat kürzlich in Anschluß an die Tate-Galerie in
London eröffnet worden) finden und studieren kann.
Man denke sich nach diesem Prinzip die oberitalie-
nischen Städte und Museen reorganisiert. Daß man
die ganze Brescianer Kunst in Brescia findet, den
ganzen Filippo, Lippi, perugino und Rafael in
Florenz. Es könnte dann denjenigen Galerien, die
die Originale austauschen müssen, jeweils eine gute
Kopie gegeben werden. Und soweit die Idee heute
noch undurchführbar ist, könnten umgekehrt die
Heimatsmuseen sich gute Kopien aller der Werke,
die sie nicht in den Originalen erhalten können,
Herstellen lassen. Und dieser Gedanke zum mindesten
ist heute spruchreif. Jede Stadt sollte ein Heimats-
museum anlegen, daß die Geschichte der heimatlichen
Kunst lückenlos mit Hilfe guter Kopien darstellt und
soweit die betreffende Stadt einen „ganz Großen"
hat, wie Menzel in Berlin, Thoma in Frankfurt,
Klinger in Leipzig, sollte sie ein eigenes Museum
für eben diesen Künstler einrichten; Ansätze hierzu
finden sich übrigens schon in einzelnen Städten, wie
das Wuertz-Museum in Brüssel, das Schadow-Museum
in Berlin, und auch auf anderen Gebieten der
Kunst, Literatur und Musik, wie beim Körner-Museum
in Dresden, beim Richard-Wagner-Museum in
Eisenach, beim Goethe-Museum in Weimar.
Diese Heimatsmuseen brauchen aber bei der
Kunst nicht Halt zu machen, sie sind in gleichem
Maße für das Kunstgewerbe zu fordern, wenn
wir heute ein städtisches Kunstgewerbemuseum be-
treten, begrüßen uns gewöhnlich an erster Stelle
chinesische Bronzen und buddhistische Tempelnach-
bildungen. Derlei gehört besser in ein Völkermuseum.
Lin Kunstgewerbemuseum sollte in erster Linie die
Entwicklung des Kunsthandwerker des Heimatsortes
zur Darstellung bringen, welche Unsummen haben
nicht die Museen auf den Weltausstellungen, be-
sonders in Paris, Chicago und St. Louis in die
Erwerbung von Arbeiten ausländischen Kunstgewerbes
gesteckt und noch dazu von Dingen, die, wie Ein-
sichtige unter ihnen zugestehen, heute reif fürs Lager
sind, wäre es nicht vernünftiger gewesen, diese
Gelder für den Erwerb heimischer Kunstaltertümer
zu verwenden? Hier ist auch der Punkt, von dem
aus die blühenden Fälscherkünste für die echte Kunst
dienstbar gemacht werden können, derart, daß von
in Privatbesitz oder in auswärtigem Besitz befind-
lichen Kunstgegenständen Kopien, Nachbildungen,
„Imitationen" angefertigt werden. Die heute grassie-
rende „Wut", die Dörfer und alten Stätten, z. B.
der Biedermeierkunst auszuspüren und auszurauben
und „echte Antiken" für den Handel oder fürs
Museum zu bekommen, ist von Nebel und ist kultur-
widrig, barbarisch und wirkt zersetzend und zerstörend,
nicht aufbauend. Es genügt vollkommen, wenn
man für Museumszwecke gute Kopien herstellt mit
Hilfe eben des hochentwickelten Fälscherkunsthand-
werkes. Das gilt ebenso von Möbeln und aller
Art Hausgerät, wie Goldschmiedearbeiten und selbst
Trachten (heimatliche Trachtenmuseen — eine wich-
tige Aufgabe für sich*)).
*) vgl. hierzu den Artikel des verf.: „Kostümmuseen"
Kölnische Zeitung vom 27. Februar t9lo.