Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 13.1913/1914
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DOI Artikel:Schichtling, Max: Unzüchtige Postkarten
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XIII, Heft 12.
Die Werkstatt der Kunst.
155
Ter-
nun
Ausstellungen
Ende
Schluß der Ausstellung der jungen Künstler-
—
Febr.
schäft Oesterreichs in der Secession in Wien.
Mitte
März
Eröffnung der Frühjahrsausstellung in der
Secession in Wien.
—
Ter-
min
Ausstellungen
März
bis
April
Frühjahrsausstellung des Albrecht-Dürer-Bun-
des in Berlin.
iS. 4.
bis
ZN w.
Internationale Kunstausstellung Venedig.
2
Mitte
Juli
Schluß der Frühjahrsausstellung in der Se-
cession in Wien.
—
Redaktioneller Teil
Unzüchtige Postkarten')
von Max Schlichting
Die jüngst erfolgte Beschlagnahme einer Anzahl
Postkarten mit Reproduktionen von Skulpturen hat
in den Kreisen der Künstler eine begreifliche Er-
regung hervorgerufen und die Befürchtung auf-
kommen lassen, daß die Freiheit der Kunst bedroht
sei. Vorerst ist dieses Urteil noch nicht der letzte
Spruch, und das Reichsgericht hat erst darüber zu
entscheiden, ob gerade diese Postkarten unzüchtig sind
oder nicht. Die an und für sich verständliche Miß-
stimmung über diese Beschlagnahme hat nun aber
zu einer Art Protestbewegung geführt, die weit
über das Ziel hinausschießt und droht, für ein
Prinzip einzutreten, das den Künstlern schädlich ist.
Ls ist also wohl am Platze, einmal in Ruhe das
Für und wider abzuwägen. Schon die Tatsache
allein, daß die Bewegung zuerst vom Hansabund
ausgeht, zeigt die geschäftliche Seite der Angelegen-
heit. Die Postkarte ist ein Massenartikel, der, wenn
gar kein oder wenig Künstlerhonorar zu zahlen ist,
großen Gewinn abwirft. Die Kunst ist also jeden-
falls nicht allein geschädigt, sondern mindestens
ebenso stark das Geschäft der Postkartenindustrie.
Ls ist nämlich auffällig, daß die Postkartenverleger
Nacktdarstellungen bevorzugen und als eine gut-
gehende Nummer ansehen. Auf den Verkaufstischen
in den großen Kunstausstellungen findet man außer
Hunde- und Katzenbildern vorwiegend Karten mit
Nacktdarstellungen, und in den Schaufenstern an der
Straße find Raffaelsche Madonnen viel seltener zu
finden als Bilder von Rubens, von denen aber
nur diejenigen, die Nacktes darstellen. Sollte der
Postkartenverleger nicht doch bei der Auswahl seiner
Karten auf bestimmte Instinkte des Volkes speku-
lieren?
Ls fragt sich nun, ob wirklich durch die Reichs-
gerichtsentscheidung, auf die sich das Urteil des
Landgerichts stützt, die Freiheit der Kunst bedroht
H wir bringen gern diese Ausführungen des hoch-
geschätzten Künstlers zum Abdruck, ohne uns mit ihnen
einverstanden zu erklären. Sicher enthalten sie viel wahres,
aber manches wäre doch zu widerlegen.
Die Redaktion.
ist. Zunächst ist festzustellen, daß das Kunstwerk im
Original in unseren Zeiten die größte Freiheit ge-
nießt, so daß sittlich bedenkliche Werke niemals von
der Polizei, sondern nur von der künstlerischen
Leitung der Ausstellung beanstandet sind, wirkliche
Kunst ist aber nur das Original. Jede Reproduk-
tion ist minderwertig, wenn wirklich die Repro-
duktion fast dieselbe künstlerische Wirkung hätte wie
das Original, so würden die Direktoren der Museen
nicht Millionen aufwenden für Originale, die durch
Reproduktionen für wenige Mark ersetzt werden
können. Line Unterdrückung von Postkarten mit
Reproduktionen verletzt also jedenfalls nicht das
Herz der Kunst. Trotzdem muß man jede Repro-
duktion willkommen heißen, die zu dem Zwecke er-
worben wird, um sich ästhetischen Kunstgenuß zu
bereiten. Daß dies bei Bildern und Plastiken auf
Postkarten nicht immer der Fall ist, wird allseitig
anerkannt. Man bezeichnet dies als einen verein-
zelten Mißbrauch, der bei jeder guten Sache un-
vermeidlich sei. Umgekehrt geben die Gegner zu,
daß ein edler Gebrauch solcher Postkarten sicher
bisweilen vorkommt. So sind es in erster Linie
die Künstler selbst, die ihre neueste Schöpfung allen
Bekannten auf einer Postkarte in Erinnerung bringen.
Auch Besucher von Museen werden sich vielleicht
eine Postkartensammlung als Erinnerung mitnehmen.
Die Streitfrage spitzt sich also dahin zu: „wie
ist der Gebrauch einer Bildpostkarte in der Regel?"
Die Regel ist bei der Postkarte als Massen-
artikel der Verkauf bei Buchbindern, in Barbier-
stuben, in kleineren Geschäften zusammen mit Seife,
Obst usw., in den Wirtschaften auch des niedersten
Grades. Da sieht man die Venus von Milo neben
dem Glücksschwein und den üblichen Bierulkkarten.
Diese Händler und Nichtkünstler sind Sachverständige
für die Frage: wer kauft diese Karten? Die Ant-
wort lautet: Halbwüchsige Jungen, von denen einer
dem anderen zuflüstert: die Dicke da oben gefällt
mir am besten; fast gar keine Frauen, nur Männer
und mehr aus einfacheren Kreisen. Dieses Massen-
publikum soll also die Nacktdarstellungen nur aus
Kunstinteresse kaufen? Nur merkwürdig, daß die-
Die Werkstatt der Kunst.
155
Ter-
nun
Ausstellungen
Ende
Schluß der Ausstellung der jungen Künstler-
—
Febr.
schäft Oesterreichs in der Secession in Wien.
Mitte
März
Eröffnung der Frühjahrsausstellung in der
Secession in Wien.
—
Ter-
min
Ausstellungen
März
bis
April
Frühjahrsausstellung des Albrecht-Dürer-Bun-
des in Berlin.
iS. 4.
bis
ZN w.
Internationale Kunstausstellung Venedig.
2
Mitte
Juli
Schluß der Frühjahrsausstellung in der Se-
cession in Wien.
—
Redaktioneller Teil
Unzüchtige Postkarten')
von Max Schlichting
Die jüngst erfolgte Beschlagnahme einer Anzahl
Postkarten mit Reproduktionen von Skulpturen hat
in den Kreisen der Künstler eine begreifliche Er-
regung hervorgerufen und die Befürchtung auf-
kommen lassen, daß die Freiheit der Kunst bedroht
sei. Vorerst ist dieses Urteil noch nicht der letzte
Spruch, und das Reichsgericht hat erst darüber zu
entscheiden, ob gerade diese Postkarten unzüchtig sind
oder nicht. Die an und für sich verständliche Miß-
stimmung über diese Beschlagnahme hat nun aber
zu einer Art Protestbewegung geführt, die weit
über das Ziel hinausschießt und droht, für ein
Prinzip einzutreten, das den Künstlern schädlich ist.
Ls ist also wohl am Platze, einmal in Ruhe das
Für und wider abzuwägen. Schon die Tatsache
allein, daß die Bewegung zuerst vom Hansabund
ausgeht, zeigt die geschäftliche Seite der Angelegen-
heit. Die Postkarte ist ein Massenartikel, der, wenn
gar kein oder wenig Künstlerhonorar zu zahlen ist,
großen Gewinn abwirft. Die Kunst ist also jeden-
falls nicht allein geschädigt, sondern mindestens
ebenso stark das Geschäft der Postkartenindustrie.
Ls ist nämlich auffällig, daß die Postkartenverleger
Nacktdarstellungen bevorzugen und als eine gut-
gehende Nummer ansehen. Auf den Verkaufstischen
in den großen Kunstausstellungen findet man außer
Hunde- und Katzenbildern vorwiegend Karten mit
Nacktdarstellungen, und in den Schaufenstern an der
Straße find Raffaelsche Madonnen viel seltener zu
finden als Bilder von Rubens, von denen aber
nur diejenigen, die Nacktes darstellen. Sollte der
Postkartenverleger nicht doch bei der Auswahl seiner
Karten auf bestimmte Instinkte des Volkes speku-
lieren?
Ls fragt sich nun, ob wirklich durch die Reichs-
gerichtsentscheidung, auf die sich das Urteil des
Landgerichts stützt, die Freiheit der Kunst bedroht
H wir bringen gern diese Ausführungen des hoch-
geschätzten Künstlers zum Abdruck, ohne uns mit ihnen
einverstanden zu erklären. Sicher enthalten sie viel wahres,
aber manches wäre doch zu widerlegen.
Die Redaktion.
ist. Zunächst ist festzustellen, daß das Kunstwerk im
Original in unseren Zeiten die größte Freiheit ge-
nießt, so daß sittlich bedenkliche Werke niemals von
der Polizei, sondern nur von der künstlerischen
Leitung der Ausstellung beanstandet sind, wirkliche
Kunst ist aber nur das Original. Jede Reproduk-
tion ist minderwertig, wenn wirklich die Repro-
duktion fast dieselbe künstlerische Wirkung hätte wie
das Original, so würden die Direktoren der Museen
nicht Millionen aufwenden für Originale, die durch
Reproduktionen für wenige Mark ersetzt werden
können. Line Unterdrückung von Postkarten mit
Reproduktionen verletzt also jedenfalls nicht das
Herz der Kunst. Trotzdem muß man jede Repro-
duktion willkommen heißen, die zu dem Zwecke er-
worben wird, um sich ästhetischen Kunstgenuß zu
bereiten. Daß dies bei Bildern und Plastiken auf
Postkarten nicht immer der Fall ist, wird allseitig
anerkannt. Man bezeichnet dies als einen verein-
zelten Mißbrauch, der bei jeder guten Sache un-
vermeidlich sei. Umgekehrt geben die Gegner zu,
daß ein edler Gebrauch solcher Postkarten sicher
bisweilen vorkommt. So sind es in erster Linie
die Künstler selbst, die ihre neueste Schöpfung allen
Bekannten auf einer Postkarte in Erinnerung bringen.
Auch Besucher von Museen werden sich vielleicht
eine Postkartensammlung als Erinnerung mitnehmen.
Die Streitfrage spitzt sich also dahin zu: „wie
ist der Gebrauch einer Bildpostkarte in der Regel?"
Die Regel ist bei der Postkarte als Massen-
artikel der Verkauf bei Buchbindern, in Barbier-
stuben, in kleineren Geschäften zusammen mit Seife,
Obst usw., in den Wirtschaften auch des niedersten
Grades. Da sieht man die Venus von Milo neben
dem Glücksschwein und den üblichen Bierulkkarten.
Diese Händler und Nichtkünstler sind Sachverständige
für die Frage: wer kauft diese Karten? Die Ant-
wort lautet: Halbwüchsige Jungen, von denen einer
dem anderen zuflüstert: die Dicke da oben gefällt
mir am besten; fast gar keine Frauen, nur Männer
und mehr aus einfacheren Kreisen. Dieses Massen-
publikum soll also die Nacktdarstellungen nur aus
Kunstinteresse kaufen? Nur merkwürdig, daß die-