XIII, heft 12.
Die Werkstatt der Aunst.
157
Tellimgssckau
In der „Täglichen Rundschau" lesen wir:
Ein Künstler, der sein eigenes Werk nicht
erkennt. Der berühmte Bildhauer August Rodin ist von
einem heiteren Mißgeschick betroffen worden, vor einigen
Wochen ging er an einer Kunsthandlung in der Rue Lafitte
vorüber. Er bemerkte dort im Schaufenster ein schrecklich
ausgeführtes Standbild „Die Erde", die als Schöpfer die
Aufschrift „August Rodin" trug. Er ging wütend in den
Laden hinein und erklärte, daß dieses Kunstwerk eine ganz
gemeine Fälschung sein müsse, da er in seinem Leben nicht
eine solche Stümperei verbrochen hätte. Der Händler blieb
indessen bei seiner Behauptung, die Statue als echten
„Rodin" gekauft zu haben, und so blieb denn dem Bild-
hauer nichts anderes übrig, als eine Klage auf Beseitigung
seines Namens von dem ausgestellten Standbild einzu-
reichen. Die vom Gericht angestellten Untersuchungen
zeitigten folgendes Ergebnis: Tatsächlich hat im Jahre ^899
ein deutscher Professor, und zwar der aus Hamburg stam-
mende Professor heilbuth das Bildwerk aus dem Atelier
von Rodin gekauft. Professor heilbuth konnte diesen An-
kauf noch durch eine Rechnungsvorlage beweisen.
Rodin versuchte nun selbstverständlich, seine Klage
zurückzuziehen, jedoch hatte er nicht mit der pariser Händler-
schaft gerechnet. Diese erklärte nämlich jetzt, daß sie als
Zwischenhändler des Kunstwerks durch die polizeilichen
Nachforschungen und den an die ganze Geschichte sich an-
knüpfenden Skandal schwer geschädigt worden sei. In-
folgedessen haben die Händler nunmehr das Blatt gewen-
det und gegen Rodin eine Klage auf Ersatz ihres Schadens,
der nach ihren Angaben eine nicht unbeträchtliche höhe
erreicht haben soll, anhängig gemacht.
In der „Breslauer Zeitung" lesen wir:
Ignatius Taschner ch. Aus der bayrischen Künstler-
kolonie Dachau kommt die schmerzliche Kunde von dem
plötzlichen und unerwarteten Heimgange Ignatius Taschners,
des ausgezeichneten Bildhauers, Malers und Graphikers,
des Schöpfers unseres Gustav Freytag Brunnens an der
Liebigshöhe, der bekanntlich auch während seiner kurzen
Lehrtätigkeit an der Breslauer Kunst- und Kunstgewerbe-
schule von t90Z—t9O5 die grundlegende Anregung zum
weiteren Ausbau neuzeitlicher Kunsttheorien gegeben hatte.
Trotz seiner Jugend — er hat das HZ. Lebensjahr nicht
vollendet — war Taschners Name schon seit fast zwei
Dezennien bekannt durch seine von köstlichem Humor
zeugenden Illustrationen zum „heiligen hies" und die
zahlreichen Gelegenheitsarbeiten im Dienste der Münchner
Künstlergeselligkeit. In seinen vorbildlich gewordenen Fest-
karten fand er als erster mit seinem angeborenen Stil-
gefühl den eine Zeitlang ganz verloren gewesenen weg
zur Wiedergabe künstlerischer Gedanken durch die genau
zum Motiv passenden, richtigen Mittel wieder zurück. Und
dieser an die deutschen Großmeister des Mittelalters an-
knüpfende Stil fowie die mit der schlichten Aufrichtigkeit
der Empfindung verbundene Prägnanz der Linienführung
bilden neben dem nie versagenden Humor das Charak-
teristikum sowohl in seinen sämtlichen Griffelwerken, als
auch in der später besonders bevorzugten Kleinplastik. In
den wegen der Straffheit des Zuschnitts unvergessen blei-
benden Holzskulpturen des famosen „Wanderers", des
„Dudelsackpfeifers" und der anderen Arbeiten aus dieser
Periode werden Gestalten von der Haltung Dürerscher Holz-
schnitte noch einmal lebendig. Auf die dekorative Bega-
bung Taschners waren Messel und der Stadtbaudirektor
Hoffmann bald aufmerksam geworden. Nach seiner auf
ihre Anregung 1905 von hier nach Berlin erfolgten Ueber-
siedlung schuf der vielgewandte für den ersteren den
plastischen Schmuck für das Warenhaus Wertheim auf der
Leipziger Straße und für das Hauptportal der Weltaus-
stellung in St. Louis, während aus der Zahl der für die
Reichshauptstadt entstandenen Werke vornehmlich mehrere
der erst kürzlich vollendeten Figuren zum Märchenbrunnen
(Rotkäppchen" usw.) und ein Teil der Silberplastik auf dem
herrlichen Tafelaufsätze von dauernder Bedeutung ist, der
als Hochzeitsgeschenk für das Kronprinzenxaar von einer
Reihe deutscher Meister ausgeführt wurde. Zu seinen be-
kanntesten Schöpfungen gehören außerdem das Schiller-
denkmal in St. Paul (Minnessota t9O7), das Schweinfurter
Kriegerdenkmal (^895) und die beiden Posener Brunnen
(t9O8 bis t9lo), von denen der letztere den Ziergarten des
neuen Residenzschlosses schmückt.
In den „Münchener Neuesten Nachrichten"
lesen wir:
,»Warum Iuryfreiheit?" Der demokratische Zug
unserer Zeit wie die soziale Not treiben auch den Künstler
aus dem stillen Winkel seines Ateliers hinaus zu den
Nassen, in die breite Deffentlichkeit. Was ihn bewegt und
drückt, er kann es mit seinem Werk allein nicht mehr aus-
sprechen, er schließt sich immer dichter zu Gruppen zusammen
und führt auch fo den Kampf um seine Existenz, die im
Zeitalter der Maschinen gefährdeter erscheint denn je. Aus
der Not heraus wurde der Gedanke der Iuryfreiheit ge-
boren, als einer Institution, die ihren Anhängern Erlösung,
die ein neues goldenes Zeitalter bringen soll.
Nach vierjährigem Bestand dieser neuen Ausstellungs-
form in München tritt der Deutsche Künstleroerband „Die
Iuryfreien" nun mit einem lauten Aufruf an die Allge-
meinheit; seiner Einladung zu der am 20. November statt-
gefundenen Versammlung folgte eine große Zahl von
Künstlern aller Richtungen und von Kunstfreunden. Wer
hier im überfüllten Saale der „Schwabinger Brauerei"
Umschau hielt, der konnte neben verdienten Professoren,
neben Mitgliedern aller Gruppen, neben den jüngsten
Kunstjüngern auch Vertreter der Landtagsfraktionen, der
Stadt usw. sehen.
Mit scharfen Waffen, ohne eine unfreundliche Kampf-
art aufkommen zu lassen, haben die Künstlerreden des
Abends für die Idee der Iuryfreiheit gekämpft, und was
die Redner der liberalen und der sozialdemokratischen
Fraktion vorbrachten, war Zustimmung und Zusicherung
größtmöglichster Unterstützung. Keine Stimme erhob sich
gegen die „Iuryfreien", nicht weil alle Anwesenden der
Meinung der Redner waren, sondern weil die anderen
Gruppen sich nicht zum Wort meldeten, in der Verkennung
öer Wichtigkeit solch einer öffentlichen Demonstration.
Die Iuryfreien steuern jetzt — dem Glaspalast zu, sie
wollen dort auch einen Platz. Das war die neueste und
markanteste Erscheinung des Abends. Vb sie realisierbar
ist, ob in dem engen Rahmen durch diese Maßnahme
nicht noch strenger für andere juriert werden müßte, das
sind Fragen, die später aufgeworfen werden müssen, wenn
sie aktuell sind.
Ueber den Gang der imposanten Versammlung, die
schön und großzügig einsetzte, sich aber dann durch die ge-
dankliche Undiszipliniertheit einiger Redner vom Thema ab
in alle möglichen, utopischen Ideen verlor, sei folgendes
festgehalten.
Nachdem der Vorsitzende, Hugo Schimmel, die
Versammelten wie die Vertreter der Iuryfreien von Berlin
und Dresden begrüßt, erteilte er dem ersten Referenten des
Abends, Herrn Ludwig Mühlbauer, das Wort, der die
Vorzüge und Nachteile der Iuryfreiheit erläuterte: Jury-
freiheit ist Selbständigkeit für den einzelnen. Der Jury-
künstler kann nicht objektiv sein, weil er als Konkurrent
und als andere Individualität urteilt. Die Arbeit eines Jahres
wird vernichtet; der Kollege tritt gegen den Kollegen auf,
und der junge Künstler wird schlechten Kunsthändlern aus-
geliefert. Die Iuryfreien hingegen lassen jeden zu Wort
kommen, die Geffentlichkeit wird schon das Urteil fällen.
Spurlos ist die Bewegung auch an den jurierenden Gruppen
nicht vorüber gegangen, denn „daß der Magen der Ge-
nossenschaft und das Herz der Secession erweitert wurden,
an diesen Leiden sind die Iuryfreien schuld". Der Mün-
chener Künstlerverband zählt heute H00 Mitglieder, bei
denen viele schon die strengsten Jurys mit ihren Arbeiten
passiert haben. Wir verlangen Gleichheit mit den anderen
Die Werkstatt der Aunst.
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Tellimgssckau
In der „Täglichen Rundschau" lesen wir:
Ein Künstler, der sein eigenes Werk nicht
erkennt. Der berühmte Bildhauer August Rodin ist von
einem heiteren Mißgeschick betroffen worden, vor einigen
Wochen ging er an einer Kunsthandlung in der Rue Lafitte
vorüber. Er bemerkte dort im Schaufenster ein schrecklich
ausgeführtes Standbild „Die Erde", die als Schöpfer die
Aufschrift „August Rodin" trug. Er ging wütend in den
Laden hinein und erklärte, daß dieses Kunstwerk eine ganz
gemeine Fälschung sein müsse, da er in seinem Leben nicht
eine solche Stümperei verbrochen hätte. Der Händler blieb
indessen bei seiner Behauptung, die Statue als echten
„Rodin" gekauft zu haben, und so blieb denn dem Bild-
hauer nichts anderes übrig, als eine Klage auf Beseitigung
seines Namens von dem ausgestellten Standbild einzu-
reichen. Die vom Gericht angestellten Untersuchungen
zeitigten folgendes Ergebnis: Tatsächlich hat im Jahre ^899
ein deutscher Professor, und zwar der aus Hamburg stam-
mende Professor heilbuth das Bildwerk aus dem Atelier
von Rodin gekauft. Professor heilbuth konnte diesen An-
kauf noch durch eine Rechnungsvorlage beweisen.
Rodin versuchte nun selbstverständlich, seine Klage
zurückzuziehen, jedoch hatte er nicht mit der pariser Händler-
schaft gerechnet. Diese erklärte nämlich jetzt, daß sie als
Zwischenhändler des Kunstwerks durch die polizeilichen
Nachforschungen und den an die ganze Geschichte sich an-
knüpfenden Skandal schwer geschädigt worden sei. In-
folgedessen haben die Händler nunmehr das Blatt gewen-
det und gegen Rodin eine Klage auf Ersatz ihres Schadens,
der nach ihren Angaben eine nicht unbeträchtliche höhe
erreicht haben soll, anhängig gemacht.
In der „Breslauer Zeitung" lesen wir:
Ignatius Taschner ch. Aus der bayrischen Künstler-
kolonie Dachau kommt die schmerzliche Kunde von dem
plötzlichen und unerwarteten Heimgange Ignatius Taschners,
des ausgezeichneten Bildhauers, Malers und Graphikers,
des Schöpfers unseres Gustav Freytag Brunnens an der
Liebigshöhe, der bekanntlich auch während seiner kurzen
Lehrtätigkeit an der Breslauer Kunst- und Kunstgewerbe-
schule von t90Z—t9O5 die grundlegende Anregung zum
weiteren Ausbau neuzeitlicher Kunsttheorien gegeben hatte.
Trotz seiner Jugend — er hat das HZ. Lebensjahr nicht
vollendet — war Taschners Name schon seit fast zwei
Dezennien bekannt durch seine von köstlichem Humor
zeugenden Illustrationen zum „heiligen hies" und die
zahlreichen Gelegenheitsarbeiten im Dienste der Münchner
Künstlergeselligkeit. In seinen vorbildlich gewordenen Fest-
karten fand er als erster mit seinem angeborenen Stil-
gefühl den eine Zeitlang ganz verloren gewesenen weg
zur Wiedergabe künstlerischer Gedanken durch die genau
zum Motiv passenden, richtigen Mittel wieder zurück. Und
dieser an die deutschen Großmeister des Mittelalters an-
knüpfende Stil fowie die mit der schlichten Aufrichtigkeit
der Empfindung verbundene Prägnanz der Linienführung
bilden neben dem nie versagenden Humor das Charak-
teristikum sowohl in seinen sämtlichen Griffelwerken, als
auch in der später besonders bevorzugten Kleinplastik. In
den wegen der Straffheit des Zuschnitts unvergessen blei-
benden Holzskulpturen des famosen „Wanderers", des
„Dudelsackpfeifers" und der anderen Arbeiten aus dieser
Periode werden Gestalten von der Haltung Dürerscher Holz-
schnitte noch einmal lebendig. Auf die dekorative Bega-
bung Taschners waren Messel und der Stadtbaudirektor
Hoffmann bald aufmerksam geworden. Nach seiner auf
ihre Anregung 1905 von hier nach Berlin erfolgten Ueber-
siedlung schuf der vielgewandte für den ersteren den
plastischen Schmuck für das Warenhaus Wertheim auf der
Leipziger Straße und für das Hauptportal der Weltaus-
stellung in St. Louis, während aus der Zahl der für die
Reichshauptstadt entstandenen Werke vornehmlich mehrere
der erst kürzlich vollendeten Figuren zum Märchenbrunnen
(Rotkäppchen" usw.) und ein Teil der Silberplastik auf dem
herrlichen Tafelaufsätze von dauernder Bedeutung ist, der
als Hochzeitsgeschenk für das Kronprinzenxaar von einer
Reihe deutscher Meister ausgeführt wurde. Zu seinen be-
kanntesten Schöpfungen gehören außerdem das Schiller-
denkmal in St. Paul (Minnessota t9O7), das Schweinfurter
Kriegerdenkmal (^895) und die beiden Posener Brunnen
(t9O8 bis t9lo), von denen der letztere den Ziergarten des
neuen Residenzschlosses schmückt.
In den „Münchener Neuesten Nachrichten"
lesen wir:
,»Warum Iuryfreiheit?" Der demokratische Zug
unserer Zeit wie die soziale Not treiben auch den Künstler
aus dem stillen Winkel seines Ateliers hinaus zu den
Nassen, in die breite Deffentlichkeit. Was ihn bewegt und
drückt, er kann es mit seinem Werk allein nicht mehr aus-
sprechen, er schließt sich immer dichter zu Gruppen zusammen
und führt auch fo den Kampf um seine Existenz, die im
Zeitalter der Maschinen gefährdeter erscheint denn je. Aus
der Not heraus wurde der Gedanke der Iuryfreiheit ge-
boren, als einer Institution, die ihren Anhängern Erlösung,
die ein neues goldenes Zeitalter bringen soll.
Nach vierjährigem Bestand dieser neuen Ausstellungs-
form in München tritt der Deutsche Künstleroerband „Die
Iuryfreien" nun mit einem lauten Aufruf an die Allge-
meinheit; seiner Einladung zu der am 20. November statt-
gefundenen Versammlung folgte eine große Zahl von
Künstlern aller Richtungen und von Kunstfreunden. Wer
hier im überfüllten Saale der „Schwabinger Brauerei"
Umschau hielt, der konnte neben verdienten Professoren,
neben Mitgliedern aller Gruppen, neben den jüngsten
Kunstjüngern auch Vertreter der Landtagsfraktionen, der
Stadt usw. sehen.
Mit scharfen Waffen, ohne eine unfreundliche Kampf-
art aufkommen zu lassen, haben die Künstlerreden des
Abends für die Idee der Iuryfreiheit gekämpft, und was
die Redner der liberalen und der sozialdemokratischen
Fraktion vorbrachten, war Zustimmung und Zusicherung
größtmöglichster Unterstützung. Keine Stimme erhob sich
gegen die „Iuryfreien", nicht weil alle Anwesenden der
Meinung der Redner waren, sondern weil die anderen
Gruppen sich nicht zum Wort meldeten, in der Verkennung
öer Wichtigkeit solch einer öffentlichen Demonstration.
Die Iuryfreien steuern jetzt — dem Glaspalast zu, sie
wollen dort auch einen Platz. Das war die neueste und
markanteste Erscheinung des Abends. Vb sie realisierbar
ist, ob in dem engen Rahmen durch diese Maßnahme
nicht noch strenger für andere juriert werden müßte, das
sind Fragen, die später aufgeworfen werden müssen, wenn
sie aktuell sind.
Ueber den Gang der imposanten Versammlung, die
schön und großzügig einsetzte, sich aber dann durch die ge-
dankliche Undiszipliniertheit einiger Redner vom Thema ab
in alle möglichen, utopischen Ideen verlor, sei folgendes
festgehalten.
Nachdem der Vorsitzende, Hugo Schimmel, die
Versammelten wie die Vertreter der Iuryfreien von Berlin
und Dresden begrüßt, erteilte er dem ersten Referenten des
Abends, Herrn Ludwig Mühlbauer, das Wort, der die
Vorzüge und Nachteile der Iuryfreiheit erläuterte: Jury-
freiheit ist Selbständigkeit für den einzelnen. Der Jury-
künstler kann nicht objektiv sein, weil er als Konkurrent
und als andere Individualität urteilt. Die Arbeit eines Jahres
wird vernichtet; der Kollege tritt gegen den Kollegen auf,
und der junge Künstler wird schlechten Kunsthändlern aus-
geliefert. Die Iuryfreien hingegen lassen jeden zu Wort
kommen, die Geffentlichkeit wird schon das Urteil fällen.
Spurlos ist die Bewegung auch an den jurierenden Gruppen
nicht vorüber gegangen, denn „daß der Magen der Ge-
nossenschaft und das Herz der Secession erweitert wurden,
an diesen Leiden sind die Iuryfreien schuld". Der Mün-
chener Künstlerverband zählt heute H00 Mitglieder, bei
denen viele schon die strengsten Jurys mit ihren Arbeiten
passiert haben. Wir verlangen Gleichheit mit den anderen